VII.

Viele Meilen von Irmela entfernt saß Fabian in einem von Wind und Wetter graufleckig gewordenen Zelt und starrte mit verbissenem Gesichtsausdruck über den Rand seines Weinbechers hinweg auf seinen Spielgegner, der ihn seinerseits mit spöttischen Blicken musterte.

»Nun, Birkenfels? Ich sagte, ich setze fünfzig Gulden. Haltet Ihr dagegen?«

Heimsburg hörte sich so überheblich an, dass Fabian ihm ins Gesicht hätte schlagen können. Der Kerl tat direkt so, als hätte er einen unverständigen Knaben vor sich. Fabian richtete sich auf, musste sich aber an der Tischkante festhalten, um nicht allzu sehr zu schwanken.

»Natürlich halte ich mit. Euer Glück kann ja nicht von Dauer sein.« Er verdrängte dabei, dass er keine fünfzig Gulden besaß, ebenso wenig wie die hundert, die er bereits an Heimsburg verloren hatte. Dieser nahm den Würfelbecher, schüttelte ihn geschickt mit einer Hand und ließ die Würfel auf den Tisch rollen.

»Zwei Fünfen und eine Vier. Das werdet Ihr wohl schaffen, Birkenfels«, stachelte Heimsburg seinen Gegner an.

Fabian tastete nach dem Becher und griff zuerst daneben. Einige der Zuschauer, die alle zu dem Regiment gehörten, in dem er als Kornett diente, lachten verhalten, und jene, die Heimsburg kannten, stießen einander an.

Ludwig von Gibichen, der nur ein Jahr älter war als Fabian, aber bereits den Rang eines Leutnants innehatte, brachte es auf den Punkt. »Er ist nur einer der Gimpel, denen Heimsburg das Fell über die Ohren zieht. Man hätte ihn warnen sollen.«

Gibichen klang auch nicht mehr ganz nüchtern, doch er kannte seine Grenzen und beendete jedes Spiel, bevor es für ihn brenzlig wurde. Das war nicht ganz einfach, denn die Langeweile, die sich wie Mehltau über das kaiserliche Heer gelegt hatte, ließ sich nur mit Wein und Würfeln vertreiben. Die Herren Gallas und Pappenheim, die nach Tillys Tod die Truppen führten, bis ein anderer Generalfeldmarschall ernannt wurde, wagten es nicht, den Löwen aus Mitternacht herauszufordern. Stattdessen überließen sie Gustav Adolf und seinen Schweden die Initiative und warteten schier erstarrt vor Angst ab, ob es Kaiser Ferdinand gelingen würde, Albrecht von Wallensteins Unmut zu besänftigen. Dieser war, wie es hieß, über seine Absetzung vor zwei Jahren immer noch erzürnt und weigerte sich, erneut das Kommando über die kaiserliche Streitmacht zu übernehmen.

Für die Offiziere, die nach Ruhm und Beute gierten, waren harte Tage angebrochen, und Gibichen fand es bedauerlich, dass der junge Birkenfels ausgerechnet in dieser Zeit zu ihnen gestoßen war. So hatte er zwangsläufig das Opfer eines Mannes wie Heimsburg werden müssen, der im Ruf stand, alle jungen Laffen im Spiel um ihr Geld zu bringen. Gibichen hatte schon etliche Münzen dem Spielteufel geopfert, doch war es dabei um weitaus geringere Summen gegangen. Der Leutnant richtete seine Gedanken wieder auf die beiden Kontrahenten und auf die Würfel, die nun rollen mussten.

Fabian brauchte eine Weile, bis er die drei Würfel eingesammelt hatte, und als er sie in den Becher werfen wollte, hielt Gibichen lachend seine Hand fest. »Du brauchst die Würfel nicht vorher zu taufen!«

Jetzt erst bemerkte Fabian, dass er die Würfel in seinen Weinbecher hatte werfen wollen. Er kicherte nervös, langte mit der Linken nach dem richtigen Gefäß und ließ die Würfel einen nach dem anderen hineinfallen.

»Jetzt gilt es!« Er schüttelte den Becher und knallte ihn auf den Tisch. Als er ihn wieder hob, beugten sich die Zuschauer neugierig vor.

»Eine Zwei, eine Vier und eine Fünf! Das reicht nun einmal nicht, mein Guter.« Heimsburg schnurrte wie ein zufriedener Kater, denn er sah sich durch den erhofften Gewinn auf längere Zeit aller finanziellen Sorgen ledig. Den Gerüchten nach sollte Fabian von Birkenfels ein Protegé des Herzogs Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg sein. Zwar kannte niemand seine genauen Verhältnisse, doch da er um verhältnismäßig hohe Summen würfelte, nahmen Heimsburg und die anderen an, er könne es sich leisten, so hoch zu verlieren.

Fabian stierte auf die Würfel, als wolle er ihre Augenzahl kraft seines Blicks in ein ihm genehmes Ergebnis verwandeln.

»Ihr schuldet mir einhundertundfünfzig Gulden, Birkenfels. Wollt Ihr sie mir gleich geben oder kann ich mich auf Euer Ehrenwort verlassen?« Heimsburg gab sich keine Mühe, seinen Triumph zu verbergen.

Fabians Börse war bis auf ein paar kleinere Silberstücke so leer wie eine Kirche um Mitternacht und sein Ehrenwort noch weniger wert, denn er würde weder an diesem Tag noch in absehbarer Zeit über einhundertfünfzig Gulden verfügen. Die Welt um ihn herum schwankte, und mit einem Mal begriff er, dass er kurz davor stand, sein Ansehen und seine Glaubwürdigkeit bei den Offizieren und Reitern des Regiments zu verlieren. Er hätte sich nicht auf das Würfelspiel mit Heimsburg einlassen dürfen. Doch ein paar Becher Wein zu viel hatten ihn ebenso unvorsichtig werden lassen wie die kleinen Summen, die er zu Beginn gewonnen hatte. Statt jedoch auf eine Glückssträhne gestoßen zu sein, stand er nun vor dem Nichts.

Heimsburg sah, wie es in Fabians Gesicht arbeitete, und dachte sich seinen Teil. Ihm ging es nicht nur um den Gewinn, auch wenn hundertfünfzig Gulden eine hübsche Summe darstellten, sondern auch um das Gefühl, diesen kleinen Gockel bloßgestellt zu haben. Aber wenn er Birkenfels’ Ehrenwort entgegennahm, wollte er auch die Gewissheit, das Geld zu erhalten. Als er das verzweifelt umherschauende Bürschchen genauer musterte, wurde ihm klar, dass dieser halbe Knabe höchstwahrscheinlich nicht in der Lage war, die Summe von seinem Gönner einzufordern. Heimsburg war jedoch nicht bereit, zurückzustecken und auf das Geld zu verzichten, zumal Fabians Beispiel andere dazu verführen würde, ihre Spielschulden ebenfalls nicht zu zahlen.

»Das Spiel ist eine ernste Sache, bei dem man zu seinem Wort stehen muss. Also her mit den Gulden, oder …« Heimsburg legte eine kleine Pause ein. »Oder hat Er gar keine hundertfünfzig Gulden und weiß nicht zu zahlen?«

»Ihr werdet das Geld bekommen!« Und wenn ich es stehlen muss, setzte Fabian in Gedanken hinzu.

»Ich bin nicht gewillt zu warten. Entweder legt Er mir das Geld sofort auf den Tisch, oder ich muss Ihn einen Hundsfott nennen.« Heimsburg machte es Spaß, Fabian wie eine Ratte in die Ecke zu treiben.

Der Ärger über seinen Spielgegner überwog Fabians Entsetzen über den Spielverlust. »Wenn Euch mein Ehrenwort nicht genügt, vermag ich Euch nicht zu helfen!«

An dieser patzigen Antwort hatte Heimsburg zu schlucken. »Der Hänfling will wohl aufmucken!«

Gibichen und ein paar andere traten näher, denn die beiden Spieler sahen so aus, als wollten sie einander an die Kehle gehen.

Heimsburg stieß ein paar Flüche aus und starrte Fabian zornig an. »Es wird wohl nötig sein, das Bürschchen auf die passende Größe zurechtzustutzen, damit es weiß, wie es sich im Kreise erwachsener Männer zu benehmen hat.«

Fabian begriff ebenso deutlich wie alle anderen, worauf der andere aus war. Entweder er legte ihm das Geld auf den Tisch, oder es würde zum Zweikampf kommen. Der Zorn, von einem Mann, den er als Kameraden angesehen hatte, auf eine so gemeine Weise aufs Eis geführt worden zu sein, ließ ihn rotsehen, und ehe Heimsburg sich versah, hatte Fabian ihn mit der Rechten ins Gesicht geschlagen. »Ihm gehören eher Prügel wie einem Bauern!« Bevor Heimsburg seine Verblüffung über den Schlag überwunden und sich wieder gefasst hatte, zog Gibichen Fabian aus dessen Reichweite.

Heimsburg rieb sich unbewusst über die schmerzende Wange und langte mit der anderen Hand zum Knauf seines Pallaschs. »Es gilt! Wir werden uns morgen früh um sechs bei der Trauerweide am kleinen Teich treffen. Beichte vorher noch, damit du nicht als armseliger Sünder vor deinen Herrgott treten musst.«

Sowohl Heimsburg wie auch Fabian hatten den Anlass zu ihrem Streit beinahe schon vergessen und drängten danach, ihre Klingen zu kreuzen. Heimsburg wusste, dass er sich in der besseren Position befand, denn sein Gegner würde die Folgen seines Rausches bis zum Morgen noch nicht überwunden haben. Fabian aber war nur von dem Gedanken erfüllt, unter allen Umständen seine Ehre verteidigen zu müssen. Mit viel Mühe gelang es ihm, gerade zu stehen und sich vor Heimsburg zu verbeugen. Dann drehte er sich um und verließ mit staksigen Schritten das Zelt.

Gibichen folgte ihm, weil er sich schämte, den Grünschnabel nicht vor Heimsburgs Schlichen gewarnt zu haben. Er kannte den Hauptmann gut genug, um sicher zu sein, dass dieser sich mit nichts anderem als dem Tod seines Gegners zufriedengeben würde. Da die Würfel nun einmal rollten, würde Fabian dieses Spiel zu Ende bringen müssen, ganz gleich, wie es ausging. Zu Gibichens Verwunderung war der Junge sogar noch fähig, sein Zelt ohne Hilfe zu finden. Daher blieb er stehen und kratzte sich am Kopf. Nach kurzem Überlegen entschloss er sich, Hauptmann Kiermeier aufzusuchen. Vielleicht hatte dieser eine Idee, wie man die verfahrene Situation in den Griff bekommen konnte.

Die Feuerbraut
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