IX.

Die Reise hätte schön sein können, wäre da nicht die übertriebene Ängstlichkeit ihrer Eskorte gewesen. Die Reiter hielten die Waffen stets kampfbereit und erlaubten Irmela und den anderen Frauen unterwegs nicht, die Kutschen zu verlassen. Bevor sie irgendwo Halt machten, wurde ein Vortrab losgeschickt, der das Dorf oder die Stadt erkunden musste, in der sich die ins Auge gefasste Herberge befand. Für die Reisenden hieß dies, von nervösen Männern umgeben warten zu müssen, bis die Vorhut zurückkam und meldete, die Weiterfahrt sei unbedenklich.

Niemand erklärte den Frauen, weshalb so viel Vorsicht geübt werden musste, und Irmela hatte es nur ihren feinen Ohren zu verdanken, dass sie ein wenig mehr erfuhr. In einer der Herbergen konnte sie ein Gespräch mit anhören, in dem sich zwei Standesherren über den Aufstand der Bauern beklagten, der in weiten Teilen Österreichs ausgebrochen sei.

»Als wenn wir net mit Schweden schon genug zu tun hätten!«, jammerte ein beleibter Herr in einem prachtvollen dunklen Rock mit goldenen Knöpfen.

Sein Gegenüber schüttelte betrübt den Kopf. »Das ist das Gift der Ketzerei, sag ich dir! Die Protestanten haben verlauten lassen, sie würden alle leibeigenen Bauern befreien und ihnen unser Land überlassen. Von was sollen wir denn leben, wenn net von unseren Bauern? Man sollte diesem Gesindel die Grenzen aufzeigen! Ich frage mich, warum nicht der Gallas kommt und mit eiserner Faust dreinschlägt! Sind erst ein paar Bauern erschossen und ein paar andere aufgehängt, kuscht der Rest.«

»Hoffen wir, dass der Wallenstein den Gallas schickt! Soviel man hört, hält der Generalissimus die ganze Armee in Böhmen zurück, um seine Güter zu schützen. Die Schweden haben ihm wohl bei Lützen den Schneid abgekauft, weil er sich so in die Hosen macht.« Der Dicke räusperte sich und verlangte nach dem nächsten Krug Wein.

Beunruhigt versuchte Irmela sich trotz des Lärms und der vielen Gespräche auf ihre eigenen Gedanken zu konzentrieren. Aus verschiedenen Erzählungen wusste sie, dass die Bauern schon früher gegen ihre Grundherren aufgestanden waren. Die Obrigkeit hatte die Unruhen zumeist jedoch rasch unterbinden können. Nun schmiedeten die Hörigen erneut die Sensen gerade, um sie als Waffen zu verwenden und die von Gott gewollte Ordnung umzustürzen. Sie überlegte, ob sie Fanny und Frau von Kerling berichten sollte, was sie vernommen hatte, verschob es aber auf den nächsten Tag, weil sie die Nachtruhe ihrer Begleiterinnen nicht durch solch üble Geschichten belasten wollte.

Mit diesen Gedanken im Kopf wirkte sie während des Abendessens abwesend und in sich gekehrt. Dionysia von Kerling schrieb dies den Anstrengungen der Reise zu, Fannys Blick aber ging tiefer. »Seid Ihr traurig, weil Ihr Herrn von Birkenfels zurücklassen musstet?«, fragte sie ihre Herrin.

Irmela erwachte aus ihrem Grübeln und musste lächeln. »Eigentlich bin ich ganz froh, dass es so gekommen ist. Ich muss an etwas ganz anderes denken …« Sie warf einen vielsagenden Blick auf Dionysia von Kerling.

Fanny begriff, wandte sich ab und überwachte die Knechte und Mägde, die ihrer Herrin und deren Gesellschafterin aufwarteten. Später, als sie Irmela in deren Schlafkammer begleitete und ihr beim Auskleiden half, vermochte sie ihre Neugier nicht mehr zu zügeln. »Ihr habt Angst vor den rebellischen Bauern, nicht wahr?«

»Was weißt du davon?«

»Das Gesinde in den Herbergen redet offen darüber – aber natürlich nicht vor den Gästen. Auch ich wollte Euch nichts davon berichten, um Euch nicht zu beunruhigen. Immerhin hat der Herr, dessen Reisezug wir uns anschließen durften, ein kleines Heer aufgeboten, um sich die Bauern vom Leib halten zu können.«

Irmela blickte ihre Zofe traurig an. »Warum müssen die Bauern ausgerechnet jetzt rebellieren? Wissen die Leute denn nicht, dass sie damit den Feinden des Kaisers helfen? Man sollte jeden, der mit den Protestanten sympathisiert, auf dem Scheiterhaufen verbrennen!«

»So wie die Hexe im Frühling?«

Die Erinnerung an jene entsetzliche Szene trieb Irmela die Tränen aus den Augen. »Nein, nein! Das wäre zu grausam. Aber bestrafen muss man sie doch!«

Fanny dachte daran, wie ihre Eltern von ihrem Grundherrn behandelt worden waren, schluckte aber die Bemerkung herunter, die ihr auf der Zunge lag, und versuchte, ihre Herrin wie ein kleines Kind zu beruhigen. »Es wird alles gut, Komtesse! In drei Tagen sind wir in der Nähe von Wien, und unsere Reisegesellschaft will uns bis zu Frau Meinardas Verwandten bringen. Also kann uns ganz gewiss nichts zustoßen.«

Irmela wischte sich die Tränen aus den Augen. »Und wer sagt, dass die Bauern dort nicht auch rebellieren?«

»Niemand. Da hilft nur Beten!« Fanny löste den letzten Knopf an Irmelas Kleid und zog es ihr über den Kopf. »Jetzt noch das Hemd, und dann könnt Ihr schlafen, Komtesse.«

»Hoffentlich!« Irmela erinnerte sich mit Schaudern an jene Nächte, die auf den Überfall der Schweden gefolgt waren, und an die Zeit nach dem Tod der Hexe. Beide Male hatte sie monatelang unter schrecklichen Alpträumen gelitten. »Kannst du mir ein wenig von den Tropfen bringen, die Frau von Kerling nimmt, wenn sie nachts nicht schlafen kann? Ich glaube, ich werde sie heute brauchen.«

»Ihr solltet die Finger von dem Teufelszeug lassen, Komtesse. Wenn man zu viel davon schluckt, so habe ich gehört, wacht man hinterher nimmer auf, und das wollen wir doch alle beide nicht.« Fanny lächelte Irmela aufmunternd zu, doch diese schüttelte den Kopf.

»Hol es! Ich weiß, wie viele Tropfen Frau von Kerling sich abzählt. Mehr werde ich auch nicht nehmen.«

»Wenn Ihr es so haben wollt!« Fanny machte keinen Hehl daraus, wie wenig sie von Irmelas Entscheidung hielt, aber sie gehorchte und kehrte nach kurzer Zeit mit einem nachtblauen Fläschchen und einem kleinen Löffel zurück.

Mit deutlichem Widerwillen maß sie Irmela die Tropfen ab. »Das ist Mohntinktur, sagt die Kerling. Wenn Ihr morgen Kopfschmerzen habt, bin ich nicht daran schuld!«

»Du bist schlimmer als eine Glucke! Leg dich jetzt auch hin. Gute Nacht!«

Irmela schlüpfte unter die Decke und schloss die Augen, fühlte sich aber immer noch wach. Sie fürchtete schon, das Mittel würde bei ihr versagen, und wollte sich aufsetzen. In dem Augenblick versank sie in einem dunklen Loch. Anstatt tief und fest zu schlafen, reihte sich ein Alptraum an den anderen. Sie wurde von marodierenden Schweden und aufständischen Bauern verfolgt, und immer wieder tauchte Fabian in ihrer Nähe auf. Der aber kümmerte sich nicht um sie, sondern tändelte gleichzeitig mit Stephanie von Harlau und Ehrentraud. Sie bat ihn, sie zu beschützen, doch seine Blicke glitten über sie hinweg, als sei sie ein ekelhaftes Insekt. Schließlich drängten sich Fanny und der dunkle Abdur durch die entfesselte Menge und zogen sie mit sich, ehe die Marodeure sie packen konnten. Irmela stolperte, wurde aufgefangen und fand sich in Wallensteins Hauptquartier wieder.

»Tut doch endlich etwas!«, schrie sie den Feldherrn an, doch der sah ebenfalls über sie hinweg.

Während Fabian mit Stephanie durch die Räume tanzte, trat Ludwig von Gibichen zu ihr und versuchte sie zu beruhigen. »Du musst Herrn von Wallenstein vertrauen. Er weiß am besten, was getan werden muss!«

Irmela prallte herum und wies auf die Schweden und Bauern, die in den Raum drangen und dort alles kurz und klein schlugen. »Dieses Gesindel muss auf den Scheiterhaufen, damit es die heilige Ordnung respektiert!«

»Ein Scheiterhaufen, sofort!« Anstelle von Gibichen stand Heimsburg neben ihr und stieß sie auf einen brennenden Holzstoß, während Helene und Johanna zusahen und applaudierten. Irmela aber wand sich inmitten der Flammen und spürte, wie die Hitze ihr das Fleisch versengte.

»Aufwachen!« Eine schrille Stimme drang durch Feuer und Rauch, während Irmela in den Flammen zu schrumpfen begann. Ein heftiger Schlag traf sie ins Gesicht. In dem Moment spürte sie das nassgeschwitzte Bett und sah Fanny zum nächsten Schlag ausholen.

»Was ist geschehen?«, krächzte Irmela und blickte die Magd entsetzt an. Doch es tauchten keine Schweden oder Rebellen hinter ihr auf, und sie befand sie auch nicht mehr in Wallensteins Hauptquartier.

Fanny atmete erleichtert auf. »Ich habe Euch vor diesem Teufelszeug gewarnt, das Ihr unbedingt nehmen wolltet, Komtesse, aber Ihr habt nicht auf mich gehört.«

Irmela richtete sich auf und schlang die Arme um ihre Knie. »Was war denn los? Warum hast du mich geschlagen? Mein ganzes Gesicht tut weh!« Sie war viel zu betäubt, um wirklich zornig zu werden.

Fanny stemmte die Hände in die Hüften. »Was los war? Ihr habt im Schlaf so laut geschrien, dass die Herberge gewackelt hat! Ich wollte Euch wecken, aber es war fast unmöglich. Zuletzt habe ich gedacht, ein Dämon wäre in Euch gefahren und würde Euren Verstand auffressen. Ihr habt Wallenstein und Birkenfels beschimpft und einige Frauen als Huren und Weibsteufel bezeichnet, die auf dem Scheiterhaufen brennen müssten. Da habe ich Euch eine Ohrfeige gegeben, um Euch zu retten.«

»Ich hatte einen grauenhaften Alptraum«, flüsterte Irmela und versuchte zu lächeln. Doch es wurde nur eine Grimasse daraus. Ihre Zofe zupfte an ihrem Nachthemd. »Klatschnass! Ihr müsst geschwitzt haben wie ein Fieberkranker. Los, zieht es aus, damit ich Euch ein anderes überstreifen kann. Sonst holt Ihr Euch noch den Tod. Den Rest der Nacht schlaft Ihr auf meinem Strohsack!«

Irmela begann, die Betäubung abzuschütteln. »Und wo schläfst du?«

»Entweder wickle ich mich in eine Decke und lege mich auf den Boden, oder ich schlüpfe zu Euch, auch wenn sich das nicht gehört. Aber nach dem, was Jungfer Johanna und Fräulein Ehrentraud miteinander treiben, steht uns ohnehin nicht der Sinn. Los, rein jetzt in das frische Nachthemd!«

Fanny zog Irmela resolut das Hemd über und holte dann ihren Strohsack aus dem winzigen, fensterlosen Gelass, das ihr als Unterkunft gedient hatte. Zu anderen Zeiten hätte sie den Raum noch mit den Zofen der anderen Damen teilen müssen. Doch deren Mägde nächtigten im Stall, da ihre Herrinnen nicht bereit oder in der Lage gewesen waren, die Schlafstelle zu bezahlen.

Fanny war froh, keine verärgerten Fragen beantworten zu müssen, denn nun konnte sie sich um ihre immer noch leicht benommene Herrin kümmern. Sie schob Tisch und Stuhl an die Wand, breitete ihre Matratze auf dem Boden aus und sorgte dafür, dass Irmela sich so bequem wie möglich bettete. Dann schlüpfte sie selbst unter die Decke. Der Strohsack war nur für eine Person gedacht, daher lehnte sie sich mit dem Rücken an die Wand, so dass ihre Herrin genug Platz fand.

Irmela rollte sich wie ein Kätzchen zusammen und schmiegte sich an Fanny, um sich zu wärmen. Die Magd lächelte zufrieden, obwohl ihr klar war, dass sie kaum noch Schlaf finden würde. Aber sie wachte gerne über die Komtesse, die bereits so viel in ihrem Leben hatte ertragen müssen.

Die Feuerbraut
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