6. April 2010, München, Malinger IT Container

 

Franz Korber hatte sich mit seinem Schicksal, wider seinen Willen bei Malinger weiterhin Dienst tun zu müssen, nicht abgefunden. Seine Motivation war unter dem Nullpunkt. Die vergangene Woche hatte ihn in seinen Absichten, sein eigenes Leben frühzeitig zu beenden, noch bestärkt. Er würde sich nicht die Flügel stutzen lassen. Auf gar keinem Fall! Aber er kam aus dieser Sache nicht auf dem normalen Weg der Kündigung heraus. So konnte es nicht bleiben – ergo musste er ehrenvoll seinen Plan B realisieren, der definitiv seinen Tod zur Folge hätte und finanziell für Frau und Kinder sorgte.

Aber seine Arbeitsmoral litt unendlich und seine Lust zu Arbeiten sackte ins Bodenlose. Sein sehnlichster Wunsch war nur noch, möglichst viel seiner verbleibenden Zeit mit seinen Töchtern und seiner Frau zu verbringen. Ins Büro ging er gerade mal für ein paar kurze Stunden, solange seine Mädels in der Schule waren. Frühstücken und Zeitunglesen beanspruchten den größten Teil seiner kurzen Zeit im Office. Ansonsten aktualisierte und ergänzte er vorrangig sein „privates Archiv“ und ordnete und sortierte das belastende Material gegen Doc & Co. Am Vormittag hatte er einen saftigen Streit mit Doc. Franz sollte wieder einmal an seinen Datenmodulen Einstellungen vornehmen und damit helfen, die Firma Malinger zu betrügen. Er hatte einfach abgelehnt – knallhart! „Lecken Sie mich doch am Allerwertesten! Ich werde rein gar nichts in dieser Art mehr für Sie erledigen. Ich bin ab Montag nächster Woche für 14 Tage in Dänemark im Urlaub und es gibt viel Wichtigeres zu erledigen als Ihren Scheiß.“ Daraufhin kamen wieder die üblichen Drohungen vom Doc, aber das prallte völlig an Franz ab. Er erwiderte daraufhin nur: „Hören Sie auf, mir immer zu drohen! Ich habe vorgesorgt! Wenn Sie mich vernichten wollen, dann werden Sie auch vernichtet werden! Das kann ich ihnen versprechen! Ich habe alles gespeichert und werde es definitiv gegen Sie einsetzen, falls Sie mein persönliches Glück zerstören. Ich habe derartig die Schnauze voll von Ihnen und Ihren Machenschaften und werde da nicht mehr mitmachen! Da Sie mich nicht ehrenvoll gehen lassen wollen, werden Sie auch sonst keinerlei Freude mehr mit mir haben!“ Das tat Franz so derart gut – endlich einmal den Mund aufzumachen und nicht immer Duckmäusern zu müssen.

Natürlich hatte er Doc wegen seines Urlaubsaufenthaltsortes eine Lüge aufgetischt. Er wollte um diese Jahreszeit gar nicht nach Dänemark, wie er allgemein in der Firma herumerzählt hatte. Tatsächlich hatte Franz eine Badereise auf die Malediven für sich und seine Familie gebucht. Die Mädchen hatten keine Ferien, aber er hatte sich erlaubt, sie mittels einer entschuldigenden Lüge für diese Zeit aus der Schule zu nehmen. Er hatte sich und seiner Familie ein wunderschönes Hotel auf einer kleinen Insel im Ari Atoll, Malediven, gegönnt und wollte unbedingt noch einmal ausgiebig zum Tauchen gehen und seine Familie genießen. Seine verbleibende Zeit wollte er nur und ausschließlich mit seinen Lieben verbringen. Kein Handy, keine Mails, wenige andere Menschen um sich. Vor allem Doc sollte nichts davon erfahren! Franz traute diesem Scheusal einfach alles zu und wollte keinerlei Angriffsfläche für irgendwelche abstrusen Einschüchterungs-Ideen bieten.

 

***

 

Der alte Calvados schlierte durch das Glas, das Feuer im Kamin verströmte ein beruhigendes Flackern. Dieser Platz war der Platz der Reflektion und des Nachdenkens. Das Gespräch mit Franz Korber am Vormittag war gar nicht gut gelaufen. Ein derartig aufmüpfiges Verhalten war sehr ungewöhnlich und nicht akzeptabel. Die offensichtliche Drohung von Franz Korber hatte seine Wirkung! Dieser Mann spielte ein sehr gefährliches Spiel, ein Spiel mit seinem Leben als Einsatz. Die Partner des Syndikats würden sich solch eine Drohung niemals gefallen lassen! Ein „Doc Oberst“ erst recht nicht! Morgen, Mittwoch, sollte es um 21:00 Uhr eine Telefonkonferenz über die abhörsichere Leitung geben. Es waren einige Punkte zu besprechen. Der Fall Franz Korber war einer davon. „Doc Oberst“ würde eine eindeutige Empfehlung zur weiteren Vorgehensweise geben. Es war zu erwarten, dass dieser Vorschlag angenommen werden würde. Sofern sich die anderen nicht die Hände schmutzig machen mussten, stimmten sie immer den Plänen vom „Doc“ zu. Auch „finalen“ Lösungen, falls unbedingt notwendig. Das Einzige, was zählte, war der Abschluss des großen Projektes in den kommenden Monaten. Hindernisse galt es zu überwinden oder zu beseitigen.

 

***

 

JP hatte mit Sorge das Verhalten seines Chefs Franz Korber beobachtet. Franz war die vergangene Woche ganz anders als sonst. Er rauchte plötzlich wieder und interessierte sich eigentlich gar nicht mehr für seine Arbeit. Derart wenig Engagement für die Arbeit in der IT-Abteilung war so untypisch für Franz wie eine Anakonda am Nordpol. Dieses Video hatte irgendetwas Schlimmes bei ihm ausgelöst. JP hatte den Eindruck, Franz habe sich irgendwie aufgegeben und resigniert. Ausgedehnt frühstücken und Zeitung lesen schien Franz wichtiger zu sein, als Meetings mit Kollegen abzuhalten oder Projekte zu überwachen. Das war nicht der Franz Korber, den JP immer für seine Kompetenz, seinen Führungsstil und seinen Fachverstand geschätzt hatte. Aus reinem Instinkt hatte JP seine Spyware-Software nun auch besonders auf Franz Korber kalibriert. Aber es war gar nicht einfach, seinen Chef auf elektronischem Wege zu verfolgen. Franz war durch und durch Profi, und wenn er nicht elektronisch überwacht werden wollte, dann ging das auch nicht. Franz hatte irgendwo auf den Großrechnern einen Bereich für sich geschaffen, wo JP keinerlei Zugang hatte und in „dieser dunklen Ecke“ verschwand er in den vergangenen Tagen fast regelmäßig.

Rein privat hatte JP Stress mit Tina. Sie hatte nach seiner Rückkehr aus St. Moritz eine emotionale Veränderung an ihm bemerkt und gebohrt und gebohrt, bis er ihr erzählte, dass er sich dort mit Felicitas getroffen hatte. Die Seelenkummer-Nummer hatte sie ihm keine Sekunde abgekauft. JPs Offenheit war jedenfalls keine gute Idee! Lockere und großzügige Beziehung hin oder her, am besten funktionierte so etwas ausschließlich nur dann, wenn die Freundinnen jeweils nichts voneinander wussten. Sonst gab es jedes Mal riesengroßen Stress!

Und im Prinzip konnte das JP sogar verstehen. Er wäre bei bekanntwerden von Seitensprüngen sicher auch nicht sehr großzügig gewesen.... In diesem Falle machte ihm Tina eine unglaubliche Szene! JP war sich nicht sicher, ob sich dieser „Vertrauensverlust, Betrug, Respektlosigkeit“, wie auch immer sie das nannte, nochmals würde beheben lassen. Sie war so derart sauer auf ihn, dass sie ohne weiteres mit seiner Ex-Freundin Julietta, der Boutique-Besitzerin, eine gemeinsame Protestbewegung gegen „JP den menschenverletzenden Mistkerl, das Monster aus München“ hätte bilden können.

Sandy, die Stewardess, war turnusmäßig nicht in Richtung München unterwegs und so blieb JP nur, die vergangenen Abende ausschließlich mit spannender Malinger-Datenauswertung und endlosen Telefonaten mit seinem französischen Schulfreund Babtiste Lucard zu verbringen. Babtiste weihte JP erst mal in die Kunst des Lesens von Bilanzen ein. JP war sich vorher nicht bewusst, was alles von Rechts wegen als steuerlich legal, aber aus der Sicht eines Mannes mit gesundem Menschenverstand durchaus als „nicht anständig“ einzustufen war. Man konnte Rückstellungen bilden, die dann gar keine waren, konnte Kosten erzeugen und dann wieder im nächsten Jahr, nach Bilanzierungsschluss, korrigieren, Gelder zwischen eigenen Firmen transferieren und nach Abzug diverser, doch recht erheblicher Kosten dann wieder zurücküberweisen etc. etc.

Babtiste war ein international anerkannter Finanzprofi, aber selbst er zog den Hut vor der unglaublichen Raffinesse der finanziellen Transaktionen innerhalb der Malinger Gruppe. Er bemerkte nach Tagen des Wühlens lakonisch: „JP, wenn diese Firma jemals an die Börse geht, werde ich jeden Euro, den ich besitze und den maximalen Kredit, den ich bekomme, allein in die Aktien von Malinger investieren. Die können wirklich mit Geld umgehen!“ Aber er sagte auch an mehreren Stellen: „JP, ich verstehe das nicht! Die Zahlen stimmen zwischendurch irgendwie nicht. Es sind keine großen Abweichungen pro Einzeltransaktion, aber es stimmt dennoch immer um ein bisschen nicht, und dann plötzlich wird alles wieder korrigiert und am Ende stimmt wieder alles. Das ist total verrückt. Irgendetwas übersehe ich hier, aber ich komme noch nicht drauf! Besorg mir noch das und das und das ...“ Oder er sagte: „JP, ich muss da unbedingt einen wirklich guten Freund zu Rate ziehen – keine Sorge, ich gebe ihm keinerlei Informationen um was oder welche Firma es hier geht. Aber Frank E. ist sehr schwer zu erreichen und hat unheimlich wenig Zeit. Er ist eine Koryphäe in Steuerfragen und diesen Firmenverflechtungen und schuldet mir noch einen Gefallen.“ Tja, so waren die vergangen Abende durchaus spannend, aber sehr trocken.

JP hätte ein feuchteres Tina- oder Sandy- Abendprogramm durchaus vorgezogen. Felicitas wäre keine Option gewesen. Das ging emotional im Moment einfach gar nicht! Und Julietta wollte ja immer noch nicht, mit ihm wieder etwas zu tun haben....

Er hatte sich ihr gegenüber ja wirklich nicht mit Ruhm bekleckert ... Kein weiterer Kontakt zu ihr, das war wohl auch besser so.

Ohne Skrupel
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