XV.
Kaum hatte Gibichen die Bewusstlose auf das Bett gelegt, scheuchte Fanny die beiden Männer und Abdur energisch hinaus und schloss die Tür hinter ihnen. Dann schälte sie ihre Herrin aus dem schmutzigen Sack und warf diesen voller Abscheu in eine Ecke. Als sie sah, wie elend Irmela aussah, liefen ihr die Tränen über die Wangen, und sie fürchtete, ihre Herrin würde ihr unter den Händen sterben.
»Der Teufel soll all jene holen, die dafür verantwortlich sind«, fauchte die Zofe und meinte damit in erster Linie Lexenthal.
Zunächst flößte sie der Ohnmächtigen mit Wasser vermischten Wein ein und sorgte dafür, dass die Flüssigkeit nicht in die falsche Kehle kam. Dann begann sie, Irmela von oben bis unten zu waschen, um den durchdringenden Gestank zu beseitigen, den diese verströmte. Dabei sparte sie auch an den Stellen, die von den Dornen aufgerissen oder den Flammen versengt worden waren, nicht mit Seife.
Noch halb bewusstlos versuchte Irmela sie abzuwehren, doch sie war zu kraftlos, ernsthaften Widerstand zu leisten, und als sie ihre Umgebung wieder richtig wahrnehmen konnte, hatte die Zofe ihre Wunden mit sauberen Leinenstreifen abgedeckt und zog ihr gerade ein Nachthemd über.
Irmela war es, als bestände sie nur aus Schmerz, der sich in Wellen bis in jeden Winkel ihres Körpers austobte. Doch statt auf ein Lager aus Stroh oder kaltem Stein fühlte sie sich warm gebettet. Mühsam öffnete sie die Augen und glaubte in einen angenehmen Teil ihrer Träume geraten zu sein. Dann sah sie das besorgte Gesicht ihrer Leibmagd über sich. »Fanny, bist du es wirklich?«
»Aber ja, Komtesse! Ihr könnt von Glück sagen, dass ich hier bin. Ohne Herrn von Gibichen und Birkenfels hätte ich Euch allerdings nicht retten können. Gibichen hat sogar einen Finger seiner linken Hand geopfert, um schnell genug in Passau sein zu können.«
»Mein Gott, wie schrecklich!« Irmela, die bereits Farbe gewonnen hatte, wurde wieder so weiß wie das Leintuch, auf dem sie lag, und Fanny befürchtete schon, sie würde erneut in Ohnmacht fallen. Zu ihrer Erleichterung atmete ihre Herrin nur ein paarmal tief durch und bat sie, ihr ein dickes Kissen in den Rücken zu stopfen.
»Jetzt erzähle, was geschehen ist. Wie kam es, dass Gibichen seine Hand verlor?«
»Nicht die ganze Hand, sondern nur den kleinen Finger. Aber reden werde ich erst, wenn Ihr noch etwas vermischten Wein getrunken und ein Löffelchen Suppe gegessen habt. Ihr seid ja fast verhungert. Kein Wunder, dass Herr von Gibichen Euch trotz seiner Verletzung tragen konnte. Er hat sich wirklich mit aller Kraft für Euch eingesetzt. Damit will ich nichts gegen Herrn von Birkenfels sagen. Der hat sich auch bemüht, aber der richtige Einfall, wie wir Euch freibekommen könnten, der kam von Ludwig von Gibichen. Er hat sogar riskiert, selbst in Lexenthals Kerker zu geraten. Aber zum Glück ist alles gut ausgegangen.«
»Wolltest du mir nicht etwas zu trinken geben, bevor du erzählst?« Irmela leckte sich über die aufgesprungenen Lippen und schmeckte den Talg, mit dem Fanny sie eingerieben hatte. Ehe sie noch etwas sagen konnte, hatte die Zofe ihr den Becher an den Mund gesetzt und träufelte ihr gerade so viel auf einmal ein, wie sie mit ihrer wunden Kehle schlucken konnte.
Fanny behandelte ihre Herrin wie hauchfeines Glas, bestand aber darauf, dass Irmela den Becher drei Mal leerte. Dann verließ sie eilig den Raum und kehrte mit einem Tiegel Salbe zurück.
»Die Suppe kommt gleich. Vorher will ich mich noch um Eure Schultern und die Handgelenke kümmern. Das hier kühlt und lindert die Schmerzen. Eure Beine und Eure Rückseite habe ich schon verbunden, aber da darf noch keine Salbe drauf. Ihr seht schlimm aus! Löcher, Abschürfungen und Brandblasen, und der Rest der Haut ist blau und grün!« Fanny zog das Nachthemd hinab und strich die Salbe, mit der Abdur sie auf ihrem Ritt hierher verarztet hatte, über Irmelas mager gewordenen Oberkörper und die Arme. Dann zog sie sie wieder an, deckte sie zu und legte ihr noch ein wärmendes Tuch um die Schultern, da ihre Herrin offensichtlich fror.
»Ihr braucht etwas zu essen. Ich hole die Suppe und sage den Herren, dass sie jetzt hereinkommen dürfen. Sie werden sich wohl kaum länger von Eurem Lager fernhalten lassen – nach all den Sorgen, die sie um Euch ausgestanden haben.«
»Lass sie ruhig kommen.« Es gelang Irmela, ein wenig zu lächeln, denn der Wein hatte ihr Kraft gegeben. Auch wenn ihr Kopf ein wenig um sie selbst zu kreisen schien, so freute sie sich doch, Fabian zu sehen. Oder war es eher Ludwig von Gibichen? »Wer auf der Welt hat so treue Freunde wie ich?«, fragte sie Fanny.
Es klang so erleichtert, dass die Zofe aufschluchzte. »Die beiden Herren und Abdur waren bereit, Euch notfalls mit Gewalt zu befreien. Ich wäre nicht von ihrer Seite gewichen, selbst wenn ich eigenhändig jemand hätte umbringen müssen!«
Fanny umarmte Irmela voller Erleichterung, sie wiederzuhaben, zog dann die Decke noch ein Stück höher und nickte zufrieden. »So mag es jetzt gehen. Ganz schicklich ist es natürlich nicht, wenn die Herren mit Euch allein im Zimmer sind, aber ich glaube, wir können ihnen vertrauen. Außerdem passt Abdur auf sie auf.«
Mit diesen Worten trat Fanny an die Tür und öffnete sie. Gibichen und Fabian warteten bereits und versuchten an ihr vorbei einen Blick auf Irmela zu erhaschen.
Fanny musterte sie mahnend. »Ihr könnt jetzt hereinkommen. Überanstrengt meine Herrin aber nicht, verstanden? Sonst kehre ich Euch mit dem Besen hinaus!«
»Solange du nicht mit dem Besen zu fliegen beginnst, soll es mir recht sein!« Abdur grinste dabei über sein dunkles Gesicht und schien nicht zu sehen, dass Fanny zum Schlag ausholte.
Gibichen hielt kurzerhand ihren Arm fest. »Ich bitte um Gnade für den Burschen. Er hat nämlich eins geschafft: uns zum Lachen zu bringen! Das ist viel wert in dieser Zeit.«
»Aber auf meine Kosten«, schimpfte Fanny und musterte ihn mit schräg gelegtem Kopf. »Wie viel ist Euch das wert?« Sie machte dabei die Bewegung des Geldzählens.
»Du bekommst einen Gulden, sobald ich ihn habe! Und jetzt hole die Suppe für Irmela … ich meine, die Komtesse.« Gibichen schob Fanny mit einem Klaps auf den Hintern Richtung Treppe und trat dann schwungvoll auf das Bett zu.
»Ich freue mich, Euch bei guter Gesundheit zu sehen, Komtesse!« Irmela war sich bewusst, dass sie so elend aussah, wie sie sich fühlte, und kniff die Lippen zusammen. »Ihr hört Euch wohl gerne reden, mein Herr.«
»Sagen wir, ich freue mich, Euch überhaupt lebend wiederzusehen.« Gibichens Verbeugung war höflich, doch das fröhliche Grinsen auf seinen Lippen ließ ihn einem Lausbuben gleichen.
Sie blickte ihn an, als stünde ein ganz anderer Gibichen vor ihr. »Ihr seid ein Tollkopf! Ich fürchte, Fabian hat auf Euch abgefärbt. Nichtsdestotrotz danke ich Euch für all die Mühe, die Ihr auf Euch genommen habt, um mich zu retten. Ich war fest überzeugt, auf dem Scheiterhaufen zu enden.«
Bei den Worten begann sie zu zittern und starrte zur Decke, auf der Flammen zu tanzen schienen. Zwei, drei Herzschläge nahm sie sich selbst darin wahr, aber dann war es nur noch die arme, alte Frau, die sie hatte sterben sehen. Kurz darauf war es wieder vorbei. Die gleiche Erscheinung hatte sie stundenlang gequält, während sie von Lexenthal mitgeschleppt worden war, und sie hatte sich zu Asche und Staub zerfallen sehen.
Mit ihrer Rechten tastete sie nun nach Gibichens linker Hand. »Wie ist das geschehen?«
»Fabian und ich haben ein paar Marodeuren heimgeleuchtet«, antwortete Gibichen leichthin. »Die Wälder sind voll von Flüchtlingen und Deserteuren, die zu räuberischem Gesindel herabgekommen sind.«
»Es war aber auch eine Menge Dummheit im Spiel. Ludwig wollte sich einfach nicht verarzten lassen! Jetzt kann er von Glück sagen, dass es Bertram Lohner gelungen ist, ihm die restliche Hand zu retten«, setzte Fabian bissig hinzu.
»Es ging um Irmela. Wir haben alles darangesetzt, Lexenthals Kutsche einzuholen. Das ist uns zwar nicht gelungen, aber wenn wir nicht so dicht hinter ihm her gewesen wären, hätte es zu spät sein können. Was wäre geschehen, hätten wir nur eine Stunde später den Kerker betreten?«
»Dann hätte ich dich wahrscheinlich nicht davon abhalten können, dem Kerkermeister das Lebenslicht auszublasen. Aber du hast recht! Unsere Eile hat Irmela davor bewahrt, zum Krüppel zu werden oder gar unter den Händen dieses Rohlings zu sterben. Außerdem trägst du den Schaden davon, denn meine Hand ist noch ganz.«
»Das war gemein!«, tadelte Irmela Fabian. »Du solltest Herrn von Gibichen nicht verspotten, sondern loben! Immerhin hat er weder sich noch seine Gesundheit geschont, um mir beizustehen.«
Unterdessen war Fanny mit einem Napf Suppe zurückgekehrt und hatte die letzten Worte gehört. »Und mich lobt Ihr nicht? Mein Hintern war völlig wund, weil wir so schnell reiten mussten.«
»Du hattest aber auch einen Helfer, der dich gut verarztet hat«, spöttelte Gibichen mit einem Seitenblick auf Abdur.
Fanny errötete und wandte sich mit einem heftigen Schnauben an Irmela. »Abdur hat mir nur eine Salbe besorgt, die ich auf meine Wundstellen schmieren konnte. Mehr war da nicht!«
»Ich dachte, er hätte sie selbst aufgetragen«, neckte Gibichen die Magd.
»Mein Herr, Ihr werdet frivol!« Irmela versuchte, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben, doch sie begann mitten im Satz zu lachen.
»Das wäre dann der zweite Gulden für mich«, erklärte Fanny gelassen, und nun lachten alle.