Die Sache mit dem Namen „JP“, Paris 1990
Giovanni war nun schon zehn Jahre alt. Ein „richtiger Hombre“, wie sein Papa immer sagte. Und als „richtiger Hombre“, war es an der Zeit, eine richtig coole „Hombre-Unterschrift“ zu haben! Die Unterschriften von Papa, von den zwei Onkeln und von den beiden Opas hatte er sich schon besorgt. Die vom Direktor in der Schule und von zwei Klassenlehrern auch. Das waren alles Vorlagen für seine eigene, neue Unterschrift. Kraftvoll musste sie sein! Dynamik und Eleganz musste sie ausdrücken! An der Unterschrift des Mannes erkennt man „sein Führungstalent und seinen starken Willen“, hatte Mama gesagt.
Was immer das war, Giovanni wollte es auch! Aber die Worte von Mama wollten kein rechtes Bild in Giovannis kindlichem Kopf erzeugen. So suchte er sich Männerbeispiele, wo das wahrscheinlich zutraf, was Mama sagte. Es war ein langwieriges Projekt. Zuerst klaute er Urkunden in der Schule für die begehrten Vorlagen des Direktors und der ausgewählten Lehrer, dann sammelte er Briefe und Postkarten von den Onkeln und Opas. Dummerweise waren bei den Verwandten immer nur die Vornamen drauf. Aber mittlerweile hatte er eine klare Vorstellung von „Dynamik und Eleganz“. Das Ganze auch noch entziffern zu können, gehörte ganz offensichtlich nicht zum absoluten Muss für die Unterschrift eines „richtigen Hombre“.
Es war Samstag. Ein perfekter Tag zum Üben. Es regnete in Strömen, die beiden Nervensägen – die Zwillingsschwestern Carla und Claudia – waren bei Oma und Opa in Berlin. Mama war mit Freundinnen zum Shoppen und Papa war sowieso tagsüber kaum zu Hause. Die neue Nanny war entweder in ihr aktuelles Buch vertieft oder sie säuselte ihrem Freund am Telefon ins Ohr. Später am Nachmittag wollten Babtiste und Pepi, seine besten Freunde, vorbeikommen. Und bis dahin wollte Giovanni sein Werk präsentieren. Trara, meine neue Unterschrift! Die Unterschrift eines echten „Hombre“, „di un vero Uomo“ (eines wahren Mannes)! Er hatte schon mindestens zehn karierte Bögen vollgeschrieben und er kam seinem Ziel schon ganz nah. Babtiste und Pepi läuteten so gegen 15:00 Uhr. Irgendwie lief es nicht gut. Schon bei der Eingangstür machten sich die beiden Neuankömmlinge über ihn lustig, weil er sich in der Hitze des Schreibgefechts total die Hände, Teile des Gesichts und der Lippen mit Kugelschreiber und Tinte verschmiert hatte.
Dann hatte er, mit geschwellter Brust und stolzer Mine, seine letzte Unterschriftenprobe fertig präsentiert. Es gab keinerlei Begeisterung, von keinem der Beiden! Die Sache mit der „Hombre-Unterschrift“ fanden sie beide zwar echt cool, aber sein Ergebnis fand keinerlei Zustimmung. Die beiden anderen bekamen es aber auch nicht viel besser hin, aber das war zu verzeihen, sie hatten ja auch nicht so professionell recherchiert und geübt. Als Giovanni seinen vollen Namen vor den Augen seiner beiden Freunde zum x-ten Mal zu Papier bringen wollte, da machte Pepi eine böse Bemerkung, die den jungen Giovanni bis in seine Grundfesten erschütterte:
„Giovanni, das ist alles Mist! Scusi, aber so kann man doch nicht unterschreiben! Dein Name ist einfach viiiiel zu lang und da ist keine Musik drin. Da sind wir in der Schule mit der Klassenarbeit fertig, bis Du nur mit Deinen langen Namen unterschrieben hast! Du musst ein Kürzel nehmen!“
Peng! Ja, genau das war es! Es fiel Giovanni wie Schuppen von den Augen! Er brauchte ein Kürzel! Deshalb war Papa immer so schnell fertig mit dem Unterschreiben. Schon allein sein erster Vorname Giovanni war viel zu lang, vom Rest ganz zu schweigen. Aber was meinte Pepi mit „Musik drin“, das musste er irgendwo aufgeschnappt haben? Erklären konnte er es jedenfalls nicht. Gemeinschaftlich arbeiteten die drei Freunde nun fieberhaft an dem Kürzel. Vorschläge wurden gemacht und wieder verworfen. Aber Babtiste und Pepi hatten dann die zündende Idee. „Giovanni heißt doch auf Französisch Jean!“ Warum nennst Du Dich nicht Jean? Das ist schön kurz, da kannst Du gleich den „Paul“ auch noch dran hängen. Jean-Paul klingt irgendwie gut! Da ist Musik drin! Dann heißt der Jean-Paul Belmondo so wie Du!
“Bingo!!! Das Argument hatte Gewicht! Wenn der Belmondo auch so hieß wie Giovanni, dann musste das einfach passen!
„Ja genau“, ereiferte sich nun Pepi „... und aus Jean-Paul kannst du direkt ‚JP‘ machen! Das ist urcool und urkurz!“
Und so kam es dann!
„JP“ war erschaffen und „JP“ war ab jetzt das Markenzeichen und Kürzel von Giovanni Paul Davide Santa Cruz. Und alle hielten sich ab sofort daran, außer Mama und ihre „Familia“ und Papas „Familia del Marito“, die waren alle irgendwie anders kreativ und machten mit einem seiner „alten“ Vornamen, was immer sie gerade wollten.
Aber so waren sie immer, die beiden „Familias“, störrisch und eigensinnig.