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Keine Ahnung, was ich davon halten soll. Langsam habe ich das unangenehme Gefühl, daß sich die ganze Welt verschworen hat, meine liebsten Ansichten und Einstellungen zu nehmen und das Klo herunterzuspülen. Zum Beispiel: »Der Star ist anders als die anderen Megakonzerne«. Falsch! Und zum Beispiel: »Sha-dowrunner interessieren sich für nichts außer Kohle«. Falsch! Beides ist für mich schwer zu akzeptieren, aber ich glaube, das zweite noch schwerer als das erste.
Obwohl das eigentlich gar nicht stimmt, weil das zweite mit dem ersten zusammenhängt. Für mich stellt es sich folgendermaßen dar: Als Undercover-Agent des Star arbeite ich im Schatten, um den Interessen des Konzerns zu dienen, der mein Gehalt bezahlt. So ähnlich wie ein Shadowrunner, neh? Das einzige, wodurch ich mich abhebe, ist die Tatsache, daß ich das, was ich tue, aus anderen Gründen tue als den, mein Vermögen zu vergrößern, und Runner das nicht tun... Nur, daß Argent, der Inbegriff eines Shadowrunners, sich auf etwas einläßt, weil es ihm wichtig ist und obwohl es ihm keinen müden Nuyen einbringt. Wo ziehen Sie also die Trennlinie zwischen Argent und mir, können Sie mir das sagen? Das ist eine verdammt schwierige Frage, und sie zerrt an meinen Eingeweiden.
Okay, gut, das ist nicht das einzige, was an meinen Eingeweiden zerrt. Da ist auch noch eine gesunde Portion Anspannung vor dem Einsatz im Spiel. Und warum auch nicht? Ich sitze auf einer der hinteren Bänke einer GMC Riverine, eingequetscht zwischen Argent zu meiner Linken und dem Dollbord des Bootes zu meiner Rechten, in einen Kampfanzug mit mittelschwerer Panzerung gezwängt, der sich eine halbe Nummer zu klein anfühlt, und halte ein Smartgun-mo-difiziertes Sturmgewehr in den Händen. Ironischerweise ist es eine VZ 88V. Ich frage mich, ob Lynne Tele-strian sie von den verdammten Cutters gekauft hat. Und als Krönung versuche ich meine Gedanken um einen unvertrauten Datenchip in meiner Talentbuchse herumzudrücken. Neben Argent und auf dem rückwärtigen Deck befinden sich die anderen Elemente des Angriffsteams Able - acht abgebrühte Söldnertypen, die die gleiche Rüstung wie ich und eine furchterregende Sammlung von Waffen tragen.
Es ist ganz so wie in jenen paar Minuten mit Paco, Bart und Maria - die jetzt alle tot sind - im Bulldog, als wir zum Lagerhaus der Eighty-Eights bei den Docks fuhren. Es herrscht derselbe Grad von Anspannung, aber alles ist viel mehr auf das Hier und Jetzt konzentriert. Es gibt weniger Gequatsche und weniger gezwungenes Macho-Gehabe. All die Burschen, die um mich herum sitzen - die meisten mit geschlossenem Helmvisier, was ihnen ein unmenschliches Aussehen verleiht -, haben etwas Ähnliches schon oft zuvor getan und wahrscheinlich unter wesentlich schwierigeren Bedingungen. Klar, es werden Waffen überprüft und Messer gewetzt, aber nicht um der Schau willen wie bei den Cutters. Diese Burschen - Männer und Frauen, Menschen und Metatypen - haben so viel Drek erlebt, daß sie niemandem, sich selbst eingeschlossen, mehr etwas beweisen müssen. Das ist zumindest meine Interpretation.
Ich werfe einen Blick auf Argent. Wie ich hat er sein Visier noch nicht heruntergeklappt. Es wird noch reichlich Gelegenheit geben, durch die Transplastplatte zu glotzen, meine eigene verbrauchte Luft wieder einzuatmen und zu hoffen, daß das Head-Up-Display nicht beschlägt, das nur darauf wartet, sich mit der Elektronik in meinem Schädel und den Schaltkreisen in meinem Gewehr kurzzuschließen. Der Wind - schneidend und kalt, durch das Wasser des Columbia noch kälter - hilft mir, mich ganz auf die Gegenwart zu konzentrieren, und hält mich davon ab, mir Katastrophen auszumalen.