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James stopfte den Laptop in seinen Rucksack und lächelte die Rezeptionistin an, als er das Business-Center hastig verließ. Dabei hielt er sich strikt an alle Regeln, die er in seiner Ausbildung gelernt hatte: Er setzte sich eine Sonnenbrille und eine blaue Baseballkappe auf und sah nach unten, damit er auf den Bildern der Überwachungskameras nicht erkannt werden konnte.
»Vielen Dank für Ihre Hilfe, Miss.«
Die Rezeptionistin war immer noch am Telefon, sah auf und nickte ihm zu. Ihr Gesichtsausdruck ließ sich nicht deuten.
James überlegte fieberhaft: Was hatte sie auf seinem Laptop gesehen? Rief sie gerade den Sicherheitsdienst des Casinos an, um ihn zu verpfeifen? Oder vielleicht doch nur ihren Freund, um ihm zu sagen, dass sie nicht früher nach Hause gehen konnte, weil da so ein dämlicher Schüler an seinen Hausaufgaben herumstöpselte?
Wie auch immer, er konnte es nicht riskieren, auch nur eine Minute länger zu bleiben, um es herauszufinden. Kazakov hatte das Casino vom hinteren Parkplatz aus betreten und würde jetzt gute zehn Minuten brauchen, um zum Schalter zu gehen und seine Chips gegen Dollar einzutauschen, und dann noch einmal fünf oder sechs, um das Auto zu holen.
Aber selbst wenn die Casino-Security informiert worden war, würde sie länger brauchen, um sich die Überwachungsbänder vom frühen Abend anzusehen und Kazakov anhand der Beschreibung der Rezeptionistin ausfindig zu machen. Und auch wenn sie Kazakov dann fanden, hätte er Kamera und Signalgeber längst weggeworfen, sodass es unmöglich sein würde, ihm irgendetwas nachzuweisen.
In den meisten Hotels befand sich die Rezeption am Haupteingang, jedoch nicht unbedingt in Las Vegas, wo die Casinos mehr Wert auf optimale Vergnügungsmöglichkeiten legten als auf bequeme Übersichtlichkeit. James blieb vor einem Schild stehen, auf dem unzählige Pfeile zu Theatern, Parkplätzen, Sehenswürdigkeiten, Restaurants, Spas und verschiedenen Hotels wiesen, aber so etwas wie ein Ausgang schien nicht gefragt zu sein.
Also verließ James sich auf seinen Instinkt. Er war ebenso wie Kazakov vom hinteren Parkplatz aus gekommen, wenn er also in die entgegengesetzte Richtung ging, musste er irgendwann auf den Strip stoßen.
Sein Weg führte ihn an einer Reihe von Restaurants vorbei, die mit Computerleuten und vereinzelten Touristen vollgestopft waren. Danach kam er in einen spektakulären Innenhof mit einem riesigen Marmorspringbrunnen unter der Glaskuppel. Pärchen gingen Arm in Arm, ein Casino-Angestellter spielte auf einem Akkordeon und ein paar kleine Kinder standen am Brunnen, warfen Münzen hinein und bespritzten sich mit Wasser.
Der nächste Wegweiser zeigte nach links in eine Shopping-Mall und nach rechts zu einem anderen Teil des riesigen Casinos, doch als James um den Springbrunnen herumging, entdeckte er Förderbänder und ein Schild mit der Aufschrift 3-D-Kino und Strip.
Er sah sich unauffällig um, als bewunderte er den Brunnen. Nichts wies darauf hin, dass ihm jemand gefolgt war. James war erleichtert. Vielleicht hatte er ja nur ein wenig paranoid reagiert. Da entdeckte er einen Toilettenwegweiser, dem er nach dem reichlichen Buffet und den drei Stunden im Business-Center dankbar folgte.
Rasch schlüpfte er in den Gang hinein, der zu einem luxuriösen Waschraum mit mehr als fünfzig Urinalen führte. Über jeder Schüssel leuchtete blaues Neonlicht und zwischen den Waschbecken lagen frische Handtücher auf Edelstahlregalen bereit. James feuchtete eines davon an und rieb sich über seine angestrengten, brennenden Augen. Dann trocknete er sich die Hände ab und lief den Gang zurück zum Springbrunnen.
Am Ende des Ganges standen drei Männer in schwarzen Anzügen, die Funkgeräte und Namensschilder mit dem Logo des Casinos trugen. Sie sahen nicht zu James herüber, und er beschwor sich, ruhig zu bleiben, während er sich nach einem Notausgang umsah. Doch nachdem er an den ersten beiden Männern vorbeigekommen war, verstellte ihm der dritte den Weg.
»Entschuldigung«, sagte er. Auf seinem Namensschild stand: Joseph – Sicherheitsdienst. Er war schon ein wenig älter, sah aber gut trainiert aus.
»Ich?« James lächelte unschuldig, während ihm der Schweiß im Nacken ausbrach.
Der Laptop in seinem Rucksack war voller Beweise. Sie brauchten zwar Kazakovs Passwort, aber das war kein Problem für jemanden, der sich ein bisschen damit auskannte. Und dann würden sie die Überwachungssoftware finden, und auch wenn James keine Videoaufzeichnung gemacht hatte, konnten sie aus dem Arbeitsspeicher bestimmt einige Sequenzen des Blackjack-Spiels wiederherstellen.
»Würdest du wohl bitte mit uns kommen«, befahl Joseph freundlich. »Wir würden dir gerne ein paar Fragen stellen.«
»Es tut mir leid«, sagte James und kratzte sich am Kopf. »Worum geht es denn? Es ist nämlich so, dass ich mich hier mit meinem Vater treffen soll.«
Währenddessen wurde James von den Leuten, die den Gang zu den Toiletten aufsuchten, offensichtlich für einen Laden- oder Taschendieb gehalten und misstrauisch beäugt.
»Komm einfach mit in mein Büro«, erwiderte der Security-Mann. »Es sind nur ein paar Fragen, wahrscheinlich handelt es sich um ein Missverständnis.«
James überlegte blitzschnell. Wenn sie ihn mit dem Laptop im Büro festhielten und die Cops riefen, war er erledigt. Mit etwas Glück würde ihm CHERUB zwar den Hals retten, um unangenehme Fragen wegen der Überwachungssoftware zu vermeiden, und er konnte nach England zurückfliegen, wo ihn Zara vom Campus werfen würde. Aber wenn er Pech hatte, würde CHERUB ihn hier verrotten lassen, als warnendes Beispiel für alle anderen Cherubs, ihre Ausbildung niemals zu kriminellen Zwecken einzusetzen.
Da ihm keine der beiden Möglichkeiten gefiel, ging James zum Angriff über. Der größere der beiden Männer hinter ihm griff nach seinem Arm, doch James warf sich nach hinten und traf ihn mit dem Ellbogen ins Gesicht. Noch während der Mann stürzte, rannte James zu den Förderbändern hinüber.
Die langen, ansteigenden Bänder erinnerten ihn an die Förderbänder auf Flughäfen, nur dass diese hier zu beiden Seiten von Plasmabildschirmen gesäumt waren, auf denen die Vergnügungen des Vancouver-Casinos angepriesen wurden; außerdem begrüßte eine geschmeidige Stimme die Neuankömmlinge und forderte diejenigen, die das Haus verließen, dazu auf, bald wiederzukommen.
»Weg da!«, schrie James und eine Mutter riss ihren Achtjährigen aus dem Weg.
Zwei der Security-Männer waren keine zehn Meter hinter ihm, doch der dritte und größte lag immer noch am Boden und sah Sterne. James hätte seinen beiden nicht mehr ganz jungen Verfolgern leicht davonrennen können, wenn nicht ständig Leute im Weg gewesen wären, die er zur Seite schubsen oder anschreien musste, sodass die Männer stetig aufholten.
Nach ungefähr der Hälfte der Strecke mündete das Förderband in eine Brücke mit Glasbrüstung, die außerhalb des Casino-Gebäudes in etwa zehn Meter Höhe über Hecken und Blumenbeete führte. Immerhin konnte James jetzt ein gutes Stück rennen, bis sich vor ihm zwei kräftige Männer auf sein Rufen hin umdrehten und ihre Gesichter ihm verrieten, dass sie ihm auf keinen Fall Platz machen würden.
Die Security-Leute waren jetzt keine fünf Meter mehr hinter ihm und James wusste, dass sie ihn erwischen würden, noch bevor er die beiden Männer niederschlagen und weiterlaufen konnte.
Er sah nach unten und überlegte, ob er einfach hinunterspringen sollte, doch der Park war mit Betonsteinen eingefasst und stand voller Scheinwerfer, die die Fassade des Casinos in der Dunkelheit anstrahlten.
Ein paar Sekunden bevor er zwischen den Männern in der Falle saß, hechtete James auf die Brüstung und über eine zwei Meter breite Lücke auf das andere Förderband, das die Leute in die Gegenrichtung mitnahm.
Er schlug mit dem Kopf auf die geriffelte Metallfläche des Förderbandes auf und der Laptop fiel krachend aus dem Rucksack, dessen Reißverschluss er nicht ganz zugezogen hatte. Er packte ihn schnell und rannte gegen die Laufrichtung des Bandes durch die Menge. Nach fünfzig Metern hatte er trotz allem einen Vorsprung auf die Sicherheitsleute gewonnen, bis er plötzlich auf eine große Gruppe älterer Damen stieß.
Jede Menge Schimpfworte und ein kräftiger Hieb von einem Gehstock prasselten auf ihn ein, als er sich zwischen den Hintern hindurchkämpfte, die ihm teilweise so breit erschienen wie das Förderband. Als er endlich an den alten Mädchen vorbei war, lagen die restlichen zwanzig Meter des Förderbandes leer vor ihm. Doch seine Freude war nur von kurzer Dauer, als er zwei junge und ziemlich fit aussehende Security-Leute am Ende entdeckte.
Die beiden, die hinter ihm her waren, liefen parallel zu ihm auf dem anderen Band. James überlegte, ob er umdrehen sollte, doch im gleichen Moment wurde ihm klar, dass er auch in der anderen Richtung mit Security-Empfang rechnen konnte. Er hatte nur eine einzige Chance.
Mit einem kurzen Blick nach unten ging er sicher, dass er nicht auf einer Zaunspitze, einem Scheinwerfer oder scharfkantigen Betonsteinen landen würde, dann schwang er sich über die Glasbrüstung des Förderbandes und ließ sich zehn Meter tief in den Park fallen. Er landete im Stockdunkeln, Äste knackten und er spürte einen scharfen Schmerz, als ein Bambusrohr seinen Rücken zerkratzte.
Er rappelte sich auf und erkannte zu spät, dass er sich noch gar nicht auf dem Boden befand. Er stürzte seitwärts und stieß einen Schrei aus, als er einen Schritt in die Luft machte.
James fiel von einer niedrigen Hecke in ein Blumenbeet, während die Security-Leute von oben ins Dunkle hinab spähten. Glücklicherweise hatten sie weder Taschenlampen noch Lust hinterher zu springen.
James klaubte den Laptop aus den abgebrochenen Zweigen und steckte ihn wieder in den Rucksack, dann schlich er sich geduckt zwischen Blumen, Büschen und Sträuchern hindurch. Eine Minute später hatte er die Dunkelheit hinter sich gelassen und fand sich am Rand eines großen, kunstvoll angelegten Blumenbeetes wieder, das zu dem Gehweg am Strip hin anstieg, auf dem kaum dreißig Meter entfernt die Fußgänger spazierten.
Das Blumenbeet war von Scheinwerferlicht hell erleuchtet und die Blumen – die alle unecht waren, wie James aus der Nähe erkannte – bildeten unter einer großen kanadischen Flagge die Worte: Vancouver Las Vegas – Lebe deinen Traum!
James schlich sich so nahe wie möglich an den Zaun heran, der den Park vom breiten Gehweg des Strips trennte. Die Freiheit war verlockend nahe, doch der Zaun ragte fünf Meter in die Höhe, wobei der obere Teil auch noch mit klebriger Teerfarbe gestrichen war, die das Hinaufklettern verhindern sollte.
Die Sicherheitsleute waren ihm zwar vom Förderband nicht in die Tiefe gefolgt, aber sie hatten gesehen, wohin er verschwunden war, also würde es bestimmt nicht lange dauern, bis ihn ihre Kollegen im Park suchten. Er überlegte, ob er Kazakov anrufen sollte. Doch selbst wenn der Trainer einen Plan gehabt hätte, wäre er doch niemals vor der Security bei ihm gewesen.
Also blieb James nichts anderes übrig, als den Park nach einem Ausgang abzusuchen. Er schlich den Weg zurück, den er gekommen war und hielt sich an einen schmalen Pfad hinter den Hecken, um vom Strip aus nicht gesehen zu werden.
Auf der anderen Seite der beiden Glasbrücken, von deren Förderband James gesprungen war und unter denen er nun den Park durchquerte, befand sich ein noch größerer Bereich mit Büschen und Rasenflächen, und über James ragte das weiße Hochhaus des Hotels auf. Er zuckte zusammen, als er hörte, wie sich eine Feuertür öffnete und er gleich darauf eine Taschenlampe aufblitzen sah.
Plötzlich erklang von oben ein Rasseln und Licht leuchtete auf. Im ersten Moment dachte James, dass es etwas mit der Suche nach ihm zu tun hatte. Bis er erkannte, dass sich fünfzehn Meter über ihm ein schmaler Betonfahrbalken befand, auf dem sich eine Einschienenbahn mit vier Waggons rasselnd näherte. Dann bremste der Zug ab, um in den Bahnhof des Vancouver-Casinos einzufahren.
James folgte den Schienen über ihm durch den Park bis zu der Stelle, an welcher der Bahnhof an das dritte Stockwerk des Hotels anschloss. Erfreut stellte er fest, dass die Notausgangstreppe zwischen den Bahnsteigen lag und in der hintersten Ecke des Parks endete. Hinter James leuchteten drei Taschenlampen durch die Büsche und er begann zu rennen.
Er hoffte, dass die Treppe zu einem Notausgang führte, der wiederum direkt in die Straße mündete. Doch auf dem Betonboden waren nur Pfeile aufgemalt, die auf einen breiten Pfad im hinteren Teil des Parks wiesen.
James war wütend. Irgendwo im Dunkeln musste er den Notausgang verfehlt haben, doch da ihm die Suchteams bereits auf den Fersen waren, konnte er nicht mehr umdrehen und danach suchen. Er konnte nur noch die Treppe hinauf stürmen und hoffen, dass er den Zug erwischte, bevor er wieder abfuhr – vorausgesetzt, dass nicht auch aus dieser Richtung Sicherheitsleute kamen.
James stieg über ein Tor am Fuß der umzäunten Betontreppe und raste die sechzig Stufen – jeweils zwei auf einmal nehmend – hinauf. Oben führte eine Glastür zu dem breiten Bahnsteig, von dem aus die letzten Passagiere in den wartenden Zug stiegen.
Am anderen Ende des Bahnsteigs schloss sich bereits eine Automatiktür, damit niemand mehr in den Einstiegsbereich kam. Gleich würden sich auch die Zugtüren schließen. James schoss durch die Glastür, wodurch er einen schrillen Alarm auslöste, und erreichte in letzter Sekunde den Bahnsteig. Er zwängte sich gerade noch zwischen die Türen und klemmte sich die Schulter ein, die Türen piepten und eine Bandansage mahnte ihn, sie nicht zu blockieren. Die anderen Fahrgäste sahen ihn verwundert an, während er sich befreite und schließlich in einem der geräumigen Abteile im vorderen Zugteil stand. In diesem Moment begann der Elektromotor unter dem Boden zu summen und der führerlose Zug glitt leise aus dem Bahnhof.
James hatte keine Ahnung, wie sehr er schwitzte, bis er sich setzte und bemerkte, dass sein T-Shirt an der Plastiklehne seines Platzes klebte. Noch bevor er wieder richtig zu Atem gekommen war, klappte er den Laptop auf. Der Zug wurde schneller, fuhr am Haupteingang des Casinos vorbei und tauchte dann schwungvoll auf eine große, offene Fläche ab, auf der zu beiden Seiten parkende Autos an ihnen vorbei glitten.
»Der nächste Halt ist das Reef. Wir bitten alle Passagiere, sich festzuhalten, wenn der Zug zum Stehen kommt.«
James ignorierte die Durchsage vom Band. Während sie durch die Nacht glitten, spiegelten sich die blinkenden Casino-Lichter in den gewölbten Fensterscheiben des Zuges.
James klickte auf das Menü in der Hoffnung, dass Kazakovs Computer über dieselben Sicherheitsprogramme verfügte wie die der CHERUB-Agenten und der Einsatzleiter.
Denn mit dem einfachen Löschen der Daten war es nicht getan. Bei diesem Vorgang bekam der Computer nur die Anweisung, die Daten wenn nötig überschreiben zu können. Doch selbst wenn die Dateien sechsmal überschrieben wurden, waren sie nicht völlig verschwunden, sondern jederzeit von Computerspezialisten wiederherstellbar.
James war erleichtert, als er auf ein Datenvernichtungsprogramm stieß. Er öffnete es und klickte sieben von über fünfzig Optionen an:
Alle Daten und
Activity-Logs löschen
Gesamtes Cache und User-Records löschen
Alle eigenen Dateien löschen
Schnelle Methode zur vorläufigen Datenvernichtung
verwenden
Daten mit DOD Standard 5220.22-M
vollständig
löschen
Schlummerfunktion ausschalten, bis die
Datenvernichtung durchgeführt ist
Programm nach Ausführung löschen und
alle
Spuren der Löschung vernichten
James klickte auf Start und auf dem Monitor leuchtete ein Warnhinweis auf:
Vorläufige Datenvernichtungsdauer auf diesem Computer voraussichtlich 28 Minuten – Fragmente können danach immer noch lesbar sein.
Vernichtung nach DOD Standard 5220.22-M überschreibt alle Daten 35 Mal und benötigt ungefähr 11,3 Stunden. (Dies übersteigt die Akkulaufzeit Ihres Rechners um 8,1 Stunden.)
Der Prozess ist irreversibel.
Start? Ja/Nein
James klickte auf Ja und sah, wie einige Menüs kurz aufblitzten. Sobald er sicher war, dass die Datenlöschung in Gang gesetzt war, klappte er den Laptop zu und ließ der Software ihren Lauf. Wenn in den nächsten achtundzwanzig Minuten niemand den Computer in die Finger bekam, würde es selbst ein Spezialist schwer haben, belastende Hinweise auf die Überwachungsaktion zu finden; und Sequenzen des Spiels wiederherzustellen wäre schlichtweg unmöglich.
Der Zug neigte sich nach rechts und wurde langsamer, um in den Bahnhof des Reef-Casinos einzufahren. Zu James′ Überraschung blieb er über einer sechsspurigen Straße direkt an einer Ampel stehen, vor der sich der Verkehr staute. Das war nicht der Bahnhof des Reef und auch keine andere reguläre Haltestelle.
»Was ist los?«, wunderte sich einer der drei weiteren Fahrgäste in seinem Abteil. Nervös nahm James sein Handy aus der Tasche und überlegte, ob er Kazakov anrufen sollte.
Da ertönte eine Durchsage, die diesmal nicht vom Band kam. »Meine Damen und Herren, bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten dieser Verzögerung. Leider meldet unser Computersystem ein kleineres Problem mit diesem Zug, und einer unserer Schutzschalter hat ein Sicherheitssystem ausgelöst. Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung, aber wir werden den Zug einen Augenblick lang anhalten müssen, während wir den Motor ausschalten und die Steuerungssoftware neu hochfahren.«
James wusste, dass daran etwas faul war. Als er durch die Glastür gestürmt war, hatte er Alarm ausgelöst, und seitdem hatten die Sicherheitsleute genügend Zeit gehabt, sich die Videoüberwachung anzusehen und ihn zu identifizieren. Doch den wahren Grund für diesen Halt verschwiegen sie natürlich, um jegliche Panik zu vermeiden.
James sah sich verzweifelt im Abteil um, während er Kazakovs Nummer wählte, um ihm den Stand der Dinge mitzuteilen. Als er es am anderen Ende der Leitung klingeln hörte, entdeckte er die schwarze Überwachungskamera in der Decke und ihm dämmerte, dass die Sicherheitsteams wahrscheinlich jede seiner Bewegungen beobachteten. Wahrscheinlich warteten sie nur darauf, dass bewaffnete Polizisten auf dem Bahnsteig eintrafen, bevor sie den Zug einfahren ließen.
Als er seinen Blick wieder senkte, fiel ihm ein grüner Hammer hinter Glas auf. Darunter stand die Anweisung, wie man damit im Notfall die Scheiben einschlagen konnte.
»Wo sind Sie?«, fragte James besorgt, als Kazakov endlich ans Telefon ging.
»Das Wechseln hat ewig gedauert«, stöhnte Kazakov. »Ich musste ein Formular ausfüllen, bevor sie mir meinen Gewinn ausgezahlt haben. Offensichtlich Geldwäscheregeln. Ich bin im Auto und fahre die Rampen im Parkhaus hinunter.«
»Gut«, sagte James, presste das Gesicht an die Scheibe und legte die Hand an die Augen, um trotz der sich spiegelnden Lichter etwas zu erkennen. Er flüsterte, damit ihn die Fahrgäste am anderen Ende des Abteils nicht hören konnten. »Die Security ist hinter mir her. Ich sehe ein großes Denny-Restaurant an der Nordseite des Reef-Drives ungefähr fünfhundert Meter vor der Kreuzung zum Strip. Ich versuche, mich da mit Ihnen zu treffen.«
»Wo bist du jetzt?«, wollte Kazakov wissen.
»Keine Zeit für Erklärungen«, erwiderte James knapp. »Seien Sie nur in fünf Minuten da.«
Er steckte das Handy ein und rammte dann seinen Ellbogen gegen das Glas über dem Hammer.