Trotzdem, jetzt bin ich hier. Meine Gedärme fühlen sich immer noch wie Wasser an, und ich habe den Eindruck, als seien auf meinen Kopf große Zielscheiben gemalt mit einem Kreuz zwischen den Augen und einem weiteren am Hinterkopf. Doch wenn mich diese Elfenschnalle hier tot sehen wollte, hätte sie das leicht zu Beginn des Tanzes arrangieren können, ohne sich dieser ganzen Mühe zu unterziehen.
Also trete ich ein paar Schritte vor, die H&K immer noch in der rechten Hand. Der Lauf ist jedoch auf den Boden gerichtet. Ich versuche die letzten Fünkchen meines Selbstvertrauens in meine Bewegungen und meine Miene einfließen zu lassen, während ich näher trete. Ich beobachte ihre Augen. Grün, kalt und hart wie vulkanisches Glas. Ihr Gesicht ist vollkommen ausdruckslos, und ihre Körpersprache verrät mir noch weniger. Ich bleibe etwa drei Meter vor dem Tisch stehen und sage: »Und?«
Sie antwortet nicht sofort, sondern betrachtet mich nur von oben bis unten. Ich versuche ihr Alter zu schätzen, aber sie könnte zwischen zwanzig und zweihundert sein.
Schließlich sagt sie: »Wir sollten gleich zu Anfang ein paar Dinge klarstellen, Mr. Larson.« Ihre Stimme ist glatt, distanziert. »Sie haben eine Waffe, ich nicht. Aber meine Leute sind draußen, und ich versichere Ihnen, daß sie bewaffnet sind. Wenn Sie mich töten, töten sie Sie. Wenn Sie mich verletzen, töten sie Sie. Wenn Sie irgend etwas anderes tun, als mir zuzuhören, töten sie Sie. Haben Sie verstanden?«
Ich würdige ihren kleinen Vortrag keiner Antwort -schließlich handelt es sich nicht um die verdammte Relativitätstheorie oder irgendwas. Ich warte einfach ab.
»Schön«, sagt sie, nachdem sie mich weitere zehn Sekunden lang gemustert hat, »ich könnte jetzt sagen, daß ich den Charakter dieses Treffens bedauere, was auch der Wahrheit entspräche, aber Sie würden mir nicht glauben. Belassen wir es einfach bei der Feststellung, daß es nötig ist.«
»Für wen?« frage ich.
»Für uns beide, und auch das entspricht der Wahrheit.« Sie hält wiederum inne. Als sie weiterredet, klingt ihre Stimme ruhiger, nachdenklicher. »Sie befinden sich in einer interessanten Lage, Mr. Larson. Ohne eigenes Verschulden sind Sie in etwas hineingeraten, das größer ist als alles, worauf Ihre Erfahrung und Ausbildung Sie vorbereitet haben.«
»Echt?« sage ich sarkastisch. »Erzählen Sie mir noch mehr, was ich noch nicht weiß.«
Zum erstenmal lächelt sie (fast), ein unmerkliches Verziehen der Lippen. »Tatsächlich«, sagt sie trocken, »ist das der ganze Sinn und Zweck dieser Veranstaltung, Mr. Larson.«
»Ja, klar«, höhne ich. »Für welche Firma arbeiten Sie überhaupt, Lady? Lightbringer? Oder Telestrian Industries Corporation? Oder vielleicht sogar Lone Star? Welche ist es?«
Ihr Lächeln verblaßt. »Wenn Sie mich damit beeindrucken wollen, wieviel Sie wissen, geben Sie sich keine Mühe«, schnappt sie, und ihre Seidenstimme ist jetzt mit Stahl unterlegt. »Wenn Sie diese Geschichte heil überstehen wollen, halten Sie den Mund und hören Sie zu. Wenn Sie nicht zuhören wollen, steht es Ihnen frei zu gehen - sofort, niemand wird Sie aufhalten -, und in diesem Fall wird es mir ein Vergnügen sein, ein paar Nebenwetten darauf zu plazieren, wer sie zuerst erwischt.« Sie fixiert mich mit einem Blick wie aus Zwillingslasern. »Werden Sie mir zuhören, oder kann ich das hier als Verschwendung von Zeit und Mühe abschreiben?«
Ich zucke die Achseln. »Meine Zeit ist im Moment ziemlich billig. Ich bin ganz Ohr.«
Sie nickt. »Ich bin autorisiert, Ihnen zu bestätigen, daß es eine Verbindung zwischen einem Konzernexec namens Timothy Telestrian und der Cutters-Gang gibt.«
»Welche Art von Verbindung?«
»Ich bin nicht autorisiert, Ihnen das zu verraten«, sagt sie kategorisch. »Aber ich kann Ihnen nur empfehlen herauszufinden, um was für eine Verbindung es sich handelt und warum sie wichtig ist. Und dann zu tun, was Sie für richtig halten.«
»Dann wissen Sie es also nicht«, sage ich ebenso kategorisch.
»Wir wissen es.«
»Warum, zum Teufel, sollte ich mir dann die Mühe machen?« Ich mache meiner Frustration Luft, und ich kann den harschen Unterton in meiner Stimme hören. »Zum Teufel mit Ihnen und dem Hobel, auf dem Sie hereingeritten sind, Lady«, speie ich ihr ins Gesicht, dann wende ich mich ab.
»Dann sind Sie tot, Larson.« Sie sagt es ganz ruhig, ohne Emotion - und daher ist die Wirkung um so größer.
Aber ich kann sie jetzt nicht merken lassen, wie sehr sie mich ins Mark getroffen hat. Langsam drehe ich mich wieder um und verziehe die Lippen zu einem Grinsen. »Also fangen jetzt die Drohungen an?«
»Nennen Sie es ein Versprechen«, kontert sie.
»Was Sie wollen. Es bleibt sich gleich - ich spiele Ihr Spiel, sonst servieren Sie mich ab, richtig?«
»Falsch!« Und ihre Stimme ist wie ein Peitschenknall. Konzernführung oder vielleicht militärischer Hintergrund - jemand, der es gewohnt ist, Befehle zu geben, die umgehend befolgt werden.
»Ach?« Ich setze mein provozierendstes Grinsen auf.
»Wir werden Sie nicht töten«, stellt sie gelassen fest. »Diese Aktion wäre nicht einmal die Kosten für die verbrauchte Munition wert. Es gibt genug andere, die sich um den Job reißen. Die Cutters. Lone Star. Timothy Telestrians Leute. Eine dieser Parteien wird sie erwischen. Bald.«
»Ach ja? Warum erzählen Sie mir dann überhaupt von diesem Telestrian-Dreksack?«
Wie sehr ich mich auch bemühe, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, die Elfenschnalle läßt sich einfach nicht erschüttern. »Unwichtig«, sagt sie schneidend. »Sie brauchen nur zu wissen, daß Ihre einzige Hoffnung, am Leben zu bleiben, darin besteht, die Verbindung zwischen Timothy Telestrian und den Cutters zu verfolgen und ihr auf den Grund zu gehen. Jede andere Strategie wird Sie nur das Leben kosten. Glauben Sie mir, Larson. Ich habe keinen Grund, Sie deswegen anzulügen.«
Darauf brauche ich nicht zu antworten, mein Gesicht sagt alles.
Hinter mir ertönt ein Klicken. Ich wirble herum, ducke mich und reiße die H&K hoch.
Die Tür öffnet sich und enthüllt zwei Gestalten. Groß - Elfen? -, doch plump wegen der schweren Rüstung, die sie tragen. Beide haben Maschinenpistolen auf meinen Kopf gerichtet. Ich erstarre, dann senke ich die H&K langsam und öffne die Hand, so daß die Kanone nur noch an meinem Zeigefinger hängt und die Mündung zu Boden zeigt. Ich komme zu dem Schluß, daß das Gespräch damit wohl beendet ist.
Die beiden bewaffneten Schläger kommen durch die Tür; der eine geht nach links und der andere nach rechts, um mich in die Mitte zu nehmen. Sie sind gut -darauf bedacht, sich nicht gegenseitig in die Schußlinie zu geraten. Und ich trete mir im stillen in den Hintern. Für ein paar Sekunden, als sich die Tür öffnete, hätten sie nicht schießen können, ohne das sehr reale Risiko einzugehen, die Schnalle zu erledigen. Natürlich immer vorausgesetzt, daß sie keine magischen Schutzvorrichtungen aktiviert hat. Wenn ich es recht bedenke, glaube ich, daß meine Instinkte wieder einmal richtig reagiert haben.
»Meine Mitarbeiter werden Sie hinausbegleiten, Mr. Larson«, sagt sie hinter mir gelassen. »Bitte zwingen Sie sie nicht zu Handlungen, die Sie bereuen würden.«
Ich will ihr eine höchst unwahrscheinliche Spekulation über ihre Vorfahren und deren sexuelle Vorlieben entgegenschleudern, doch die Mündungen der Maschinenpistolen überzeugen mich davon, daß es besser ist, den Mund zu halten. Einer der beiden gepanzerten Burschen gestikuliert mit der Waffe, und ich gehe zur Tür.
»Nur, damit Sie nicht denken, ich hätte Ihre Zeit völlig verschwendet«, sagt die Elfenkuh plötzlich, »sage ich Ihnen noch zwei Dinge gratis.«
Unsere kleine Reisegesellschaft - die beiden bewaffneten Schläger und ich - bleibt stehen. Ich drehe mich um. »So?«
»Erstens. Es war eine Fraktion innerhalb Lone Stars, die ihre Tarnimg bei den Cutters hat platzen lassen. Diese Fraktion hat dem Anführer der Gang - Blake ist, glaube ich, sein Name - mitgeteilt, daß Sie ein Under-cover-Agent sind und zuviel über gewisse Pläne wissen, die Blake nicht an die große Glocke hängen will.« Sie grinst trocken. »Man hat ihm übrigens gesagt, Sie wüßten viel mehr, als dies tatsächlich der Fall ist. Außerdem hat man den Anschein der Dringlichkeit erweckt, indem man ihm gesagt hat, Lone Star würde sie innerhalb der nächsten zwölf Stunden zum Zwecke eines vollständigen Berichts hereinholen. Haben Sie verstanden?«
Ich nicke langsam. Ich habe verstanden, und was sie sagt, klingt mit Sicherheit logisch. Was natürlich nicht heißt, daß ich ihr auch nur ein verdammtes Wort glaube. »Und zweitens?« frage ich.
»Zweitens«, sagt sie schneidend. »Nicholas Finnigan hat vorgeschlagen, den Schattenuntergrund zu kontaktieren. Ich unterstütze diesen Vorschlag. Es könnte für Sie ganz einfach der beste Weg sein, um am Leben zu bleiben. Die wahrscheinlich beste Person, der Sie sich nähern können, hört auf den Namen Argent. Sie können ihn über ein blindes Relais kontaktieren - LTG-Nummer zwölf null-sechs null-drei null-vier nullneun. Muß ich das wiederholen?«
»Nein.«
»Dann war's das«, stellt sie fest. »Wir werden uns nicht wieder treffen oder miteinander reden.«
Darauf würde ich nicht wetten, Schwester, würde ich gerne sagen, aber ich tue es nicht. Einer der Härtetypen gestikuliert wieder mit der Maschinenpistole. So ruhig wie möglich verstaue ich meine H&K im Halfter und kehre der Elfenschnalle den Rücken. Dann gehe ich durch die Tür und höre, wie mir die beiden Schläger folgen.
Das Licht im Flur brennt, so daß ich diesmal sehen kann, wohin ich gehe. Ich latsche langsam vorwärts, wobei ich versuche, die Muskeln in meinem Rücken nicht allzusehr verkrampfen zu lassen, da ich mir vorstelle, wie die Laserzielpunkte der MPs langsam über meinen Rücken kriechen. Ich sage mir ständig, daß sie mich jetzt nicht umlegen werden, nicht nachdem sich die Elfenschnalle so große Mühe gegeben hat, mir eine Botschaft zu übermitteln, aber es ist niemals einfach, zwei Waffen den Rücken zuzudrehen. Wir passieren die Tür, durch die ich hereingekommen bin, und gehen weiter den Flur entlang, bis dieser schließlich vor einer weiteren Tür endet. Sie schwingt auf, als wir uns nähern, und ich sehe eine weitere Gestalt, die nicht gepanzert ist. Hinter ihr sehe ich die Straßenlaternen.
Ich marschiere an ihr vorbei und versuche mein Bestes, möglichst cool zu bleiben, aber ich vermassle es und fahre zusammen, als die Gestalt plötzlich etwas aus der Tasche zieht. Dann sehe ich, was es ist.
Es ist der Taschensekretär, den ich auf dem Bett in meinem Zimmer zurückgelassen habe. Ich nehme ihn und muß mich beherrschen, nicht herumzuwirbeln und loszurennen. Ich höre, wie sich die Tür hinter mir schließt, und ich stehe allein vor der Front von Fi nes Que t.
Drek, sind diese Burschen cool!
Ich habe mich lange genug zusammengerissen, um mich ein paar Blocks vom Fi nes Que t zu entfernen, wieder einen Wagen zu klauen und Tarislar auf dem schnellsten Weg zu verlassen. Jetzt sitze ich hinter dem Steuer eines heißen Ford Americar, der auf dem Parkplatz eines Stuffer Shacks im Zentrum von Sumner abgestellt war - wahrscheinlich ein Oxymoron -, und jetzt kriege ich das Zittern, und zwar massiv. Ich habe in den letzten paar Tagen einfach zu viele Schocks erlebt. Den endgültigen K. o. hat mir die glatte und eisige Art versetzt, wie die Elfenschnalle und ihre Spießgesellen mich herumkommandiert haben und mich so ungefähr bei jedem verdammten Schritt wissen ließen, daß sie mir das Gehirn hätten wegpusten können, ohne daß ich in der Lage gewesen wäre, auch nur einen verdammten Schuß abzugeben. Und alles so gelassen, so profihaft, so verdammt weltmännisch bis hin zur absoluten Krönung, als sie mir den Schrott-haufen von einem Taschensekretär gaben. Wenn das der Professionalismus ist, den man von Konzernsicherheit zu erwarten hat, halte ich mich lieber an die verdammten Gangs. Wie die Lady schon sagte - oder zumindest durchklingen ließ: Ich habe mich in der Liga geirrt.
Ich wische mir mit der Hand über die Stirn und streiche mir das Haar aus den Augen. Als ich die Hand herunternehme, ist sie naß. Nicht vom Regen. Ich sitze schon so lange in dem Wagen, daß der längst getrocknet ist. Es ist Schweiß, Priyatel, verdammter kalter Schweiß.
Es liegt nicht nur daran, daß sie mit mir Schlitten gefahren sind wie mit einem Anfänger, obwohl das eine verdammt große Rolle spielt, das kann ich Ihnen sagen. Eine Menge hängt mit dem zusammen, was die Elfenschnalle gesagt hat und was sie wußte. Sie wußte von Finnigan, sie wußte von Blake. Sie hat mir eine ziemlich üble Geschichte aufgetischt - zum Beispiel, daß es der verdammte Star war, der meine Tarnung hat platzen lassen. Aber wer beim Star? Drummond und Konsorten? Wenn ja, habe ich mit meinem Verdacht hinsichtlich des Anschlags und Cats Tod richtig gelegen. Dann wäre es die unheilige Dreieinigkeit Drummond, McMartin und Layton gewesen, die Cat gegeekt hat.
Doch ist das überhaupt möglich? Vielleicht weiß die Elfenschnalle nichts von der Unterwanderung und unterscheidet nicht zwischen offiziellen Befehlen/Unternehmen des Star und Drek, der von den Burschen ausgeht, die das System geknackt haben. Oder vielleicht hat sie auch nur gelogen, um mich besser manipulieren zu können. Nach allem, was ich weiß, wäre es auch möglich, daß sie mich bei den Cutters verpfiffen hat. Und, was das betrifft, könnte es genausogut sie sein, die ihre Krallen tief in das Computersystem des Star geschlagen hat.
Nein, das ergibt keinen Sinn. Warum mich erst verpfeifen und fast beseitigen lassen und sich dann die Mühe dieses Treffens im Fi nes Que t machen? Es sei denn, die Umstände hätten sich mittlerweile geändert, und ich hätte plötzlich eine viel größere Bedeutung gewonnen ...
Drek! Ich schüttle den Kopf und wische mir erneut das Gesicht ab. Ich bin einfach nicht geschaffen für diesen Drek. Zu viele Möglichkeiten, zu viele Optionen, zu viele Verwicklungen für mein armes kleines Hirn. Ich muß die Dinge so stark wie möglich vereinfachen. Entweder die Elfenschnalle hat die Wahrheit gesagt oder gelogen. Binäre Lösungen, so einfach, wie es nur geht. Wenn sie mir einen Haufen Drek erzählt hat, wußte sie, wie sie ihn mir präsentieren muß, damit ich ihn schlucke, was verdammt akkurate Informationen und einen ebenso verdammt guten Nachrichtendienst voraussetzt. Also muß ich davon ausgehen, daß sie die Wahrheit gesagt hat, bis etwas geschieht, was auf das Gegenteil hindeutet, aber ich werde es nicht darauf ankommen lassen und mich zu sehr auf diese Annahme verlassen.
Okay, das ist schon besser. Also dann, akzeptieren wir als Arbeitshypothese die Existenz einer Verbindung zwischen einem Burschen namens Timothy Tele-strian - vermutlich der Häuptling von TIC - und den Cutters. Da ich keinen Hinweis habe, der mich mit größerer Wahrscheinlichkeit weiterbringen wird, warum sollte ich nicht diesem einen folgen?
Dann stellt sich die noch größere Frage des Wie?
Nun, es scheint so, als hätte jeder, mit dem ich kürzlich ein paar Worte gewechselt habe, eine Meinung dazu. Zum zweitenmal in einer halben Stunde hat mir jemand vorgeschlagen, mit dem Schatten-Abschaum in Kontakt zu treten. Zuerst Finnigan, dann die Elfenschnalle.
Plötzlich packt mich die Nervosität: Ich bin schon viel zu lange am selben Ort. Also starte ich den Ame-ricar und fahre los.
Es war einer dieser ganz speziellen Tage, und es sieht ganz so aus, als sei er noch nicht vorbei.