Daniel1,8

»Barnabé, im Grunde brauchten wir

ein leistungsfähiges Raumschiff mit einer

Schubkraft von dreihunderttausend

Tonnen. Dann könnten wir der

Erdanziehungskraft entkommen und

zwischen den Jupitermonden navigieren.«

Captain Clark

Vorbereitung, Dreharbeiten, Nachproduktion und eine begrenzte Werbereise (Zwei Fliegen später war gleichzeitig in den meisten europäischen Hauptstädten herausgekommen, aber ich beschränkte mich auf Frankreich und Deutschland): Insgesamt war ich über ein Jahr lang fort gewesen. Die erste Überraschung erwartete mich auf dem Flughafen von Almeria: Eine Gruppe von etwa fünfzig Leuten, die dicht gedrängt hinter der Absperrung in der Ankunftshalle stand, schwenkte Terminkalender, T-Shirts und Filmplakate durch die Luft. Nachdem ich die ersten Zahlen erfahren hatte, wußte ich schon, daß der Film, der in Paris mehr oder weniger ignoriert worden war, in Madrid — sowie in London, Rom und Berlin übrigens — Stürme der Begeisterung ausgelöst hatte; ich war in Europa zu einem Star geworden.

Nachdem die Gruppe auseinandergegangen war, entdeckte ich Isabelle, die hinten in der Halle auf einer Bank saß. Und auch das war ein Schock. Sie trug eine weite Hose und ein zerknittertes T-Shirt und blickte in einer Mischung aus Angst und Scham in meine Richtung. Als ich nur noch ein paar Meter von ihr entfernt war, begann sie zu weinen, die Tränen rannen ihr über die Wangen, und sie versuchte sie nicht einmal zu trocknen. Sie hatte mindestens vierzig Pfund zugenommen. Diesmal war auch ihr Gesicht nicht davon verschont geblieben: aufgeschwemmt und mit geplatzten Äderchen, das Haar fettig und wirr, kurz gesagt, sie sah furchtbar aus.

Fox war natürlich außer sich vor Freude, machte Luftsprünge und leckte mir mindestens eine Viertelstunde lang das Gesicht ab; ich spürte jedoch, daß mich noch mehr erwartete. Sie weigerte sich, sich in meiner Gegenwart auszuziehen, und tauchte in einem wattierten Trainingsanzug wieder auf, den sie zum Schlafen trug. In dem Taxi, mit dem wir vom Flughafen nach Hause gefahren waren, hatten wir kein Wort gewechselt. Im Schlafzimmer lagen mehrere leere Cointreau-Flaschen auf dem Boden; ansonsten war das Haus sauber und aufgeräumt.

Ich hatte im Laufe meiner Karriere genügend Sketche über den Widerspruch zwischen Erotik und Zärtlichkeit gemacht, hatte alle Protagonisten gespielt: das Mädchen, das zu gang-bangs geht und ansonsten eine keusche, vergeistigte, schwesterliche Beziehung mit der großen Liebe ihres Lebens unterhält; den halb impotenten Dummkopf, der das akzeptiert; den Swinger, der davon profitiert. Den Konsumrausch, die Vergessenheit, das Elend. Ich hatte mit solchen Themen ganze Säle in brüllendes Gelächter versetzt; und ich hatte damit beträchtliche Summen verdient. Aber diesmal war ich selbst betroffen, und dieser Widerspruch zwischen Erotik und Zärtlichkeit erschien mir ganz eindeutig als eine der übelsten Schweinerein unserer Epoche, als eines der Dinge, die eine Zivilisation unerbittlich zum Tode verurteilt. »Jetzt ist Schluß mit lustig, du kleiner Witzbold …«, sagte ich erschreckend fröhlich immer wieder zu mir selbst (dieser Satz ging mir ständig durch den Kopf, ich konnte ihn nicht anhalten, und auch achtzehn Atarax-Tabletten änderten nichts daran, erst als ich zu einem Pastis-Tranxilium-Cocktail überging, wurde es etwas besser). »Und wenn jemand einen Menschen wegen seiner Schönheit liebt, liebt er ihn dann wirklich? Nein, denn die Pocken, die die Schönheit töten, ohne den Menschen zu töten, bewirken, daß er ihn nicht mehr liebt.« Pascal war kein Cointreau-Kenner. Außerdem lebte er zu einer Zeit, in der Körper weniger zur Schau gestellt wurden, und überschätzte daher die Bedeutung der Schönheit eines Gesichts. Das Schlimmste an der Sache war, daß mich bei Isabelle nicht die Schönheit als erstes angezogen hatte: Geil gemacht haben mich immer nur intelligente Frauen. Ehrlich gesagt, ist Intelligenz für den Geschlechtsverkehr nicht sehr nützlich, sie dient höchstens dazu, den geeigneten Zeitpunkt einschätzen zu können, um einem Mann in der Öffentlichkeit die Hand auf den Pimmel zu legen. Das mögen alle Männer, da kommt der dominante Affe wieder zum Vorschein oder ein ähnliches altes Verhaltensmuster, es wäre dumm, es zu ignorieren; die Frage ist dann nur noch, wann und wo. Manche Männer ziehen es vor, wenn eine Frau diese unschickliche Geste mit ansieht; anderen, die vermutlich ein bißchen schwul sind oder ein sehr ausgeprägtes Dominanzverhalten haben, ist es lieber, wenn ein anderer Mann zugegen ist; und wieder andere haben es am liebsten, wenn ihnen ein Paar dabei zuschaut. Manche haben eine Vorliebe für Züge, andere für Schwimmbäder und wieder andere für Nachtlokale oder Bars; eine intelligente Frau weiß so etwas. Na ja, ich hatte immerhin ein paar glückliche Erinnerungen, die mich mit Isabelle verbanden. Als die Nacht dem Ende zuging, gelang es mir, meinen Gedanken eine besänftigende, fast nostalgische Wendung zu geben; währenddessen schnarchte Isabelle neben mir wie ein Walroß. Als der Morgen graute, wurde mir klar, daß auch diese Erinnerungen schnell verblassen würden; da entschloß ich mich für den Pastis-Tranxilium-Cocktail.

In praktischer Hinsicht gab es zunächst keine Schwierigkeiten, wir hatten siebzehn Zimmer. Ich richtete mich in einem der Räume ein, aus dem man einen Blick auf die Steilküste und das Meer hatte; Isabelle zog offensichtlich den Blick ins Landesinnere vor. Fox lief von einem Zimmer ins andere, das machte ihm viel Spaß; er litt nicht mehr darunter als ein Kind unter der Scheidung seiner Eltern, ich würde sogar sagen, weniger.

Konnte das lange so weitergehen? Nun, leider ja. Während meiner Abwesenheit hatte ich siebenhundertzweiunddreißig Faxe erhalten (und auch da muß ich zugeben, daß Isabelle regelmäßig den Papiervorrat erneuert hatte); ich hätte den Rest meines Leben damit verbringen können, Partys und Festivals zu besuchen. Ab und zu würde ich mal wieder hereinschauen, Fox kurz streicheln, ein Tranxilium schlucken, und auf ging's wieder. Doch wie auch immer, im Augenblick brauchte ich erstmal völlige Ruhe. Ich ging also an den Strand, allein natürlich; ab und zu holte ich mir auf der Terrasse einen runter, während ich nackte junge Mädchen anstierte (auch ich hatte mir ein Teleskop gekauft, aber nicht um die Sterne zu beobachten, ha, ha, ha), na ja, ich versuchte eben, damit fertig zu werden. Das gelang mir mehr oder weniger; immerhin hätte ich mich dreimal innerhalb von zwei Wochen fast von der Steilküste ins Meer gestürzt.

Ich sah Harry wieder, es ging ihm gut; Truman dagegen war mit einem Schlag alt geworden. Wir wurden wieder zum Abendessen eingeladen, diesmal zusammen mit einem belgischen Ehepaar, das sich vor kurzem in der Nähe ein Haus gekauft hatte. Harry stellte mir den Mann als einen belgischen Philosophen vor. In Wirklichkeit war er, nachdem er in Philosophie promoviert hatte, in den öffentlichen Dienst gegangen und hatte ein eintöniges Leben als Finanzbeamter geführt (eine Laufbahn, die er übrigens aus Überzeugung eingeschlagen hatte, denn er stand den Sozialisten nahe und glaubte daran, daß hohe Steuern sich positiv auswirkten). Er hatte hier und dort ein paar philosophische Artikel in materialistisch orientierten Zeitschriften veröffentlicht. Seine Frau, eine gnomenhafte Erscheinung mit kurzem weißen Haar, hatte auch ihr ganzes Leben bei der Finanzaufsichtsbehörde verbracht. Seltsamerweise glaubte sie an Astrologie und bestand darauf, mein Horoskop zu erstellen. Ich war Fisch, Aszendent Zwillinge, aber von mir aus hätte ich genausogut Pudel, Aszendent Planierraupe sein können, ha, ha, ha. Diese geistreiche Bemerkung brachte mir die Anerkennung des Philosophen ein, der gern über die Marotten seiner Frau lächelte — sie waren seit dreiunddreißig Jahren verheiratet. Er selbst hatte immer den Obskurantismus in allen seinen Formen bekämpft; er stammte aus einer streng katholischen Familie, und das war, wie er mir mit leicht zitternder Stimme versicherte, ein großes Handikap für seine sexuelle Entwicklung gewesen. »Was sind das bloß für Leute? Was sind das für Leute?« sagte ich immer wieder zu mir selbst, während ich verzweifelt in meinen Heringen herumstocherte (Harry deckte sich damit in einem deutschen Supermarkt in Almeria ein, wenn er Heimweh nach Mecklenburg verspürte, wo er geboren war). Diese beiden Gnome hatten ganz offensichtlich kein Sexualleben gehabt, oder es hatte sich darauf beschränkt, ein Kind zu zeugen (wie ich später feststellen sollte, hatten sie tatsächlich einen Sohn); sie gehörten einfach zu den Leuten, die keinen Zugang zur Sexualität haben. Das hinderte sie jedoch nicht daran, sich zu entrüsten, den Papst zu kritisieren und sich über die Verbreitung von Aids zu beklagen, obwohl sie ganz bestimmt keine Gelegenheit gehabt hatten, sich anzustecken; all das rief in mir den leisen Wunsch zu sterben hervor, doch ich hielt mich zurück.

Zum Glück schaltete sich Harry ein, und die Unterhaltung nahm eine Wendung zum Transzendenten (die Sterne, das Unendliche usw.), was mir erlaubte, mich ohne zu zittern über meine Würstchen herzumachen. Selbstverständlich waren sich der Materialist und der Teilhard-de-Chardin-Anhänger auch hier nicht einig (in diesem Augenblick wurde mir klar, daß sie wohl häufig zusammenkamen und dieser Meinungsaustausch ihnen offensichtlich Spaß machte, das könnte bestimmt noch dreißig Jahre ohne nennenswerte Veränderung zu ihrer gegenseitigen Befriedigung so weitergehen). Dann kamen wir auf den Tod zu sprechen. Robert der Belgier, der sein ganzes Leben lang für die sexuelle Befreiung gekämpft hatte, die er selbst nie kennengelernt hatte, setzte sich jetzt für die Euthanasie ein — mit der er allerdings höchstwahrscheinlich Bekanntschaft machen würde. »Und die Seele? Und die Seele?« fragte Harry keuchend. Ihre Nummer war durchaus gut eingeübt; Truman schlief etwa im gleichen Augenblick ein wie ich.

Als Hildegard Harfe spielte, waren wir uns wieder alle einig. O ja, die Musik; vor allem, wenn sie leise ist. All das reichte nicht einmal aus, um daraus einen Sketch zu machen, sagte ich mir. Ich konnte nicht mehr über diese einfältigen Kämpfer für die Unmoral lachen und über Sprüche wie diesen: »Tugend ist doch wirklich was Schönes, wenn man sich das Laster leisten kann«, nein, es ging einfach nicht mehr. Ich konnte auch nicht mehr über die Verbitterung von unter Cellulitis leidenden Frauen um die Fünfzig mit ihrem unerfüllten Wunsch nach leidenschaftlicher Liebe lachen; und nicht über das behinderte Kind, das sie schließlich mit einem autistischen Mann zeugten, den sie halb vergewaltigt hatten (»David ist mein Sonnenschein«). Kurz gesagt, ich konnte über fast gar nichts mehr lachen; meine Karriere war im Eimer, das war klar.

Als wir an jenem Abend über die Dünen nach Hause gingen, machten wir nicht halt, um uns zu lieben. Dennoch mußte die Sache irgendwie zu Ende gebracht werden, und ein paar Tage darauf teilte mir Isabelle dann mit, daß sie beschlossen hatte, mich zu verlassen. »Ich will dir nicht zur Last fallen«, sagte sie. »Ich wünsche dir, daß du das Glück findest, das du verdienst«, setzte sie hinzu — ich frage mich noch heute, ob das eine Gehässigkeit war oder nicht.

»Und was hast du vor?« fragte ich.

»Ich gehe wahrscheinlich zu meiner Mutter zurück … Das tun die Frauen in meiner Situation im allgemeinen doch, oder?«

Das war das einzige Mal, daß sie sich eine leichte Verbitterung anmerken ließ. Ich wußte, daß ihr Vater ihre Mutter vor gut zehn Jahren wegen einer jüngeren Frau verlassen hatte; diese Tendenz nahm zwar zu, aber das war im Grunde auch nichts Neues.

Wir benahmen uns wie ein zivilisiertes Paar. Ich hatte insgesamt zweiundvierzig Millionen Euro verdient. Isabelle begnügte sich mit der Hälfte dessen, was ich seit unserer Eheschließung hinzuverdient hatte, ohne Ansprüche auf Entschädigung zu stellen. Das waren immerhin sieben Millionen Euro; sie brauchte nicht in Armut zu leben.

»Du könntest doch ein bißchen Sextourismus machen …«, brachte ich vor. »In Kuba gibt es sehr nette Typen.«

Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Wir haben eine Schwäche für sowjetische Schwule…«, sagte sie in leichtfertigem Ton und imitierte dabei kurz jenen Stil, der mir zu Ruhm verholfen hatte. Dann wurde sie wieder ernst und blickte mir fest in die Augen (es war ein sehr ruhiger Morgen; das Meer war blau und spiegelglatt).

»Bist du immer noch nicht mit einer Nutte zusammengewesen?« fragte sie.

»Nein.«

»Na siehst du, ich auch nicht.«

Sie zitterte trotz der Hitze, senkte die Augen und hob sie dann wieder.

»Dann hast du also seit zwei Jahren nicht mehr gevögelt?« fuhr sie fort.

»Nein.«

»Na siehst du, ich auch nicht.«

O ja, wir waren wirklich zwei unschuldige Lämmer, zwei unschuldige sentimentale Lämmer; und daran sollten wir zugrundegehen.

Dann kam der letzte Morgen, der letzte Spaziergang; das Meer war noch immer genauso blau, die Felsen der Steilküste genauso schwarz, und Fox lief neben uns her. »Ich nehme ihn mit«, hatte Isabelle sofort gesagt. »Schließlich war er viel länger mit mir zusammen, aber du kannst ihn dir holen, wann du willst.« Zivilisierter ging es nicht.

Alles war schon in Kartons verpackt, und der Möbelwagen würde am folgenden Morgen kommen, um ihre Sachen nach Biarritz zu transportieren — obwohl ihre Mutter Lehrerin gewesen war, hatte sie seltsamerweise beschlossen, ihren Lebensabend in dieser Gegend zu verbringen, in der es von stinkreichen Schickeriaschachteln wimmelte, die sie abgrundtief verachteten.

Wir warteten noch gemeinsam eine Viertelstunde auf das Taxi, das sie zum Flughafen bringen sollte. »Ach, das Leben geht schnell vorbei …« sagte sie. Sie sagte das wohl eher zu sich selbst, wie mir schien; ich entgegnete nichts. Als sie im Taxi saß, winkte sie mir noch einmal zu. Ja; jetzt würde alles sehr ruhig werden.