Daniel1,3

»Ein Getränkeautomat spendete uns

eine ausgezeichnete heiße Schokolade.

Wir tranken sie in einem Zug

mit unverhülltem Genuß.«

Patrick Lefebre — Fahrer eines

Krankenwagens für Tiere

Meine Show Am liebsten Gruppensex mit Palästinenserinnen war ohne Zweifel der Höhepunkt meiner Karriere — von der Medienwirkung her, meine ich natürlich. Ich verließ vorübergehend die Seiten »Kunst und Kultur« der Tageszeitungen und tauchte unter der Rubrik »Justiz und Gesellschaft« auf. Muslimische Vereine stellten Strafanträge, es gab Bombendrohungen, na ja, endlich tat sich mal was. Ich war ein Risiko eingegangen, das stimmt schon, aber das Risiko war wohlkalkuliert; den fundamentalistischen Islamisten, die in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts ins Bewußtsein der Öffentlichkeit drangen, wurde ein ähnliches Schicksal zuteil wie den Punks. Sie wurden zunächst durch das Auftauchen von höflichen, netten, frommen Muslimen, die der Ahmadiyya-Szene angehörten — die in gewisser Weise ein Pendant zur New-Wave-Bewegung bildete, wenn man die Parallele aufgreifen will —, ins Abseits gedrängt; die Mädchen waren in jenen Tagen noch verschleiert, aber es waren hübsche, spitzenbesetzte, teilweise durchsichtige Schleier, die im Grunde eher erotischen Accessoires glichen. Und anschließend verlor die Sache natürlich allmählich an Bedeutung: Die mit viel Aufwand errichteten Moscheen standen wieder leer, und die jungen französischen Nordafrikanerinnen boten sich wieder auf dem Sexualmarkt feil wie all die anderen auch. Die Sache war von vornherein zum Scheitern verurteilt, in einer Gesellschaft wie der unseren konnte es kaum anders sein; trotzdem war mir dadurch eine Zeitlang die Rolle eines Kämpfers für die Meinungsfreiheit zugefallen. Ich persönlich hatte eher eine Abneigung gegen Freiheit; es ist schon verrückt, daß gerade die Gegner der Freiheit sie irgendwann besonders dringend brauchen.

Isabelle war bei mir und gab mir kluge Ratschläge. »Du mußt einfach dafür sorgen«, sagte sie sofort, »daß du den Mob auf deiner Seite hast. Wenn dir das gelingt, bist du unangreifbar.«

»Der steht auf meiner Seite«, wandte ich ein, »diese Typen kommen zu meinen Auftritten.«

»Das reicht nicht; du mußt noch eins draufsetzen. Das einzige, wovor sie wirklich Respekt haben, ist Kohle. Die hast du zwar reichlich, aber du zeigst es nicht deutlich genug. Du mußt viel verschwenderischer damit umgehen.«

Auf ihren Rat hin kaufte ich mir also einen Bentley Continental GT, ein »herrliches, superelegantes« Coupe, das dem Auto-Journal zufolge ein Zeichen dafür war, daß »Bentley seine ursprüngliche Berufung wiederentdeckt hatte und sportliche Autos von höchstem Niveau anbot«. Einen Monat später zierte ich das Cover von Radikal Hip-Hop — oder, besser gesagt, vor allem mein Auto. Die meisten Rapper kauften sich einen Ferrari, ein paar originelle Typen einen Porsche; aber einen Bentley, da blieb ihnen die Spucke weg. Sie haben eben keinen Deut Kultur, diese Ärsche, selbst was Autos angeht. Keith Richards zum Beispiel hatte wie alle seriösen Musiker einen Bentley. Ich hätte auch einen Aston Martin nehmen können, aber der war teurer, und letztlich war ein Bentley besser, denn die Motorhaube war länger, man hätte ohne Schwierigkeit drei Tussis darin unterbringen können. Für hundertsechzigtausend Euro war das im Grunde fast ein Schnäppchen; was meine Glaubwürdigkeit beim Mob anging, glaube ich jedenfalls, daß sich die Investition gelohnt hat.

Dieser Auftritt war zugleich Auslöser meiner kurzen, aber lukrativen Karriere als Filmemacher. Ich hatte einen Kurzfilm in meine Show eingebaut; dieser erste Film mit dem Titel Laßt uns Miniröcke mit dem Fallschirm über Palästina abwerfen! besaß bereits jenen burlesken, leicht antiislamischen Ton, der später zu meinem Ruf beitragen sollte; aber auf Isabelles Rat hin verlieh ich dem Film zusätzlich einen leicht antisemitischen Zug, der den ziemlich antiarabischen Charakter meiner Show ausgleichen sollte; das war der Pfad der Weisheit. Ich entschied mich daher für einen Pornofilm oder besser gesagt, für die Parodie eines Pornos — eine Gattung, die sich, wie ich gern zugebe, leicht parodieren läßt — mit dem Titel Gras mir den Gazastreifen ab (mein dicker jüdischer Siedler). Die Schauspielerinnen waren echte französische Nordafrikanerinnen, garantiert aus dem Departement Seine-Saint-Denis — vom Typ her geile Schlampen, aber verschleiert; wir hatten die Außenaufnahmen in dem Vergnügungspark La Mer de Sable in Ermenonville gedreht. Der Film war ziemlich witzig, wenn auch vielleicht etwas zu anspruchsvoll. Die Leute lachten; die meisten zumindest. In einer Talkshow, zu der ich gemeinsam mit Jamel Debbouze eingeladen war, bezeichnete dieser mich als »supercoolen Typen«; kurz gesagt, die Sache hätte besser gar nicht laufen können. Jamel hatte mich schon in der Garderobe kurz vor der Sendung ins Bild gesetzt: »Ich kann dir nicht an den Karren pissen, Alter. Wir haben dasselbe Publikum.« Fogiel, der die Begegnung von uns beiden organisiert hatte, merkte sehr schnell, daß wir uns ausgezeichnet verstanden, und bekam Muffensausen; ich muß allerdings dazusagen, daß ich schon seit langem Lust hatte, diesem Arsch eins reinzuwürgen. Aber ich habe mich zurückgehalten, war sehr korrekt, eben supercool.

Der Produzent meiner Show hatte mich gebeten, eine Szene aus meinem Kurzfilm herauszuschneiden — eine Szene, die tatsächlich nicht sehr witzig war; wir hatten sie in Franconville in einem Mietshaus gedreht, das zum Abbruch bestimmt war, aber es sollte so aussehen, als sei sie in Ost-Jerusalem gedreht. Es handelte sich um das Gespräch zwischen einem Terroristen der Hamas und einem deutschen Touristen, das mal die Form der an Pascal angelehnten Frage, worauf die menschliche Identität gründe, und mal die einer wirtschaftlichen Betrachtung annahm — grob gesagt, in der Richtung von Schumpeter. Der palästinensische Terrorist brachte als erstes die These vor, daß der Wert der Geisel in metaphysischer Hinsicht gleich Null sei — da es sich um einen Ungläubigen handelte; daß dieser Wert andererseits aber auch nicht negativ sei — wie es zum Beispiel bei einer jüdischen Geisel der Fall gewesen wäre; den Deutschen umzubringen, sei also nicht wünschenswert, sondern lediglich uninteressant. In wirtschaftlicher Hinsicht dagegen besäße die Geisel einen hohen Wert — da sie einer reichen Nation angehörte, die dafür bekannt war, daß sie sich mit ihren Staatsangehörigen solidarisch zeigte. Nach diesen Vorbemerkungen unternahm der palästinensische Terrorist eine Reihe von Experimenten. Als erstes riß er der Geisel — mit bloßen Händen — einen Zahn aus und gab dann zu Protokoll, daß ihr Wert im Rahmen einer Lösegeldforderung unverändert blieb. Dann tat er das gleiche mit einem Fingernagel — wobei er diesmal eine Zange benutzte. Anschließend tauchte ein zweiter Terrorist auf, und unter den beiden Palästinensern entspann sich eine kurze Diskussion, die mehr oder weniger darwinistischen Inhalts war. Die Folge davon war, daß sie der Geisel die Hoden abrissen, wobei sie jedoch anschließend die Wunde sorgfältig vernähten, um zu verhindern, daß der Mann zu schnell starb. Gemeinsam kamen sie zu dem Schluß, daß sich nur der biologische Wert der Geisel durch die Operation geändert hatte; ihr metaphysischer Wert blieb gleich Null und der Wert im Hinblick auf eine Lösegeldforderung sehr hoch. Kurz, die geistige Nähe zu Pascal wurde immer offensichtlicher — und der Anblick der Bilder immer unerträglicher; ich war im übrigen überrascht, wie billig es ist, Trickszenen zu drehen, wie sie in Gore-Filmen üblich sind.

Die vollständige Fassung meines Kurzfilms wurde ein paar Monate später im Rahmen des Festivals des Unheimlichen gezeigt, und im Anschluß daran bekam ich eine Flut von Filmangeboten. Seltsamerweise nahm Jamel Debbouze wieder Kontakt zu mir auf. Er wollte die Rolle des Komikers, die ihm anhaftete, einmal abstreifen und einen bad boy spielen, einen richtigen Bösewicht. Sein Agent überzeugte ihn schnell davon, daß er damit einen Fehler begehen würde, und letztlich ist auch nichts daraus geworden, aber ich finde, die Anekdote ist bezeichnend. Um sie besser einordnen zu können, muß man sich wieder vor Augen halten, daß in jenen Jahren — den letzten Jahren, in denen es in Frankreich noch eine wirtschaftlich unabhängige Filmindustrie gab — die einzigen nachweisbaren Erfolge, bei denen wenigstens die Kosten wieder eingespielt wurden, auch wenn diese Filme nicht mit den Produkten der amerikanischen Filmindustrie rivalisieren konnten, der Gattung der Komödie angehörten — ganz gleich, ob subtil oder vulgär, in beiden Fällen konnte es zum Erfolg kommen. Andererseits war die künstlerische Anerkennung — die Voraussetzung für die Vergabe der letzten staatlichen Subventionen sowie für eine ausreichende Berichterstattung in den tonangebenden Medien — sowohl in der Filmbranche wie in den anderen künstlerischen Bereichen vor allem solchen Produktionen vorbehalten, die das Böse verherrlichten oder zumindest die im herrschenden Sprachgebrauch als traditionell bezeichneten moralischen Werte in kruder Weise in Frage stellten, so daß mit diesen sich kaum voneinander unterscheidenden Mini-Pantomimen eine gewisse Form von institutioneller Anarchie unterstützt wurde, was ihrem Reiz in den Augen der Kritiker jedoch keinen Abbruch tat, nicht zuletzt, weil diesen dadurch die Aufgabe erleichtert wurde, ihre eingefahrenen, immer gleichen Kritiken zu schreiben, aber mit dem Gestus, als beträten sie Neuland. Der Moral den Hals umzudrehen war geradezu zu einem Opferritual geworden, mit dem die herrschenden Werte der Gruppe erneut bekräftigt wurden, die seit Jahrzehnten auf Wettbewerb, Innovation und Leistungsfähigkeit und nicht so sehr auf Treue und Pflicht gepolt waren. Die Anpassungsfähigkeit, die eine hochentwickelte Wirtschaft erforderte, war unvereinbar mit einem normativen Katalog eng begrenzter Verhaltensweisen, vertrug sich jedoch durchaus mit einer ständigen Verherrlichung des Willens und des Ichs. Grausamkeit, zynischer Egoismus oder Gewalt in jeder Form waren daher äußerst willkommen — Themen wie Vatermord oder Kannibalismus hatten einen zusätzlichen Reiz. Die Tatsache, daß ein Komiker, der sich in diesem Genre einen Namen gemacht hatte, sich darüber hinaus mit großer Ungezwungenheit auf das Gebiet der Grausamkeit und des Bösen vorwagte, löste zwangsläufig in der Branche einen Schock aus. Mein Agent nahm diesen Ansturm, anders läßt es sich kaum nennen — in knapp zwei Monaten erhielt ich vierzig verschiedene Drehbuchangebote —, zurückhaltend auf. Ich könne sicherlich viel Geld damit verdienen, meinte er, und er bei dieser Gelegenheit natürlich auch; aber meine Berühmtheit würde darunter leiden. Ein Drehbuchautor ist zwar ein wesentlicher Faktor bei der Herstellung eines Films, doch er bleibt der Öffentlichkeit völlig unbekannt; und Drehbücher zu schreiben erfordere immerhin ziemlich viel Arbeit und sei daher für meine Karriere als Showman nicht zu empfehlen.

Im ersten Punkt hatte er recht — obwohl ich bei gut dreißig Filmen als Drehbuchautor, Koautor oder Berater mitgewirkt hatte, steigerte das meine Berühmtheit absolut nicht —, den zweiten dagegen hatte er völlig überschätzt. Filmemacher zeichnen sich nicht gerade durch überdurchschnittliche Intelligenz aus, wie ich sehr bald festgestellt hatte: Man braucht ihnen nur eine originelle Idee, eine Situation oder das Bruchstück einer Geschichte vorzuschlagen, alles Dinge, auf die sie selbst nie gekommen wären; man fügt ein paar Dialoge hinzu, drei oder vier idiotische Einfälle — ich war imstande, etwa vierzig Drehbuchseiten pro Tag zu schreiben —, legt ihnen das Skript vor, und schon sind sie hellauf begeistert. Anschließend ändern sie alle paar Tage ihre Meinung in allem — in bezug auf sich selbst, die Produktion, die Schauspieler oder wen und was auch immer. Man braucht nur bei den Arbeitsbesprechungen zu erscheinen, ihnen zu sagen, daß sie völlig recht haben, das Drehbuch ihren Anweisungen entsprechend umzuschreiben, und schon ist die Sache gelaufen; ich hatte noch nie so leicht Geld verdient.

Mein größter Erfolg als Drehbuchautor war ohne Zweifel Diogenes, der Kyniker; es handelte sich nicht, wie der Titel vermuten lassen könnte, um einen Kostümfilm. Die Kyniker — dieser Teil ihrer Lehre ist ziemlich in Vergessenheit geraten — forderten die Kinder auf, ihre eigenen Eltern zu töten und zu verschlingen, sobald diese arbeitsunfähig und somit zu unnützen Essern wurden; angesichts der Vergreisung unserer Gesellschaft ließ sich eine Übertragung dieser Thematik auf heutige Verhältnisse also leicht vorstellen. Ich hatte einen Augenblick daran gedacht, Michel Onfray die Hauptrolle anzubieten, der natürlich gleich davon begeistert war; aber der unbedarfte Vielschreiber, der in Talkshows oder vor mehr oder weniger dümmlichen Studenten so gewandt war, gab vor der Kamera eine klägliche Figur ab, es war einfach nichts aus ihm herauszuholen. Der Produzent traf daher die weise Entscheidung, auf ein alterprobtes Rezept zurückzugreifen, und Jean-Pierre Marielle war wie immer sehr überzeugend.

Etwa um die gleiche Zeit kaufte ich mir ein Ferienhaus in Andalusien in einer damals noch weitgehend unberührten Gegend nördlich von Almeria, im Naturpark namens Cabo de Gata. Der Architekt hatte wunderschöne Pläne entworfen: Palmen, Orangenbäume, Whirlpools und Wasserfälle — was angesichts der klimatischen Bedingungen (es handelt sich um die regenärmste Region Europas) etwas wahnwitzig erscheinen mag. Diese Gegend war, was ich vorher überhaupt nicht wußte, an der ganzen spanischen Küste die einzige, die bis dahin vom Tourismus verschont geblieben war; fünf Jahre später hatten sich die Grundstückspreise verdreifacht. Kurz gesagt, in jenen Jahren war ich ein bißchen wie König Midas.

Zu jener Zeit beschloß ich, Isabelle zu heiraten; wir kannten uns seit drei Jahren, die Dauer unserer vorehelichen Bekanntschaft entsprach somit genau dem Durchschnitt. Die Feier fand in sehr diskretem Rahmen statt und war etwas trübselig; Isabelle war gerade vierzig geworden. Heute bin ich davon überzeugt, daß ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen besteht und daß ich durch diesen Liebesbeweis den Schock über das Erreichen der Vierzig zu mildern versucht habe. Das soll nicht heißen, daß sie diesen Schock durch Klagen, sichtliche Angst oder irgend etwas klar Definierbares ausgedrückt hätte; nein, es war flüchtiger und zugleich schmerzlicher. Manchmal — vor allem in Spanien, wenn wir uns für den Strand fertig machten und sie den Badeanzug überstreifte — spürte ich, wie sie, wenn mein Blick auf ihr ruhte, leicht zusammenzuckte, als habe sie einen Schlag zwischen die Schulterblätter erhalten. Ein schnell unterdrückter Ausdruck des Schmerzes verzerrte ihre herrlichen Züge —die Schönheit ihres feinen, empfindsamen Gesichts widerstand der Zeit; aber ihrem Körper waren, obwohl sie viel schwamm und auch das klassische Ballett nicht aufgegeben hatte, die ersten Anzeichen des Alterns anzusehen — ein Prozeß, der sich, wie sie nur zu gut wußte, beschleunigen würde und irgendwann zum völligen Verfall führte. Ich weiß nicht genau, was damals meinem Gesicht anzumerken war und was sie so verletzte; ich hätte alles getan, um es zu vermeiden, denn ich liebte sie, wie ich noch einmal wiederholen möchte; aber offensichtlich war es nicht möglich. Und es war mir auch nicht möglich, ihr immer wieder zu sagen, daß sie noch genauso begehrenswert und schön sei wie eh und je; noch nie hatte ich mich so unfähig gefühlt, sie auch nur im geringsten anzulügen. Ich wußte, welchen Blick sie anschließend haben würde: Es war der traurige, demütige Blick eines kranken Tiers, das sich ein paar Schritte von der Meute zurückzieht, den Kopf auf die Pfoten legt und leise winselt, weil es weiß, daß es geschwächt ist und von seinen Artgenossen kein Mitleid zu erwarten hat.