III.

Als sich die Luke im Turm schloss, stiegen Irmelas Reiter von den Pferden und halfen Abdur und dem Gehilfen des Kutschers, den Wagen auf dem engen Vorplatz zu wenden. Um es ihnen leichter zu machen, waren Irmela und ihre beiden Begleiterinnen ausgestiegen und standen nun mit am Körper klebender Kleidung im Regen. Während Dionysia von Kerling leise, aber sehr undamenhaft über Heimsburg fluchte, hätte Irmela sogar Hagel und Sturm hingenommen, nur um von diesem Ort wegzukommen. Erst nach einer ganzen Weile erinnerte sie sich wieder an Stephanie.

»Dort oben stimmt etwas nicht, das fühle ich«, raunte sie Fanny zu.

Diese zog eine Grimasse und nickte. »Nicht stimmen? Da stinkt es, aber ganz gewaltig! Habt Ihr gemerkt, Komtesse, dass keiner der Kerle auch nur ein Wort über Frau Stephanie verloren hat? Würde sie hier leben, hätte man wenigstens einen der Männer zu ihr geschickt.«

»Herr von Harlau hat seine Gemahlin ganz gewiss auf einen anderen Landsitz gebracht. In diesem elenden Gemäuer würde sie trübsinnig und in ihrem Zustand sogar krank.« Dionysia von Kerlings Worte klangen einleuchtend, doch Irmela konnte ihre Ansicht nicht teilen.

Unterdessen hatten die Männer die Kutsche gewendet und die Pferde wieder vorgespannt. Abdur kam auf die Frauen zu und wies auf den offenen Schlag. »Ich bitte die Damen, wieder Platz zu nehmen. Im Wagen ist es doch ein wenig angenehmer als im Freien.«

»Und ich soll nicht einsteigen?«, fragte Fanny naserümpfend.

Abdur blickte sie erstaunt an. »Doch, natürlich! Warum fragst du?«

»Weil du nur von den Damen gesprochen hast. Ich aber bin nur die Zofe.« Ohne Abdur Gelegenheit zu geben, darauf zu antworten, stieg Fanny in den Kutschkasten und bemerkte erst, als sie sich aufquiekend auf das nasse Polster setzte, dass sie sich vorgedrängt hatte. Nun zog sie den Kopf ein.

»Ich bitte die Damen zu entschuldigen, dass ich als Erste eingestiegen bin. Aber dieses nutzlose Stück Holzkohle hat mich zu sehr geärgert.«

Irmela blickte sie fragend an. »Warum tust du das?«

»Es war wirklich keine Absicht!«, rief Fanny beschwörend.

»Das meine ich nicht. Ich will wissen, warum du Abdur mit so hässlichen Ausdrücken belegst. Warum beleidigst du ihn ständig? Er ist trotz seiner dunklen Hautfarbe ein guter Mensch, vor dem du Achtung haben solltest.«

Innerlich gab Fanny ihrer Herrin recht. Dennoch warf sie trotzig den Kopf hoch. »Er ärgert mich halt.«

»Dich kümmert es jedoch nicht, ob du mich damit ärgerst!« Diesmal lag eine gewisse Schärfe in Irmelas Worten. Sie fasste Fannys Hand und zog sie so zu sich herum, dass sie ihr in die Augen blicken musste. »Ohne Abdur wären wir in größten Schwierigkeiten. Weder Frau von Kerling noch ich sind es gewohnt, solch weite Fahrten zu planen, und von den anderen Männern beherrscht ebenfalls niemand diese Kunst. Daher bin ich sehr froh, Abdur bei uns zu haben.«

»Ich auch!«, warf Dionysia von Kerling lobend ein. Abdur hatte ihre Achtung durch die Fürsorge erworben, die er ihr und Irmela, aber auch Fanny zukommen ließ.

Die Zofe sah sich in eine Ecke gedrängt und fauchte. »Ich mag ihn halt nicht! Aber da Ihr es wünscht, werde ich in Zukunft meinen Mund halten.« Dann kniff sie deutlich sichtbar die Lippen zusammen.

In Irmelas Augen benahm Fanny sich wie ein kleines Kind, und sie überlegte, wie sie ihre Zofe von Abdurs Qualitäten überzeugen konnte. Gerade als ihr eine Idee kam, wie sie es beginnen konnte, ohne Fannys Widerspenstigkeit zu reizen, steckte der Mohr den Kopf zum Schlag herein.

»Ich habe in Langegg eine Herberge gesehen, in der wir unterkommen könnten. Daher schlage ich vor, dorthin zurückzukehren. Einfach aufs Geratewohl weiterzufahren, halte ich für wenig sinnvoll.«

»Du hast recht. Ich werde froh sein, wenn ich aus den nassen Sachen herauskomme, sonst werde ich noch krank.« Irmela nickte dem Burschen zu und fachte Fannys Eifersucht auf Abdur erneut an.

»Ich vermag Euch einen Trunk zu bereiten, der das Fieber fernhält. Er stammt von meiner Großmutter, die jedes Kräutlein in Wald und Flur kannte.«

»Danke, das wäre sehr lieb von dir. Du solltest aber genug davon brauen, damit auch unsere Begleiter einen Becher davon bekommen.« Irmela nickte anerkennend, doch die Zofe machte nur eine wegwerfende Handbewegung.

»Männer haben eine dicke Schwarte, und dieser Kaminkehrer sowieso.«

Irmela richtete sich zornig auf. »Jetzt reicht es, Fanny!«

Ihre Zofe begriff, dass es besser war zu schweigen, und starrte auf das regennasse Land hinaus, durch das sich die Straße wie ein schlammiger Bach wand, in dem die Pferde bis zu den Fesseln einsanken.

Allen in der Kutsche schien es, als gäbe es nichts mehr um sie außer Wasser, und Irmela fragte sich, ob die Beschreibungen der Hölle vielleicht falsch sein mochten. Zumindest der Weg dahin schien aus Kälte und alles durchdringender Nässe zu bestehen. Als Langegg endlich vor ihnen auftauchte, empfand sie es beinahe wie ein Wunder.

Das Dorf war kaum größer als jenes, das zu Harlau gehörte, und die Herberge wirkte nicht so, als ob tagtäglich edle Gäste in ihr einkehrten. Aber sie versprach ein Feuer, an dem sich alle wärmen und trocknen konnten. Ehe der Kutscher seine dampfenden Pferde zum Stehen gebracht hatte, sprang Abdur von dem kleinen Podest, das hinten an der Kutsche angebracht war, und rannte durch den aufspritzenden Matsch zur Tür. Auf sein Klopfen hin steckte ein Mann seinen Kopf zur Tür heraus, schätzte die Reisegesellschaft ab und rief ein paar Befehle ins Haus.

Beinahe im gleichen Augenblick stürzte ein junger Bursche ins Freie, der sich gegen die vom Himmel stürzenden Fluten mit einem Umhang aus Stroh gewappnet hatte. »Wünschen die Herrschaften hier abzusteigen?«

Seine Frage war überflüssig, denn den erschöpften Pferden konnte man ansehen, dass sie keine Meile mehr würden laufen können. Abdur nickte und ließ eine Münze zwischen seinen Fingern aufblitzen.

Das Gesicht des Burschen hellte sich sofort auf. »Wenn die Herrschaften noch einen Augenblick warten wollen! Ich hole Decken, damit Eure Hoheiten trocken in die Wirtsstube kommen. Dort setzt meine Mutter bereits den Würzwein an, der die klammen Glieder wärmt.« Noch während er die Worte hinausstieß, trat er ins Haus und kam mit zwei gewalkten Pferdedecken zurück.

Irmela und Frau von Kerling waren zwar nass bis auf die Haut, genossen es aber trotzdem, die paar Schritte von der Kutsche zur Herberge gut eingehüllt zurückzulegen, während Fanny wie ein Reh durch die Pfützen sprang und als Erste den warmen Flur erreichte.

»Wo kann ich die Pferde unterbringen? Sie brauchen Hafer und müssen gut abgerieben werden«, rief der Kutscher, der zuerst an seine Tiere dachte.

Der Wirtsjunge wandte sich kurz zu ihm um. »Unser Stall ist groß genug. Aber einer von euch muss mir helfen.«

»Ich komme mit«, bot Abdur an.

Der Kutscher schüttelte den Kopf. »Kümmere du dich um die Damen und sorge dafür, dass ein großer Krug Wein für mich bereitsteht. Meine Gäule versorge ich immer noch selbst.«

Da die beiden Reiter ihre Tiere ebenfalls in den Stall brachten und der Gehilfe des Kutschers begann, das Gepäck abzuladen, griff Abdur an dieser Stelle zu und brachte die mit geöltem Leder bespannten Reisekisten ins Trockene. Vom Flur aus sah er, wie Irmela zitternd die Arme um sich schlug. Eine dickliche Frau in einem schlichten Wollrock und einer gewirkten Weste reichte ihr daraufhin einen Becher mit einer dampfenden Flüssigkeit.

»Trinkt, Fräulein! Das hier wird Euch aufwärmen.«

Irmela ergriff das Gefäß und setzte es so hastig an, dass sie sich die Lippen verbrannte.

»Vorsicht! Der Trank ist sehr heiß«, warnte die Wirtin etwas zu spät.

Irmela bedachte die Frau mit einem ärgerlichen Blick, deutete aber mit der freien Hand auf ihr nasses Kleid. »Sie soll uns Zimmer anweisen und ihren Knechten befehlen, meine Reisekisten hineinzubringen! Meine Begleiterinnen und ich müssen uns umziehen.«

»Das wird sogleich geschehen«, versprach die Wirtin und reichte auch Frau von Kerling und Fanny je einen dampfenden Becher. Abdur konnte das lederne Trinkgefäß, das die Frau ihm hinhielt, gerade noch auffangen, denn sie blickte im gleichen Augenblick in sein Gesicht und schrie auf. »Jesses Maria und Josef, das ist ja ein Schwarzer!«

Ihr Ausruf war wohl im Nebenzimmer zu hören gewesen, denn die Tür sprang auf und ein Offizier in einem abgeschabten Uniformrock steckte neugierig den Kopf heraus. »Abdur? Wie kommst du denn in diese abgelegene Gegend?«

Irmela drehte sich um, starrte den Mann verwundert an und brauchte einen Augenblick, bis sie den früher so gepflegt wirkenden Hauptmann erkannte. Verwundert trat sie auf ihn zu. »Ludwig von Gibichen! Bei Gott, das ist ja eine Überraschung.«

Als er Irmela so unvermittelt vor sich sah, überlief es Gibichen heiß und kalt, und er ergriff ihre Hand so hastig, als wäre sie ein Seil, mit dessen Hilfe er ein rettendes Ufer erreichen konnte.

»Irmela … Verzeihung, ich wollte sagen, Komtesse Hochberg. Welch eine Freude, Euch hier zu treffen! Vielleicht gibt es jetzt doch noch Hoffnung.«

Irmela wollte verblüfft fragen, was er damit meinte, doch Gibichen warf einen beredten Blick auf die Wirtin, trat dicht an sie heran und dämpfte seine Stimme. »Es gibt sehr viel zu berichten, doch das möchte ich tun, wenn wir allein sind.«

»Ein Tête-à-Tête in dieser Herberge? Für was haltet Ihr mich?«, fuhr Irmela empört auf.

Gibichen winkte mit beiden Händen ab. »Das, was ich zu sagen habe, müssen auch diejenigen unter Euren Begleitern erfahren, denen Ihr vertrauen könnt.«

»Ich vertraue allen, die bei mir sind!« Irmela nickte noch einmal bekräftigend, denn sie hatte Frau von Kerling inzwischen den Verrat verziehen, und was Fanny und Abdur betraf, so würde sie ihnen ihr Leben anvertrauen. Die anderen vier waren von schlichterem Gemüt, aber sie hatten sich während der Reise als treu und zuverlässig erwiesen. Trotzdem wollte sie die Männer bis auf Abdur nicht mithören lassen, was Gibichen ihr mitzuteilen hatte.

»Gibt es hier einen Raum, in dem wir unbehelligt miteinander reden können?«, fragte sie ihn.

Gibichen nickte. »Das Nebenzimmer hier. Es gibt dort sogar einen Kamin, und wenn wir nicht allzu laut reden, wird uns niemand belauschen können. Vorher solltet Ihr Euch jedoch umziehen, sonst holt Ihr Euch noch den Tod.«

»Also geduldet Euch noch ein wenig, mein Herr!« Irmela kehrte Gibichen hoheitsvoll den Rücken zu und bat die Wirtin, sie auf ihr Zimmer zu führen.

Die Feuerbraut
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