VIII.

In den nächsten Stunden saß Heimsburg wie auf glühenden Kohlen. Der Graf speiste mit ihm zu Abend und ergötzte sich daran, ihm mitzuteilen, auf welche Weise er seine Gefangenen umbringen wollte. Heimsburg wusste aus eigener Erfahrung, auf welch widerwärtige Weise Menschen gequält werden konnten, doch Harlaus Phantasie übertraf alles, was er bisher gehört oder gesehen hatte. Überdies ging der Graf davon aus, dass sein Gast nicht nur zuschauen, sondern die Drecksarbeit für ihn erledigen würde.

Lachend hob er ihm den Weinbecher entgegen. »Auf Euer Wohl, Heimsburg! Ihr seid genau der Mann, den ich brauche. Da ich alles tun muss, um einen Skandal zu vermeiden, darf ich keinen Foltermeister holen. Ihr werdet ihn trefflich ersetzen. Birkenfels muss leiden wie noch kein Mensch vor ihm, während mein Weib neben ihm ohne Hilfe niederkommt und dabei verendet wie ein Tier.«

Heimsburg sagte sich, dass Harlaus Geist aus den Fugen geraten sein musste, korrigierte seine Meinung jedoch sofort wieder. Der Verstand des Grafen hatte wahrscheinlich weniger gelitten als sein Stolz. Von sich und seiner Rolle am kaiserlichen Hof überzeugt, vermochte er die Demütigung, die seine Gemahlin ihm durch die Liebschaft mit einem schlichten Leutnant zugefügt hatte, nur zu verwinden, indem er sich zum Richter über Leben und Tod aufschwang.

Da Heimsburg noch in dieser Nacht zu entkommen hoffte, stimmte er ihm scheinbar freudig zu. »Ihr werdet mit mir zufrieden sein, Erlaucht, denn ich werde Birkenfels auch für all das bezahlen lassen, was er mir angetan hat.«

»Ich wusste von Anfang an, dass Ihr der richtige Mann für diese Aufgabe seid.« In Harlaus Worten schwang Verachtung.

Heimsburg war durchaus bewusst, dass der Graf ihn für eine Kreatur ohne Ehre hielt, und dachte an das dumme Gesicht, das Harlau nach dem Verschwinden seiner Gefangenen machen würde. Dabei spielte ein Lächeln um seine Lippen.

Harlau glaubte, sein Gegenüber freue sich darauf, den Liebhaber seiner Frau zu Tode zu quälen, und grinste amüsiert. Nach dem Ende der beiden im Kerker würde er an Heimsburg nicht mehr Gedanken verschwenden als an eine Laus, die man zerknackt.

Ein Blick auf die Standuhr, die sich an der Wand des kärglich eingerichteten Raumes befand, zeigte dem Grafen, wie spät es bereits geworden war.

»Es wird Zeit, zu Bett zu gehen«, sagte er und erhob sich.

Heimsburg stand so hastig auf, dass der Stuhl nach hinten fiel und das Poltern sich mit dem Schlag der Uhr mischte. Irmelas Leute mussten sich bereits auf dem Weg zur Burg befinden. »Ich werde mich auch hinlegen. Wenn ich Birkenfels schinden soll, brauche ich all meine Kraft!«

»Und ob Ihr ihn schinden sollt, mein Guter!« Harlau kicherte hämisch und befahl seinem Kammerdiener, ihm den Weg in sein Schlafgemach auszuleuchten.

Heimsburg nahm einen Kerzenständer zur Hand, als wolle auch er sich in seine Kammer begeben. Auf halbem Weg hielt er die Flamme in den Luftzug, so dass sie verlöschte, und blieb lauschend stehen. Außer dem Trippeln einer Maus war kein Geräusch zu vernehmen. Wahrscheinlich waren die Begleiter des Grafen von der Reise erschöpft und hatten sich den Wein einverleibt, den Paul heraufgebracht hatte. Die Burgknechte hatten gewiss wacker mitgehalten, und daher würde höchstens ein Mann Wache halten.

Heimsburg tastete sich an der Wand entlang zur Treppe und stieg vorsichtig ins Erdgeschoss hinab. Das Eingangstor des Palas war wie gewohnt unverschlossen, da die Knechte beim Wachwechsel nicht die schweren Eisenriegel beiseite schieben wollten, die trotz allen Einfettens durchdringend kreischten. Als er ins Freie trat, hielt er nach dem Nachtwächter Ausschau, der eben seine Runde machte.

Die Dunkelheit verbarg Heimsburg, erwies sich aber auch als Hindernis, da er sich an der Mauer entlangtasten musste, um die Wachkammer zu finden. Zu seiner Erleichterung erreichte er sie, bevor der Wächter von seinem Kontrollgang zurückkehrte, und versteckte sich hinter der Tür. Jetzt bedauerte er es, seinen Pallasch nicht aus der Kammer geholt zu haben, denn ein sauberer Hieb wäre ihm lieber gewesen, als den Mann mit bloßen Händen angehen zu müssen. Aber ihm blieb keine Zeit mehr, sich zu bewaffnen, denn Paul und seine Freunde würden bald da sein. Zum Glück für seine überreizten Nerven hörte er den Wächter kommen und drückte sich gegen die Wand hinter der Tür.

Der Kerl darf nicht schreien oder gar Alarm schlagen, fuhr es ihm durch den Kopf, und als der Knecht die Tür aufstieß und hereinstapfte, trat er hinter den Mann. Bevor der begriff, was geschah, legte er ihm die Hände um den Hals und drückte zu. Der Wächter versuchte noch, seinem Angreifer die kleinen Finger zu brechen, damit dieser loslassen musste, erschlaffte aber bald.

Heimsburg wartete, bis der Mann sich nicht mehr rührte, und ließ ihn zu Boden sinken. Er empfand keine Reue über diesen Mord, sondern eine gewisse Befriedigung. Schließlich hatte dieser Knecht ihn am meisten getriezt und verspottet. Nun musste er den Leichnam so beseitigen, dass niemand Verdacht schöpfte. Mit einem raschen Griff hob er die Laterne des Wächters auf, die zu erlöschen drohte, und stellte sie auf den Tisch. Dabei entdeckte er einen halbleeren Weinkrug, der ihn auf eine Idee brachte. Er leerte den Inhalt über dem Toten aus, schleppte diesen die Turmtreppe hinunter in einen abgelegenen Winkel und legte ihn dort so hin, als wäre der Mann im Rausch von der Mauer gefallen und hätte sich bei dem Sturz das Genick gebrochen.

Danach eilte er in die Wachkammer zurück, nahm die Laterne an sich und öffnete die Fußgängerpforte im Tor. Einen Augenblick später trat Gibichen aus dem Dunkel.

»Endlich! Ich dachte schon, Ihr hättet uns verraten!«

Heimsburg kniff die Lippen zusammen, denn jedes Wort, das ihm einfiel, hätte einen heftigen Streit ausgelöst. Stattdessen musterte er die Männer, die Gibichen mitgebracht hatte. Paul kannte er, und Abdur hatte er in Pilsen gesehen, doch bei dem kleinen, schmalen Kerl, der in weiten Hosen und einer verschossenen Weste steckte, dauerte es eine Weile, bis er Irmela erkannte. Beinahe hätte er höhnisch aufgelacht. Mit so wenigen Leuten und noch dazu mit einem hilflosen Mädchen wollte Gibichen seinen Freund und die Gräfin befreien? Dann aber ging ihm auf, dass sich die Situation durch Harlaus Erscheinen grundsätzlich geändert hatte. Jeder Versuch, die Gräfin und Birkenfels mit Gewalt zu befreien, war nun von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die paar Männer der Burgbesatzung hätten sie niedermachen können, doch mit Harlaus Begleitern war nicht zu spaßen. Wenn sie etwas erreichen wollten, würde ihnen nichts anderes übrig bleiben, als so leise zu sein wie Mäuse in der Speisekammer.

»Vorsicht, Freunde! Graf Harlau ist heute angekommen. Wir sollten seine Nachtruhe nicht stören.« Heimsburg kicherte leise, als hätte er einen amüsanten Witz erzählt, und winkte den vieren, ihm zu folgen. Die Tür zum Palas stand noch offen, und sie erreichten ungesehen die Treppe.

»Wir müssen Harlaus Kerkermeister zum Schweigen bringen, bevor er Alarm schlagen kann«, raunte Heimsburg Gibichen zu.

Dieser nickte und zog seine Pistole.

Heimsburg griff sich an den Kopf. »Seid Ihr verrückt? Wenn Ihr dort unten die Waffe abfeuert, dröhnt es wie ein Kanonenschuss.«

»Ich will damit nicht schießen, sondern zuschlagen«, raunte Gibichen ihm zu. Da Heimsburg nicht sofort weiterging, nahm er ihm die Laterne aus der Hand und reichte sie Irmela.

»Hier, damit Ihr wenigstens zu etwas nütze seid!«

»Laffe!«, fauchte sie leise zurück.

Heimsburg betete stumm, dass der Wärter ebenfalls schlief, und es war, als habe der Himmel ihn erhört. Der Mann öffnete zwar noch die Lider, als der Schein der Lampe auf ihn fiel, doch bevor er einen Laut von sich geben konnte, schlug Gibichen mit aller Kraft zu. Der Mann sackte in sich zusammen und blieb regungslos liegen.

Irmela sah Gibichen erschrocken an. »Hoffentlich habt Ihr ihn nicht erschlagen.«

»Doch, das habe ich. Wollt Ihr, dass er zu sich kommt und uns den Grafen und dessen Leute auf den Hals hetzt?«, gab Gibichen verärgert zurück und wies Paul an, die Kerkertür zu öffnen.

Heimsburg blieb ein wenig zurück, denn er kämpfte mit der Vorstellung, Birkenfels habe Harlaus Versprechen geglaubt und aus Angst um sein Leben die Gräfin erwürgt.

Es war Irmela, die mit der Laterne in der Hand an Paul vorbei als Erste in die Felsenkammer schlüpfte. Sie schauderte angesichts der feuchten Wände und des für ihre empfindliche Nase überwältigend scharfen Geruchs, ging aber weiter und sah sich um. Im ersten Augenblick schien das Gelass leer zu sein, und sie nahm bereits an, Heimsburg habe sie alle in eine Falle gelockt. Dann entdeckte sie zwei eng aneinandergekauerte Schatten.

»Stephanie, Fabian?«, rief sie drängend.

Ein keuchender Ausruf antwortete ihr. »Komtesse Irmela, seid Ihr es?« Einer der beiden Schatten trat ins Licht, wich aber sofort wieder zurück, als er Irmela in Männerkleidung sah.

Diese hatte Stephanie erkannt und eilte auf sie zu. »Wie geht es Euch, meine Liebe?«

Gibichen stieß einen ärgerlichen Ruf aus. »Wir haben keine Zeit für Konversation, sondern müssen so schnell wie möglich wieder verschwinden. Paul und ich helfen Fabian, Heimsburg und Abdur sollen sich um die Gräfin kümmern! Irmela, Ihr leuchtet uns.«

»Ihr seid es wirklich!« Stephanie klammerte sich an Irmela und ließ ihren Tränen freien Lauf.

Sie riecht ebenso scharf wie der Kerker, dachte Irmela, hielt die junge Frau aber eng umschlungen und streichelte ihr strähniges Haar.

»Wollt ihr Weiber nicht endlich Vernunft annehmen!« Gibichen war mit zwei langen Schritten bei Irmela und Stephanie und zerrte sie auseinander.

»Jetzt kommt!« Er stieß Stephanie Heimsburg in die Arme, der nicht so recht zu wissen schien, was er tun sollte. Unterdessen war auch Fabian in den Lichtschein der Laterne getreten und bleckte die Zähne in Richtung seines alten Feindes.

»Jetzt werde ich Euch den heimtückischen Schlag von vorhin heimzahlen!« Bevor er einen Schritt in Heimsburgs Richtung machen konnte, hatte Gibichen ihn gepackt und schüttelte ihn heftig.

»Nimm Vernunft an, du Narr! Wir müssen hier raus, bevor uns der Graf überrascht. Dir mag es vielleicht gefallen, aber ich wünsche hier nicht auf Dauer zu wohnen.«

»Außerdem solltet Ihr mir dankbar sein, dass ich Euch das Leben gerettet habe. Harlau hätte Euch mit Vergnügen niedergestochen«, spöttelte Heimsburg, der sich wieder gefasst hatte. Ohne Fabian noch eines Blickes zu würdigen, blieb er vor Stephanie stehen und deutete eine Verbeugung an.

»Gnädigste erlauben?« Er packte sie unter einem Arm, während Abdur von der anderen Seite zufasste. Gemeinsam führten sie sie hinaus. Irmela musste sich beeilen, um vor ihnen die Treppe zu erreichen und auszuleuchten.

Gibichen und Paul wollten Fabian auf dieselbe Weise helfen, doch der knurrte sie an: »Ich kann auf meinen eigenen Beinen stehen!«

Kurz darauf sah Fabian ein, dass er die Hilfe seiner Freunde benötigte, denn der lange Aufenthalt in der Felsenkammer hatte seine Muskeln erschlaffen lassen. Gibichen verkniff sich jeden Spott, sondern zog ihn mit sich, bis sie das obere Ende der Treppe erreicht hatten. Dort hielt er kurz inne, um zu lauschen.

»Es ist alles ruhig«, raunte Irmela ihm zu. Gibichen wollte ihr schon sagen, dass er sich lieber auf seine Ohren verließ, doch da fiel ihm ein, dass ihr Hörsinn noch besser war als der seine.

»Weiter!« Gibichen führte Fabian zum Eingang, öffnete das Portal einen Spalt und warf einen prüfenden Blick in den Burghof.

»Wir scheinen Glück zu haben.« Er atmete tief durch und eilte dann so rasch weiter, dass Fabian von ihm und Paul mitgeschleift wurde. Abdur und Heimsburg hatten die Gräfin bereits auf der Treppe aufgehoben und trugen sie so vorsichtig, wie es ihnen möglich war.

Keine zwanzig Atemzüge später hatte die Gruppe die Burg verlassen und befand sich auf dem steilen Weg ins Tal. »Wir sollten die Laterne löschen. Wenn jemand da oben über die Zinnen schaut, kann er uns sehen«, warnte Heimsburg.

Gibichen schüttelte den Kopf. »Ohne die Laterne kommen wir nicht rasch genug voran und geraten ins Stolpern. Ein schwerer Sturz oder gar ein gebrochenes Bein ist nicht gerade das, was wir jetzt brauchen können.«

Das sah Heimsburg ein, drehte sich aber alle paar Schritte um, als erwarte er, Graf Harlau und dessen Knechte wie die Wilde Jagd hinter ihnen herbrausen zu sehen. Als sie das Tal erreichten und kurz darauf die Kutsche vor sich sahen, in der Fanny und Dionysia von Kerling in der letzten Stunde wohl mehr gebetet hatten als sonst in einem Monat, konnte er es kaum fassen, dass sie tatsächlich entkommen waren.

Abdur und Heimsburg schoben zuerst Stephanie in die Kutsche und halfen dann Irmela einzusteigen. Da Fabian nicht in der Lage war, sich auf einem Pferd zu halten, musste auch er in der Kutsche mitfahren, während Heimsburg den betagten Gaul bestieg, den Gibichen während der letzten Tage erstanden hatte. Paul und Gibichen schwangen sich ebenfalls in die Sättel, während Abdur seinen gewohnten Platz hinter dem Wagenkasten einnahm.

Keiner aus der Gruppe konnte sagen, wie viel Zeit ihnen blieb, bis Harlau die Flucht seiner Gefangenen bemerkte, doch ihnen war klar, dass sie ihm nur mit viel Glück würden entrinnen können. Gibichen hatte in den letzten Wochen die Gegend gründlich erkundet und dabei ein Versteck gefunden, welches ihnen für ein paar Tage Schutz gewähren konnte. Daher bogen sie nach einer halben deutschen Meile in einen Feldweg ein, der in ein bewaldetes Tal führte.

Das Dunkel des Waldes schien das Licht der beiden Laternen am Wagenkasten aufzusaugen, so dass der Kutscher seine Pferde zuletzt im Schneckentempo gehen lassen musste. Daher erreichten sie erst im Morgenrot des beginnenden Tages eine Lichtung, an deren Rand eine kleine, aus ungeschälten Brettern errichtete Hütte stand.

»Wenn es Harlau nicht gelingt, unserer Spur zu folgen, könnten wir es schaffen«, erklärte Gibichen, während er vom Pferd stieg. Auch Heimsburg schwang sich aus dem Sattel, aber Paul blieb auf seinem Gaul sitzen und sah auf Gibichen hinab.

»Ich bitte mir den Einwand zu verzeihen, aber wir sollten weiter vorne einen Wachtposten aufstellen, für den Fall, dass Harlau doch diesen Weg nimmt. Wenn Ihr mir eine Eurer Pistolen leihen wollt, Herr Hauptmann, wäre ich Euch dankbar.«

Gibichen sah Paul fragend an, ob der Hass auf Harlau den Burschen zu der Bitte trieb, doch in dessen Gesicht zeichnete sich nur Sorge um das Wohlergehen der Flüchtlinge ab. Daher reichte er dem Burschen eine geladene Pistole. »Lass dir aber nicht einfallen, einfach loszuballern. Unser bester Schutz ist Heimlichkeit!«

Paul nickte, und um seine Lippen spielte ein seltsam wehmütiges Lächeln, als er die Waffe in die Satteltasche steckte und sein Pferd herumzog.

Irmela sah ihm nach und schüttelte den Kopf. »Ihr hättet ihn nicht reiten lassen sollen, Herr von Gibichen. Ich bin sicher, er hat etwas vor.«

»Paul ist ein erfahrener Soldat und hat Major Kiermeier viele Jahre lang treu gedient. Er weiß, worauf es ankommt.« Gibichen wusste selbst nicht, weshalb er so harsch antwortete, doch an diesem Tag störte ihn sogar die Fliege an der Wand. Da er seiner Streitlust nicht länger nachgeben wollte, beschloss er, erst einmal den fehlenden Schlaf der vergangenen Nacht nachzuholen.

»Ich lege mich hin. Ihr anderen solltet es auch tun. Wenn irgendetwas geschieht, wird Paul uns warnen.« Mit diesen Worten trat er auf die Hütte zu und öffnete die Tür. Wie erwartet, hatte sich seit seinem letzten Besuch offensichtlich niemand hier aufgehalten. Da er das einfache, aus Reisig bestehende Bett Stephanie überlassen wollte, wickelte er sich in seinen Mantel und streckte sich auf dem blanken Boden aus. Trotz seiner Anspannung schlief er in dem Moment ein, als sein Kopf die Erde berührte.

Irmela und Fanny kümmerten sich nicht um ihn, sondern halfen Stephanie aus der Kutsche und führten sie in die Hütte. Beim Anblick des leise schnarchenden Offiziers verzog Irmela den Mund. »Der Herr scheint den Schlaf sehr nötig zu haben.« Sie selbst fühlte sich nicht im Geringsten müde und hätte sich stundenlang mit Stephanie unterhalten können. Aber als sie in deren graues, von den Entbehrungen der Gefangenschaft und der Anstrengung der Flucht gezeichnetes Gesicht blickte, gab sie diesen Vorsatz auf und half Fanny, die Schwangere auf das Reisig zu betten. Stephanie schlief jedoch nicht ein, sondern lag stöhnend da und griff sich immer wieder an den Leib.

»Habt Ihr Schmerzen?«, fragte Irmela.

Die Schwangere nickte. »Es tut so weh! Ich weiß nicht, was das sein kann. Ich …« Sie brach ab, als eine stärkere Schmerzwelle durch ihren Leib flutete, und krümmte sich.

Irmela drehte sich hilflos zu Fanny und Frau von Kerling um. Deren Gesichter sagten ihr jedoch, dass sie nicht allzu viel Hilfe von ihnen erwarten durfte. Fanny deutete auf Stephanies trockene und teilweise aufgesprungene Lippen.

»Die Dame wird Durst haben. Wir sollten Wasser holen.«

»Tu das!« Irmela nickte ihr auffordernd zu und sah dann wieder Stephanie an. »Ihr bekommt gleich etwas zu trinken.«

Die Augen der Schwangeren leuchteten auf. »Gegen einen Schluck Wein hätte ich wirklich nichts einzuwenden. In der Felsenkammer haben wir immer nur Wasser erhalten.«

»Leider wird es bei Wasser bleiben müssen. Wir haben nichts anderes zur Verfügung.«

»Doch! Ich habe eine Lederflasche mit Wein gefüllt, weil ich dachte, wir könnten das unterwegs brauchen.« Abdur eilte hinaus zur Kutsche und kehrte kurze Zeit später mit einem schon etwas schlaffen Weinschlauch zurück.

»Der Kutscher hat sich daran vergriffen. Aber für die Dame wird wohl noch genug da sein.« Er füllte einen Becher und reichte ihn Stephanie. Die Gräfin nahm ihn mit einem dankbaren Blick entgegen und begann in winzigen Schlucken zu trinken.

Kurz darauf erschien Fanny mit einem Krug frischen Wassers, den sie aus einer Quelle geschöpft hatte. Als sie sah, wie die Gräfin trank, zog sie eine Schnute.

»Das habe ich gerne. Jetzt durfte ich umsonst durch den Wald laufen und einen Born suchen.«

»Umsonst ist es nicht, denn ich habe auch Durst.« Damit wollte Irmela eigentlich nur den Unmut ihrer Zofe besänftigen, doch als sie das Gefäß ansetzte und zu trinken begann, konnte sie fast nicht aufhören. Auch Dionysia von Kerling und Stephanie starrten den Krug begehrlich an, und selbst Fabian, der sich in eine Ecke gesetzt hatte und die Wendung seines Schicksals noch nicht zu begreifen schien, leckte sich durstig die Lippen. Fanny musste schließlich noch einmal laufen, um Wasser zu holen, doch sie tat es diesmal aus dem Gefühl heraus, gebraucht zu werden, und war versöhnt.

Die Feuerbraut
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