29
Nach dem Pfannkuchenfrühstück mit mindestens viertausend Kalorien und einer Dusche suchte sich James Kissen und eine Bettdecke und ließ sich auf ein quietschendes Bett fallen. Seine innere Uhr hatte sich noch nicht einmal richtig auf die amerikanische Zeit eingestellt, da war eine Nacht ohne Schlaf das Letzte, was er gebrauchen konnte.
Doch die Sonne schien hell und die Vorhänge waren papierdünn und so tief er den Kopf auch in den Kissen vergrub – er konnte einfach nicht einschlafen. Schließlich setzte er das Headset wieder auf und verbrachte drei schlaflose Stunden damit, der Kommunikation zwischen dem begeisterten Kazakov und seinen verschiedenen Teams zu lauschen.
Ohne anzuklopfen stand Rat plötzlich in James′ Zimmer. »Ich gehe mit den anderen gleich raus, um Burger zu holen«, verkündete er. »Kommst du mit?«
James blinzelte unter der Bettdecke hervor und warf einen Blick auf seine Uhr. Es war kurz nach zwölf Uhr Mittag. »Wer sind die anderen?«
Rat zuckte mit den Achseln. »Lauren, Jake, Bethany und ich.«
»Gabrielle?«
»Nee«, antwortete Rat und begann zu grinsen. »Kaz hat sie zusammen mit Bruce für irgendeine Aktion weggeschickt. Hab schon gehört, dass du dich zum Trottel gemacht hast. Siehst du deshalb aus wie ein nasser Waschlappen?«
»Deswegen und vielleicht auch wegen ein paar anderer Dinge«, beschwerte sich James, warf die Bettdecke weg und griff nach seinen Jeans.
»Warum musst du denn so leiden?«, erkundigte sich Rat.
»Wo soll ich denn da anfangen?«, gab James zurück. »Meine Antiterror-Mission ist den Bach runtergegangen, Dana hat mich sitzenlassen, ich habe grauenvolle Kopfschmerzen, weil ich letzte Nacht nicht geschlafen hab, und offensichtlich halten mich alle Mädchen auf dem Campus für einen absoluten Vollidioten.«
Rat musste sich das Lachen verbeißen. »Nicht alle.«
»Ich bin nicht mehr heiß, ich bin Eis«, beklagte James sich, zog die Turnschuhe an und sah sich nach dem Reißverschlussbeutel mit seinen Reaganistan-Dollars um. »Nachdem Dana mich also vor die Tür gesetzt hat, will Kerry mich auch nicht wiederhaben, Gabrielle steht nicht auf mich und sogar so eine Tussi, die ich im Casino-Shop angesprochen habe, hat sich nur über mich lustig gemacht …«
»Oh ja«, meinte Rat, »du hast ja solche Probleme mit den Frauen. Du hattest doch praktisch von dem Tag an, als du auf dem Campus aufgetaucht bist, eine Freundin. Und noch einen Haufen anderer Weiber bei den Missionen. Aber wahrscheinlich ist das schon dein halbes Problem.«
»Hä?«, fragte James.
»Okay«, erklärte Rat achselzuckend, »dann stell dir mal vor, du wärst eine potenzielle Freundin. Auf dem Campus wissen alle, wie du bist. Du hast Kerry ungefähr sechs Mal betrogen und dann sitzenlassen …«
»Das waren keine sechs Mal«, protestierte James. »Drei vielleicht … höchstens vier.«
»Dann bist du mit Dana zusammengekommen, und sobald du von ihr fort warst, hast du mit dem erstbesten Mädchen geschlafen. Ich meine, ein Mädchen wie Gabrielle kennt deinen Ruf und wenn du vor ihr stehst, sieht sie nicht gerade den idealen Freund in dir, oder?«
»Wahrscheinlich«, schmollte James, »obwohl ich mich frage, warum ich mir ausgerechnet von jemandem Ratschläge anhöre, der auf Lauren steht.«
»Bitte schön, dann ignorier mich«, sagte Rat zufrieden, als sie die Treppe hinuntergingen. »Aber ich sage dir, bei dem Ruf wirst du es schwer haben, noch mal bei irgendeiner auf dem Campus zu landen.«
»Dann muss ich mich wohl auf mein gutes Aussehen und meinen Charme verlassen«, erwiderte James grinsend und legte gerade die Armbanduhr um, als sie ins Wohnzimmer kamen.
»Was für einen Charme?«, wollte Lauren wissen, die unten wartete. »Ich bin schon in Hundehaufen getreten, die mehr Charme hatten als du.«
»Ihr habt euch ja ganz schön Zeit gelassen«, beschwerte sich Jake. »Ich bin am Verhungern!«
Er öffnete Haustür – und stellte erschrocken fest, dass draußen drei Hummer voller Soldaten anhielten. »Ach du Scheiße!«, stieß er hervor und knallte die Tür wieder zu.
»Keine Bewegung!«, drang eine Lautsprecherstimme aus einem der Hummer. »Verhalten Sie sich ruhig!«
»Hätte James nicht so lange gebraucht, wären wir jetzt schon weg«, sagte Bethany vorwurfsvoll.
»Jake, du bist am niedlichsten«, übernahm Lauren instinktiv das Kommando. »Geh zur Tür, tu verängstigt und halt sie so lange wie möglich auf.«
Das Haus war voller Waffen und Ausrüstung, sie konnten ihre Verbindung zu den Aufständischen also nicht verheimlichen. Im wahren Leben hätten sie sich in einer solchen bedrohlichen Situation mit einem Dutzend gut trainierter US-Soldaten vor der Tür vielleicht ergeben. Aber da ihnen nur Simulationsgeschosse drohten, setzten sich die Cherubs ihre Schutzbrillen auf und sahen dem Kampf entgegen.
James und Rat schossen die Treppe wieder hoch, Lauren und Bethany verschwanden in der Küche, um ihre Gewehre zu holen, und Jake öffnete vorsichtig die Haustür.
»Warum hast du die Tür wieder zugemacht?«, verlangte ein Major mit verspiegelter Sonnenbrille zu wissen. »Wer ist sonst noch da drinnen?«
Jake gab den ängstlichen kleinen Jungen. »Ich bin allein, Sir. Mein Dad ist Burger holen gegangen.«
»Keine Angst, mein Junge«, lächelte der Major und legte ihm eine Pranke auf die Schulter. »Wir haben hier nur einen Auftrag zu erfüllen, aber das wird ganz schnell gehen.«
Drei weitere Soldaten kamen die Auffahrt herauf, während zwei vierköpfige Einheiten das Haus zu beiden Seiten umrundeten.
»Dann kommen Sie doch bitte rein«, sagte Jake verlegen.
Oben suchten James und Rat ihre Rucksäcke, holten Granaten heraus und schoben neue Magazine in ihre Waffen. Dabei mussten sie geduckt bleiben, um nicht von den Soldaten hinter dem Haus gesehen zu werden.
»Ich habe zwölf Männer gezählt«, flüsterte James, nachdem er kurz aufgetaucht war, um einen Blick aus dem Fenster zu werfen. »Ich übernehme die Treppe, du schießt von hier aus.«
Lauren und Bethany trafen in der Küche ähnliche Vorbereitungen.
»Du brauchst keine Angst zu haben, mein Sohn«, sagte der Major ruhig, während er Jake durch den Flur ins Wohnzimmer schob. »Aber du musst dich jetzt auf den Boden knien und die Hände auf den Kopf legen.«
Die drei Soldaten kamen mit erhobenen Waffen hinter dem Major her. Einer folgte ihm ins Wohnzimmer, der zweite ging Richtung Küche und der dritte schlich die Treppe hinauf.
»Ein Funkgerät«, meldete ein Lieutenant besorgt, als er ein Headset am Boden liegen sah.
Der Major betrachtete es misstrauisch, sah dann Jake an und fragte wesentlich strenger als zuvor: »Gehört das deinem Vater?«
Jake suchte nach einer Ausrede. »Ich habe draußen gespielt und es auf der Straße gefunden.«
»Tatsächlich?«, fragte der Major zufrieden und hob das Headset auf. »So etwas haben wir schon lange gesucht, damit wir hören können, was unsere Feinde vorhaben.«
Jake war nervös, schließlich konnte jeden Augenblick die Hölle losbrechen. Alle Soldaten hatten Gewehre, die Cherubs ebenfalls und er hatte keine Lust, dazwischen zu geraten, wenn die Schießerei losging. Seine einzige Hoffnung war die Pistole, die er im Halfter unter der Jacke des Majors sehen konnte.
Die Hölle brach mit dem fast gleichzeitigen Knallen zweier Farbgranaten los. Lauren und Bethany hatten die Stifte abgezogen, die Granaten durch das offene Küchenfenster in den Hinterhof geworfen und sich dann hinter dem Küchentresen versteckt.
Vier Soldaten wurden getroffen. Während zwei weitere nur erstaunt ihre Kleidung nach Farbe absuchten, um zu sehen, ob sie noch lebten, tauchte Lauren hinter dem Tresen auf und setzte sie mit wohlgezielten Schüssen außer Gefecht. Bethany wirbelte herum und schoss auf den Soldaten, der gerade vom Gang hereinkam.
Währenddessen nahm Rat durch ein Fenster im ersten Stock einen Soldaten ins Visier, verfehlte ihn aber knapp, als er über eine Hecke hechtete und davonrannte. Im gleichen Augenblick steckte James seinen Gewehrlauf durch das Treppengeländer und erschoss den Soldaten, der die Treppe hinaufkam.
In diesem Moment handelte auch Jake im Wohnzimmer. Er heulte auf, als hätte ihn die Explosion erschreckt und schlang die Arme um das Bein des Majors. Noch bevor der Mann die wahren Absichten des Elfjährigen erkannte, hatte der ihm seine Pistole weggenommen und ihn aus nächster Nähe erschossen.
Aus dieser Entfernung taten die Simulationsgeschosse richtig weh. Der Major ließ einen Schwall von Flüchen los, als er auf dem Boden zusammenbrach und sich die Hüfte hielt. Gleichzeitig sprang James die Treppe in einem Satz hinunter und ballerte aus der Haustür hinaus, wobei er einen Soldaten im Vorgarten traf.
Bethany war auf den Gang gelaufen, um Jake den Rücken zu decken. Sie zielte durch die Wohnzimmertür und erschoss den letzten der vier Männer, die ins Haus gekommen waren.
Der Schuss direkt hinter ihm schreckte James auf; instinktiv holte er mit dem Fuß nach hinten aus und traf Bethany in den Magen. Noch bevor sie einen Warnschrei ausstoßen konnte, wirbelte James herum und schoss ihr zweimal in den Bauch.
»Ups«, machte James, als sich Bethany mit rosafarbenem Oberkörper auf dem Boden krümmte. »Sorry.«
»Du Idiot!«, stöhnte Bethany. »Sehe ich etwa wie ein Soldat aus?«
»Ich glaube, wir haben alle«, stieß Jake hervor, der gerade in den Gang kam. Dann sah er seine Schwester am Boden liegen und musste lachen. »Oh je!«
»War das etwa Absicht, James?«, fuhr Bethany ihn an.
»Natürlich nicht«, grinste James. »Nur ein glücklicher Zufall.«
Bethany hätte James zu gerne auch erschossen, aber wenn Kazakov herausfand, dass sie ein Teammitglied absichtlich erschossen hatte, wären ihr die Strafrunden sicher.
»Tote Mädchen reden nicht«, erklärte Jake und wies auf die still auf dem Rasen liegenden, farbbespritzten Soldaten. »Wir sehen uns in vierundzwanzig Stunden.«
»Jake, ich habe dir gerade deinen Arsch gerettet, falls du es nicht bemerkt hast«, schimpfte Bethany.
Lauren kam aus der Küche und Rat lief die Treppe herunter, um zu sehen, was vor sich ging.
»Ziemlich beeindruckend«, fand er. »Ein Trefferverhältnis von elf zu eins gegen bewaffnete Soldaten.«
»Wer ist denn entkommen?«, fragte James.
»Einer hat sich in die Büsche verdrückt«, erklärte Rat. »Ich glaube, er ist abgehauen, aber wir sollten lieber nicht zu lange hier bleiben, denn der ruft garantiert Verstärkung.«
James war der älteste Agent und musste ein paar Entscheidungen treffen.
»Jake, Rat, ihr stellt Granatenfallen im Haus und in den Hummern auf«, befahl er. »Lauren, geh hinein und pack so viele Waffen zusammen, wie du tragen kannst. Ich erstatte Kazakov über Funk Bericht und helfe dir dann.«