Das Sexualleben des Mannes läßt sich in zwei Phasen einteilen: die erste, in der er zu früh ejakuliert, und die zweite, in der er keine Erektion mehr bekommt. Während der ersten Wochen meiner Beziehung mit Esther stellte ich fest, daß ich wieder in die erste Phase zurückgekehrt war — dabei hatte ich geglaubt, daß ich schon seit langem die zweite erreicht hätte. Manchmal, wenn ich neben ihr durch einen Park oder am Strand entlangging, war ich wie im Rausch, hatte den Eindruck, als sei ich ein junger Mann in ihrem Alter, dann ging ich schneller, holte tief Atem, nahm eine kerzengerade Haltung an und redete mit lauter Stimme. An anderen Tagen dagegen, wenn ich uns beide im Spiegel sah, überkam mich eine Welle des Abscheus, die mir den Atem verschlug, und dann zog ich mir die Bettdecke über die Ohren; ich fühlte mich mit einem Schlag furchtbar alt und schlapp. Dabei war mein Körper insgesamt gesehen noch relativ gut erhalten, ich hatte kein Gramm Fett und sogar noch richtige Muskeln, aber mein Hintern war schlaff, und vor allem mein Sack hing immer schlaffer herab; und das war hoffnungslos, ich hatte noch von keiner Behandlung gehört, die das beheben konnte; dabei leckte sie meinen Sack ab und streichelte meine Eier, ohne daß ich ihr die geringste Hemmung anmerken konnte. Ihr Körper dagegen war wunderbar frisch und glatt.
Mitte Januar mußte ich für ein paar Tage nach Paris fahren; eine heftige Kältewelle war über Frankreich hereingebrochen, jeden Morgen fand man erfrorene Obdachlose auf den Bürgersteigen. Ich konnte gut verstehen, daß sie sich weigerten, die Nacht in einem der Heime zu verbringen, die ihnen zur Verfügung standen, daß sie keine Lust hatten, einen engen Raum mit ihresgleichen zu teilen; es war ein rauhes Milieu voller grausamer, stumpfsinniger Menschen, deren Stumpfsinnigkeit aufgrund einer eigenartigen, abstoßenden Mischung die Grausamkeit noch verschärfte; es war ein Milieu, in dem es weder Solidarität noch Mitleid gab — Schlägereien, Vergewaltigungen, Folterungen waren gang und gäbe, es war ein Milieu, das im Grunde fast ebenso unerbittlich war wie die Gefängniswelt, nur daß es darin keine Überwachung gab und die Gefahr permanent war. Ich stattete Vincent einen Besuch ab, sein Haus war überheizt. Er empfing mich in Schlafrock und Pantoffeln, kniff die Augen zusammen und brauchte ein paar Minuten, ehe er sich normal ausdrücken konnte; er hatte noch mehr abgenommen. Ich hatte den Eindruck, als sei ich seit Monaten der erste, der ihn besuchte. Er habe viel in seinem Kelleratelier gearbeitet, sagte er mir, ob ich Lust habe, es mir anzusehen. Ich hatte nicht den Mut dazu und ging nach einem Kaffee wieder fort; er schloß sich in seiner kleinen wunderbaren Traumwelt ein, und mir wurde allmählich bewußt, daß niemals mehr jemand Zugang dazu haben würde.
Da ich in einem Hotel in der Nähe der Place de Clichy wohnte, nutzte ich die Gelegenheit, um in ein paar Sexshops zu gehen und für Esther etwas Reizwäsche zu kaufen — sie hatte mir gesagt, daß sie gern Latexdessous trage und eine Vorliebe für Gummimasken, Handschellen und Eisenketten habe. Der Verkäufer kam mir außergewöhnlich kompetent vor, und daher erzählte ich ihm von meinem Problem der Ejaculatio praecox; er empfahl mir eine deutsche Creme, die vor kurzem auf den Markt gekommen sei, ein Produkt, dessen Zusammensetzung ziemlich komplex war: Benzocain, Kaliumhydrochlorid und Kampfer. Wenn man die Eichel vor dem Geschlechtsverkehr sorgfältig mit dieser Creme einrieb, bis diese völlig in die Haut eingedrungen war, würde die Empfindlichkeit verringert und das Aufkommen des Lustgefühls und damit die Ejakulation bedeutend verzögert. Ich probierte sie aus, sobald ich wieder in Spanien war, und ich muß sagen, daß es ein voller Erfolg war, ich konnte Esther stundenlang penetrieren, die einzige Begrenzung war meine Atemnot — zum erstenmal in meinem Leben hatte ich Lust, das Rauchen aufzugeben. Im allgemeinen wachte ich vor ihr auf, und mein erster Reflex bestand darin, sie zu lecken, dann wurde ihre Muschi sehr schnell feucht, und sie spreizte die Beine, damit ich sie nahm: Wir vögelten im Bett, auf Sofas, am Swimmingpool, am Strand. Vielleicht gibt es Menschen, die so etwas seit Jahren kennen, aber ich hatte noch nie dieses Glück erlebt und fragte mich, wie ich ohne das bloß hatte leben können. Sie befeuchtete genüßlich die Lippen und drückte ihre Brüste zwischen den Handflächen zusammen, um sie mir hinzuhalten — machte also instinktiv all die kleinen Gesten und Gebärden, die das Bild einer geilen Frau hervorriefen und einen Mann in höchstem Grad erregten. In ihr zu sein war für mich eine Quelle endloser Freuden, ich spürte jede Bewegung ihrer Muschi, wenn sie mein Glied sanft oder heftig umschloß, mehrere Minuten lang schrie und weinte ich zugleich, wußte nicht mehr, wo ich war, und wenn sie sich zurückzog, merkte ich manchmal, daß die Musik ganz laut gestellt war und ich nichts gehört hatte. Wir gingen selten aus, es kam höchstens mal vor, daß wir eine Bar in San Jose besuchten, aber auch dort schmiegte sie sich bald an mich und lehnte den Kopf an meine Schulter, während sie mit den Fingern meinen Pimmel durch den dünnen Stoff hindurch preßte, und oft gingen wir sogleich in die Toiletten, um dort zu vögeln — ich hatte es mir abgewöhnt, Unterwäsche zu tragen, und sie trug nie einen Slip. Sie kannte kaum Hemmungen: Wenn wir allein in der Bar waren, kniete sie manchmal zwischen meinen Beinen auf dem Teppichboden nieder und blies mir einen und nippte zwischendurch an ihrem Cocktail. Eines Nachmittags wurden wir in dieser Stellung vom Kellner überrascht: Sie nahm meinen Pimmel aus dem Mund, behielt ihn aber in der Hand, hob den Kopf, schenkte dem Kellner ein breites Lächeln und wichste mich weiter mit zwei Fingern; er lächelte ebenfalls und kassierte das Geld für unsere Getränke, es war, als sei das alles vorgesehen, von einer höheren Macht seit langem organisiert, und als sei auch mein Glück in diesem System mit einbegriffen.
Ich war im Paradies und hätte nichts dagegen gehabt, bis zum Ende meines Lebens darin zu bleiben, doch sie mußte wegen ihrer Klavierstunden nach einer Woche wieder zurück. Am Morgen ihrer Abreise rieb ich meine Eichel gründlich mit der deutschen Creme ein, während Esther noch schlief; dann kniete ich mich über ihr Gesicht, strich ihr langes blondes Haar zurück und schob ihr mein Glied zwischen die Lippen; sie begann daran zu saugen, noch ehe sie die Augen öffnete. Als wir anschließend frühstückten, sagte sie mir, daß sie der beim Aufwachen etwas stärkere Geschmack meines Glieds, vermischt mit dem der Creme, an Kokain erinnert habe. Ich wußte, daß die meisten Leute, nachdem sie gesnifft hatten, die Pulverreste gern aufleckten. Da erklärte sie mir, daß auf manchen Partys ein Spiel üblich war, bei dem sich die Mädchen eine Linie Koks auf dem Glied der anwesenden Typen reinzogen; na ja, aber sie gehe jetzt kaum noch auf solche Partys, das habe sie getan, als sie sechzehn oder siebzehn war.
Der Schock war für mich ziemlich schmerzhaft; der Traum aller Männer ist es, kleine geile Miezen kennenzulernen, die noch unschuldig, aber zu allen Obszönitäten bereit sind — was auf fast alle heranwachsenden Mädchen zutrifft. Anschließend werden die Frauen nach und nach etwas gemäßigter und verdammen somit die Männer dazu, für immer auf ihre Vergangenheit als kleine geile Sau eifersüchtig zu bleiben. Sich weigern, etwas zu tun, weil man es schon getan, die Erfahrung bereits gemacht hat, zerstört sehr schnell sowohl für einen selbst wie auch für die anderen jeden Lebensinhalt sowie jede mögliche Zukunft und erfüllt einen mit schwerem Verdruß, der schließlich zu tiefer Verbitterung, ja zu Haß und Wut auf jene führt, die noch dem Leben angehören. Esther hatte sich zum Glück nie gemäßigt, dennoch konnte ich es mir nicht verkneifen, sie über ihr Sexualleben auszufragen; wie ich es mir gedacht hatte, antwortete sie mir ganz natürlich und ohne Umschweife. Sie hatte mit zwölf Jahren zum erstenmal mit einem Jungen geschlafen, und zwar nach einem Abend in einer Diskothek während eines Sprachaufenthalts in England; aber das sei ziemlich unwichtig gewesen, sagte sie, eher eine flüchtige Erfahrung. Anschließend habe sich etwa zwei Jahre lang nichts ereignet. Dann habe sie begonnen, in Madrid auszugehen, und da sei allerdings ziemlich viel gelaufen, da habe sie die sexuellen Spiele wirklich kennengelernt. Ein paar Sexpartys, ja. Ein paar SM-Erfahrungen. Selten etwas mit anderen Mädchen — ihre Schwester sei völlig bisexuell, aber sie nicht, sie möge lieber Jungen. An ihrem achtzehnten Geburtstag habe sie zum erstenmal Lust gehabt, gleichzeitig mit zwei Jungen zu schlafen, und das sei ihr in äußerst angenehmer Erinnerung geblieben, die beiden Jungen seien in Topform gewesen, und diese Dreierbeziehung habe sogar noch eine ganze Weile angedauert, die beiden Jungen hätten sich nach und nach spezialisiert, sie habe beide gewichst und ihnen einen geblasen, aber der eine habe sie meistens von vorn und der andere von hinten penetriert, und das habe ihr besonders gut gefallen, er habe sie wirklich mächtig in den Arsch gefickt, vor allem wenn sie Poppers gekauft habe. Ich stellte sie mir vor, wie sie als zartes junges Mädchen in Madrid in Sexshops ging, um Poppers zu verlangen. Wenn Gesellschaften, die stark von religiöser Moral geprägt sind, Auflösungserscheinungen zeigen, gibt es eine kurze ideale Periode, in der die jungen Leute wirklich Lust auf ein freies, zügelloses, fröhliches Leben haben; anschließend werden sie es leid, dann gewinnt das narzißtische Konkurrenzdenken allmählich wieder die Oberhand, und am Ende vögeln sie noch weniger als zu der Zeit, da die religiöse Moral noch intakt war; aber Esther gehörte einer Generation an, die sich mit dieser kurzen idealen Periode identifiziert hatte, die in Spanien später als in anderen Ländern eingetreten war. Sie war auf so einfache und ehrliche Weise von der Sexualität fasziniert gewesen und hatte sich so bereitwillig auf alle Spiele, alle Erfahrungen sexueller Art eingelassen, ohne sich je etwas Böses dabei zu denken, daß ich es ihr nicht einmal übel nehmen konnte. Ich hatte nur das hartnäckige, schmerzliche Gefühl, daß ich sie zu spät, viel zu spät kennengelernt und dadurch mein Leben verpfuscht hatte; dieses Gefühl würde mich, wie ich wußte, nie verlassen, ganz einfach, weil es der Wahrheit entsprach.
Wir sahen uns in den darauffolgenden Wochen sehr oft, ich verbrachte fast jedes Wochenende in Madrid. Ich hatte keine Ahnung, ob sie während meiner Abwesenheit mit anderen Männern schlief, ich vermute ja, aber es gelang mir ganz gut, diesen Gedanken zu verdrängen, denn schließlich hatte sie jedesmal für mich Zeit, freute sich, mich zu sehen, und gab sich mir so unbefangen und hemmungslos hin wie eh und je, so daß ich wirklich nicht wußte, was ich mehr verlangen konnte. Ich kam nicht einmal auf den Gedanken, oder nur sehr selten, mich zu fragen, was so ein hübsches Mädchen an mir finden konnte. Schließlich war ich witzig, sie lachte viel, wenn wir zusammen waren, vielleicht rettete mich auch heute noch das gleiche wie vor dreißig Jahren, als ich mit Sylvie die ersten Schritte in meinem Liebesleben unternommen hatte, das insgesamt gesehen ziemlich unbefriedigend gewesen und von langen Durststrecken gekennzeichnet war. Auf jeden Fall zog sie weder mein Geld noch meine Berühmtheit an — im Gegenteil, jedesmal wenn man mich in ihrer Begleitung auf der Straße erkannte, schien ihr das eher peinlich zu sein. Sie mochte es auch nicht, wenn man sie selbst aufgrund einer der Filme, in denen sie mitgewirkt hatte, erkannte — das kam ebenfalls vor, wenn auch seltener. Man muß wohl dazusagen, daß sie sich nicht wirklich als Schauspielerin betrachtete; die meisten Schauspieler akzeptieren ohne Schwierigkeiten, daß man sie aufgrund ihrer Berühmtheit liebt, und im Grunde haben sie damit recht, denn sie ist Teil ihrer selbst, ihrer authentischen Persönlichkeit, zumindest jener, die sie gewählt haben. Dagegen kommt es — zumindest in den westlichen Ländern — nur selten vor, daß ein Mann akzeptiert, wegen seines Geldes geliebt zu werden. Bei den chinesischen Geschäftsleuten ist das anders, die chinesischen Geschäftsleute mit ihrer kindlichen Seele sind der Ansicht, daß ihr Mercedes der S-Klasse, ihr Badezimmer mit Wassermassagegerät und allgemeiner gesagt ihr Geld Teil ihrer selbst, ihrer eigentlichen Persönlichkeit ist, und haben daher nichts dagegen, wenn ein Mädchen von diesen materiellen Dingen begeistert ist. Sie haben zu diesen Dingen den gleichen unmittelbaren, direkten Bezug, den ein westlicher Mensch zumeist zur Schönheit seines Gesichts hat — und im Grunde haben sie völlig recht, denn in einem politisch und wirtschaftlich stabilen System kommt es nur selten vor, daß sie ihre Villa an der Côte d'Azur oder ihren Mercedes der S-Klasse verlieren, die körperliche Schönheit dagegen wird auch ihnen oft durch Krankheit geraubt, noch ehe sie diese zwangsläufig durch das Alter verlieren. Trotz alledem blieb ich ein Neurotiker aus dem Westen und kein chinesischer Geschäftsmann, und in meiner ganz und gar unkindlichen Seele zog ich es bei weitem vor, daß man mich wegen meines Humors und nicht wegen meines Geldes oder meiner Berühmtheit schätzte — denn ich war mir trotz meiner langen, erfolgreichen Karriere nicht sicher, ob ich mein Bestes gegeben und alle Facetten meiner Persönlichkeit erforscht hatte. Ich war kein echter Künstler wie Vincent zum Beispiel, denn ich wußte genau, daß das Leben im Grunde überhaupt nicht witzig war, hatte mich aber geweigert, dem Rechnung zu tragen, ich war eben immer ein bißchen erfolgsgeil gewesen, hatte mich dem Geschmack des Publikums angepaßt, war nie wirklich aufrichtig gewesen, vorausgesetzt, so etwas ist überhaupt möglich, aber ich wußte, daß man das voraussetzen muß, und selbst wenn die Aufrichtigkeit als solche nichts besagt, ist sie dennoch die Voraussetzung allen Handelns. Ich wußte genau, daß keiner meiner billigen Sketche, keines meiner kläglichen Drehbücher, die mit dem Know-how eines gewieften Profis zusammengebastelt waren, um ein Publikum von Arschlöchern und Affen zu belustigen, es verdiente, mich zu überleben. Dieser Gedanke war hin und wieder ein wenig schmerzhaft; aber ich wußte, daß es mir gelingen würde, auch ihn schnell zu verdrängen.
Das einzige, das ich mir nicht recht erklären konnte, war Esthers Befangenheit, wenn ihre Schwester sie in unserem Hotel anrief. Bei dem Gedanken daran wurde mir bewußt, daß ich zwar ein paar von ihren Freunden kennengelernt hatte — zumeist Homosexuelle —, jedoch nie ihre Schwester, dabei lebte sie mit ihr zusammen. Nach kurzem Zögern gestand sie mir, daß sie ihrer Schwester nie etwas von unserer Beziehung erzählt habe; immer wenn wir uns sahen, gab sie vor, sie sei bei einer Freundin oder bei einem anderen Mann. Ich fragte sie, warum. Sie hatte nie wirklich darüber nachgedacht; sie meinte, das würde ihre Schwester möglicherweise schockieren, hatte aber nie versucht, der Sache auf den Grund zu gehen. Der Inhalt meiner Shows oder Filme war bestimmt nicht daran schuld; sie war bei Francos Tod ein junges Mädchen gewesen, hatte aktiv an der movida teilgenommen, die anschließend begonnen hatte, und ein ziemlich ausschweifendes Leben geführt. Alle Drogen waren ihr willkommen: Kokain, LSD, halluzinogene Pilze, Marihuana und Ecstasy. Als Esther fünf war, lebte ihre Schwester mit zwei Männern zusammen, die selbst bisexuell waren; alle drei schliefen im selben Bett und sagten ihr gemeinsam gute Nacht, ehe sie einschlief. Später hatte sie mit einer Frau zusammengelebt, empfing aber immer noch zahlreiche Liebhaber, außerdem hatte sie mehrmals ziemlich heiße Nächte in ihrer Wohnung veranstaltet. Esther sagte damals allen gute Nacht, ehe sie sich in ihr Zimmer zurückzog, um Tim und Struppi zu lesen. Aber auch für ihre Schwester gab es gewisse Grenzen, einmal hatte sie einen ihrer Gäste, der das kleine Mädchen etwas zu intensiv zu streicheln versucht hatte, schonungslos vor die Tür gesetzt und sogar gedroht, die Polizei zu holen. »Unter freien, bereitwilligen Erwachsenen«, das war die Grenze, und das Erwachsenenalter begann mit der Pubertät, all das war völlig klar, ich konnte mir gut vorstellen, was für eine Frau sie war, und in künstlerischer Hinsicht vertrat sie bestimmt das Recht auf totale Ausdrucksfreiheit. Als linke Journalistin respektierte sie sicher die Kohle, dinero, also wirklich, ich konnte mir nicht vorstellen, was sie mir vorzuwerfen hatte. Da mußte wohl noch etwas anderes sein, etwas Verborgenes, das sich nicht so leicht eingestehen ließ, und um Gewißheit zu bekommen, stellte ich Esther schließlich ohne Umschweife die Frage.
Nachdem sie eine Weile nachgedacht hatte, antwortete sie mit zögernder Stimme: »Ich vermute, daß sie dich für zu alt hält…«Ja, das war es, ich war davon überzeugt, sobald sie es gesagt hatte, und diese Enthüllung war für mich keine Überraschung, sie war wie der Widerhall eines dumpfen erwarteten Schlages. Der Altersunterschied war das letzte Tabu, die äußerste Grenze, die dadurch, daß sie die letzte blieb und alle anderen ersetzt hatte, besonders massiv war. In der modernen Welt konnte man Swinger, bisexuell, transsexuell, Sodomit oder Sadomaso sein, aber es war verboten, alt zu sein. »Sie findet das vermutlich ein bißchen krankhaft, nicht normal, daß ich nicht mit einem Typen in meinem Alter zusammen bin …«, fuhr sie resigniert fort. Ja, allerdings, ich war ein alternder Mann, das war eine wahre Schande — um den Begriff zu nehmen, den Coetzee verwendet, er erschien mir sehr treffend, ich fand keinen besseren, und die losen Sitten, die bei Jugendlichen so bezaubernd, so erfrischend und so verlockend waren, konnten bei mir nur zum abstoßenden Verhalten eines alten Schweins werden, das sich weigert, von der Bühne abzutreten. Was ihre Schwester möglicherweise dachte, würden auch alle anderen an ihrer Stelle denken, es war ausweglos — es sei denn, man war ein chinesischer Geschäftsmann.
Ich hatte diesmal beschlossen, die ganze Woche in Madrid zu bleiben, und zwei Tage später hatte ich einen kleinen Streit mit Esther über Larry Clarks letzten Film Ken Park, den sie unbedingt sehen wollte. Ich hatte Kids gräßlich gefunden und fand Ken Park noch gräßlicher, die Szene, in der dieses kleine Dreckschwein seine Großeltern verprügelt, fand ich unerträglich, dieser Regisseur ekelte mich regelrecht an, und dieser aufrichtige Ekel war wohl daran schuld, daß ich es mir nicht verkneifen konnte, über den Film zu sprechen, obwohl ich mir ziemlich sicher war, daß Esther ihn aus Gewohnheit und Konformismus gut finden würde, weil es einfach cool war, die Darstellung von Gewalt in der Kunst zu befürworten, und weil er ihr auf unreflektierte Weise gefiel; so wie sie auch Michael Haneke mochte, ohne sich darüber im klaren zu sein, daß die schmerzhafte, moralische Botschaft von Michael Hanekes Filmen in diametralem Gegensatz zu Larry Clarks Filmen stand. Ich wußte, daß ich besser den Mund gehalten hätte und daß der Verzicht auf meine übliche Komikerrolle mir nur Ärger einbringen konnte, aber ich schaffte es einfach nicht, der Kitzel der Perversion war zu stark; wir waren in einer seltsamen Bar mit kitschigen Spiegeln und Goldverzierungen, in der sich vor allem überdrehte Homosexuelle aufhielten, die ohne jede Hemmung in backrooms fickten — direkt neben dem Schankraum und für alle zugänglich —, während kleine Gruppen von Mädchen und Jungen an den Nachbartischen ungerührt ihre Cola tranken. Ich goß meinen Tequila mit Eis hinunter und erklärte ihr, daß ich meine gesamte Karriere und meinen Reichtum dem Umstand verdankte, daß ich systematisch die negativen Instinkte und die absurde Anziehung des Westens für Zynismus und alles Böse kommerziell ausgeschlachtet hatte und folglich wußte, wovon ich sprach, wenn ich behauptete, daß Larry Clark unter den Händlern des Bösen einer der übelsten und vulgärsten war; und zwar ganz einfach, weil er ohne die geringsten Skrupel die Partei der Jugendlichen gegen die Alten ergriff, weil alle seine Filme die Kinder dazu aufhetzten, sich ihren Eltern gegenüber unmenschlich und ohne jedes Mitleid zu verhalten, und das wiederum sei weder neu noch originell, das sei seit fünfzig Jahren in allen Kulturbereichen das gleiche, und diese pseudokulturelle Tendenz kaschiere in Wirklichkeit nur den Wunsch, in jenen Urzustand zurückzukehren, wo sich die jungen Leute die Alten rücksichtslos und ungerührt vom Halse schafften; einfach weil diese zu schwach waren, um sich zu verteidigen, daher sei diese Tendenz nur eine für die Moderne typische brutale Regression auf ein Stadium, das jeder Zivilisation vorausging, denn jede Zivilisation ließ sich daran messen, wie sie mit den Alten und Schwachen umging, also mit jenen, die nicht mehr produktiv und nicht mehr erwünscht waren, kurz gesagt, Larry Clark und sein abstoßender Handlanger Harmony Korine waren nur zwei besonders unangenehme — und vom künstlerischen Standpunkt aus gesehen besonders miserable — Vertreter all dieser Nietzsche-Epigonen, die schon viel zu lange ihr Unwesen in der Kulturszene getrieben hatten, und konnten auf keinen Fall auf die gleiche Stufe gestellt werden wie Michael Haneke oder ich zum Beispiel — ich hatte mich immer bemüht, eine gewisse Form von Zweifel, Unsicherheit und Unbehagen in meinen Shows zum Ausdruck zu bringen, auch wenn sie (das gebe ich gern zu) im großen und ganzen beschissen waren. Sie hatte mir mit betrübter Miene, aber großer Aufmerksamkeit zugehört und ihre Fanta noch nicht angerührt.
Der Vorteil einer solchen Moralpredigt besteht darin, daß Gespräche dieser Art, da schon seit Jahren einer überaus starken Zensur unterworfen, zwangsläufig einen Überraschungseffekt erzielen und sofort die Aufmerksamkeit des Gesprächspartners erwecken; ihr Nachteil liegt darin, daß man nie richtig ernst genommen wird. Esthers ernster, aufmerksamer Gesichtsausdruck verunsicherte mich einen Augenblick, aber dann bestellte ich mir ein weiteres Glas Tequila und fuhr fort, wobei mir durchaus klar war, daß meine Erregung etwas Künstliches und meine Aufrichtigkeit einen falschen Unterton hatte: Ganz abgesehen davon, daß Larry Clark nur ein unbedeutender kleiner Geschäftemacher war und es als solches schon etwas Lächerliches hatte, ihn in einem Atemzug mit Nietzsche zu nennen, waren es Themen, von denen ich mich im Grunde nicht stärker betroffen fühlte als vom Hunger in der Welt, den Menschenrechten oder irgend so einem Scheiß. Dennoch redete ich mich, angestachelt von einer seltsamen Mischung aus Bosheit und Masochismus, von der ich mir vielleicht erhoffte, sie möge mich ins Verderben stürzen, nachdem sie mir Reichtum und Ruhm beschert hatte, mit zunehmender Verbitterung in Rage. Offensichtlich war es nicht genug, daß die Alten nicht mehr das Recht zu vögeln hatten, fuhr ich grimmig fort, nein, sie hatten auch nicht mehr das Recht, sich gegen eine Welt aufzulehnen, die sie hemmungslos zermalmte, indem sie sie zu hilflosen Opfern jugendlicher Gewalttäter machte, ehe man sie in abscheuliche Sterbehospize abschob, wo sie von stumpfsinnigen Pflegern gedemütigt und mißhandelt wurden, und trotz alledem war es ihnen nicht erlaubt, sich aufzulehnen, denn auch die Auflehnung — genauso wie die Sexualität, die Lust oder die Liebe — schien etwas zu sein, auf das nur junge Leute Anspruch hatten, für alle anderen schien sie irrelevant zu sein, denn eine Sache, für die sich das Interesse der Jugend nicht mobilisieren ließ, war von vornherein ein verlorener Kampf, kurz gesagt, alte Leute wurden in allem wie bloßer Müll behandelt, dem man nur noch ein elendes, bedingtes und immer schärfer begrenztes Überleben zugestand. In meinem Drehbuch Das Defizit der Kranken- und Sozialversicherung, aus dem nichts geworden war — es war übrigens das einzige von allen meinen Projekten, aus dem nichts wurde, und das schien mir durchaus bezeichnend zu sein, fuhr ich wütend fort —, stachelte ich die alten Leute an, sich gegen die Jugend aufzulehnen, sie auszunutzen und sie zu unterdrücken. Warum sollte man zum Beispiel die lugendlichen, sowohl Mädchen wie Jungen, die einem blinden Konsumrausch verfallen und immer auf Taschengeld erpicht waren, nicht zur Prostitution zwingen, der einzigen Möglichkeit für sie, wenigstens in begrenztem Maß die ermüdende Arbeit und all die ungeheuren Anstrengungen wettzumachen, die für ihr Wohlergehen aufgewandt worden waren? Und warum sollte man in einer Zeit, da die Empfängnisverhütung gut funktionierte und das Risiko genetischer Degeneration vollkommen lokalisiert war, das demütigende, absurde Inzesttabu eigentlich aufrechterhalten? Das sind relevante Fragen, konkrete Moralprobleme, rief ich zornig; das ist etwas anderes als Larry Clark.
Je mehr ich mich ereiferte, um so sanfter wurde sie; und obwohl ich mich mit Haut und Haar für die alten Leute stark machte, setzte sie sich nicht in gleichem Maß für die Jugend ein. Darauf folgte ein langes, ergreifendes und immer zärtlicher werdendes Gespräch, zunächst in dieser Bar, dann in einem Restaurant, dann in einer anderen Bar und schließlich im Hotelzimmer; ausnahmsweise vergaßen wir darüber sogar, uns zu lieben. Es war unser erstes richtiges Gespräch und im übrigen, wie mir schien, das erste richtige Gespräch, das ich seit Jahren mit irgend jemandem geführt hatte, das letzte hatte wohl in der Zeit stattgefunden, als ich mit Isabelle zusammenzog; überhaupt habe ich nur mit Frauen, die ich liebte, wirkliche Gespräche führen können, mit niemand anderem, und im Grunde erschien es mir auch völlig normal, daß der Gedankenaustausch mit jemandem, der meinen Körper nicht kennt und nicht in der Lage ist, ihm Frustrationen oder im Gegenteil höchste Freuden zu verschaffen, etwas Gezwungenes hat und letztlich unmöglich ist. Denn wir sind Körper, sind im wesentlichen und fast ausschließlich Körper, und unsere körperliche Verfassung liefert die wahre Erklärung für fast alle unsere geistigen und moralischen Anschauungen. So erfuhr ich, daß Esther im Alter von dreizehn Jahren an einem schweren Nierenleiden erkrankt war, das eine lange Operation erfordert hatte, und daß eine ihrer Nieren endgültig verkümmert war, was Esther zwang, mindestens zwei Liter Wasser am Tag zu trinken, und daß auch die zweite Niere, die bisher noch gesund war, jederzeit Schwächen zeigen konnte; das war, davon war ich überzeugt, ein wesentliches Detail und vermutlich der Grund dafür, warum sie sich in sexueller Hinsicht nicht gemäßigt hatte: Sie kannte den Preis für das Leben und wußte, wie kurz es war. Ich erfuhr auch, und das erschien mir noch wichtiger, daß sie einen Hund gehabt hatte, den sie in Madrid auf der Straße aufgelesen hatte, und daß sie sich, seit sie zehn war, um ihn gekümmert hatte; er war im vorigen Jahr gestorben. Bildschöne Mädchen, die von allen Männern stets zuvorkommend und mit übertriebener Aufmerksamkeit behandelt werden, sogar von jenen — das ist bei weitem die Überzahl —, die keinerlei Hoffnung mehr haben, eine Gunst sexueller Art von ihnen erwarten zu dürfen; und um es ehrlich zu sagen, von diesen Männern erst recht, und zwar mit einer widerlichen Form von Verehrung, die bei manchen Typen um die Fünfzig geradezu an Vergreisung grenzt, bildschöne Mädchen also, bei deren Anblick alle Gesichter aufleuchten, alle Schwierigkeiten sich verflüchtigen, und die überall aufgenommen werden, als regierten sie die Welt, werden ganz selbstverständlich zu furchtbar egoistischen, eitlen, selbstzufriedenen Geschöpfen. Die körperliche Schönheit spielt hier genau die gleiche Rolle wie der Geburtsadel im Ancien regime, und auch wenn sich hübsche Mädchen beim Heranwachsen möglicherweise für kurze Zeit des rein zufälligen Ursprungs ihrer Vorrangstellung bewußt werden, tritt diese Erkenntnis meist sehr schnell hinter dem Gefühl angeborener, natürlicher, instinktiver Überlegenheit zurück, das sie weit außerhalb und vor allem sehr hoch über dem Rest der Menschheit ansiedelt. Da jeder aus ihrer Umgebung nur das Ziel hat, ihnen jeglichen Kummer zu ersparen und allen ihren Wünschen zuvorzukommen, ist es völlig logisch, daß hübsche Mädchen den Rest der Welt als eine Schar von Menschen betrachten, die ihnen zu Diensten ist, wobei ihnen selbst nur die Aufgabe zufällt, ihr eigenes erotisches Kapital zu erhalten — ehe sie einen jungen Mann kennenlernen, der sich dieser Ehre würdig erweist. Das einzige, das sie in moralischer Hinsicht retten kann, ist die Übernahme der konkreten Verantwortung für ein schwächeres Wesen, für dessen körperliche Bedürfnisse, Gesundheit und Überleben sie persönlich zu sorgen haben — ein solches Wesen kann ein jüngerer Bruder, eine jüngere Schwester, ein Haustier oder sonst irgend etwas sein.
Esther war bestimmt nicht wohlerzogen im üblichen Sinn des Wortes, sie wäre nie auf den Gedanken gekommen, einen Aschenbecher zu leeren oder Essensreste abzuräumen, und sie ließ ohne Hemmungen das Licht in den Zimmern brennen, die sie gerade verlassen hatte (es ist vorgekommen, daß ich ihr in meiner Villa in San Jose von Zimmer zu Zimmer gefolgt bin und siebzehn Lichtschalter betätigen mußte); es kam auch nicht in Frage, sie zu bitten, etwas einzukaufen, aus einem Geschäft, in das sie ging, einen Artikel mitzubringen, der nicht für ihren persönlichen Gebrauch bestimmt war, oder ganz allgemein, sie um einen Gefallen zu bitten. Wie alle hübschen Mädchen war Esther im Grunde nur zum Vögeln da, und es wäre absurd gewesen, etwas anderes von ihr zu erwarten oder in ihr etwas anderes zu sehen als ein verwöhntes, umhegtes Luxusgeschöpf, dem alle Sorgen und alle langweiligen oder mühseligen Arbeiten abgenommen wurden, damit es sich ausschließlich seiner sexuellen Aufgabe widmen konnte. Dennoch war sie längst nicht so arrogant, so egoistisch und so kalt, oder um mit Baudelaire zu sprechen, kein so unausstehliches kleines Luder wie die meisten hübschen Mädchen; sie war sich der Krankheit, der Schwäche und des Todes bewußt. Auch wenn Esther unglaublich schön, erotisch und begehrenswert war, brachte sie dennoch Verständnis für das Gebrechen der Tiere auf, weil sie sie kannte; das wurde mir an jenem Abend klar, und da begann ich sie wirklich zu lieben. Das körperliche Begehren, auch wenn es noch so stark ist, hat bei mir nie ausgereicht, um mich zu verlieben, es konnte nur dann das höchste Stadium, die Liebe, erreichen, wenn es dank einer wundersamen Kombination von Mitgefühl für das geliebte Wesen begleitet war; natürlich verdient jedes Lebewesen schon einfach deshalb Mitgefühl, weil es im Leben steht und dadurch endlosem Leid ausgesetzt ist; aber angesichts eines jungen Menschen mit blühender Gesundheit erscheint diese Überlegung ziemlich theoretisch. Aufgrund ihres Nierenleidens, aufgrund ihrer unmöglich zu erratenden, aber dennoch existierenden körperlichen Schwäche konnte Esther in mir ungeheucheltes Mitgefühl hervorrufen, wenn der Wunsch in mir aufkam, mich dieser Empfindung zu überlassen. Da sie selbst mitfühlend war und gelegentlich sogar einen Anflug von Güte zeigte, konnte sie mir ebenfalls Achtung einflößen, und damit waren alle Voraussetzungen gegeben. Denn ich bin kein von Leidenschaften erfüllter Mensch, zumindest nicht grundsätzlich, ich konnte zwar jemanden begehren, der durchaus verachtenswert war, hatte mehrfach Mädchen gevögelt, nur um ihnen meine Stärke zu beweisen und sie ganz einfach zu beherrschen; ich hatte auch diese nicht eben lobenswerte Einstellung in meinen Sketchen verwandt und dabei sogar ein zweifelhaftes Verständnis für Gewalttäter aufgebracht, die ihr Opfer töten, nachdem sie es sexuell mißbraucht haben. Aber um jemanden lieben zu können, habe ich immer Achtung für ihn empfinden müssen, im Grunde habe ich mich nie in einer sexuellen Beziehung wohl gefühlt, die nur auf einer erotischen Anziehung und einer ansonsten gleichgültigen Haltung dem anderen gegenüber beruhte, um mich sexuell wohl fühlen zu können, habe ich immer, wenn schon keine Liebe da war, wenigstens etwas gegenseitige Sympathie, Achtung und Verständnis gebraucht; nein, auf die Menschlichkeit hatte ich nicht verzichtet.
Esther war nicht nur mitfühlend und sanft, sie war auch feinsinnig und klug genug, um sich, in diesem Fall, an meine Stelle zu versetzen. Nach dieser Diskussion, in der ich mit unangenehmer und im übrigen stupider Heftigkeit — denn Esther dachte gar nicht daran, mich dieser Kategorie zuzuordnen — das Recht auf Glück für ältere Menschen vertreten hatte, sagte sie schließlich, daß sie ihrer Schwester von mir erzählen würde und daß sie uns in Kürze miteinander bekannt machen wolle.
Während dieser Woche in Madrid, in der ich fast die ganze Zeit mit Esther zusammen war und die für mich eine der glücklichsten Zeiten meines Lebens bleibt, wurde mir auch klar, daß ihre anderen Liebhaber, falls es sie geben sollte, außerordentlich diskret waren und ich, wenn schon nicht der einzige — was durchaus möglich war —, aber auf jeden Fall ihr bevorzugter Liebhaber war. Zum erstenmal in meinem Leben fühlte ich mich uneingeschränkt glücklich, ein Mann zu sein, weil ich zum erstenmal eine Frau gefunden hatte, die sich mir völlig öffnete und mir völlig uneingeschränkt das gab, was eine Frau einem Mann geben kann. Zum erstenmal fühlte ich mich auch im Hinblick auf jemand anderen von barmherzigen, freundschaftlichen Absichten erfüllt und hätte es am liebsten gesehen, wenn alle so glücklich gewesen wären wie ich. Ich war kein Clown mehr und hatte meine humoristische Haltung aufgegeben; kurz gesagt, ich lebte wieder, auch wenn ich wußte, daß es das letzte Mal war. Alle Energie ist sexueller Natur, und zwar nicht vorwiegend, sondern ausschließlich, und wenn ein Tier nicht mehr imstande ist, sich fortzupflanzen, ist es zu nichts mehr nütze; den Menschen geht es genauso. Wenn der Geschlechtstrieb abgestorben ist, schreibt Schopenhauer, ist der eigentliche Kern des Lebens verbraucht; und in einer Metapher von erschreckender Gewalt fügt er hinzu: »Das menschliche Dasein gleicht einer Theatervorstellung, die mit lebendigen Schauspielern beginnt und mit Automaten in denselben Kostümen endet.« Ich wollte nicht zu einem Automaten werden, und Esther verdankte ich es, daß ich die reale Gegenwart und den Genuß am lebendigen Leben, wie Dostojewski gesagt hätte, wiedergefunden hatte.
Was hat es für einen Sinn, einen Körper, den niemand berührt, funktionsfähig zu erhalten? Und warum soll man sich ein hübsches Hotelzimmer nehmen, wenn man dort allein die Nacht verbringen muß? Im Gefolge vieler anderer, die sich letztlich auch hatten besiegen lassen, und unter ihrem Hohngelächter mußte ich eingestehen: Die Macht der Liebe war tatsächlich unermesslich und bewundernswert.