I.

Irmela wachte am späten Vormittag mit dem Gefühl auf, ihr Kopf müsse jeden Augenblick platzen. Mühsam erinnerte sie sich an Albert von Rain, der seine Hochzeit mit Walburga kräftig gefeiert und dabei die Gäste immer wieder dazu angehalten hatte, mit ihnen anzustoßen. Sie selbst hatte ein paar Gläser Wein mehr getrunken, als sie gewohnt war, und bekam nun die Folgen zu spüren. Ihr war übel, und sie fragte sich, was Menschen daran finden mochten, sich zu betrinken, wenn das Erwachen am nächsten Tag so unangenehm war.

»Na, endlich ausgeschlafen?« Fanny steckte den Kopf zur Tür herein, nahm Irmelas elenden Zustand wahr und seufzte. »Wenn Ihr den Wein nicht vertragt, solltet Ihr ihn lieber aus dem Leib lassen. Ich musste Euch in der Nacht zu Bett bringen wie ein kleines Kind. Ihr konntet Euch nicht einmal mehr selbst zudecken.«

»So schlimm war es gewiss nicht.« Irmela stöhnte, denn Fannys Stimme stach ihr wie Messerspitzen ins Gehirn.

»O doch! Ich war schon kurz davor, Abdur zu bitten, mir zu helfen, Euch ins Zimmer zu bringen, denn ich musste Euch halb tragen.« Fanny klang ein wenig beleidigt, denn sie hatte eigentlich Dank für ihre Mühen erwartet. »Frau Meinarda und Walburga sind schon lange wach und haben bereits gefragt, wo Ihr so lange bleibt.«

Irmela quälte sich aus dem Bett und sah sie mit weit aufgerissenen Augen an. »Sag bloß, ich soll heute sticken?«

»Davon haben sie nichts gesagt. Sie wollten nur wissen, wie es Euch geht.«

»Scheinheilige Biester! Die haben mich doch zum Trinken überredet. Ich wollte ja gar nicht. Hast du das Waschwasser dabei?«

Der abrupte Themenwechsel überraschte Fanny wenig. Sie kannte ihre Herrin und deren kleine Schwächen gut und wusste damit umzugehen. »Eine Magd bringt es gleich. Ich wollte zuerst die Kleider herauslegen, die Ihr heute tragen werdet.«

»Nimm ein düsteres, am besten ein Büßergewand«, stöhnte Irmela, der noch übler zu werden begann. »Ich weiß nicht, was Herr von Rain sich denkt, seinen Gästen so schlechtes Zeug vorzusetzen. Da muss sich einem ja der Magen herumdrehen.«

»Andere vertragen es halt«, spottete Fanny, um sofort wieder ernst zu werden. »Am besten, Ihr lasst das Trinken in Zukunft sein, da es Euch nicht bekommt. Ich bin ohnehin der Ansicht, dass Wein nur etwas für Männer ist, auch wenn die nach zu viel Trinken ihre Beherrschung verlieren und eher Tieren gleichen als dem Ebenbild Gottes.«

Die Zofe musste an den Bauern denken, den sie hätte heiraten sollen und der schon vorher von ihr Dinge verlangt hatte, die man der heiligen Kirche zufolge nur im Ehebett tun sollte. Der Mann war betrunken gewesen und hatte alle Hemmungen verloren. Fanny erinnerte sich nur noch mit Grausen an jene Nacht und war, wenn sie es recht bedachte, nun sehr froh, dass die Ehe wegen der entstellenden Verletzung, die sie sich kurz danach zugezogen hatte, nicht zustande gekommen war. Unbewusst berührte sie die Narbe mit den Fingerspitzen ihrer rechten Hand und wunderte sich, wie glatt und samtig die Stelle geworden war.

»Bertram Lohner ist ein Meister seiner Kunst. Er hätte auch Fräulein Ehrentraud helfen können. Doch der war selbst das bisschen Schmerz bei der Operation zu viel.«

Irmela begriff, dass ihre Zofe einem kaum nachzuvollziehenden Gedankensprung erlegen war, wie es ihr selbst häufig passierte, und lächelte trotz ihres schlechten Zustands. Dann musste sie an Ehrentraud denken und wurde wieder ernst. »Wie mag es ihr gehen?«

»Wem?« Fanny riss verwundert die Augen auf, denn sie hatte ihre Worte bereits wieder vergessen.

»Ehrentraud! Weißt du, es mag lächerlich klingen, aber ich mache mir Vorwürfe, sie mit Helene und Johanna allein gelassen zu haben. Ich traue den beiden zu, dass sie sie mit bösen Bemerkungen verletzen und schlecht behandeln.«

Fannys wegwerfende Handbewegung fiel heftig aus. »Um die braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen. Helene kümmert sich wie eine Glucke um sie, weil sie sich das Wohlwollen des Priors Lexenthal erhalten will, und Johanna – nun, Ihr wisst ja selbst, was sie und Ehrentraud miteinander treiben.«

In ihrer Stimme schwang abgrundtiefe Verachtung für das, was die beiden jungen Frauen taten. Es war eine Sünde, die ihnen gewiss etliche Jahrhunderte Fegefeuer einbringen würde. Von solchen Menschen musste man sich fernhalten, um nicht selbst beschmutzt zu werden. Aus diesem Grund war Fanny auch nicht glücklich darüber, dass ihre Herrin Fabian heiraten wollte. Der hatte es mit der Entstellten getrieben, und auch sonst war der Lebenswandel des jungen Mannes nicht der beste. Nach dem, was sie aufgeschnappt hatte, musste es in seinem Leben neben Gräfin Stephanie und Ehrentraud auch noch eine gewisse Gerda gegeben haben, ein Weib mit einem entsetzlich schlechten Ruf.

Dann aber wurde ihr bewusst, dass es wohl keinen Mann gab, der ein gottgefälliges Leben führte, und sie zuckte mit den Schultern. »Eigentlich sollte man sie alle in einen Sack stecken und in die Donau werfen!«

»Heute sprichst du in Rätseln«, antwortete Irmela.

Als Fanny erklären wollte, was sie meinte, erschien eine Bedienstete mit einem Eimer warmen Wassers und füllte die Waschschüssel. Das erinnerte die Zofe an ihre Pflichten. »Raus aus dem Hemd und dann kräftig gerubbelt! Das bringt den Körper auf Trab, hat meine Mama immer gesagt.«

Fanny nahm einen rauhen Lappen, tauchte ihn in das Wasser und gab ein wenig Seife darauf. »Glaubt Ihr, dass Herr von Gibichen für Gräfin Stephanie etwas in Wien erreichen konnte?«, fragte sie, während sie Irmela den Rücken wusch.

»Ich will es hoffen! Eigentlich wollte er ja bis zur Hochzeit wieder zurück sein. Walburga und Herr von Rain waren ein wenig enttäuscht, weil er ihre große Feier versäumt hat.« Irmela gestand sich im Stillen ein, dass sie den hochgewachsenen, wortkargen Hauptmann ebenfalls vermisste. Zwar hatte sie mit Fabian und Stephanie zwei Gesprächspartner, die sich eifrig bemühten, ihr alles zu Gefallen zu tun, doch das Verhältnis zwischen ihnen konnte man zumindest als seltsam bezeichnen. Mit ihr war Fabian verlobt, gleichzeitig aber war er der Vater von Stephanies Kind. Nun hing er zwischen diesen gegensätzlichen Verpflichtungen, ohne sich entscheiden zu dürfen. Stephanie war weder ihr noch ihm eine Hilfe, denn sie floss vor Dankbarkeit über und hätte wohl auch noch auf ihre ewige Seligkeit verzichtet, nur um ihre Retterin zufriedenzustellen.

»Das Schicksal stellt die Menschen auf seltsame Proben.« Irmela schüttelte nachdenklich den Kopf und zog sich damit eine Rüge von Fanny zu, die gerade ihre dichten Haare mit einem Kamm zu entwirren versuchte. Zu mehr als ein paar tadelnden Worten kam die Zofe jedoch nicht, da im Burghof Hufschläge und rauhe Stimmen aufklangen.

Irmela erschrak. »Hoffentlich sind das keine Schweden!«

Fanny eilte ans Fenster. »Den Uniformen nach sind es die Unseren. Aber ich kann nicht erkennen, zu welchem Regiment sie gehören.«

»Wahrscheinlich zu Franz von Rains«, antwortete Irmela gleichgültig.

Ihre Zofe schüttelte den Kopf. »Deren Abzeichen könnte ich mit verschlossenen Augen malen, so oft habe ich mir beim Nähen der Uniformen die Finger wund gestochen. Die hier tragen andere Farben, und es sind drei Mönche dabei.«

»Wahrscheinlich Gäste für Herrn von Rain, die uns nichts angehen«, sagte Irmela und befahl Fanny unwirsch weiterzumachen.

Die Zofe kehrte zögernd zurück und bearbeitete Irmelas Haare mit der Bürste. Sie war noch nicht fertig, als es an die Tür klopfte und Meinarda eintrat. Ihr Gesicht war schneeweiß, und ihre Augen flackerten.

Gleichzeitig hörte Irmela schwere Männerschritte auf ihre Kammer zukommen.

»Was ist denn los?«, fragte sie verärgert.

Meinarda brauchte einige Augenblicke, bis sie reden konnte. »Da sind Leute gekommen, die dich verhaften wollen. Ich habe nicht alles begriffen, was ihr Anführer sagte, aber es soll sich um eine schwere Anklage handeln.«

Irmela sah ihrer Freundin an, dass diese nicht die ganze Wahrheit sagte. Meinarda wusste mehr, schien es aber selbst nicht begreifen zu können.

»Ich verstehe nicht, was das soll! Ich habe gewiss nichts angestellt.« Irmela stand auf und befahl Fanny, sie anzukleiden.

»Du solltest dich beeilen, sonst kommen die Soldaten herein und nehmen dich so mit. Außerdem darfst du dein Fenster nicht öffnen.«

Meinardas Worte entlockten Irmela ein Lachen. »Haben die etwa Angst, ich könnte ihnen davonfliegen?«

Das leichte Nicken ihrer Gastgeberin ließ Irmela plötzlich frieren. Ihre Mutter war als Teufelsbuhle beschuldigt und beinahe verhaftet worden, und ihr hatte Johanna immer wieder vorgeworfen, eine Hexe zu sein. Im Haus über dem Strom und auch auf dem Gutshof hatte sie sogar beinahe selbst daran zu glauben begonnen, doch inzwischen war sie zu der Überzeugung gekommen, dass sie ein normaler Mensch war und eine gläubige Angehörige der heiligen katholischen Kirche. Sie mochte zwar ungewöhnliche Fähigkeiten haben, aber mit Zauberdingen hatte sie sich nie abgegeben und auch keinem Menschen je Schaden zugefügt.

Es schien, als habe sie einen Fehler gemacht, als sie nach ihrem Gespräch mit Wallenstein nicht sofort nach Passau zurückgekehrt war. Dadurch hatte sie Helene und Johanna die Gelegenheit geboten, ihr einen Strick zu drehen. Nun wünschte sie sich für einen Augenblick, sie besäße jene bösen Kräfte, die man ihr vorwarf. Dann würde sie tatsächlich davonfliegen und ihren angeheirateten Verwandten all das heimzahlen, was diese ihr angetan hatten.

Irmela war aber auch klar, dass sie keine Zeit hatte, ihren Gedanken nachzuhängen. Rasch schlüpfte sie in all die Unterkleider und ein Gewand, das ihrem Stand angemessen war, ließ sich von Fanny die Knöpfe schließen und trat mit einer Haltung verletzten Stolzes auf den Flur.

Ein Blick in die eingefrorenen Gesichter der Soldaten ließ ihren Mut sinken. Ein junger Mönch im Habit der Dominikaner trat ihr mit einem silbernen Kruzifix in der Hand entgegen und murmelte lateinische Formeln, die sie nicht verstand.

»Was soll das Ganze?«, fragte sie wütend.

»Sei still, Hexe!«, fuhr der Mönch sie an und wandte sich an die Soldaten. »Bindet ihr die Hände auf den Rücken und knebelt sie, damit sie uns nicht verfluchen kann.«

Irmela kam nicht mehr dazu zu protestieren, da ihr zwei Männer die Arme schmerzhaft nach hinten bogen, während ein Dritter ihr einen ledernen Knebel in den Mund schob und dessen Enden in ihrem Nacken verknotete. Ihre Hände wurden mit einem rauhen Strick gefesselt und die Augen verbunden. Dann schleiften die Soldaten sie wie ein Gepäckstück mit sich. Fanny hatte wie erstarrt dagestanden, aber nun wollte sie Irmela folgen. Einer der Soldaten stieß sie jedoch rüde zurück. Bevor die Zofe wütend auf ihn losgehen konnte, packte Meinarda sie und drückte sie in eine Ecke.

»Willst du, dass sie auch dich verhaften?«, raunte sie Fanny ins Ohr.

»Die Komtesse braucht mich!«

»Närrin! Du würdest ihr nicht helfen können, sondern selbst ein hilfloses Opfer dieser Kerle werden. Irmela wird wenigstens noch durch ihren hohen Rang geschützt. Mit dir aber können sie verfahren, wie es ihnen gefällt.«

Während Meinarda Fanny zurückhielt, erreichten die Soldaten mit Irmela die Treppe und ließen sie gegen die steinerne Brüstung prallen. Sie stöhnte vor Schmerz und wand sich unter dem harten Griff der Männer.

Von unten klang Herrn von Rains zornige Stimme auf. »Dies ist mein Haus und Komtesse Hochberg mein Gast! Wenn sie auf meinem Grund und Boden nicht mit der Achtung behandelt wird, die ihrem Rang gebührt, rufe ich meine Knechte und lasse euch samt euren Soldknechten davonjagen!«

Irmela war Albert von Rain dankbar, dass er sich für sie einsetzte. Gleichzeitig fragte sie sich, wer der Mann sein mochte, der es wagen konnte, sie in diesem Haus festzunehmen. Sie versuchte sich einzureden, dass sich das Ganze nur um ein Missverständnis handeln konnte, welches sich bei einem Gespräch mit demjenigen, der den Befehl zu ihrer Verhaftung gegeben hatte, rasch aufklären würde. Dann erinnerte sie sich an den Feuertod der alten, als Hexe beschuldigten Frau bei Passau, und eine Woge von Angst und Panik schwemmte alles Denken hinweg.

Die Feuerbraut
cover.html
titel.html
part1.html
chapter1.html
chapter2.html
chapter3.html
chapter4.html
chapter5.html
chapter6.html
chapter7.html
chapter8.html
chapter9.html
chapter10.html
chapter11.html
chapter12.html
chapter13.html
chapter14.html
chapter15.html
chapter16.html
chapter17.html
part2.html
chapter18.html
chapter19.html
chapter20.html
chapter21.html
chapter22.html
chapter23.html
chapter24.html
chapter25.html
chapter26.html
chapter27.html
chapter28.html
chapter29.html
chapter30.html
chapter31.html
chapter32.html
chapter33.html
chapter34.html
chapter35.html
chapter36.html
part3.html
chapter37.html
chapter38.html
chapter39.html
chapter40.html
chapter41.html
chapter42.html
chapter43.html
chapter44.html
chapter45.html
chapter46.html
chapter47.html
chapter48.html
chapter49.html
chapter50.html
chapter51.html
chapter52.html
chapter53.html
chapter54.html
chapter55.html
chapter56.html
part4.html
chapter57.html
chapter58.html
chapter59.html
chapter60.html
chapter61.html
chapter62.html
chapter63.html
chapter64.html
chapter65.html
chapter66.html
chapter67.html
chapter68.html
chapter69.html
chapter70.html
chapter71.html
chapter72.html
part5.html
chapter73.html
chapter74.html
chapter75.html
chapter76.html
chapter77.html
chapter78.html
chapter79.html
chapter80.html
chapter81.html
chapter82.html
chapter83.html
chapter84.html
chapter85.html
chapter86.html
chapter87.html
chapter88.html
chapter89.html
chapter90.html
chapter91.html
chapter92.html
part6.html
chapter93.html
chapter94.html
chapter95.html
chapter96.html
chapter97.html
chapter98.html
chapter99.html
chapter100.html
chapter101.html
chapter102.html
chapter103.html
chapter104.html
chapter105.html
part7.html
chapter106.html
chapter107.html
chapter108.html
chapter109.html
chapter110.html
chapter111.html
chapter112.html
chapter113.html
chapter114.html
chapter115.html
chapter116.html
chapter117.html
chapter118.html
chapter119.html
chapter120.html
chapter121.html
chapter122.html
chapter123.html
chapter124.html
chapter125.html
chapter126.html
chapter127.html
chapter128.html
chapter129.html
back1.html
back2.html
back3.html
back4.html
author.html
copyright.html