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»Hört verdammt noch mal auf zu labern und haltet die Klappe!«, schrie die dreizehnjährige Lauren Adams und hielt sich die Ohren zu.
Das Bett in ihrem Zimmer auf dem CHERUB-Campus war auf die Seite gekippt, um auf dem Teppich mehr Platz für die Karten und Tabellen zu haben, um die Lauren mit sechs anderen Agenten herum saß: ihrem Freund Rat, ihrer besten Freundin Bethany, deren elfjährigem Bruder Jake, Rats bestem Freund Andy Lagan und zwei anderen Elfjährigen, die sie nur als Ronan Walsh und Kevin Sumner kannte.
»Wenn wir ausgewählt werden wollen, um nächsten Monat nach Las Vegas zu fahren, müssen wir jetzt unseren Plan fertig kriegen und diesen Sicherheitstest durchziehen«, fuhr Lauren bestimmt fort. »Das ATCC ist eine neue Einrichtung mit modernsten Sicherheitsstandards. Wir müssen ins Herz des Gebäudes vordringen und im Kontrollraum so viel Schaden wie möglich anrichten.«
Kevin war der Kleinste im Raum und sah nervös auf die Karten. »Und was davon ist das ATCC?«
»Der ganze Bau, du Blödmann«, seufzte Jake Parker laut. »ATCC: Air Traffic Control Centre. Flugüberwachungszentrum.«
»Oh«, sagte Kevin, »und ich dachte, es sei eines von diesen Alarmdingern.«
Bethany verpasste ihrem Bruder eine Kopfnuss. »Hör auf, ihn anzumeckern! Kevin ist noch klein.«
Jake zeigte seiner Schwester den Mittelfinger. »Er ist nicht mal ein Jahr jünger als ich, du Superhirn.«
Rat seufzte. »Fangt bloß nicht schon wieder an zu streiten, ihr zwei. Mann, was stinkt denn hier so?«
Alle drehten sich zu Ronan um. Der kräftig gebaute Junge war verrückt nach Rugby und Combattraining, hielt jedoch weniger davon, danach zu duschen. Gerade hatte er einen dreckigen Stiefel ausgezogen.
»Zieh den sofort wieder an!«, stieß Bethany hervor und wedelte mit der Hand. »Wie lange, bitte schön, trägst du denn diese Socken schon?«
»Mir tränen die Augen!«, beschwerte sich Andy.
»Höchstens eine Woche«, antwortete Ronan und vergrub die Nase zwischen den Zehen, um einen tiefen Atemzug zu nehmen.
»Lass das, du dreckiges Stinktier!«, kreischte Bethany.
»Ist doch völlig harmlos«, grinste Ronan und ließ seinen Stiefel vor ihrer Nase baumeln. »Alles nur natürliche Körpersäfte.«
Ein paar der Jungen lachten, aber Lauren trat entschlossen über die Karten hinweg und baute sich vor Ronan auf. »Wenn du nicht auf der Stelle diesen Stiefel wieder anziehst, werden Bethany und ich dich ins Bad schleifen, splitternackt ausziehen und dich mit der Klobürste abschrubben!«
»Krass!«, lachte Andy, »von zwei heißen Bräuten ausgezogen und geschrubbt zu werden!«
»Du meinst wohl, von zwei ekligen Walrössern«, widersprach Jake.
Doch Laurens finsterer Blick genügte, um die Jungen umgehend zum Schweigen zu bringen. Widerstrebend zog Ronan den Stiefel an. Obwohl es draußen bitterkalt war, riss Bethany die Balkontür auf, um frische Luft hereinzulassen.
Lauren hockte sich wieder vor die Karten und fuhr fort:
»Ich habe bereits ein schwarzes T-Shirt und einen guten Ruf.« Wie um ihre Worte zu unterstreichen, zog sie sich das T-Shirt glatt. »Mir macht es also nicht viel aus, wenn wir die Sache vermasseln. Aber wenn ihr drei Jüngeren irgendwann mal die Chance auf einen vernünftigen Einsatz bekommen wollt, dann müssen wir das hier durchziehen. Ihr habt die Wahl: Entweder ihr macht Blödsinn oder ihr beruhigt euch und fangt an, mal ernsthaft über diesen Plan nachzudenken!«
Kevin, Ronan und Jake gaben nicht gerne zu, dass Lauren recht hatte, aber es dauerte nicht lange, bis sie unter ihrem eindringlichen Blick schließlich zustimmend nickten.
»Okay«, sagte Lauren zufrieden. »Da ich hier die Einzige mit einem schwarzen T-Shirt bin, mache ich mich mal selbst zur Vorsitzenden. Hat jemand was dagegen?«
Eigentlich rechnete sie mit einem Aufstand. Doch der blieb aus. Es war allen klar, dass jemand die Sache in die Hand nehmen musste, wenn sie Erfolg haben wollten.
Rat meldete sich brav und wartete darauf, dass Lauren nickte, bevor er sagte: »Ich sehe da ein Problem bei unserem jetzigen Plan. Bethany und Lauren arbeiten vor dem Flugüberwachungszentrum, aber ich, Andy und die drei Kleinen stehen hinten ohne Waffen sechs erwachsenen Sicherheitsleuten gegenüber.«
»Wir brauchen Gewehre«, stieß Jake hervor. »Zumindest Betäubungspfeile oder Betäubungspistolen.«
»Warum lest ihr nicht erst mal die Einsatzunterlagen?« , seufzte Lauren. »Unsere Aufgabe ist es, die Sicherheitsvorkehrungen zu überprüfen, die eine private Firma beim ATCC eingerichtet hat. Wenn die Regierung Leute mit Skimasken und Maschinengewehren haben wollte, hätte sie die Armee beauftragt. Wir müssen uns so anziehen und so tun, als seien wir normale Kids auf einem vorweihnachtlichen Ausflug. Wir dürfen Handys benutzen, aber keine Funkgeräte. Und wir können auch keine Abhörgeräte, Sprengstoffe, Schlossknackerinstrumente oder sonst was in der Art mitnehmen, sondern nur relativ normale und unauffällige Sachen. Also auf gar keinen Fall Waffen!«
Bethany hob die Hand und wedelte mit ihren Einsatzunterlagen. »Aber hier steht auch, dass die Security-Leute von einem Team der Militärpolizei unterstützt werden.«
»Mit Waffen«, fügte Jake hinzu.
»Lest doch mal genau«, erklärte Lauren. »Das ist ein Einsatzteam, das auf einer acht Kilometer entfernten Royal-Air-Force-Basis stationiert ist. Wenn wir also der normalen Security keine Zeit lassen, Alarm zu schlagen, müssen wir uns nur um die privaten Wachleute und ihre Schlagstöcke und Pfeffersprays kümmern.«
»Wenn wir nur wüssten, was das für Leute sind«, überlegte Bethany. »Ich meine, es könnten sowohl klapprige alte Typen sein als auch Ex-Elitesoldaten.«
Lauren zuckte mit den Achseln. »Wenn dieses Kontrollzentrum nächstes Jahr eröffnet wird, wird es für jeden zivilen und militärischen Flug von den Midlands bis nach Schottland verantwortlich sein. Und wenn es in die Luft fliegt, könnten die Flugzeuge abstürzen.«
Ronan nickte ernst. »Also, wenn die Sicherheitsvorkehrungen nicht von völligen Idioten ausgearbeitet wurden, werden wir es nicht unbedingt mit Pfadfindern zu tun haben.«
»Vielleicht sollten wir zu Dennis King in der Einsatzvorbereitung gehen und sagen, dass wir mehr Informationen über das Security-Team brauchen?«, schlug Andy vor.
Lauren schüttelte den Kopf. »Diese Sicherheitsüberprüfungen sind zum Teil ein Einsatz, zum Teil aber auch eine Übung. Vielleicht gibt uns King tatsächlich mehr Informationen, aber eigentlich sollten wir unseren Plan anhand der Unterlagen ausarbeiten, die uns ausgehändigt wurden. Alles andere würde sich bestimmt nachteilig auf unsere Beurteilung auswirken.«
»Ich hab′s!«, schrie Rat triumphierend und schlug sich mit der Faust in die Hand. »Steinschleudern!«
»Was ist damit?«, fragte Lauren.
»Kinder haben Steinschleudern«, erklärte Rat. »Als ich noch in Australien in der Arche gewohnt habe, war mir immer langweilig. Ich hatte nicht viel Spielzeug, aber eines davon war eine Steinschleuder. Ich hab einen Stein reingelegt und bin aus einem Tunnel oder Graben aufgetaucht, hab auf irgendwen gezielt und bin wieder verschwunden, bevor derjenige wusste, was ihn getroffen hatte. Ich hab mindestens ein Dutzend Gehirnerschütterungen verursacht, bevor ich erwischt und mir der Hintern versohlt wurde.«
»Klingt gut«, begann Lauren lächelnd, wurde jedoch von Jake unterbrochen: »Ich bin ganz gut mit der Steinschleuder – damit haben wir hinten auf dem Campus Eichhörnchen massakriert.«
Lauren mochte Jake nicht. Und mit dieser Aussage konnte er bei ihr als Tierfreundin und Vegetarierin erst recht nicht punkten.
»Wie bitte?«, fragte sie wütend. »Was haben dir die Eichhörnchen auf dem Campus denn getan?«
»Das war doch nicht jetzt«, wand sich Jake, »sondern damals, als ich als kleines Rothemd im Sommer da draußen zum Zelten war.«
»Jungs«, seufzte Bethany kopfschüttelnd. »Die scheinen alle so eine Phase durchzumachen, in der sie immer nur irgendetwas abmurksen oder in Brand stecken können.«
»Das ist aber ziemlich sexistisch, Bethany«, widersprach Rat energisch. »Wenn ich solche Vorurteile in Bezug auf Mädchen aussprechen würde …«
Doch gleichzeitig rief Ronan: »Ich liebe es, Sachen in Brand zu stecken!«
»Okay, okay!«, rief Lauren und klatschte in die Hände. »Konzentrieren wir uns lieber wieder auf den Sicherheitstest, ja? Im Waffenlager sind bestimmt Steinschleudern und wenn ihr glaubt, dass sie uns helfen können, dann holt euch eben welche, in Gottes Namen!«
»Ist schon eine Weile her, dass ich mit der Steinschleuder geschossen habe«, meinte Rat und sah auf die Uhr. »Wir haben noch ein paar Stunden, bevor wir los müssen, deshalb würde ich ganz gern noch ein bisschen üben.«
Jake grinste. »Wir könnten uns die Enten auf dem Teich vornehmen.«
»Das ist nicht witzig, Jake«, grollte Lauren. »Wenn ich dich oder jemand anderen dabei erwische, wie er die Tiere auf dem Campus quält – dann schnapp ich mir denjenigen und schlage ihn so zusammen, dass er einen Monat lang Blut pinkelt.«
»Leere Coladosen wären doch auch ein gutes Ziel«, wagte Kevin einen konstruktiven Vorschlag.
»Besonders, wenn man Eichhörnchen drauf malt«, nickte Jake grinsend.
»Schon gut!« Lauren biss die Zähne zusammen und unterdrückte den Wunsch, sich auf Jake zu stürzen und ihn windelweich zu schlagen. »Ihr Jungs könnt von mir aus mit euren Steinschleudern spielen. Aber vorher sollten wir den ganzen Plan noch einmal von vorne bis hinten durchgehen. Ich will, dass ihr alle euren Part auswendig kennt. Bethany, fang du doch an, ja?«