I.

Irmela blickte empört auf den Rücken der Magd, die sich mit schnellen Schritten entfernte. Hatte das Weib sich doch in schnippischem Tonfall geweigert, ihr das Waschwasser zu holen, und war unter dem Vorwand, einen Auftrag von Ehrentraud von Lexenthal erfüllen zu müssen, einfach weitergegangen. Das war ihr in den zwei Monaten, die sie nun mit Meinarda, Helene und den anderen in diesem Haus weilte, noch nicht passiert. Zwar hatte es immer wieder Ärgernisse gegeben, aber so offen hatte man ihr bisher nicht den Gehorsam verweigert. Das Gesinde sah Helene von Hochberg als Besitzerin des Gutshofs an und behandelte sie, als sei sie die Herrin. Irmela hingegen wurde mehr und mehr missachtet. Dabei gehörte das Anwesen ihr, Komtesse Irmela von Hochberg und Herrin zu Karlstein.

Von einem älteren Knecht hatte sie erfahren, dass der Gutshof, der in einem Seitental der Waldberge lag, in friedlicheren Zeiten eine der ertragreichsten Liegenschaften ihrer Familie gewesen war. Die Verwalter hatten gutes Bauholz schlagen und über die nahe Ilz bis Passau bringen lassen, um es gleich dort zu verkaufen oder ins Österreichische bis nach Linz oder Wien schaffen zu lassen. In diesen Zeiten fuhren jedoch keine Flöße mit mächtigen Baumstämmen gen Osten, denn der Krieg fraß alle Mittel auf, und für die Errichtung von Kirchen und Palästen fehlte allenthalben das Geld. Nun wurde Holz für Gussöfen und Schmieden gebraucht, doch dafür waren die mächtigen Stämme der Waldberge zu schade. Daher verkaufte der jetzige Verwalter geringere Bäume als Brennholz, um sich und seine Untergebenen, vor allem aber Helene, die er hofierte, und ihre Gäste nicht darben zu lassen.

Irmelas Stiefgroßmutter war es gelungen, von den Behörden in Passau und dem Rentamt, zu dem die Liegenschaft gehörte, als Vormund der Komtesse akzeptiert zu werden, und so hatte man ihr die Verfügungsgewalt über den Besitz zugesprochen. Nun hielt sie das Heft in der Hand, und das störte Irmela mehr als die Herrschaft ihrer Stiefgroßmutter über ihre Kasse. Der Vorfall mit der Magd war nur der letzte von all jenen, die ihr das Schwinden ihres Ansehens vor Augen geführt hatten. Im selben Maße, wie ihr Einfluss zurückging, baute Johanna den ihren aus, indem sie auf ihre Stellung als Tochter der Herrin pochte. Sie und Helene umsorgten Ehrentraud wie Glucken und vermittelten dem Gesinde, dass die Verletzte ein hochgeschätzter Gast sei, dem man nicht widersprach, während sie Meinarda von Teglenburg gerade noch die nötige Höflichkeit zuteil werden ließen und Walburga Steglinger beinahe wie eine Magd behandelten.

Ärger und düstere Betrachtungen, stellte Irmela ironisch fest, verhalfen ihr auch nicht zu dem gewünschten Waschwasser, und sie fragte sich, ob sie eine andere Magd rufen oder das Wasser lieber selbst holen sollte. Da hörte sie Johannas Gelächter durch die Gänge hallen. Ihre Tante schien über irgendetwas zu spotten, und Irmela hätte wetten mögen, dass entweder sie, Meinarda oder Walburga der Grund für das höhnische Lachen gewesen waren.

Lauschen gehörte sich für eine sittsame Jungfer eigentlich nicht. Dennoch schlich Irmela zur Tür, hinter der nun Helenes Stimme aufklang. »Sie muss ein Wechselbalg sein! Alle Hochbergs waren stattliche Gestalten, sogar mein Mann, obwohl er bei unserer Hochzeit schon ein Greis mit krummem Rücken gewesen ist. Irmhilde von Hochberg galt als eine der schönsten Frauen der Region, und es ist kaum zu glauben, dass ein so hässliches Ding wie Irmela die Tochter meines Stiefsohns und seiner Gattin sein soll.«

Also bin ich mal wieder das Opfer, dachte Irmela erbittert. Ein Teil von ihr drängte sie, die Tür aufzureißen und der gehässigen Frau zu sagen, was sie von ihr hielt. Helene würde sie dafür jedoch von den Mägden in ihre Kammer zurückbringen lassen und wieder zu Zimmerarrest verurteilen. Das letzte Mal hatte man ihr in dieser Zeit nur jene Gerichte vorgesetzt, die sie verabscheute. Mit dem Wissen, dieser impertinenten Person hilflos ausgeliefert zu sein, setzte sie sich auf ihr Bett und kämpfte mit den Tränen. Kurz darauf gingen Helene und Johanna draußen vorbei in Richtung ihrer Zimmer. Irmela hatte man direkt über dem Eingang in einem Zimmer neben der Treppe untergebracht, in dem sie jedes Geräusch aus den Fluren, dem Dienstbotentrakt und der Küche hörte. Selbst einen Menschen mit weniger empfindlichen Sinnen mussten das ständige Türenschlagen, die schrillen Stimmen der Mägde und das Getrampel im Treppenhaus stören. Dazu klapperte der Fensterladen, wenn der Wind daran vorbeistrich.

Zunächst hatte Irmela geglaubt, man habe ihr zufällig diese Kammer zugeteilt. Inzwischen aber hatte sie herausgefunden, dass Johanna das ausgeheckt hatte. Ihre Tante nutzte den Schutz und die Macht ihrer Mutter, um sich für die jahrelange Missachtung an ihr zu rächen, die ihr von seiten Ottheinrichs von Hochberg zuteil geworden war. Offensichtlich war es ihr auch gelungen, ihre Mutter gegen sie zu beeinflussen, denn deren Haltung hatte sich seit den Tagen auf der Donau stark verändert. Damals hatte Helene sie umschmeichelt und alles getan, damit sie die Anstrengungen der Reise unbeschadet überstand, doch nun hielt sie es nicht mehr für nötig, auch nur die geringste Höflichkeit aufzubringen. Sie behandelte sie wie eine arme Verwandte, die man aus Gnade und Barmherzigkeit aufnimmt und als höheren Dienstboten benutzt.

Irmela fragte sich, ob es wohl anders gekommen wäre, wenn Hauptmann Kiermeier und Fabian länger hätten bleiben können. In diesem Krieg wurden jedoch alle Offiziere benötigt, und deswegen war Anselm Kiermeier zwei Tage nachdem er die Reisegruppe hierhergebracht hatte wieder aufgebrochen und hatte Fabian mitgenommen. Ihr einstiger Spielkamerad musste froh sein, in ihm einen Förderer gefunden zu haben, denn als Edelmann ohne Besitz und einflussreiche Gönner bei Hofe war er darauf angewiesen, beim Heer Karriere zu machen. Obwohl er sich während ihrer Reise mehr um Johanna und Ehrentraud gekümmert hatte, verspürte Irmela noch immer den Schmerz des Abschieds. Außer ihrem Vater hatte es keinen Menschen gegeben, dem sie ähnlich zugetan war wie ihm. Vielleicht, dachte sie, war er für sie der Bruder gewesen, den sie sich immer gewünscht hatte.

Das Anschlagen des Türklopfers riss Irmela aus ihrem Sinnieren. Erwartungsvoll schaute sie auf, obwohl ihre Ohren von dem durchdringenden Lärm halb taub waren. Es kamen nur selten Gäste hierher, daher sehnte sie sich nach einer Abwechslung in dem düsteren Alltagseinerlei. Nun erwartete sie, die Schritte einer Magd zu vernehmen, die zur Tür ging und nachsah, wer da Einlass begehrte. Aber unter ihr blieb es still, und kurz darauf wurde der Türklopfer mit noch größerer Wucht auf die Platte gestoßen.

Da auch jetzt niemand erschien, verließ Irmela seufzend ihre Kammer und eilte die Treppe hinab. Sie wollte schon den Riegel zurückschieben, hielt jedoch in der Bewegung inne. In diesen unsicheren Zeiten wusste man besser vorher, wer Einlass begehrte. Daher öffnete Irmela die handgroße Klappe, die in Augenhöhe eines Mannes in die Tür eingelassen war, und stellte sich auf die Zehenspitzen, um hinausschauen zu können.

Als sie keine beutegierigen Schweden oder rebellischen Bauern erblickte, sondern zwei Männer, deren Tracht sie als gelehrte Herren auswies, atmete sie auf. Das mussten die Ärzte sein, die der Prior Xaver von Lexenthal seiner Nichte versprochen hatte. Sie schickte ein Stoßgebet zur Himmelsjungfrau, den Männern zu helfen, der Verunstalteten wenigstens einen Teil ihrer einstigen Schönheit wiederzugeben. Sie war der Klagen und des ständigen Jammerns der jungen Frau überdrüssig und wusste, dass es allen anderen mit Ausnahme von Johanna und Helene ebenso erging. Für ihre feinen Sinne wurde jeder von Ehrentrauds Verzweiflungsausbrüchen und Tobsuchtsanfällen zur Qual, denn das Geschrei hallte aus jedem Winkel des Hauses zurück und war sogar noch in den Ställen zu vernehmen, in die sie sich in ihrer Not ein paarmal verkrochen hatte. Manchmal bedauerte sie sogar, nicht über das robuste Gemüt und die abgehärteten Sinne zu verfügen, die Helene ihrer Tochter vererbt hatte.

Wieder in ihre Gedanken verstrickt, vergaß Irmela zu öffnen und wurde durch ein ärgerlich klingendes Anschlagen des Türklopfers aufgeschreckt. »Ich bin ja schon da!«, rief sie und schob den Riegel zurück.

Die Tür schwang unter dem eigenen Gewicht auf, und sie sah die beiden Männer sich bei ihrem Anblick aufplustern. Hatte sie zuerst angenommen, die Gelehrten gehörten zusammen, bemerkte sie nun die hasserfüllten Blicke, mit denen sie einander maßen. Jeder versuchte, den anderen beiseite zu schieben, um als Erster eintreten zu können. Dabei bedachten sie einander mit Verwünschungen, die so gar nicht in den Mund gelehrter Herren passten. Anscheinend hatten die Besucher einige Jahre an Kriegszügen teilgenommen und sich neben anderen Unarten auch die gotteslästerlichen Flüche der Söldner angewöhnt.

Irmela hielt die Tür offen und fragte sich, wann die beiden endlich entscheiden würden, wer den Vortritt haben sollte. Dabei fand sie genug Zeit, die Herren zu mustern. Der eine Gelehrte war mittelgroß, untersetzt und hatte ein rundliches, gutmütig wirkendes Gesicht, das aber nun vor Zorn gerötet war. Der andere war ein baumlanger, hagerer Mensch mit scharf geschnittenen Zügen, der seinen Kollegen von oben herab musterte, als habe er es mit einem schleimigen Wurm zu tun.

»Gib endlich den Weg frei, du Kurpfuscher!«, schrie der Lange.

»Niemals!« Der Untersetzte stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen seinen Kollegen und bog ihn schließlich wie eine dünne Rute zur Seite, so dass er an ihm vorbei durch die Tür schlüpfen konnte. Mit triumphierender Miene wandte er sich an Irmela. Da er im Halbdunkel des Flures ihre Kleidung nicht erkennen konnte, hielt er sie für eine Magd.

»Melde mich deiner Herrin! Ich bin Wendelin Portius von Hohenkammer, Doktor der Medizin, Astronom und Alchemist. Der preiswürdige Prior Xaver von Lexenthal schickt mich, seiner Nichte beizustehen.«

Der Hagere unterbrach ihn mit einem zornigen Schnauben. »Pah! Du hast dich mit Lügen über dein angebliches Können in das Vertrauen des Priors eingeschlichen! Mit deiner Kunst kannst du niemand helfen, am allerwenigsten einem jungen Weib, das ein so schweres Schicksal erlitten hat wie die Nichte meines Auftraggebers.« Erst nach diesem Ausfall gegen seinen Konkurrenten schien er sich daran zu erinnern, dass er seinen Namen noch nicht genannt hatte, und blickte Irmela hochmütig an.

»Vor dir siehst du Bertram Lohner, Arzt, Chirurg und erfahren darin, Narben und andere störende Male zu beseitigen.«

Irmela fand keinen der beiden Männer sympathisch und hoffte, dass deren Vertrauen in die eigene Kunst gerechtfertigt war. Wenn sie Ehrentraud enttäuschten, würden alle Bewohner des Gutshofs bis hinab zum Schweinejungen diese Niederlage ausbaden müssen. Deswegen bemühte sie sich um einen freundlichen Ton und bat die beiden, einen Augenblick zu warten. »Gleich wird eine Magd kommen und sich Eurer annehmen.«

»Ich verlange, von der Herrin empfangen zu werden!« Wendelin Portius zog einen Schmollmund.

Irmela verkniff sich jede Bemerkung und lief los, um eine Magd zu suchen, die die beiden einander erneut beschimpfenden Herren zu Helene geleiten sollte.

Die Feuerbraut
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