Ocean Grove, März 1963
Emmas Schwangerschaft verlief problemlos. Emma hatte mit der Redaktion vereinbart, bis zur Niederkunft von zu Hause aus zu arbeiten, und Harry war ihr bei allem eine echte Stütze. Die Angstattacken und Albträume waren seltener geworden. Der einzige Wermutstropfen außer ihrer Trauer um Kate war Huntis plötzlicher Tod. Kurz nachdem sie in das Haus der Pakeha gezogen waren, hatte Emma das arme Tier eines Tages leblos mit Schaum vor dem Mund im Garten gefunden. Sie war außer sich vor Schmerz gewesen, und selbst Harry, den das Tier bis zuletzt angeknurrt hatte, wirkte sichtlich betroffen. Er wusste auch gleich, was Hunti widerfahren war.
»Das war Rattengift!«, stellte er angeekelt fest, als er sich den Kadaver ansah.
Emma begrub Hunti im Garten und weinte tagelang. Das lag nun schon fast sieben Monate zurück. Inzwischen war Emmas Schwangerschaft nicht mehr zu übersehen, und Emma rechnete täglich mit den Wehen. Sie wollte ihr Kind unbedingt in Pakeha zur Welt bringen. Die zuständige Hebamme hatte nichts gegen eine Hausgeburt einzuwenden.
Dennoch fuhr Emma gegen Harrys ausdrücklichen Rat wie jeden zweiten Morgen auch heute in die Redaktion, um sich Arbeit zu holen.
Sie sollte über einen Mord in Auckland berichten. Mit den Unterlagen in der Tasche kehrte sie gegen Mittag nach Pakeha zurück und sichtete das Material. Allein beim Lesen wurde ihr übel. Die Leiche einer weißen Frau war durch Zufall von einer Gruppe Maori, die nördlich von Auckland durch den Waipoua-Wald gepilgert war, unter einem riesigen Kauri-Baum gefunden worden. Lange hatte man weder Hinweise auf die Identität der Frau gehabt noch eine Idee, wie sie umgekommen war. Inzwischen tippte man auf Mord, denn in ihren sterblichen Überresten konnten Spuren von Arsen festgestellt werden. Erst durch Zufall wurde eine Verbindung mit einer Vermissten hergestellt, die vor sieben Monaten aus einem Hotel in Auckland spurlos verschwunden war. Emma spürte beim Sichten der Unterlagen ein seltsames Ziehen im Magen, und was sie dort nun schwarz auf weiß lesen musste, ließ sie erzittern: Nach Angaben der Angestellten des Hotels Rotarua handelt es sich um eine junge Frau Mitte zwanzig, die durch ihren hohen Alkoholkonsum aufgefallen ist und im Rausch stets von ihrem Ehemann sprach, der nicht glauben solle, dass sie seine Hochzeit mit einer anderen dulden würde. Dabei wurde sie stets vulgär, sodass man ihr einige Male den Verkauf von Alkohol verweigerte. Merkwürdig ist, dass sie keinerlei Papiere bei sich trug und sich offensichtlich unter falschem Namen angemeldet hatte ...
Wie paralysiert starrte Emma auf diese Zeilen. Das Telefonat mit Harrys angeblich geschiedener Ehefrau war ihr dabei sofort eingefallen. Wenn es sich nun bei der Toten um seine Frau gehandelt hatte, war es dann nicht möglich, dass Harry ...? Emma mochte den Gedanken nicht zu Ende denken.
»Was ist denn das Gruseliges?«
Emma fuhr zusammen. »Das ist meine Arbeit!«, erwiderte sie Harry kühl und packte die Materialien hastig zusammen. Sie hatte plötzlich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, und beschloss, einen Strandspaziergang zu unternehmen. Sie sprang auf. Im selben Moment spürte sie einen höllischen Schmerz. Unwillkürlich schrie sie auf. Die Wehen hatten eingesetzt!
Mit Harrys Hilfe schaffte Emma es bis auf ihr Bett. Sie dachte an gar nichts mehr. Nur an das eine: Wann wird dieser schneidende Schmerz endlich aufhören? Sie weinte vor Erschöpfung und Glück, als sie Stunden später wie durch einen Nebel ein kräftiges Stimmchen brüllen hörte.
Die Geburt und die Stunden danach waren vorerst das Letzte, woran sich Emma später erinnern sollte.