Montag, 3. Mai 2010, Krankenhaus Schwabing, 13:00 Uhr

 

Das Mittagessen war „so lala“. Dennoch verursachte die Mahlzeit eine zusätzliche Bettschwere und machte das Grübeln und Wachbleiben mühsam. JP dachte gerade an das aufmunternde Gespräch mit Herrn Dr. Andreas Hildebrandt, der im Hause Malinger in der Geschäftsleitung für IT und Organisation zuständig war. Herr Dr. Hildebrandt hatte seine Runde durch die Zimmer aller verletzten Mitarbeiter gemacht, sich artig für die Hilfseinsätze bedankt und herzlichst eine baldige Genesung gewünscht. Seine Assistentin folgte ihm und überreichte jedem der Verletzten einen großen Strauß Blumen und informierte sie, dass Herr Malinger Senior und Dr. Bucher sich entschuldigen ließen und auch die besten Genesungswünsche übermittelten. Einer der beiden anderen Herrn Geschäftsführer sei heute in Schottland, der andere in Spanien, um den Totalausfall der Münchner IT-Zentrale irgendwie auf die beiden anderen sehr viel kleineren Rechenzentren zu verlagern und zu koordinieren. Heute sei die Produktion sehr eingeschränkt, aber es muss ja irgendwie weitergehen, zumal über 4.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel stünden....

Das verstand JP nur zu gut! Ohne IT keine Produktion, keine Verwaltung, kein Lagerbetrieb, keine Auslieferung, keine Buchhaltung, kein Lohn, kein Geld, keine Firma Malinger. Kreislauf geschlossen! Spiel verloren. Firma tot.

Aber zum Glück konnte er sich vor fünf Monaten mit seinem Hochverfügbarkeitssystem (das er zumindest für die Betriebssteuerung und produktionsrelevanten Datenbanken einrichten durfte) durchsetzen. Wohlgemerkt, gegen den Widerstand von Dr. Bucher, der wieder mal nur „sparen“ wollte. Als JP sein Hochverfügbarkeitskonzept der versammelten Geschäftsführung präsentierte, bellte Dr. Bucher am Ende nur: „Das ist ja mit x-facher Reißleine! Sie tun ja so, als ob uns die Hütte um die Ohren fliegen könnte. Was das wieder kostet. Wir sind ja hier nicht in Bagdad oder im Krieg.“ Allgemeines Gelächter! Joseph Malinger lachte nicht und rettete die Situation: „Danke, Herr Santa Cruz! Meine Herren, die Sicherheit unserer Datenbestände ist mit Geld nicht zu bezahlen und ich habe lieber eine x-fache Reißleine als auch nur 1% Datenverlust. Diese sicherlich erhebliche Investition hat meine ausdrückliche Zustimmung – Herr Dr. Hildebrandt?“ Zustimmendes, wenn auch zögerliches Kopfnicken. „Elisabeth?“ Zustimmendes Kopfnicken. „Herr Dr. Bucher?“ „Meinetwegen Herr Malinger, ihr Geld, ihre Firma!“ „Herr Korber, bitte veranlassen Sie alles Nötige mit Hilfe von Herrn Santa Cruz. Die Sitzung ist für heute beendet.“

Bumm, das saß! Ja, ja, so knackig war der alte Malinger! Der Senior hatte einfach Format! Peinlichst genau die Hierarchieleiter beachtet und dann die Anweisung zur Ausführung an den Chef der IT-Abteilung delegiert. Seitdem schnurrte JPs Hochverfügbarkeits-Cluster wie am Schnürchen und er hatte Sicherungsknoten in den kleinen Auslands-Niederlassungen am Laufen. Damit war der Schaden von Freitag doch sehr eingedämmt und es wäre auch zu keinerlei ernsthaften Produktionsausfällen gekommen, wenn nicht ein wesentlicher Teil der IT-Mannschaft im Kranken- oder Leichenhaus liegen würde. Jedenfalls, JPs Weitsicht ersparte der Firma Malinger zweistellige Millionenbeträge an Schaden!

„Na, wie fühlen wir uns heute, Herr Santa Cruz?“ Das war unverkennbar die sympathische Stimme der entzückenden Frau Dr. Gabriela Gruber. „Wenn Sie den Raum betreten, dann geht für mich die Sonne auf, Frau Dr. Gruber!“ Das gibt´s doch nicht, sie wurde leicht rot auf den Backen! Bingo!

„Darf ich ihnen ein wenig von der echten Sonne hereinlassen, es ist ein herrlicher Tag draußen?“ Das tat sie nur, um JP den Rücken zuzukehren, weil er nicht sehen sollte, dass sie rot geworden war. „Nein, danke Frau Dr. Gruber. Zuviel Licht lässt mich nur ungnädig lädiert erscheinen und vermindert meine Chance, ein wenig Ihrer Sympathie und Aufmerksamkeit erhaschen zu dürfen.“ Mensch, wie komme ich nur auf so einen Schmarrn! Shakespeare hätte es nicht besser schnulzen können. Vielleicht ein bisschen unterwürfig, dachte sich JP. Dr. Grubers Gesicht nahm noch mehr Farbe an. „Ja, Dr. Gruber. Aber auch mein Herz ist noch am rechten Fleck! Und alleine die Vision, schon bald in ihrer Begleitung im Ristorante La Piazza einen Spritz-Aperol zu genießen, beflügelt ungemein meine Fantasie und beschleunigt meine Genesung.“ „Herr Santa Cruz, Sie sind ein Schlingel! Hat gerademal eine Explosion überlebt und flirtet schon auf Teufel komm raus mit seiner Ärztin. Sehen Sie bitte erst einmal zu, dass Sie wieder gesund werden.“ „Ja, Frau Dr, Ihnen tue ich jeden Gefallen! Sie sind für mich Motivation und Inspiration!“ Dr. Gruber lächelte. Das lief gut ... „Ihre Werte sind gut. Haben sie Schmerzen? Ein bisschen? OK. Ich denke, wir können die Dosis ihrer Schmerzmittel senken. Haben sie sonst noch einen Wunsch?“ „Ja, Dr. Gruber. Beantworten Sie mir eine Frage?“ „Bei Ihnen muss man vorsichtig sein, Herr Santa Cruz. Kommt drauf an?“ „Ich vermisse einen Ring an ihrem rechten Ringfinger, darf ich daraus schließen, dass Sie auf dem Markt für Beziehungen zu finden sind?“ „Ich wusste es! Sie lassen einfach nicht locker!“ „Natürlich nicht, Frau Doktor, ich bin interessiert an Ihnen, Dr. Gabriela. Und ich hoffe bei Ihnen diesbzgl. Resonanz zu finden... “ Sie sah ihm tief in die Augen und meinte dann im Gehen: „Nur wer suchet, der findet“.

Das lief GUT. Tja, Mädchen, ich werde suchen und ich will finden!

 

***

 

„Herr Santa Cruz? Mein Name ist Dr. Manfred Koller, Leiter der Kripo München, Referat V, ich habe die Tonbandaufzeichnung von heute Vormittag gegenüber Hauptkommissar Holzner“ – er wies mit der Hand auf den Kollegen hinter ihm – „gehört, können wir an diesem Punkt anknüpfen?“ Aha, Bulle mit Chefchen waren zurück. „ Guten Tag, Herr Dr. Koller. Haben Sie die Befugnis, mir meine Forderungen zu erfüllen?“ „Ich bin befugt zu verhandeln und zu qualifizieren. Aber wir kaufen keine Katze im Sack. Wir wollen überzeugt werden.“

            bvFair! Und eine klare Aussage. Respekt! Änderung Arbeitstitel: Chefchen à Chef.

„Gut, Herr Dr. Koller. Das kann ich verstehen. Haben Sie Datenanalysten in Ihre Abteilung?“ Kopfnicken! „Durch kleine Zufälle hatte ich den Verdacht, dass irgendetwas nicht stimmte im Hause Malinger. Ich habe vor ein paar Monaten mit meinen Recherchen begonnen und einige kriminelle Unregelmäßigkeiten festgestellt. Erst am Freitag kamen echte und ausreichende Beweise dazu und das Puzzle war fast komplett. Mein Plan war, die Beweise der Polizei zu übergeben. Die Explosion kam mir zuvor. Die finalen Drahtzieher habe ich noch nicht eindeutig identifiziert, aber einer der Beteiligten ist jetzt tot: Herr Franz Korber, mein Ex-Chef. Ich kann zerstörte Daten wieder beschaffen oder rekonstruieren und habe einige Sicherungscontainer mit diversen Dateien im Web versteckt. Ich kann mit meinen Vertrauensleuten und ihren IT-Spezialisten diesen Fall aufklären und zur Verhaftung der Drahtzieher wesentlich beitragen. Meine persönliche Arbeitskraft und meine Mithilfe stelle ich zur Verfügung. Aber meine eigenen IT-Spezialisten sind reine Dienstleister und wollen entlohnt werden. Herr Hauptkommissar Holzner, schreiben sie bitte auf: IP 132.001.090.19 Passwort: !§0048adr.Mous. Ihre Datenanalysten wissen, was sie damit machen sollen. Dort finden Sie unter anderem die Datei „Meil_CZ_Foer.xls“. Lassen Sie sie bitte von einem Wirtschaftsprüfer aus- und bewerten. Das ist ein sehr kleiner Teil meiner Recherchen. Die dazugehörigen Verträge habe ich auch auf anderen IP-Adressen gesichert.“

Dr. Koller: „Wohl Sherlock Holmes, was? Sie haben unberechtigt Ermittlungsarbeit betrieben. Sie leiden wohl unter Größenwahn und maßen sich an, polizeiliche Ermittlungsarbeit eigenmächtig leisten zu können, was glauben sie, wer Sie sind? Ich sollte Sie sofort verhaften lassen!“ Er war überlaut und aufgebracht. Änderung des Arbeitstitels: Bürokratenwichser-Chefchen! „Hören Sie, Dr. Koller: Sie scheinen nicht mein richtiger Gesprächs- oder Verhandlungspartner zu sein. Ihnen fehlt wohl der entsprechende Weitblick. Ich habe keine Polizeiarbeit gemacht, ich habe im Rahmen meines Aufgabengebietes Dinge zusammengetragen und Zusammenhänge erkannt. Meine Tabellen und Recherchen auf der genannten IP-Adresse sind für Sie zwar aufschlussreich, aber höchstens verdachtserhärtend und vielleicht nicht vor Gericht verwertbar. Ich vermute, damit bekommen Sie nicht mal einen Durchsuchungsbefehl für die ausländischen Rechenzentren. Ohne mich haben Sie gar nichts und werden auch in fünf Jahren nichts finden. Wenn Sie mir weiterhin so blöd kommen, können sich Hunderte ihrer Spezialisten die Zähne ausbeißen und monatelange suchen und werden wenig finden. Dieses Gespräch ist hiermit beendet. Ich rede in Zukunft nur noch mit Hauptkommissar Holzner und vorerst nur noch im Beisein meines Anwaltes.“

Es wurde still im Raum! Mucksmäuschenstill. Die Sekunden dehnten sich zu endlosen Zeiträumen. „Bürokratenwichser-Chefchen“ war puterrot angelaufen und stampfte schließlich ohne ein weiteres Wort und wutentbrannt nach draußen! Hauptkommissar Holzner stand noch etwas verlegen neben der Tür. Das war eindeutig ein KO in der ersten Runde! Dieser Argentiner-Ami-Italiener-Deutsche war eine absolute Wucht! So einen präzise gesetzten, verbalen Kinnhaken hatte er in seinem Leben noch nie erlebt! Korbinian Holzner hätte in diesem Moment all seine Ersparnisse, sein Haus und seine Karriere für diesen Typ verwettet! „Ihnen fehlt wohl der entsprechende Weitblick.....“ Mensch, tat das GUUUT! Koller war oft arrogant...Das Gespräch pfiff rein wie Schnupftabak – in beide Nasenlöcher gleichzeitig. Wow! Holzner konnte seinen inneren Aufruhr nicht mehr bändigen und brauchte ein Ventil.

Er tat nun etwas für ihn ganz und gar Ungewöhnliches und in dieser Situation sogar Unpassendes: Korbinian Holzner machte einen kleinen „Schuhplattler“ mit abschließendem neckischen Luftsprung. Danach legte er grinsend eine Plastiktüte mit einem iPhone auf den Nachttisch und bemerkte nur: „Scheint Ihres zu sein, haben wir gefunden “ Klasse! JP hatte sein iPhone wohl bei dem Trubel irgendwo verloren. Dann verließ Korbinian Holzner breit grinsend das Krankenzimmer und folgte seinem wutschnaubenden Chef.

Ohne Skrupel
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