1 - TÖTEN

Das kalte Licht des Mondes beleuchtete die Straße. Hinter mir nur eine Mauer. Sie waren zu dritt und kamen mit langsamen Schritten auf mich zu. Niemand sonst war zu sehen. Raub, Mord und Vergewaltigung gingen auf ihr Konto. Manchmal ließen sie ihre Opfer am Leben, manchmal nicht. Je nach Laune. Ich hatte auf sie gewartet. Bei dieser Sorte Mensch habe ich hinterher nicht so ein schlechtes Gewissen. Der erste, ein muskulöser, drahtiger Typ mit schwarzem Haar, stellte sich dicht vor mich und schnalzte mit der Zunge. Sein Atem stank nach Bier und Zigaretten. »Nicky ist jetzt lieb zu dir«, raunte er und gab mir einen Stoß. Ich ließ es zu, dass ich ein paar Meter zurücktorkelte, ging dann wieder auf den Mann zu und sagte mit leiser Stimme: »Du bist ja ein ganz Mutiger, Nicky. Drei Männer gegen eine Frau. Da muss ich jetzt wohl ganz viel Angst haben.«

Für einen kurzen Augenblick sah er mich bestürzt an. Er hatte Furcht, Flehen und Weinen erwartet, aber keine Ironie. Sein Blick glitt hektisch an mir herunter. Wo war meine Waffe? Wer in einer solchen Situation so viel Frechheit besaß, musste einfach eine Waffe haben. Doch meine Arme hingen mit geöffneten Händen locker herunter. Ein tückisches Lächeln erhellte sein Gesicht. Er holte weit aus und schlug mir mit dem Handrücken ins Gesicht. Es war ein harter Schlag. Der Schmerz machte mich wütend. Sehr wütend. Ich wollte eigentlich ein bisschen mit Nicky und Co. spielen, aber jetzt hatte ich auf einmal genug. Den Oberkörper nach vorn gebeugt, stand ich da und wartete. Als er meinen Kopf an den Haaren packte, um mich zu sich heranzuziehen, schoss meine Hand nach vorn. Er kam gerade noch dazu, seine Augen entsetzt aufzureißen, dann brach ich ihm mit einem trockenen Knacken das Genick. So schnell, dass die anderen es noch nicht einmal mitbekamen. Bis die anderen beiden begriffen hatten, dass etwas Unerwartetes geschehen war, stand ich schon hinter ihnen. Sterbliche sind so langsam. Den ersten schleuderte ich mit einer einzigen Armbewegung gegen eine Wand. Er prallte dumpf auf und blieb reglos liegen. Der letzte der drei stand jetzt wimmernd vor mir. Ich hatte Verständnis für seine Furcht. Ich wusste, wie ich aussah. Die kalten blauen Augen mit den seltsamen Pupillen. Die bleiche Haut. Die kleinen spitzen Zähne, weiß leuchtend hinter der zurückgezogenen Oberlippe. Ich hielt ihn fest. Er hatte keine Chance und war starr vor Angst. Wie oft hatten ihn seine eigenen Opfer so angesehen? Hilflos, zitternd, den Tod vor Augen?

Mit einem schnellen Schnitt meines Daumennagels öffnete ich seine Halsschlagader und trank sein Blut. Ich trank es, wie ein durstiger Sterblicher ein Glas kalte Limonade trinkt. Schnell und gierig. Sein Blut berauschte mich. Wie flüssiges Feuer rann es durch meine Kehle in meinen untoten Körper und gab mir Kraft. Noch mehr Kraft. Und Befriedigung. Als ich seinen toten Körper auf die Straße fallen ließ, fühlte ich, wie all meine Sinne explodierten. Ich warf meinen Kopf in den Nacken und sah das Funkeln der Sterne wie ein Feuerwerk. Ich sah jede Mauerritze mit ungeheurer Deutlichkeit, hörte jedes Geräusch in kilometerweiter Entfernung, sobald ich meine Aufmerksamkeit darauf richtete. Ich spürte die Ratten hinter einem Müllcontainer, ihre hektischen Herzschläge und ihre Angst vor dem fremden, unheimlichen Wesen da draußen. Ihre Angst vor mir. Ich erschauerte. Was für ein Gefühl! Ich ließ das Tier in mir triumphieren.

Schließlich hatte ich mich wieder in der Gewalt. Ich blickte mit unbewegtem Gesicht auf das Gemetzel vor mir. Drei Leichen auf der schmutzigen Straße. Opfer eines Wahnsinnigen. So würde es morgen in der Zeitung stehen. Ich empfand kein Bedauern, nur eine gewisse Form der Ernüchterung. Eilig verließ ich den Ort des Geschehens. Ich kann mich für kurze Zeit so schnell bewegen, dass das menschliche Auge nur ein verschwommenes Etwas registriert. Eine meiner unschätzbaren Fähigkeiten als Vampir.

Ich lief durch die leeren Straßen. Es war die Zeit, in der der Schlaf der Menschen am tiefsten ist. Ich konnte sie hinter ihren Mauern spüren, hörte ihren Atem, roch ihre Leiber. Und ihr Blut. Kraftvoll und mächtig pumpten es fleißige Herzen durch ihre sterblichen Leiber. Aber ich war satt. Ich würde lange nichts brauchen.

Als ich in die Nähe des Rotlichtviertels kam, verlangsamte ich meinen Schritt. Neonreklamen blinkten. Musikfetzen tönten aus den Bars und Peep-Shows, gedämpft durch schwere Vorhänge, die neugierige Blicke abhalten sollten. Dieser Teil der Stadt schlief nie.

Es war immer noch eine Menge los, aber niemand wagte es, mich aufzuhalten. Ich war eine junge, schlanke Frau, die sich zielsicher ihren Weg durch die Menge bahnte. Wenn ich es will, kann ich eine Aura um mich herum erzeugen, die die meisten Menschen instinktiv zurückschrecken lässt. Eine Fähigkeit, die ich wohldosiert einsetzen muss. Denn in diesem Zustand falle ich auf. In einem geschlossenen Raum würden sich nach wenigen Minuten alle Menschen auf der einen Seite und ich mich auf der anderen befinden. Sie würden mich anstarren wie einen knurrenden Kampfhund. Ich bin stark, aber sie können mich verletzen. Wenn es genug sind, können sie mich unter Umständen sogar töten oder mir zumindest Wunden zufügen. Auch wenn sie schon am nächsten Morgen verheilt sein würden, ich mag Schmerzen nicht sonderlich.

Schließlich war ich zu Hause. Ein anonymes Mietshaus mit teuren Appartements. Ich wohnte im Penthouse, fünfzig Meter über dem Erdboden. Schneller als eine Katze lief ich die Treppen hoch, schloss die Tür auf und atmete tief durch. Ich musste äußerst vorsichtig sein. Einzig in meiner Wohnung mit den schweren Schlössern fühlte ich mich sicher. Ich zahlte stets pünktlich, und man stellte mir keine Fragen. Für die anderen Mieter war ich Ludmilla, eine vierundzwanzigjährige Frau, die nachts arbeitet und tagsüber schläft. Ich war immer freundlich, aber distanziert. Schließlich ließen sie mich in Ruhe.

Ich ging zu den riesigen Fenstern, vor die ich tagsüber schwere, dunkle Vorhänge zog. Unter mir blinkten die Lichter der Stadt. Der Mond beleuchtete ein paar bizarre Wolken. Nicht weit entfernt lag der große Park. Dunkel und still. Eine Eule flog auf einen hohen Baum und wartete auf ein Opfer. Sie war wie ich. Eine Jägerin.

Trotz meiner Stärke spürte ich ein ständiges Unbehagen. Ich verstand so vieles nicht. Manchmal, das fühlte ich deutlich, beobachtete mich jemand – etwas. Ein Wesen wie ich. Und doch blieb es verborgen. Warum nur? Aber auch vor den Menschen musste ich mich vorsehen. Wenn sie wüssten, was ich bin, würden sie alles daransetzen, mich zu vernichten.

Ich stand lange am Fenster. Meine Gedanken flogen zurück in die Vergangenheit. Ich dachte an damals, als alles angefangen hatte. An die Zeit, in der ich aufhörte, als Mensch zu existieren, und zu dem Wesen wurde, das ich jetzt seit fast einem Jahr bin. Es kommt mir vor wie die Ewigkeit.