IX.

In Melk erhielten Fabian und Gibichen endlich die Gewissheit, dass Lexenthal vor ihnen war und in dieselbe Richtung reiste wie sie. Auf den ersten Meilen ihres Ritts hatten sie oft genug mit Zweifeln und der Angst gekämpft, in die Irre zu reiten, während Irmela an einem ihnen unbekannten Ort der Folter und dem Tod ausgesetzt war. Nun aber wussten sie, dass ihre Überlegungen richtig gewesen waren. Ihnen war auch klar geworden, dass der Prior nicht den bequemeren, wenn auch langsameren Weg auf einem stromaufwärts getreidelten Schiff gewählt hatte, sondern in einer Kutsche reiste und keine Rücksicht auf die Pferde nahm.

»Vor Passau werden wir ihn nicht einholen!«, wiederholte Gibichen zum zehnten oder zwanzigsten Mal und knirschte mit den Zähnen. Er hatte gehofft, Irmela unterwegs befreien zu können, denn er sah keinen Weg, sie aus den gut gesicherten Kerkern der bischöflichen Wehranlagen herauszuholen.

»Dann müssen wir noch schneller reiten!« Fabian blickte zur Sonne auf, die wohl noch eine knappe Stunde über dem Horizont stehen würde, und trabte an der Herberge vorbei, in der sie hatten übernachten wollen. Zum Glück behinderte Fanny sie nicht und beklagte sich auch nicht, wenn sie sich hinter einem Busch erleichtern oder unter freiem Himmel nächtigen musste.

An diesem Abend fühlte die Zofe sich zum ersten Mal am Ende ihrer Kräfte. Gerade als das Licht des Tages zu verblassen begann, zogen Wolken über ihnen auf, und während Gibichen eine Lichtung im Auwald der Donau als Lagerplatz wählte, begann es zu regnen. Die beiden Offiziere waren abgehärtet und schliefen trotz der Nässe und ihrer leeren Mägen rasch ein, Fanny aber fror in ihrer immer klammer werdenden Decke und fand keine Möglichkeit, sich gegen die Tropfen zu schützen, die ihr Gesicht nässten und unangenehm kalt am Hals hinunterliefen.

In dieser Stunde bedauerte sie es, sich auf dieses Abenteuer eingelassen zu haben, und sie vermochte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Eine Berührung an der Schulter ließ sie zusammenzucken. Sie blickte auf und sah ein Gesicht über sich, das sich kaum von der Dunkelheit der Nacht abhob.

»Rück ein wenig, damit ich dich wärmen kann!«, sagte Abdur sanft.

»Wohl, damit du mir zwischen die Beine steigen kannst!« Fanny versetzte ihm einen heftigen Stoß, brachte ihn damit aber nur zum Lachen.

»Glaubst du, mir steht der Sinn nach einem Laib ungebackenen Brotes?« Ohne auf ihre Proteste zu achten, schlüpfte er unter ihre Decke und zog seinen weiten, mit Wachs getränkten Filzmantel über sie beide.

»Der hilft besser gegen den Regen als deine Wolldecke«, erklärte er ihr im gleichen, nach einem Lachen klingenden Tonfall.

Fanny antwortete nicht, sondern blieb steif liegen und kämpfte mit seiner Bemerkung, sie wäre für ihn nicht mehr als ein Stück ungebackenen Brotes.

Abdur drängte sich nun enger an sie und legte ihr den Arm um die Taille, bemühte sich dabei aber, keiner der empfindlicheren Regionen ihres Leibes zu nahe zu kommen. Sein Körper strahlte eine angenehme Wärme aus, und beinahe gegen ihren Willen kuschelte sie sich an ihn. Noch während sie überlegte, ob sie nicht doch einmal versuchen sollte, Abdur bei einer besseren Gelegenheit zu verführen, fiel sie in einen tiefen, von angenehmen Träumen erfüllten Schlaf und wachte erst auf, als es hell wurde. Sie starrte in den feuchten, nebelverhangenen Morgen und stellte ein wenig enttäuscht fest, dass der Platz an ihrer Seite leer war. Dann vernahm sie einen leise gezischten Fluch und blickte auf.

Nicht weit von ihr versuchte der Mohr, mit Baumschwamm und trockenem Gras feuchtes Holz zu entzünden, um die Vorräte anzuwärmen. Die beiden Offiziere schliefen noch, bewegten sich aber unruhig und würden wohl bald erwachen.

Fanny stützte sich auf die Ellbogen und sah Abdur an. »War das dein Ernst, was du gestern Abend gesagt hast? Bin ich für dich zu hässlich?«

Ein Lächeln huschte über Abdurs Gesicht, und er gluckste vor sich hin. »Manchmal muss man zu Frauen Dinge sagen, die ihnen nicht gefallen, damit sie vernünftig bleiben. Hätte ich gesagt, ich fände dich schön, hättest du mir falsche Absichten unterstellt und mich nicht unter deine Decke gelassen. Dann aber hättest du die ganze Nacht über gefroren und wärst heute so erkältet, dass du nicht weiterreiten könntest.«

»Also gefalle ich dir doch!« Fanny sprang geschmeidig auf und strich die Falten aus ihrem Kleid. Am Abend war es feucht geworden, doch unter Abdurs wasserundurchlässigem Mantel hatte es trocknen können, und Fanny spürte nicht einmal den Anflug eines Schnupfens.

»Glaube nur nicht, dass ich so verzärtelt bin wie die Dienerinnen auf Burg Rain!«, sagte sie selbstgefällig und drehte sich hüftenschwingend um.

Abdur beobachtete sie lächelnd, dann wandte er sich wieder seinem Feuer zu, das einfach nicht brennen wollte.

»Warum nimmst du kein Pulver, um es zu entzünden?«, fragte Fanny.

»Keine schlechte Idee.« Abdur stand auf und öffnete Gibichens Satteltasche.

Gerade als er nach dem Pulverhorn griff, hob Fanny den Kopf. »Ich glaube, ich habe etwas gehört!«

»Wahrscheinlich ein Hirsch oder eine Wildsau auf ihrem Wechsel.« Abdur wollte sich abwenden, als er Stimmen vernahm.

»He, seht mal die Gäule dort! Ich wette, da ist noch mehr zu holen! Zieht die Messer und seid leise. Da wartet ein Geschenk des Himmels auf uns.«

»Oder des Teufels, aber das wäre mir auch wurscht. Los, Kameraden!«

Abdur schrie zornig auf, als er die sieben zerlumpten Kerle aus dem Wald kommen sah, und reckte die Pistole in deren Richtung. Nun wurden auch Gibichen und Fabian wach und griffen mit der Erfahrung ihrer Kriegszüge sofort zu den Waffen.

Die Marodeure dachten jedoch nicht daran, sich von drei Männern und einer Frau einschüchtern zu lassen. Der Anführer, der mit einem zerfetzten schwedischen Uniformrock bekleidet war, gab seinen Kumpanen mit der Hand ein Zeichen. Während diese sich zerstreuten, um Fabian und die anderen einzukreisen, grinste er dreckig und wies auf Fanny.

»Das Weibsstück wird uns viel Freude bereiten, meint ihr nicht auch, Kameraden?«

Zustimmendes Gejohle antwortete ihm. Abdur riss die Pistole hoch und drückte ab. Der Hammer schlug auf die Platte, brachte jedoch nur ein leises Zischen zustande.

»Dir ist wohl das Pulver nass geworden, du Kaminkehrer«, spottete der Anführer der Marodeure. Seine Männer sahen es als Signal an und stürmten auf Abdur und die beiden Offiziere los. So zerlumpt die Kerle auch aussehen mochten, mit ihren Waffen verstanden sie umzugehen. Da sie Gibichen und Fabian für die gefährlicheren Gegner hielten, drangen je drei von ihnen auf diese ein, während der Anführer mit erhobener Klinge auf Abdur zutrat, der sich schützend vor Fanny gestellt hatte.

Der Mohr las in den Augen des Angreifers Mordlust und die Gier nach der Frau und schleuderte ihm die nutzlose Pistole ins Gesicht. Der Mann wehrte sie mit seinem Degen ab und verzog seine Lippen zu einem Feixen.

»Jetzt werden wir gleich sehen, ob du inwendig ebenso schwarz bist wie außen!«

Abdur spürte, wie Fanny ihm etwas in die Hand drückte, wagte aber nicht, seinen Gegner aus den Augen zu lassen. Der Mann schien sich seines Sieges sicher zu sein, denn er spielte mit seinem Opfer, drohte ihm und fuchtelte scheinbar sinnlos mit der Waffe herum. Plötzlich zuckte seine Klinge auf Abdur zu. Der Mohr sprang zurück, prallte gegen Fanny, die dicht hinter ihm stand, und konnte sich gerade noch auf den Beinen halten. Dabei drang die Spitze des Säbels, die auf sein Herz gezielt hatte, in seinen Arm.

Sein Gegner sah das Blut, grinste höhnisch und leckte sich die Lippen. Dann stieß er erneut zu. Abdur parierte den zweiten Stoß mit dem Gegenstand, den er von Fanny erhalten hatte. Es war nur ein Stück Holz, das sie aufgerafft hatte, aber es lenkte die feindliche Waffe ab.

Während Abdur versuchte, sich gegen den Anführer der Marodeure zu behaupten, kämpften die beiden Offiziere Rücken an Rücken gegen sechs Männer und nutzten dabei den Vorteil ihrer längeren Klingen. Fabian warf alle Finessen der Fechtkunst über Bord und schwang den Pallasch wie eine Axt. Seine Klinge traf auf Stahl, glitt funkensprühend ab und drang dann tief in den Leib eines Angreifers.

Der Mann stöhnte auf und stürzte zu Boden. Zur gleichen Zeit stach auch Gibichen einen der Kerle nieder und hielt sich dann drei weitere mit wütenden Hieben vom Leib. Für einen Augenblick hatte Fabian es mit nur einem Gegner zu tun und nutzte seine Chance. Bevor der Schwede sich versah, unterlief er dessen Schlag und stach seine Klinge von unten in das Herz des Angreifers. Ohne dem Zusammenbrechenden einen weiteren Blick zu gönnen, zog er den Pallasch zurück, wirbelte herum und traf den Hals eines weiteren Marodeurs.

Für Gibichen, dem Blut von der freien Hand tropfte, war es Rettung im letzten Augenblick. Einer der Männer hatte seine Waffe blockiert, während der Dritte gerade zum tödlichen Hieb ausholte. Mit einem schrillen Aufschrei versuchte Fabian noch in der Bewegung dazwischenzugehen, traf aber nur den Oberschenkel des Angreifers. Der versuchte, seiner Klinge eine andere Richtung zu geben, doch sein Bein gab nach und er stürzte. Während Fabian ausholte, um den Mann endgültig auszuschalten, löste sich der letzte Angreifer von Gibichen, sprang aus der Reichweite der gegnerischen Klingen und rannte davon.

Als der Anführer bemerkte, dass sich das Blatt wendete, suchte er ebenfalls sein Heil in der Flucht. Doch Abdur verwandelte seine Abwehrbewegung in einen Wurf, und sein Knüppel traf den Mann zwischen den Schulterblättern. Noch während dieser seinen Sturz mit den Armen abzufangen versuchte, war Gibichen hinter ihm und schlug mit aller Kraft zu.

»Gesindel!«, lautete seine Grabrede für die toten Marodeure. Er machte sich nicht einmal die Mühe, zu den beiden Kerlen zu treten, die stöhnend am Boden lagen, und sie von ihren Leiden zu erlösen, sondern wies mit einer energischen Handbewegung auf die Pferde.

»Lasst uns aufbrechen, ehe andere Räuber von dem Lärm angelockt hier auftauchen!«

»Du bist verletzt.« Fabian wollte nach Gibichens blutüberströmter Hand greifen, doch der entzog sie ihm mit einer abwehrenden Kopfbewegung.

»Das ist nicht der Rede wert!« Ohne sich weiter um Fabian zu kümmern, hob er Satteldecke und Sattel auf und legte beides auf den Rücken seines Pferdes. Da ihn die Wunde behinderte, wickelte er einen Fetzen Stoff um die Hand und machte mit zusammengebissenen Zähnen weiter.

Fabian wollte seinem Freund die Meinung über so viel Leichtsinn sagen, entschloss sich aber dann, den Mund zu halten. Gibichen musste selbst wissen, was er tat. Daher machte er sich ebenfalls zum Aufbruch fertig. Abdur, dessen Wunde von Fanny notdürftig mit einem sauberen Stück von Irmelas Unterkleid verbunden worden war, sattelte mit angespanntem Gesicht Fannys und sein Pferd und verstaute die Vorräte, die neben dem erloschenen Feuer lagen.

»Vielleicht finden wir unterwegs trockeneres Holz«, sagte er, während er Fanny mit dem unverletzten Arm in den Sattel half. Sie aber winkte ab, denn sie wusste ebenso gut wie er, dass sie warten mussten, bis sie unterwegs auf ein Gasthaus oder eine Schenke trafen.

Die Feuerbraut
cover.html
titel.html
part1.html
chapter1.html
chapter2.html
chapter3.html
chapter4.html
chapter5.html
chapter6.html
chapter7.html
chapter8.html
chapter9.html
chapter10.html
chapter11.html
chapter12.html
chapter13.html
chapter14.html
chapter15.html
chapter16.html
chapter17.html
part2.html
chapter18.html
chapter19.html
chapter20.html
chapter21.html
chapter22.html
chapter23.html
chapter24.html
chapter25.html
chapter26.html
chapter27.html
chapter28.html
chapter29.html
chapter30.html
chapter31.html
chapter32.html
chapter33.html
chapter34.html
chapter35.html
chapter36.html
part3.html
chapter37.html
chapter38.html
chapter39.html
chapter40.html
chapter41.html
chapter42.html
chapter43.html
chapter44.html
chapter45.html
chapter46.html
chapter47.html
chapter48.html
chapter49.html
chapter50.html
chapter51.html
chapter52.html
chapter53.html
chapter54.html
chapter55.html
chapter56.html
part4.html
chapter57.html
chapter58.html
chapter59.html
chapter60.html
chapter61.html
chapter62.html
chapter63.html
chapter64.html
chapter65.html
chapter66.html
chapter67.html
chapter68.html
chapter69.html
chapter70.html
chapter71.html
chapter72.html
part5.html
chapter73.html
chapter74.html
chapter75.html
chapter76.html
chapter77.html
chapter78.html
chapter79.html
chapter80.html
chapter81.html
chapter82.html
chapter83.html
chapter84.html
chapter85.html
chapter86.html
chapter87.html
chapter88.html
chapter89.html
chapter90.html
chapter91.html
chapter92.html
part6.html
chapter93.html
chapter94.html
chapter95.html
chapter96.html
chapter97.html
chapter98.html
chapter99.html
chapter100.html
chapter101.html
chapter102.html
chapter103.html
chapter104.html
chapter105.html
part7.html
chapter106.html
chapter107.html
chapter108.html
chapter109.html
chapter110.html
chapter111.html
chapter112.html
chapter113.html
chapter114.html
chapter115.html
chapter116.html
chapter117.html
chapter118.html
chapter119.html
chapter120.html
chapter121.html
chapter122.html
chapter123.html
chapter124.html
chapter125.html
chapter126.html
chapter127.html
chapter128.html
chapter129.html
back1.html
back2.html
back3.html
back4.html
author.html
copyright.html