Daniel1,7

»Spiele sind unterhaltsam.«

Petra Durst-Benning

Hunde sind nicht nur imstande zu lieben, sondern ihr Sexualtrieb scheint ihnen auch keine unüberwindbaren Schwierigkeiten zu bereiten: Wenn sie einer läufigen Hündin begegnen, läßt sich diese im allgemeinen bereitwillig penetrieren; wenn das nicht der Fall ist, scheinen sie auch kein besonderes Verlangen danach zu empfinden und nicht darunter zu leiden.

Hunde sind als solche bereits eine Quelle ständiger Freude, aber darüber hinaus bieten sie den Menschen eine unerschöpfliche Quelle für Gesprächsstoff - ein internationales, demokratisches und konfliktloses Thema. Auf diese Weise lernte ich Harry, einen deutschen Astrophysiker im Ruhestand, in Begleitung seines Beagles Truman kennen. Harry, Anfang Sechzig, war ein friedfertiger Anhänger der Freikörperkultur, der viel Zeit damit verbrachte, die Sterne zu beobachten — der Himmel in dieser Gegend war, wie Harry mir erklärte, außerordentlich klar; tagsüber pflegte er seinen Garten und räumte ein bißchen auf. Er lebte mit seiner Frau Hildegard zusammen — und natürlich mit Truman; sie hatten keine Kinder. Es versteht sich von selbst, daß ich, wenn dieser Mann keinen Hund gehabt hätte, ihm nichts zu sagen gehabt hätte — und selbst mit Hund verlief das Gespräch ein wenig stockend (er lud uns für den folgenden Samstag zum Abendessen ein; er wohnte fünfhundert Meter von uns entfernt, war unser nächster Nachbar). Zum Glück sprach er kein Französisch und ich kein Deutsch; denn dadurch, daß wir eine Sprachbarriere zu überwinden hatten (ein paar Sätze auf Englisch, ein paar Brocken Spanisch), hatten wir letztlich das Gefühl, daß wir einen angenehmen Abend verbracht hatten, obwohl wir zwei Stunden lang nur banale Dinge gebrüllt hatten (er war ziemlich schwerhörig). Nach dem Essen fragte er mich, ob ich Lust hätte, die Saturnringe zu beobachten. Selbstverständlich hatte ich Lust, selbstverständlich. Ich muß zugeben, daß es ein wunderbares Schauspiel natürlichen oder göttlichen Ursprungs war, das dem Menschen zur Betrachtung dargeboten war, mehr braucht man dazu nicht zu sagen. Hildegard spielte Harfe, ich vermute, daß sie wunderbar spielte, aber ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob es möglich ist, schlecht Harfe zu spielen — ich meine damit, daß dieses Instrument aufgrund seiner Bauweise meines Erachtens nichts anderes hervorbringen kann als melodiöse Töne. Zwei Dinge haben mich wohl davon abgehalten, mich aufzuregen: Zum einen war Isabelle so klug zu behaupten, sie sei müde, und den Wunsch auszudrücken, daß wir früh nach Hause gingen, auf jeden Fall, ehe ich die Flasche Kirsch ganz ausgetrunken hatte; und zum anderen hatte ich bei dem Deutschen eine gebundene Gesamtausgabe der Werke von Teilhard de Chardin entdeckt. Wenn es etwas gibt, was mich immer mit Trauer oder Mitleid erfüllt oder mich zumindest in einen Zustand versetzt, der jede Form von Gemeinheit oder Ironie ausschließt, dann ist das die Existenz von Teilhard de Chardin — nicht nur seine Existenz im übrigen, sondern die Tatsache, daß es Leute gibt, die ihn lesen oder gelesen haben, auch wenn es nicht sehr viele sein mochten. In Gegenwart eines Lesers von Teilhard de Chardin fühle ich mich hilflos, entwaffnet, bereit, in Tränen auszubrechen. Mit fünfzehn war ich zufällig auf Das göttliche Milieu gestoßen, das ein Leser, der vermutlich genug davon hatte, auf einer Bank im Bahnhof von Etrechy-Chamarande liegengelassen hatte. Schon nach wenigen Seiten stieß ich beim Lesen laute Schreie der Verzweiflung aus und zerschmetterte die Luftpumpe meines Rennrads an der Kellerwand. Teilhard de Chardin war natürlich ein Erleuchteter ersten Ranges, wie man so sagt; aber trotzdem war er völlig deprimierend. Er glich ein wenig den von Schopenhauer beschriebenen christlichen deutschen Wissenschaftlern, die »kaum daß sie die Retorte oder das Skalpell aus der Hand gelegt haben, über die Begriffe zu philosophieren beginnen, die ihnen bei ihrer Erstkommunion beigebracht worden sind«. Und er war auch der Illusion verfallen, die er mit allen Christen teilte, die politisch links oder im Zentrum standen — mit anderen Worten, Christen, die seit der Revolution von der progressiven Gesinnung angesteckt waren —, der Illusion zu glauben, daß die Fleischeslust nur eine läßliche, nicht sehr schwerwiegende Sünde sei, die den Menschen nicht vom Weg des Heils abbringen könne, und daß nur Hochmut eine wirkliche Sünde sei. Wo war bei mir die Fleischeslust? Wo der Hochmut? Und war ich vom Weg des Heils abgekommen? Diese Fragen waren, wie mir schien, nicht schwer zu beantworten; nie hätte sich Pascal zum Beispiel dazu hinreißen lassen, derart Absurdes von sich zu geben: Wenn man ihn las, spürte man, daß ihm die Versuchungen des Fleisches nicht fremd waren und daß er für ein ausschweifendes Leben durchaus Verständnis aufbrachte; und daß der Grund, weshalb er sich für Christus und nicht für Unzucht oder Kartenspiele entschieden hatte, nicht darauf zurückzuführen war, daß er Zerstreuung suchte oder inkompetent war, sondern weil Christus für ihn eindeutig high dope war; kurz gesagt, er war ein seriöser Autor. Wenn man Erotika von Teilhard de Chardin gefunden hätte, hätte mich das in gewisser Hinsicht sicher erleichtert; aber ich glaubte nicht im geringsten daran. Was hatte er nur erlebt, mit wem hatte er nur verkehrt, dieser brave Teilhard de Chardin, um zu einer solch gutartigen, solch einfältigen Vorstellung von der Menschheit zu kommen — während zur gleichen Zeit im selben Land solch namhafte Fieslinge wie Celine, Sartre oder Genet ihr Unwesen trieben? Wenn man seine Widmungen und die Empfänger seiner Briefe unter die Lupe nimmt, kann man es nach und nach erraten: mehr oder weniger adlige katholische Wohlstandstussen, die oft dem Jesuitenorden nahestanden. Unschuldslämmer.

»Was brummelst du da?« unterbrach mich Isabelle. Erst jetzt merkte ich, daß wir das Haus des Deutschen verlassen hatten, am Meer entlanggingen und auf dem Heimweg waren. Seit zwei Minuten, berichtete sie mir, sei ich dabei, Selbstgespräche zu führen, und sie habe so gut wie nichts kapiert. Ich faßte das Problem kurz für sie zusammen.

»Es ist leicht, Optimist zu sein …«, schloß ich verbittert, »es ist leicht, Optimist zu sein, wenn man sich sein ganzes Leben lang mit einem Hund begnügt hat und keine Kinder haben wollte.«

»Dir geht's doch genauso, und trotzdem kann man nicht gerade behaupten, du seist ein Optimist …«, bemerkte sie. »Sie sind alt, das ist alles …«, fuhr sie nachsichtig fort. »Wenn man älter wird, braucht man Dinge, die einem Geborgenheit einflößen. Es ist beruhigend, sich vorzustellen, daß einen etwas Schönes im Himmel erwartet. Man macht sich schon ein wenig mit dem Tod vertraut, zumindest wenn man nicht zu blöd und nicht zu reich ist.«

Ich blieb stehen, betrachtete den Ozean, die Sterne. Diese Sterne, denen Harry seine durchwachten Nächte widmete, während Hildegard sich Free-Classic-Improvisationen von Mozartstücken hingab. Sphärenmusik, Sternenhimmel; das moralische Gesetz in meinem Herzen. Ich dachte über diesen Trip nach und was mich davon abhielt; die Nacht war jedoch so lau, daß ich Isabelle die Hand auf den Hintern legte — ich spürte ihn unter dem leichten Stoff ihres Sommerrocks sehr deutlich. Sie legte sich auf die Düne, zog ihren Slip aus und spreizte die Beine. Ich drang in sie ein — zum erstenmal von Angesicht zu Angesicht. Sie blickte mir fest in die Augen. Ich erinnere mich noch genau an die Bewegungen ihrer Muschi, an ihre leisen Schreie gegen Ende. Ich erinnere mich auch deshalb so gut, weil es das letztemal war, daß wir miteinander schliefen.

Ein paar Monate vergingen. Es wurde wieder Sommer und dann Herbst; Isabelle machte keinen unglücklichen Eindruck. Sie spielte mit Fox, pflegte ihre Azaleen; ich schwamm viel und las noch einmal Balzac. Eines Abends, als die letzten Sonnenstrahlen auf das Anwesen fielen, sagte sie leise: »Du verläßt mich bald wegen einer jüngeren …«

Ich erwiderte protestierend, daß ich sie nie betrogen hätte. »Ich weiß…«, antwortete sie. »Irgendwann habe ich geglaubt, es sei soweit: Du würdest eine dieser Miezen, die ständig bei uns in der Redaktion auftauchten, vögeln und dann wieder zu mir zurückkommen, wieder eine andere Mieze vögeln und so fort. Ich hätte furchtbar darunter gelitten, aber vielleicht wäre das letztlich doch besser gewesen.«

»Ich habe es einmal versucht, aber das Mädchen wollte nicht.« Ich erinnere mich, daß ich an jenem Morgen sogar am Lycee Fenelon vorbeigegangen bin. In der Pause zwischen zwei Unterrichtsstunden, die Mädchen waren vierzehn oder fünfzehn, und alle waren hübscher und begehrenswerter als Isabelle, nur weil sie jünger waren. Vermutlich war der narzißtische Konkurrenzkampf zwischen ihnen unerbittlich — die einen wurden von den Jungen in ihrem Alter als hübsch angesehen, die anderen als nichtssagend oder richtig häßlich; und dennoch wäre jeder Mann um die Fünfzig bereit gewesen, für irgendeinen dieser jungen Körper Geld zu zahlen, viel Geld, und sogar seinen Ruf, seine Freiheit, ja sein Leben aufs Spiel zu setzen. Wie einfach doch das Leben war! Und wie ausweglos! Als ich Isabelle an jenem Tag in der Redaktion abholte, hatte ich versucht, eine Weißrussin anzumachen, die darauf wartete, für das Foto auf Seite 8 zu posieren. Das Mädchen war einverstanden, ein Glas mit mir zu trinken, verlangte aber fünfhundert Euro für einmal Blasen; ich lehnte ab. Zu jener Zeit wurde das Jugendschutzgesetz verschärft und insbesondere der Sexualverkehr mit Minderjährigen mit immer höheren Strafen geahndet; die Forderung nach medikamentöser Kastration wurde immer lauter. Die sinnliche Begierde bis ins Unerträgliche zu steigern und deren Befriedigung immer mehr zu erschweren, das war das Grundprinzip, auf dem die westliche Gesellschaft basierte. All das kannte ich, das kannte ich nur zu gut, ich hatte diesen Stoff in vielen meiner Sketche verarbeitet; doch das hinderte mich nicht daran, selbst in die Falle zu tappen. Ich wachte nachts auf, kippte drei große Gläser Wasser hinunter. Ich stellte mir die Erniedrigungen vor, denen ich mich aussetzen würde, wenn ich irgendein Teeny zu verführen suchte; die schwer zu erlangende Zustimmung der Kleinen, ihre Scham, wenn sie sich mit mir auf der Straße zeigte, ihr Zögern, mich ihren Freunden vorzustellen, und die Leichtigkeit, mit der sie mich für einen Jungen in ihrem Alter verlassen würde. Ich stellte mir das alles vor, stellte mir vor, wie sich das mehrmals wiederholte, und begriff, daß ich das nie überleben würde. Ich bildete mir nicht etwa ein, daß ich mich den Gesetzen der Natur entziehen konnte; der Tendenz zur Abnahme der erektilen Fähigkeiten des Penis, der Notwendigkeit, junge Körper zu finden, um diesen Mechanismus zu bremsen … Ich machte eine Packung Salami und eine Flasche Wein auf. Na gut, dann zahle ich eben, sagte ich mir; wenn es soweit ist, daß ich den hübschen Hintern kleiner Mädchen brauche, um eine dauerhafte Erektion zu bekommen, dann zahle ich. Aber ich zahle den Marktpreis. Fünfhundert Euro für einmal Blasen, für wen hielt die sich eigentlich, diese kleine Slawin? So was war fünfzig Euro wert, mehr nicht. Im Gemüsefach entdeckte ich einen angebrochenen Fruchtjoghurt. Was mich in dieser Phase meiner Überlegung so schockierte, war nicht etwa die Tatsache, daß es Teenies gab, die für Geld zu haben waren, sondern der Umstand, daß es Mädchen gab, die nicht zu haben waren oder nur zu unerschwinglichen Preisen; kurz gesagt, ich war für Marktsteuerung.

»Na gut, aber du hast nicht gezahlt …«, bemerkte Isabelle. »Und fünf Jahre später hast du dich noch immer nicht dazu entschlossen. Nein, die Sache dürfte anders laufen, eines Tages lernst du ein Mädchen kennen — keine Lolita, sondern eher eine Zwanzig- oder Fünfundzwanzigjährige —, und dann verliebst du dich in sie. Bestimmt ein intelligentes, sympathisches und vermutlich hübsches Mädchen. Eine Frau, die eine gute Freundin abgegeben hätte …« Es war dunkel geworden, und ich konnte ihre Gesichtszüge nicht mehr erkennen. »Die ich hätte sein können …« Sie sagte das sehr ruhig, aber ich wußte nicht so recht, wie ich ihre Ruhe auslegen sollte, denn im Ton ihrer Stimme lag etwas Ungewöhnliches, und ich hatte keinerlei Erfahrung mit solchen Situationen, schließlich war ich nie verliebt gewesen, bevor ich Isabelle kennenlernte, und bis dahin hatte sich auch keine Frau in mich verliebt, abgesehen von Bratarsch, aber das war eine andere Geschichte, sie war mindestens fünfundfünfzig, als ich sie kennenlernte, wenigstens glaubte ich das damals, sie hätte, wie mir schien, meine Mutter sein können, und was mich anging, konnte dabei von Liebe keine Rede sein, das wäre mir nie in den Sinn gekommen, und vergebliche Liebe ist noch etwas anderes, ziemlich Unangenehmes, da dabei nie die gleiche Nähe, nie die gleiche Empfänglichkeit für die Stimmungen des anderen da ist, nicht einmal bei dem, der vergeblich liebt, denn er ist viel zu sehr von seiner hoffnungslosen Erwartung besessen, um einen klaren Kopf zu bewahren und imstande zu sein, irgendwelche Zeichen richtig zu deuten; kurz und gut, ich befand mich in einer Situation, die ich in meinem bisherigen Dasein noch nie erlebt hatte.

Niemand kann über sich hinausschauen, schreibt Schopenhauer, um deutlich zu machen, daß der Gedankenaustausch zwischen zwei Menschen von zu unterschiedlichem geistigen Niveau unmöglich ist. In diesem Augenblick konnte Isabelle ganz offensichtlich über mich hinausschauen; ich war vorsichtig genug, um zu schweigen. Schließlich war es ja möglich, daß mir so ein Mädchen nie begegnen würde; wenn man bedenkt, wie gering die Anzahl der Leute war, mit denen ich zusammenkam, war das sogar höchst wahrscheinlich.

Sie kaufte weiterhin französische Zeitungen, allerdings nicht oft, nicht mehr als einmal in der Woche, und ab und zu hielt sie mir mit einem verächtlichen Schnauben einen Artikel hin. Etwa um diese Zeit starteten die französischen Medien eine große Kampagne zur Aufwertung der Freundschaft, vermutlich hatte Le Nouvel Observateur damit begonnen. »Liebe kann in die Brüche gehen, Freundschaft nie«, das war in etwa der Tenor dieser Artikel. Ich begriff nicht, was für einen Sinn es haben könne, solchen Schwachsinn zu verbreiten; lsabelle erklärte mir, daß es sich um einen Dauerbrenner handele, also um eine alljährlich wiederkehrende Variation über das Thema »Wir trennen uns, aber wir bleiben gute Freunde«. Ihr zufolge würde es noch vier oder fünf fahre dauern, ehe man zugeben konnte, daß der Übergang von Liebe zu Freundschaft, also von einem starken zu einem schwachen Gefühl, selbstverständlich der Auftakt für das Verschwinden jeglichen Gefühls sei — historisch gesehen natürlich, denn auf individueller Ebene war Gleichgültigkeit noch bei weitem die günstigste Variante: Wenn die Liebe zerbrach, verwandelte sie sich im allgemeinen nicht in Gleichgültigkeit und erst recht nicht in Freundschaft, sondern in Haß. Von dieser Bemerkung ausgehend, schrieb ich ein Drehbuch mit dem Titel Zwei Fliegen später, das den Höhepunkt — und das Ende — meiner Karriere als Drehbuchautor bedeuten sollte. Mein Agent war hocherfreut, als er erfuhr, daß ich mich wieder an die Arbeit machte — zweieinhalb Jahre Abwesenheit ist eine lange Zeit. Seine Freude schwand jedoch, als er das Ergebnis in den Händen hielt. Ich hatte ihm nicht verheimlicht, daß es das Drehbuch für einen Film war, den ich selbst drehen wollte, und mit mir in der Hauptrolle; das sei nicht das Problem, ganz im Gegenteil, sagte er zu mir, die Leute warten schon lange auf etwas Neues, und eine Überraschung ist immer gut, das kann zu einem Kultprodukt werden. Der Inhalt dagegen… Ganz ehrlich, ob ich damit nicht ein bißchen zu weit ginge?

Es sollte ein Film über das Leben eines Mannes werden, dessen Lieblingsbeschäftigung darin bestand, Fliegen mit einem Gummiband zu töten (daher der Titel); meistens verfehlte er sie — schließlich dauerte der Film drei Stunden. Fast genauso gern, aber nur fast so gern, ließ sich dieser gebildete Mann, der ein großer Leser von Pierre Louys war, den Pimmel von kleinen, noch nicht geschlechtsreifen Mädchen ablutschen — von Mädchen bis höchstens vierzehn, sagen wir mal; und das klappte besser als mit den Fliegen.

Im Gegensatz zu dem, was in den gekauften Medien anschließend berichtet wurde, war dieser Film kein totaler Flop; im Ausland erzielte er teilweise sogar einen regelrechten Triumph und brachte in Frankreich immerhin einen beachtlichen Gewinn ein, ohne allerdings die Summe zu erreichen, die man sich angesichts meiner bisher atemberaubend steil ansteigenden Karriere erhoffen konnte; das ist alles.

Sein Mißerfolg, was die Kritik anging, ließ sich allerdings nicht leugnen; er scheint mir heute noch unverdient. »Eine wenig überzeugende Klamotte«, schrieb Le Monde und umging damit geschickt das Problem, das in den anderen Blättern, die sich gern als Moralhüter aufspielten, die Leitartikler beschäftigte, und zwar die Frage, ob man den Film verbieten solle oder nicht. Natürlich handelte es sich um eine Komödie, und die meisten Gags waren ziemlich billig, wenn nicht gar vulgär; aber in manchen Szenen gab es immerhin ein paar Dialoge, die aus heutiger Sicht betrachtet für mich zu den besten gehören, die ich je geschrieben habe. Vor allem in der langen Plansequenz, die in Korsika auf den Hängen des Col de Bavella gedreht worden ist und bei der der Hauptdarsteller (also ich) sein Ferienhaus der kleinen Aurore (neun Jahre) zeigt, deren Herz er bei einem Disneynachmittag im Marineland in Bonifacio erobert hat.

»Was, du wohnst ja mitten in einer Kurve«, rief das Mädchen frech, »dafür brauchst du doch nicht nach Korsika zu kommen …«

»Wenn man zusehen kann, wie Autos vorbeifahren«, erwiderte er (erwiderte ich), »dann ist das schon ein Stückchen Leben.«

Niemand lachte; weder bei der Testvorführung mit Publikum noch bei der Premiere und auch nicht beim Festival für Leinwandkomik in Montbazon. Und doch, sagte ich mir, und doch habe ich mich nie zuvor in solche Höhen aufgeschwungen. Hätte Shakespeare etwa so einen Dialog schreiben können? Hätte er ihn sich überhaupt vorstellen können, der traurige Klotz?

Über das abgedroschene Thema der Pädophilie hinaus (und ähnlich abgefuckte Themen, ha, ha, ha — so drückte ich mich damals in meinen Interviews aus) versteht sich dieser Film als ein aufrüttelndes Manifest gegen die Freundschaft und ganz allgemein gegen alle nicht-sexuellen Beziehungen. Worüber sollen zwei Männer ab einem gewissen Alter schon diskutieren? Welchen Grund könnten zwei Männer schon haben beisammenzusein, es sei denn es besteht zwischen ihnen ein Interessenkonflikt oder sie planen irgendeine gemeinsame Sache (den Umsturz einer Regierung, den Bau einer Autobahn, das Drehbuch für einen Comic-Strip, die Vernichtung der Juden)? Ab einem gewissen Alter (ich spreche von Männern, die ein gewisses geistiges Niveau besitzen, und nicht von abgewrackten Brutalos) ist ohne jeden Zweifel alles gesagt. Wie sollte ein so ödes Vorhaben wie das, eine Weile zusammen zu verbringen, bei zwei Männern schon zu etwas anderem führen als Langeweile, Betretenheit und letztlich offener Feindschaft? Während zwischen einem Mann und einer Frau trotz allem noch etwas bestehen blieb: eine leichte Anziehung, eine kleine Hoffnung, ein kleiner Traum. Worte waren von jeher für Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten bestimmt, dieser kriegerische Ursprung haftete ihnen auch weiterhin an. Worte zerstören, trennen, und wenn zwischen einem Mann und einer Frau nichts anderes als das mehr besteht, kann man die Beziehung zu Recht als beendet betrachten. Wenn Worte dagegen von Liebkosungen begleitet, besänftigt und sozusagen geheiligt werden, können sie eine andere Bedeutung bekommen, die längst nicht so dramatisch, aber tiefergehend ist, dann können sie zu einem uninteressierten freien geistigen Austausch ohne direkte Verwertung werden.

Dieser Film griff nicht nur die Freundschaft, sondern alle gesellschaftlichen Beziehungen an, die nicht von Körperkontakt begleitet waren, und stellte indirekt — wie nur die Zeitschrift Slut Zone zutreffend bemerkte — eine Apologie der Bisexualität, wenn nicht gar des Hermaphrodismus dar. Kurz gesagt, ich knüpfte wieder an die alten Griechen an. Wenn man älter wird, knüpft man immer an die alten Griechen an.