12
Jake, Ronan und Kevin rasten durch eine Feuertür an der Rückseite des Flugüberwachungszentrums. Es war klar, dass die Militärpolizei vor dem Haupteingang etwas Zeit brauchte, um sich zu organisieren. Inzwischen war es stockdunkel und die drei Jungen zogen ihre Kapuzen über, damit ihre hellen Gesichter nicht aufleuchteten, wenn ein Lichtstrahl sie traf.
»Und? Wie sieht unser Plan aus?«, fragte Kevin nervös.
Jake zuckte mit den Achseln. »Rennen wie der Teufel und versuchen, über den Zaun zu kommen.«
»Das soll ein Plan sein?«, erkundigte sich Ronan.
Jake grunzte. »Ronan, wenn dir was Besseres einfällt, dann immer nur raus damit.«
Während sie an der Betonmauer entlang schlichen, dachte Kevin laut nach. »Dieser Zaun ist vier Meter hoch, mit Stacheldraht obendrauf. Wir können nicht drüberklettern, aber ich habe immer noch die Drahtschere, mit der wir vorhin die Löcher in den Zaun geschnitten haben.«
»Ich hab meine auch noch«, grinste Ronan.
»Wir haben also beide Drahtscheren?«, fragte Jake. »Und was ist mit Rat und den anderen?«
»Wen kratzt das?«, gab Ronan zurück. »Lauren hat uns den ganzen Tag lang rumkommandiert. Soll sie sich doch darum kümmern.«
»Stimmt auch wieder«, meinte Jake. »Es hieß ja schließlich, jeder für sich, und im Dunkeln finden wir sie sowieso nicht.«
![/epubstore/M/R-Muchamore/Das-manoever/OEBPS/e9783641120030_i0008.jpg](/epubstore/M/R-Muchamore/Das-manoever/OEBPS/e9783641120030_i0008.jpg)
Rat und Lauren wählten eine riskantere Strategie. Sekunden, bevor die Royal-Air-Force-Beamten hereinstürmten, rannten sie durch den Rezeptionsbereich und den Gang entlang zum Aufenthaltsraum der Wachleute.
»He Schwester«, begrüßte Lauren die immer noch gefesselt am Boden liegende Frau und leuchtete ihr mit der Taschenlampe ins Gesicht. Immerhin hatte sie das Klebeband über ihrem Mund entfernen können und spuckte jetzt den Knebel aus.
»Du kannst mich mal, du Göre!«, schrie sie Lauren an.
Während sich die beiden weiblichen Wesen angifteten, durchsuchte Rat die Jacken der Wachleute, die an der hinteren Wand an Haken hingen, und fand schließlich zwei Paar Autoschlüssel.
»Fiat oder Volvo?«, fragte er.
»Der Volvo hat mehr Wucht, um durch den Zaun zu brettern«, erklärte Lauren. »Aber nimm mal beide mit, vielleicht steht der Fiat ja weiter von den Cops weg.«
![/epubstore/M/R-Muchamore/Das-manoever/OEBPS/e9783641120030_i0009.jpg](/epubstore/M/R-Muchamore/Das-manoever/OEBPS/e9783641120030_i0009.jpg)
Andy und Bethany rannten über das Feld hinter dem Gebäude, während ihnen das wilde Bellen der Polizei-Schäferhunde in den Ohren gellte.
»Dieses Geräusch mag ich aber gar nicht«, stieß Bethany hervor. »Mach lieber die Taschenlampe aus, sonst sehen uns die Cops schon aus meilenweiter Entfernung!«
»Ich hab es aber auf dem Hinweg hier irgendwo gesehen«, widersprach Andy gereizt und leuchtete mit der Taschenlampe auf dem Boden herum. »Eine große dreckige Bauplane, die über einem Loch lag.«
»Vielleicht sollten wir einfach so versuchen, über den Zaun zu klettern«, schlug Bethany vor.
»Das kannst du gern machen«, gab Andy zurück. »Aber da sind acht Reihen Nato-Stacheldraht in V-Form oben drauf und Stacheldrahtrollen in der Mitte. Wenn du da mit dem Bein drin hängen bleibst, kriegst du es in Streifen wieder raus.«
»Da, neben dem Schuppen«, rief Bethany plötzlich, als im Schein der Taschenlampe etwas Oranges aufleuchtete.
Sie liefen darauf zu. Es war tatsächlich eine schwere orangefarbene Bauplane über dem kreisrunden Loch, in dem später der rotierende Fuß einer Satellitenschüssel stehen sollte. Die Plane war nur mit einigen Leichtbetonsteinen um das Loch herum befestigt, die Bethany und Andy mit Fußtritten schnell beseitigen konnten.
Als nur noch ein paar Steine auf der Plane lagen, zog Andy so kräftig daran, dass sie sich mit einem Ruck löste. Gleichzeitig bekam Bethany einen Schwall Regenwasser ab, das sich auf der Plane gesammelt hatte.
»Aaah, du blöder Idiot!«, kreischte Bethany, als ihr das eiskalte Wasser aus den Haaren und über die Kleidung lief.
Aber zum Streiten war jetzt keine Zeit. Die Cops hatten sich endlich organisiert und die Militärpolizei hatte eine Suchkette von einem Dutzend Männern gebildet. Methodisch schwenkten die Suchscheinwerfer über den Boden, während sie sich schnell vom Hauptgebäude entfernten. Hinter dem Suchteam marschierten die Hundeführer mit ihren Schäferhunden. Zum Glück waren Bethany und Andy kaum sechzig Meter vom Zaun entfernt.
![/epubstore/M/R-Muchamore/Das-manoever/OEBPS/e9783641120030_i0010.jpg](/epubstore/M/R-Muchamore/Das-manoever/OEBPS/e9783641120030_i0010.jpg)
Jake hatte die Flucht seines Teams vorsichtiger geplant als Andy und Bethany. Er kroch immer noch an der Betonmauer des Kontrollzentrums herum – hinter den Suchmannschaften, die sich gerade auf den Weg gemacht hatten.
Nach einem vorsichtigen Blick um die Ecke des Gebäudes wandte er sich an Ronan und Kevin.
»Drei Wachen und zwei Hunde«, flüsterte er. »Stehen nur rum, keine fünfzehn Meter entfernt.«
Kevin bekam Angst. »Das schaffen wir nie!«, behauptete er und betrachtete das offene Gelände zwischen dem Kontrollzentrum und einem Nebengebäude für die Verwaltung. Der Abstand betrug gut zwanzig Meter.
»Wir haben keine Wahl«, entgegnete Jake. Er versuchte, seine etwas jüngeren Teamgefährten zu ermutigen. »Seid einfach leise, dann klappt das schon. Los!«
Doch als Jake losrannte, blieb er an einem metallenen Türstopper hängen, der ein Stück vom Boden aufragte. Jake fiel auf den feuchten Beton und riss sich die Hände auf. Ronan packte ihn an der Jacke, um ihm zu helfen, doch Jake stöhnte unwillkürlich auf. Die Schäferhunde spitzten die Ohren und begannen augenblicklich zu bellen.
»Sichtkontakt!«, schrie einer der Militärpolizisten und blendete Ronan mit seiner Lampe.
Ronan war größer und kräftiger als Jake und riss den älteren Jungen hoch.
»Kommt schon!«, brüllte Kevin und sprintete zu dem Verwaltungsgebäude, von wo aus er sich zu den anderen umdrehte.
Schon beim ersten Schritt gaben Jakes Knie nach. So schnell würde er nirgendwohin gelangen, also stieß er Ronan fort. »Lauf!«
Ronan rannte los. Und dann sah er mit einem Blick über die Schulter den riesigen Schäferhund auf sich zukommen. Der Hund setzte zum Sprung an – doch noch bevor er sich mit seinem ganzen Gewicht auf ihn werfen konnte, fiel er mit jämmerlichem Jaulen in sich zusammen.
Während Ronan verwundert weiterrannte, sah er, wie Kevin mit der Steinschleuder auch den zweiten Hund fixierte.
Doch Kevin konnte nur auf Schatten zielen, und so ging der nächste Schuss harmlos in die dunkle Leere.
Jake schrie entsetzt auf, als der Kiefer des Schäferhundes seinen Arm packte. Er versuchte wegzukriechen und konnte sich losreißen. Doch dann spürte er plötzlich durch die Trainingshose hindurch die scharfen Hundezähne in seinem Hintern, bis ihm endlich zwei Hundeführer zu Hilfe kamen.
»Oh Gott!«, stöhnte Kevin und sah Ronan zitternd an. »Vielleicht sollten wir uns ergeben.«
Ronan schüttelte den Kopf. »Aufgeben ist was für Weicheier. Mit den zwei Drahtscheren sind wir in null Komma nichts durch den Zaun.«
Verzweifelt rannten sie los, denn es war klar, dass ihnen die Militärpolizei mit den Hunden dicht auf den Fersen sein würde.
Jake schluchzte vor Schmerz auf, als die Hundeführer ihre Tiere zu sich riefen und ihn ein stämmiger Beamter mit einer Hand hochzog und an die Wand drückte.
»Da hast du dir eine Menge Ärger eingehandelt, junger Mann!«, schnauzte er und musste dann lachen, als er im Strahl seiner Taschenlampe Jakes am Hintern zerrissene, blutige Hose sah. »Und ich wette, du vergisst Fluffy, den Schäferhund, bestimmt nicht so schnell.«
Als Lauren und Rat aus dem Aufenthaltsraum der Wachleute kamen, hörten sie bereits die dröhnenden Schritte aus dem demolierten Empfangsbereich und sahen die Lichtkegel der Taschenlampen. Der Weg zum Parkplatz war abgeschnitten.
»Verdammt«, entfuhr es Lauren.
Sie versuchte, sich an den Gebäudegrundriss zu erinnern, den sie sich noch auf dem Campus eingeprägt hatte, während Rat zuversichtlich in die entgegengesetzte Richtung lief. Lauren folgte ihm. Um das Risiko zu verringern, dass sie ein Lichtstrahl traf, hielten sie sich so dicht wie möglich an der Wand.
»Da vorne ist die Treppe«, erklärte Rat. »Wir könnten in den ersten Stock rauf, zurücklaufen bis zum anderen Ende des Gebäudes und über die Feuertreppe auf den Parkplatz runter.«
Selbst für einen CHERUB-Agenten war Rat außerordentlich klug. Er hatte einen der höchsten IQs auf dem Campus und ein ausgezeichnetes Gedächtnis – allerdings auch ein unglaublich großes Ego, weshalb Lauren darauf verzichtete, ihm ein Kompliment zu machen.
Oben an der Treppe kam ihnen Wasser über die Stufen entgegen. Es lief aus einer der Toiletten, die Ronan verstopft hatte. Auch dieser Gang war komplett verwüstet. Zwei Verkaufsautomaten lagen umgeworfen auf dem Boden, ein Dutzend Schaumstoff-Deckenplatten waren mit einem Besenstiel durchbohrt und das Glas von Lampen und Türen zerschmettert worden.
»Ronan ist schon ein echt destruktives Kerlchen«, grinste Lauren, als sie mit ihrer Taschenlampe herumleuchtete.
Rat kletterte über den ersten Automaten, der ihm den Weg versperrte, und sah dann aus dem Fenster. Die Autoscheinwerfer, das Blaulicht und die Taschenlampen erhellten die Dunkelheit draußen, sodass er gut erkennen konnte, was dort unten vor sich ging. Noch mehr Polizei war angerückt, sowie ein Verstärkungsteam der Militärbasis, und ein örtlicher Fernsehsender hatte sogar einen Übertragungswagen mit Satellitenschüssel geschickt.
»Oh Mist«, sagte Lauren. »So was können wir jetzt wirklich nicht gebrauchen.«
»Irgendjemand muss die Presse informiert haben«, nickte Rat. »Wenn wir die Stars der Abendnachrichten werden, können wir uns für ein paar Jahre von den Missionen verabschieden…«
So schnell es die Dunkelheit erlaubte und so leise wie möglich, liefen sie den Gang entlang. Sie öffneten eine Doppeltür und fanden sich auf einer Galerie über dem großen Kontrollraum wieder, in dem die Jungen kurz zuvor die Rollwagen der Techniker demoliert hatten.
Die Notbeleuchtung war wieder eingeschaltet worden und zwischen den Konsolen suchten zivile Cops und Militärpolizisten den Boden ab.
»Kinder«, sagte eine Militärpolizistin mit Schirmmütze, während ihr ziviler Kollege Blitzlichtaufnahmen von der Verwüstung schoss. »Alles geplant. Sie haben die Wachen gefesselt… unglaublich.«
Die Galerie war offen einsehbar, aber zum Glück musste der Boden erst noch verlegt werden. Lauren kroch hinter einer großen Teppichrolle zum anderen Ende hinüber, dicht gefolgt von Rat. Bei der Tür angekommen, richtete sie sich auf die Knie auf, um sie zu öffnen. Sie quietschte leicht in den Angeln, aber das schien unten im Kontrollraum niemand zu bemerken. Aufatmend huschten die beiden in ein leeres Büro.
Der schmale Raum hatte ein großes Fenster an der einen Seite und einen Notausgang mit einem kleineren Fenster an der anderen, von wo aus man auf eine metallene Feuertreppe gelangte. Die Techniker begannen hier gerade erst mit der Verkabelung, und so lagen haufenweise Elektroleitungen herum.
»Pass auf, dass du nicht stolperst«, warnte Rat, während er über eine Kabelrolle sprang.
Auf dem Weg zur Feuertreppe sah Lauren aus dem kleinen Fenster und verfluchte ihr Pech. »Überall Cops!«
»Das ist echt nicht unser Abend heute«, seufzte Rat.
In dem leeren Raum konnte es sich nur um Minuten handeln, bis die Polizeiteams, die das Gebäude durchsuchten, sie fanden. Rat lief zu dem großen Fenster auf der gegenüberliegenden Seite.
»Da ist der Fiat«, verkündete er. »Und hier unten kann ich niemanden sehen. Meinst du, wir könnten springen?«
Rat kippte das Kunststofffenster auf und sah hinaus. Kalte Luft wehte Lauren ins Gesicht, als sie in die Dunkelheit hinunter blickte.
»Im Training bin ich schon aus ganz anderen Höhen gesprungen«, erklärte sie. »Ist nur ein bisschen eng.«
Rat schloss das Fenster schnell wieder und zog an einem anderen Fenstergriff an der Seite, mit dem man das gesamte Fenster nicht nur kippen, sondern um die eigene Achse drehen konnte, damit die Außenseite leichter zu reinigen war.
»Da sollte selbst dein dicker Hintern durchpassen«, grinste er.
»Klugscheißer«, gab Lauren zurück und schwang die Beine aufs Fensterbrett. Rat knipste kurz die Taschenlampe an, um nachzusehen, ob sie auch wirklich auf nichts anderem landeten als auf einem leeren Parkplatz. Es waren immerhin vier Meter.
Lauren prallte heftig auf ihren Knöchel und stöhnte unwillkürlich auf. Ein paar Sekunden später landete Rat neben ihr und rappelte sich schnell wieder hoch.
»Alles klar?«, fragte er nervös.
»Verdreht«, antwortete Lauren, als er ihr aufhalf.
Zum Glück stand der kleine Fiat Punto keine zehn Meter weit entfernt vor einer Hecke.
»Ich helfe dir«, sagte Rat, nahm die Autoschlüssel aus seiner Hosentasche, packte Lauren unterm Arm und rannte mit ihr zusammen zum Auto. Kurz davor drückte Rat auf die Fernbedienung, um die Türen zu entriegeln. Das Auto piepte zweimal und alle vier Blinker leuchteten auf.
»Sichtkontakt!«, rief ein Polizist. »Der Fiat!«
Lauren stöhnte vor Schmerz und stieg hinten ein, während Rat mit dem Zündschlüssel hantierte. Er mühte sich noch mit dem Rückwärtsgang ab, als drei Royal-Air-Force-Polizisten auf sie zukamen. Der schnellste von ihnen griff nach der Tür, als Rat gerade den Gang einlegte. Die Tür flog auf, doch da machte der Wagen einen Satz nach hinten und riss dem Polizisten den Griff aus der Hand, bevor ihn die aufgeschlagene Tür umwarf.
Doch dann stotterte der Motor und verstummte. Rat hatte den falschen Gang eingelegt.
»Mist!«, schrie er. Der Schlüsselbund klimperte, als er versuchte, sich in dem fremden Auto zurechtzufinden und es neu zu starten.
»Ich dachte, du kannst fahren«, rief Lauren panisch.
»Das hilft mir jetzt echt wahnsinnig!«, beschwerte sich Rat, fand den richtigen Gang und fuhr los.
Die vordere Stoßstange schepperte, als der Wagen mit hoher Geschwindigkeit über den Bordstein und in den Dreck segelte. Rat richtete das Lenkrad wieder gerade, trat das Gaspedal durch und raste direkt auf den Zaun zu.