31
Lauren, Jake, Kevin, Rat und Gabrielle schoben sich durch die Menge, als sich ein gekaperter Pick-up-Hummer seinen Weg über den Marktplatz bahnte.
»Der Feind ist geschwächt«, rief Kazakov, der hinten auf der Ladefläche stand. »Bald kommt der letzte Angriff! Der Sieg ist in Sicht!«
Die Menschenmenge wusste nicht recht, was sie von diesem kräftigen Mann mit dem komischen Akzent und dem Dreitagebart halten sollte.
»Ich weiß, was ihr denkt«, schrie Kazakov, »ihr seid alle Amerikaner! Ihr liebt Amerika, weil es das beste Land der Welt ist!«
Das gefiel den Leuten. Einige von ihnen jubelten und gaben ein paar Freudenschüsse in die Luft ab.
»Jetzt können wir in Kazakovs Lebenslauf nicht nur ›taktisches Genie‹ sondern auch noch ›erstklassiger Schwätzer‹ schreiben«, stellte Lauren zwanzig Meter weiter hinten fest und grinste Rat an.
»Ich weiß, dass ihr nicht gerne gegen amerikanische Soldaten kämpft«, fuhr Kazakov fort, »aber das, was wir hier heute Abend tun, hilft der Armee, in Zukunft besser zu kämpfen. Wenn die Kugeln aus Stahl sind und nicht aus kompakter Kreide, wenn die Granaten aus hochexplosivem Sprengstoff sind und nicht aus Neonfarbe, dann sind die amerikanischen Truppen besser darauf vorbereitet. Was wir hier tun, wird jedem echten Amerikaner im Kampf gegen das Böse das Leben retten, überall auf der Welt. Es ist die patriotische Pflicht eines jeden Aufständischen, die Waffen zu nehmen und sich für den letzten großen Angriff auf das Hauptquartier zu rüsten. Seid ihr bereit, ein paar Leuten in den Hintern zu treten?«
Die Menge applaudierte verhalten.
»Außerdem möchte ich euch daran erinnern«, fuhr Kazakov fort, »dass ihr alle einen Zwei-Wochen-Vertrag für dieses Manöver unterschrieben habt. Aber wenn wir diese Schlacht gewinnen, ist das Manöver vorbei und ihr alle bekommt über elfhundert Dollar für zwei Tage Arbeit!«
Der Appell an den Patriotismus hatte die Leute zwar aufmerksam gemacht, doch der ans Portemonnaie zeigte wesentlich stärkere Wirkung. Jubelrufe wurden laut.
»Sind wir bereit, das Lager anzugreifen?«, schrie Kazakov.
»Ja!«, schallte es aus der Menge zurück.
»Sind wir bereit, es ihnen zu zeigen?«, schrie Kazakov und erntete weitere Jubelschreie. »Dann lasst uns losziehen und das Lager stürmen!«
Eine Welle des Aufbruchs erfasste die aufgepeitschte Menschenmasse.
»Vergesst eure Schutzbrillen nicht. Und Gott schütze die Vereinigten Staaten von Amerika!«, brüllte Kazakov.
Einer der SAS-Männer ließ über Lautsprecher die Hymne der US-Marines erklingen. Ein Schotte stieß die Faust in die Luft und begann »USA, USA, USA« zu skandieren, während Kazakovs Hummer sich durch die Menge zum Rand des Platzes schob.
»Sieg!«, schrie Kazakov. »Sieg!«
Die Leute stoben in verschiedene Richtungen davon. Viele waren nur zum Feiern gekommen und gingen wieder nach Hause, aber die zweihundert Aufständischen und SAS-Männer rannten aufgeputscht von Alkohol und Patriotismus zwischen den Hütten hindurch.
Lauren zog ihr Gewehr aus dem Rucksack.
»Wo sind denn James und Bruce?«, fragte sie ungeduldig.
»Ich bin hier«, antwortete Bruce, der wie aufs Stichwort wieder auf der Bildfläche erschien und Jake seinen Rucksack abnahm. »Bereit, auf Brucey-Art ein paar Schädel einzuschlagen!«
»Und wo zum Teufel bleibt James?«, fragte Gabrielle mit einem Blick auf ihre Uhr. »Er ist doch noch vor dir zum Pinkeln gegangen.«
»Ich hab ihn mit einer Tussi gesehen«, erzählte Bruce. »Er hatte die Hand auf ihrem Hintern. Sah ganz so aus, als ob sie sich in einer der Hütten in den Nebenstraßen ein wenig vergnügen wollten.«
»Was?«, stieß Lauren hervor. »Jetzt kommt doch der alles entscheidende Angriff!«
Rat grinste bewundernd. »Ist das zu fassen? War sie heiß?«
»Nette Titten, hübscher Arsch«, nickte Bruce. »Bisschen zu männlich für meinen Geschmack, aber ich würde auch nicht Nein sagen.«
Lauren ärgerte sich darüber, dass James für seine Aktion auch noch Anerkennung bekam, und sah Bruce finster an. »Diese Bemerkungen werde ich Kerry erzählen, wenn wir uns nachher treffen.«
»Ich hab doch nur gesagt, dass sie heiß war.«
»Ich hasse ihn«, grinste Rat neidisch. »Ich wette, James macht gerade in irgendeiner Hütte rum und … Wow!«
»Das ist überhaupt nicht lustig«, grollte Lauren. »Ich werde ein ernstes Wörtchen mit ihm reden müssen. Wenn er so weitermacht, wird ihm sein bestes Stück irgendwann noch mal abfallen, weil er sich was eingefangen hat …«
![/epubstore/M/R-Muchamore/Das-manoever/OEBPS/e9783641120030_i0026.jpg](/epubstore/M/R-Muchamore/Das-manoever/OEBPS/e9783641120030_i0026.jpg)
James hing mit heruntergelassenen Hosen über dem Esstisch. Er bezweifelte keine Sekunde, dass ein Geheimdienstoffizier genau wusste, wie man jemandem Schmerzen zufügen konnte. Die Frage war nur: Bluffte Lieutenant Sahlin? Oder war General Shirley wirklich so verzweifelt, dass er Foltermethoden angeordnet hatte? Jetzt befanden sich nur noch zwei Frauen mit ihm zusammen im Raum – Corporal Land war hinausgeschickt worden, um nachzusehen, was es mit den lauten Jubelrufen auf sich hatte.
»Du verrätst uns jetzt ganz genau, was du im Lager gemacht hast.«
James wandte den Kopf zur Seite und grinste. »Sollte ein hübsches Mädchen wie du nicht zu Hause sein, Kuchen backen und Babys kriegen?«
»Nett«, fand Sahlin, drückte James den Kopf auf die Tischplatte und strich mit der Spitze der Sonde über seine Wange. Es zischte und James ganzer Körper krampfte sich zusammen. Der beißende Geruch von verbrannten Barthaaren stieg ihm in die Nase.
»Das dürft ihr nicht!«, schrie James. »Ich bin sechzehn! Ich bin mit einer britischen Kadettengruppe hier …«
»Halt deine verdammte Klappe!«, befahl Sahlin. »Ich hab nur deine Stoppeln berührt. Jetzt fang schon an zu reden. Du kannst mir glauben, ich habe schon härtere Nüsse als dich geknackt. Also, was hast du im Lager gemacht?«
James versuchte abzuwägen. Vielleicht blufften sie und verletzten ihn nicht wirklich ernsthaft – aber er hatte keine Lust, es nur wegen einer militärischen Übung darauf ankommen zu lassen.
»Wir haben eine Droge in den Wassertank gekippt.«
Sahlin lächelte. »Was für eine Droge?«
»Irgendein echt komplizierter Name«, antwortete James nervös, denn er hatte ihn tatsächlich vergessen. »Die Verpackung liegt wahrscheinlich noch im Mülleimer beim Tank. Ist ziemlich giftiges Zeug, deshalb haben wir es in einem verschließbaren Plastiksack zusammen mit unseren Atemschutzmasken und so entsorgt.«
»Und dieses Zeug verursacht unsere Bauchschmerzen?«
»Genau das sollte es«, nickte James.
»Gibt es ein Gegenmittel?«
»Sehe ich aus wie ein Apotheker?«
Sahlin dachte einen Augenblick lang nach und wechselte dann das Thema.
»Was hat Kazakov vor?«
»Könnt ihr das nicht selber herausfinden?«, schnaubte James.
Sahlin verbrannte ihm mit der Sonde ein paar Haare auf dem nackten Hintern.
»Verdammt!«, schrie er auf. »Lass das! Ich kooperiere doch, oder?«
»Aber mir gefällt dein Benehmen nicht«, erklärte Sahlin. »Also, zu Kazakovs Plan: Sag mir alles, was du darüber weißt!«
»Er will durchs Haupttor stürmen, solange ihr alle über der Kloschüssel hängt!«, grinste James. »So sieht der Plan aus und daran könnt ihr auch nichts ändern.«
Sahlin sah Sergeant Jones an. »Jones, rufen Sie im Hauptquartier an. Jemand soll im Müll beim Wasserversorgungstank nach den Packungen suchen und feststellen, was drin war. Und sehen Sie zu, dass General Shirley erfährt, dass wir bestätigte Informationen über einen Frontalangriff haben.«
James hörte, wie Sergeant Jones in ihr Funkgerät sprach. Und er hörte auch die sarkastische Antwort aus dem Lautsprecher: »Schön, dass der Geheimdienst der Armee uns informiert. Sagen Sie Lieutenant Sahlin, wenn sie nicht am Ball gewesen wäre, hätten wir den Mob von zweihundert bewaffneten Leuten gar nicht bemerkt, der gerade durch das Tor bricht. Wenn es euch nicht zu viel Mühe macht, könntet ihr vielleicht eure Hintern hierher schwingen und uns helfen!«
»Diese verdammten Aufständischen!«, fluchte Sahlin. »Habe ich nicht Land rausgeschickt, damit sie nachsieht, was es mit dem Jubel und den Schüssen auf sich hat?«
James musste unwillkürlich lachen und bekam dafür einen Schlag in den Rücken.
»Vielleicht haben sie sie ja erschossen«, meinte Jones besorgt.
»Das ist ja großartig!«, seufzte Sahlin und schlug James auf den nackten Hintern. »Sieht aus, als hätte es nicht nur dich mit runtergelassenen Hosen erwischt, Weichei. Wir sollten hier lieber verschwinden.«
Sahlin und Jones nahmen ihre Gewehre und Taschen.
»Und was ist mit unserem hübschen kleinen Gefangenen?« , fragte Jones.
Sahlin legte lächelnd den Schlüssel für die Handschellen vor James′ Nase auf den Tisch.
»Was soll das?«, beschwerte sich James. »Wie soll ich die Handschellen denn runterkriegen, wenn ich die Hände auf dem Rücken habe?«
Sahlin grinste.
»Weichei, sehe ich etwa aus wie jemand, den das auch nur die Bohne interessiert?«
Jones hatte inzwischen James′ Rucksack genommen. »Er ist besser bewaffnet als wir«, stellte sie fest. »Brauchen Sie etwas davon, Lieutenant?« Sie steckte die Granaten in ihren eigenen Gürtel.
»Geben Sie mir eine Farbgranate«, verlangte Sahlin und ließ diese vor James′ Augen baumeln, bevor sie den Stift herauszog. »Du bist ein echtes Ekelpaket, Weichei. Dieses Zeug in unseren Wassertank zu schütten. Ein paar gute Freunde von mir sind ziemlich übel dran.«
Mit diesen Worten steckte sie James die Granate hinten in den T-Shirt-Ausschnitt.
»Bye bye, Weichei!«, lächelte Sahlin, schaltete das Licht aus und knallte die Metalltür der Hütte zu. »Schöne Explosion!«
»Miststück!«, schrie James und sprang panisch auf die Füße. Um ihn herum war es jetzt völlig dunkel.
Die Hosen baumelten ihm um die Knöchel, seine Hände waren hinter dem Rücken gefesselt und egal, wie sehr er sich auch wand, die Granate rührte sich nicht. Und sie würde in weniger als zehn Sekunden losgehen.