Apia, im Dezember 1918

 

Kates Rückkehr wurde in Apia stürmisch gefeiert. Alle, die vor vier Jahren traurig am Kai gestanden hatten, weinten wieder, doch dieses Mal vor Freude!

Brenner war kaum wiederzuerkennen. Er war kahl auf dem Kopf, noch dicker als vorher und trug einen ungepflegten Vollbart. Seine überbordende Herzlichkeit hatte er allerdings nicht eingebüßt.

Loana, seine Frau, stürzte sich sofort auf Bill John. »Entzückend!«, rief sie immerzu und wollte Steven das Kind am liebsten aus der Hand reißen, aber der Junge klammerte sich fest an seinen Onkel. Der Lärm und die vielen Menschen verunsicherten ihn.

 

Kate freute sich riesig auf ihre alte Bleibe. Doch als sie über die Schwelle trat, setzte Ernüchterung ein. Das Haus starrte vor Schmutz.

Es gab viel zu tun. Kein Wunder, dass es so aussieht, dachte Kate, als Steven ihr die Haushälterin vorstellte. Tula war eine bildhübsche, blutjunge Samoanerin. An dem Blick, den die junge Frau Steven zuwarf, erkannte Kate jedoch sofort, dass sie keineswegs seine Bedienstete, sondern seine Gespielin war. Es war nicht die Tatsache, dass er sexuelle Beziehungen mit Einheimischen unterhielt, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ, sondern dass Tula noch ein halbes Kind war.

Kate versuchte die Fassung zu wahren und begrüßte das Mädchen freundlich. Sie fragte sich, ob Walter wohl die ganze Zeit über mit Tula allein gewesen war. »Wo ist Walter?«, fragte sie scheinbar beiläufig. »In der Schule«, antwortete Tula.

»Mach uns bitte ein Huhn!«, befahl Steven und forderte Tula mit einer Kopfbewegung auf zu gehen. Stevens Geliebte verschwand wortlos in Richtung Kochhaus. »Wir können sie fortjagen, wenn du willst!«, sagte er zu Kate.

»Um Gottes willen, nein!« Sie wollte das Mädchen doch nicht auf die Straße setzen. »Steven, wie alt ist Tula?«

»Achtzehn!«

»Du lügst.«

»Frag sie doch, wenn du mir nicht glaubst!«

Kate stieß einen tiefen Seufzer aus. Warum misstraue ich ihm nur so? Die Insulanerinnen sehen wirklich oft jünger aus, als sie sind.

 

Als Walter aus der Schule kam, hatte Kate ihr altes Mädchenzimmer bereits in Besitz genommen und das kleine daneben für Bill John vorbereitet, wo er gerade seinen Mittagsschlaf machte. Sie war ein wenig aufgeregt, als sie unten die Stimme ihres Stiefsohnes hörte. Hoffentlich akzeptiert er mich, dachte sie und eilte ihm entgegen.

»Guten Tag, Walter!«, begrüßte sie den inzwischen Siebenjährigen betont fröhlich, doch der starrte sie nur düster an. Ein großer, blond gelockter und ausgesprochen hübscher Junge, wie Kate zugeben musste. Nur der überhebliche Zug um seinen Mund missfiel ihr. Er erinnerte sie an Steven. »Das Mittagessen ist fertig!« Dann forderte Kate ihn freundlich auf, mit ihr auf die Veranda zu kommen.

Walter jedoch musterte sie abfällig von oben bis unten. »Du hast mir gar nichts zu sagen!«, bellte er, bevor er an ihr vorbei nach oben schoss.

Dann hörte Kate lautes Gebrüll. Es war Stevens Stimme. Wenig später kam der Junge mit trotziger Miene die Treppe hinunter. Auf seiner Wange prangte der Abdruck einer Männerhand.

Kate erschrak, aber sie wagte den Jungen nicht zu fragen, ob sein Vater ihn geschlagen hatte.

Am Mittagstisch wich er ihrem Blick aus, besonders, als Steven ihm erklärte, dass Kate seine neue Mutter sei.

»Meine Mutter ist tot!«, widersprach Walter trotzig.

»Du wirst freundlich zu ihr sein. Hast du das verstanden?«, brüllte Steven seinen Sohn mit hochrotem Kopf an und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.

Der Junge zuckte zusammen, verzog aber keine Miene.

Das kann er doch nicht machen!, dachte Kate, damit verstärkt er seine Abneigung gegen mich nur noch.

In diesem Augenblick taumelte Bill John schlaftrunken ins Zimmer. Er weinte und schien nicht zu wissen, wo er war. Kate nahm ihn tröstend auf den Schoß.

Walter starrte den Kleinen fassungslos an. »Wer ist das, Vater?«, fragte er entsetzt.

»Das da ist dein Cousin Bill John und jetzt auch dein Brüderchen«, erwiderte Steven und fügte streng hinzu: »Und ich möchte, dass du nett zu ihm bist. Hast du verstanden?« Walter, auf dessen Wange sich noch immer die Fingerabdrücke von Stevens Hand abzeichneten, senkte den Kopf und murmelte: »Ja, Vater!«