Ocean Grove, 2. Januar 2008

 

Von ferne hörte Sophie ein bekanntes Motorengeräusch. Ob das schon John war? Bei dem Gedanken schlug ihr Herz gleich doppelt so schnell, und sie ließ die Aufzeichnungen unter dem Korbstuhl verschwinden, obgleich es ihr gar nicht leichtfiel, sie an dieser Stelle aus der Hand zu legen. Da fuhr er schon den Sandweg entlang, hielt vor dem Haus und sprang strahlend aus dem Jeep, in der Hand ihren Koffer.

Warum finde ich ihn bloß bei jedem Wiedersehen noch attraktiver?, fragte sie sich irritiert, als er ihr zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange gab. Er roch wirklich fantastisch.

»Hier sind deine Sachen!«, sagte er gutgelaunt, stellte den Koffer ab und ließ sich in einen Korbstuhl fallen. »Und was machen wir mit dem angebrochenen Tag?« Er grinste.

»Musst du gar nicht arbeiten?«, war ihre wenig charmante Antwort. Sie hätte sich auf die Zunge beißen mögen. Warum war ihr Mundwerk nur manchmal schneller, als ihr Verstand es erlaubte?

»Ich gebe zu, heute bin ich faul. Ich habe nur einen Mandanten auf der Liste gehabt, hier ganz in der Nähe. Natürlich hätte er mich auch in der Kanzlei aufgesucht, doch dann hätte ich ja keinen Vorwand gehabt, dich so früh zu überfallen. Zufrieden?« Er lachte.

»Vielleicht könnte ich dich ja bekochen! Als kleines Dankeschön für alles, was du bisher für mich getan hast«, sagte sie zögernd. »Ich habe Scampi, Spaghetti und einen guten Rotwein im Haus.«

»Oho, du fängst an, dich hier heimisch zu fühlen? Sehr gut. Ich habe einen Bärenhunger und wollte dich eigentlich zum Essen ausführen. Aber dein Vorschlag gefällt mir wesentlich besser. Hier muss man sich einfach wohlfühlen. Gib mir etwas zu tun. Ich würde mich gern nützlich machen.«

Sophie verdonnerte John jedoch dazu, ihr in der kleinen Küchenzeile nicht im Wege zu stehen, sondern ihr von einem der Barhocker aus bei einem Glas Wein zuzuschauen und sie zu unterhalten. Sie konnte nicht viele Gerichte kochen, aber Pasta mit Meeresfrüchten beherrschte sie nahezu perfekt. Während sie die Scampi in Olivenöl briet, plauderten sie miteinander über alles Mögliche, nur nichts Persönliches.

Sophie spürte deutlich, dass eine gewisse Spannung in der Luft lag. Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, sah sie nicht den Anwalt, sondern nur den attraktiven Mann in ihm. Da war es wesentlich ungefährlicher, über die Weltwirtschaftslage zu reden als darüber, warum sie sich ganz ungezwungen wie ein Paar benahmen. Insgeheim wunderte sich Sophie, dass es so gemütlich mit ihm war. Gemütlich und beinahe vertraut.

Sophie hatte ihm gerade den Rücken zugedreht und wollte die Pasta in das kochende Wasser legen, als sie von zwei Händen zärtlich umfasst wurde. Ihr erster Impuls war es, diese Annäherung abzuwehren, ihr zweiter, sich langsam umzudrehen. Fast ein wenig schuldbewusst blickte er sie an.

»Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist, aber ich muss dich einfach küssen«, seufzte er und zog sie sanft an sich. Der Kuss war inniger als der am Strand. Obwohl Sophies Verstand nach der Bremse rief, reagierte ihr Körper unvermittelt. Sie überließ sich ganz den wohligen Schauern, die sie durchrieselten. Seine Hände suchten die Knöpfe ihrer Bluse und öffneten sie geschickt, während sie sich weiter küssten. Sie spürte seine Hände auf ihrer Haut. Sie schafften es nicht einmal bis zum Sofa, sondern sie liebten sich dort, in der Küchenecke, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt. Keinerlei Fremdheit herrschte zwischen ihn. Als Sophie ihn berührte, war es ihr, als hätte sie das immer schon getan. Es war erregend, prickelnd und vertraut zugleich. Erst als sie heiser ihre Lust herausstöhnte und auf ihren Höhepunkt zusteuerte, drang er sanft in sie ein.

Als alles vorbei war, schauten sie einander verwundert an und fingen wie aus einer Kehle zu lachen an.

»Ich schwöre dir, ich hatte es nicht geplant«, entschuldigte er sich, scheinbar geknickt.

»Solltest du es etwa bereuen?«, fragte Sophie schelmisch und lachte befreit.

Wie lange ist das her, dass ich so fröhlich gelacht habe?, fragte sie sich und schubste ihn liebevoll zu dem großen, gemütlichen Sofa. Dort kuschelten sie sich nebeneinander und guckten sich tief in die Augen. Sie lachten nicht mehr. In ihren Augen glitzerte der Wunsch, es gleich noch einmal zu tun, aber sie ließen sich Zeit. Erst streichelten sie sich gegenseitig eine halbe Ewigkeit, bevor die Leidenschaft sie überwältigte.

Nachdem sie schon eine ganze Weile erschöpft, aber glücklich in seinen Armen gelegen hatte, seufzte Sophie: »Und wer macht jetzt die Pasta?«

»Na du!« Er grinste. »Du wolltest mich ja nicht in die Küche lassen!«

»Was du völlig ignoriert hast, du Verführer!«, gab sie lachend zurück.

Schließlich stand sie auf und ging nackt, wie sie war, in die Küche. Dort zog sie eine Schürze an und erneuerte das Nudelwasser, das inzwischen bis auf den letzten Tropfen verkocht war. John setzte sich zu ihr auf den Barhocker und nahm einen kräftigen Schluck von dem köstlichen Wein.

»Du kannst dich nützlich machen«, sagte sie schmunzelnd. »Die Herrschaften sollten zu Tisch etwas am Leibe tragen. Oben im großen Zimmer findest du auf dem Bett ein riesengroßes Shirt. Mein Nachthemd. Das würde ich dir leihen. Und mir bringe doch bitte den Morgenmantel aus dem Bad mit.«

»Wenn Madame es unbedingt wünschen, dass wir uns verhüllen, dann werde ich eilen.« Mit diesen Worten rutschte er vom Barhocker, trat einen Schritt auf sie zu und küsste sie zärtlich auf die Wange.

Sophie konnte sich kaum auf die Pastasoße konzentrieren. Noch nie zuvor hatte sie diese Leichtigkeit in Gesellschaft eines Mannes verspürt. Es war ihr, als hätte sie etwas gefunden, nach dem sie unbewusst ein Leben lang gesucht hatte. Hoffentlich zerplatzt der Traum nicht, durchfuhr es sie plötzlich. Da war er wieder, der düstere Schatten der Angst, die sie zeitlebens immer wieder beschlichen hatte. Und schon warnte ihr Kopf sie davor, das Herz nicht zu sehr an diesen Fremden zu hängen. Es würde etwas Unvorhergesehenes geschehen. Sie wusste es! Ihr Atem ging schneller. Aber sie versuchte, sich auf das Kochen zu konzentrieren und die negativen Gedanken wie lästige Fliegen zu verscheuchen.

Das gelang ihr erst, als sie John Franklin in ihrem rosafarbenen Schlafshirt mit dem Aufdruck »Anwalts Liebling« vor sich stehen sah. Sie brach in schallendes Gelächter aus und vergaß nach dem Bruchteil einer Sekunde sogar, dass das Hemd ein Geschenk von Jan war, das sie damals ziemlich dämlich gefunden hatte.

John war ein wunderbarer Gast, der ihr Essen in den höchsten Tönen lobte und mit einem neckischen Grinsen einen perfekten Nachtisch ankündigte. Sophie spürte, wie ihr allein bei seinen Worten heiß wurde, doch dann schien ihm etwas einzufallen. Sein Gesicht verdunkelte sich.

»Mist! Ich habe total vergessen, dass Lynn meine Schwiegereltern zu uns eingeladen hat«, stöhnte er.

Sophie glaubte im ersten Augenblick, sich verhört zu haben. »Schwiegereltern?«, wiederholte sie tonlos.

»Ja, du hast Lynn doch Silvester kennengelernt. Ich meine, ich habe euch doch einander vorgestellt, aber es ist nicht so, wie du denkst.«

Sophies Gedanken fuhren Achterbahn. Diese weißblonde Lynn war seine Ehefrau? Und er hatte das alles eben getan, obwohl er verheiratet war? Sie wollte nichts weiter hören.

Ihr wurde speiübel. Ohne zu überlegen, sprang sie auf und rannte ins Bad. Ein schrecklicher Schmerz wütete an ihren Schläfen. Sophie ließ sich auf die kalten Bodenfliesen sinken und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Ihre Erschütterung war so groß, dass sie nicht einmal heulen konnte.

Wenig später klopfte es an die Badezimmertür.

»Sophie, ist alles in Ordnung?«, fragte er besorgt.

»Abgesehen davon, dass es nicht meine Art ist, mit verheirateten Männern ins Bett zu steigen, geht es mir blendend«, fauchte sie zurück.

»Sophie, glaube mir, es ist nicht so, wie du denkst. Lynn hat mich vor einem Jahr verlassen, weil sie sich in einen anderen verliebt hatte, und kurz vor Weihnachten ist sie zu mir zurückgekommen; sie dachte, es könnte alles so wie früher sein. Glaube mir, ich habe wirklich unter der Trennung gelitten und hab zunächst geglaubt, es geht für mich ein Traum in Erfüllung, als sie plötzlich vor der Tür stand, aber dem ist nicht so. Seit einer Woche ist ohnehin alles anders, ich -«

Sophie hielt sich die Ohren zu. »Hau ab!«, schrie sie. »Geh!«

»Sophie, bitte lass uns reden!«

»Ich möchte, dass du gehst«, wiederholte Sophie tonlos. Sie glaubte ihm kein Wort mehr. Hüte dich vor verheirateten Männern!, hatte Emma sie immer gewarnt. Sie lügen das Blaue vom Himmel hinunter, um dich ins Bett zu kriegen. Und genau so empfand Sophie sein Gerede. Als Schmierentheater.

»Sophie, mach die Tür auf. Bitte! Es ist nicht wahr. Ich bin nicht -«

»Bitte geh!«, unterbrach sie ihn nachdrücklich.

Es dauerte lange, bevor sich seine Schritte entfernten. Dann war alles still. Nach einer Weile hörte sie die Haustür zuschlagen und kurz darauf den Wagen anspringen. Zitternd erhob sich Sophie von den kalten Steinen und wankte ins Wohnzimmer zurück. Auf dem Tresen lag ein Zettel. Zögernd nahm sie ihn zur Hand und las ihn laut:

»Liebe Sophie,

bitte verzeih mir. Ich war im Überschwang der Gefühle gedankenlos. Es ist ganz anders, als du denkst. Glaube mir, seit einer Woche kenne ich mich selbst nicht wieder. Melde dich, wenn du mir verzeihen kannst!

Dein John.«

Kaum hatte sie ihn gelesen, da knüllte Sophie ihn zusammen und schleuderte ihn mit den Worten »Da kannst du lange warten!« in den Mülleimer.