II.

Irmela wusste hinterher nicht mehr zu sagen, ob sie sich ärgern sollte, weil Wallenstein sie und ihr Anliegen so nebensächlich behandelt hatte, oder sich freuen, weil sie überhaupt angehört worden war. Auf jeden Fall hatte sie einen interessanten Einblick in sein Verhältnis zum Kaiser und dem Wiener Hof erhalten. Er schien von Herrn Ferdinand und dessen Beratern wenig zu halten und nur nach seinem eigenen Willen zu handeln. Wenn sie an die Folgen dachte, die dies für ihre Heimat Pfalz-Neuburg haben musste, hätte sie Wallenstein am liebsten angefleht, umgehend nach Bayern zu marschieren und dabei auch das kleine Herzogtum an der Donau von den Schweden zu befreien. Da ihm aber nicht einmal das Wort des Kaisers etwas galt, hätte sie genauso gut versuchen können, einen Stein zum Weinen zu bringen.

So war sie froh, als sie das Haus der Štranzls erreicht hatte und zu ihrem Zimmer hochsteigen konnte. Auf der Treppe kam ihr Fanny mit einem so sauren Gesichtsausdruck entgegen, wie sie ihn noch nie an ihr gesehen hatte.

»Ist etwas vorgefallen?«, fragte sie.

Ihre Zofe deutete nur mit dem Daumen nach oben. »Seht selbst, Komtesse.« Damit schlüpfte sie an Irmela vorbei und lief nach unten.

Irmela sah ihr kopfschüttelnd nach. Als sie ihre Kammer erreichte, war es darin so düster wie in Ehrentrauds Zimmern, und aus dem hintersten Winkel vernahm sie ein herzzerreißendes Schluchzen. Verärgert trat Irmela ans Fenster und riss die Vorhänge auf. Helles Licht flutete in die Kammer und traf eine zusammengekauerte Gestalt, die sie panikerfüllt anstarrte.

Es handelte sich um Frau von Kerling, die so zerrupft aussah wie ein Sperling, der einem zugreifenden Falken entkommen war. Ihr Kleid war verdreckt, der Saum aufgerissen, und sie hatte bei einem Schuh die Sohle verloren und musste sich am Fuß verletzt haben, denn der Strumpf glänzte rot. Kletten hingen in ihrem Haar, und es sah ganz so aus, als hätte sie seit dem misslungenen Entführungsversuch hungern und dürsten müssen.

Irmela dachte an den üblen Streich, den ihr diese Frau gespielt hatte, und musste an sich halten, um sie nicht aus dem Zimmer zu treiben und die Treppe hinunterzuwerfen. Mühsam beherrscht stellte sie sich mit verschränkten Armen vor ihre verräterische Gesellschafterin und sah auf sie hinab. »Was sucht Ihr noch hier?«

Dionysia von Kerling brach in einen erneuten Weinkrampf aus, und es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich beruhigt hatte und antworten konnte. »Ich weiß doch nicht, wo ich sonst hingehen soll. Ich besitze keinen einzigen Groschen und kenne niemand, der mir helfen würde.«

»Und was ist mit dem famosen Herrn Obristen, zu dem ich Euch begleiten sollte?« Irmelas Ärger brach sich in Spott Bahn.

Die Frau senkte den Kopf. »Der befindet sich irgendwo in Nordböhmen und hat auch nicht nach mir geschickt. Es war nur eine Ausrede, zu der Heimsburg mich gezwungen hat.«

»So, gezwungen hat er Euch? Ich hatte den Eindruck, Ihr wäret mit ihm im Bunde gewesen und hättet mich ihm freiwillig ausgeliefert.«

Irmelas Tonfall warnte Dionysia von Kerling, alle Schuld auf Heimsburg zu schieben. Sie fiel auf die Knie und hob flehend die Hände. »Vergebt mir, ich flehe Euch an! Ich wollte Euch doch nicht schaden! Herr von Heimsburg war ein guter Freund meines Gemahls, und da er nicht durch eigene Schuld verarmt ist, wollte ich ihm helfen. Ihr habt doch den Schutz eines liebenden Ehemanns dringend nötig, denn Eure Großmutter wird Euch nicht aus ihren Klauen lassen. Der geht es doch nur um Euer Geld!«

Das mochte stimmen, dachte Irmela, doch diese Tatsache dämpfte nicht ihre Wut auf die Frau, die sie verraten hatte und nun vor ihr kroch. »Ihr hättet bei Heimsburg bleiben sollen. An meinem Tisch ist kein Platz mehr für Euch.«

Dionysia von Kerling starrte Irmela verzweifelt an. »Heimsburg ist verwundet und daher nicht in der Lage, sich um mich zu kümmern. Deswegen musste ich den ganzen Weg in die Stadt zu Fuß zurücklegen, und das voller Angst, auf Soldaten zu treffen und von ihnen ins Gebüsch gezerrt zu werden.«

»Ich hätte es Euch gegönnt!« Noch während sie es sagte, wusste Irmela, dass dies nicht stimmte. Sie wünschte keiner Frau, auch der Kerling nicht, das Opfer entfesselter Söldner oder Marodeure zu werden. Die Erinnerungen an den Flüchtlingstreck, der den Schweden in die Hände geraten war, und an das Schicksal der Frauen, die dort umgebracht worden waren, stiegen in ihr auf, und sie spürte, dass sie weich wurde.

»Heimsburg ist wahrlich kein Kavalier. Als solcher hätte er Euch unter seinen Schutz nehmen müssen. Bedauerlich, dass meine Kugel ihn nicht besser getroffen hat.«

»Ihr habt vorzüglich getroffen, nur war das Pulver in der Pistole schlecht. Daher hat die Kugel seine Rippen nicht durchschlagen können, sondern ist an ihnen abgeglitten und hat die Muskeln an der Seite durchtrennt. Der Feldscher, den sein Bursche geholt hat, meinte, er würde in einigen Wochen wieder auf dem Damm sein. Heimsburg will jetzt einen früheren Kameraden aufsuchen und diesen bitten, ihm während seiner Genesungszeit Gastfreundschaft zu gewähren. Mich wollte er nicht mitnehmen, denn dies könnte er nur als mein Bräutigam tun. Da er nach einer reichen Heirat strebt, kann er so eine Kirchenmaus wie mich nicht brauchen.«

Täuschte Irmela sich oder hörte sie in den Worten Eifersucht schwingen? Aber das war für sie nicht von Belang. Frau von Kerling hatte ein übles Komplott gegen sie geschmiedet, und das war alles, was für sie zählte. »Es ist das Beste, Ihr sucht Euch ebenfalls einen Freund oder eine Freundin, bei der Ihr unterkommen könnt. Ich will nichts mehr mit Euch zu tun haben!«

Dionysia von Kerling schluckte, gab sich aber noch nicht geschlagen. »Ich flehe Euch an, mich nicht zu verstoßen. Hilflos und mittellos, wie ich bin, bliebe mir nur der Weg ins Wasser, oder ich würde als Soldatenhure enden! Ihr müsst auch an Euch denken, Komtesse. Ein Fräulein Eures Ranges kann es sich nicht leisten, ohne Anstandsdame in einer Stadt zu wohnen, in der es von Soldaten wimmelt, oder gar allein zu reisen. Wenn Ihr mich wieder aufnehmt, werde ich Euch stets die ergebenste Freundin sein, die Ihr Euch wünschen könnt!«

Noch während dieser Erklärung begriff Dionysia von Kerling, dass es noch einen Punkt gab, den sie beichten musste. Wenn Irmela ihre Reisekasse überprüfte, würde sie merken, dass eine beträchtliche Summe fehlte. Der Verdacht würde sofort auf sie fallen, da weder die Offiziere noch die Bewohner des Hauses wussten, wo die Schatulle versteckt war.

»Ich muss Euch noch etwas gestehen. Da Herr von Heimsburg sich in so verzweifelten Verhältnissen befand, habe ich Geld aus Eurer Börse entnommen und ihm zukommen lassen.« Jetzt gilt es, dachte die Witwe. Wenn die Komtesse hart bleibt, muss ich mich ertränken. Ihr war allzu klar, dass sie zu alt war, um einen oder mehrere Offiziere als Beschützer zu finden. Daher würde sie ihren Unterhalt nur als billige Trosshure verdienen können.

Irmela versuchte, die widersprüchlichen Gefühle, die in ihr tobten, unter Kontrolle zu bringen und einen Weg zwischen Mitleid und Zorn zu finden. In einem hatte Frau von Kerling recht: Sie durfte auf keinen Fall ohne Anstandsdame reisen. Wenn sie das Weib verjagte, würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als in der Stadt nach einer Dame zu suchen, die in nächster Zeit auf Reisen ging und der sie sich anvertrauen konnte. Der Gedanke, mit Stephanie von Harlau bis Wien fahren und dort auf eine andere Dame warten zu müssen, die den Weg nach Passau einschlug, ernüchterte sie. Tag für Tag die Frau vor sich sehen zu müssen, deren Schönheit Fabian den Verstand geraubt hatte, würde sie nicht überstehen.

Doch konnte sie Frau von Kerling vertrauen? Irmela sah das Häuflein Elend an, das zu ihren Füßen kauerte, und begriff, dass ihr nur die Wahl zwischen zwei Übeln blieb, und sie wusste noch nicht, welches das kleinere war. Ihr Zorn überwog, und so stupste sie die Witwe mit dem Fuß an. »Wascht Euch erst einmal und nehmt einen Bissen zu Euch. Über das Weitere werde ich später entscheiden.«

Obwohl ihre Stimme ablehnend klang, schöpfte Dionysia von Kerling Hoffnung. Sie ergriff Irmelas Rechte und führte sie an ihre Lippen. »Tausend Dank, Komtesse! Ich schwöre Euch bei meinem Seelenheil, Ihr werdet es nicht bereuen.«

»Ich werde Euch bei Gelegenheit an Euren Schwur erinnern. Jetzt hole ich Fanny, damit sie sich Eurer annehmen kann.« Verärgert, weil sie so ein weiches Herz hatte und es nicht fertigbrachte, dieses verräterische Weib, das die reuige Sünderin mimte, von sich zu stoßen, wandte Irmela sich zur Tür und öffnete, um nach ihrer Magd zu rufen. Da kam Fanny bereits mit einem hölzernen Zuber herauf. Abdur folgte ihr mit zwei vollen Eimern warmen Wassers.

»Woher hast du gewusst, was ich von dir wollte?«, fragte Irmela die Zofe verblüfft.

Fanny blies die Backen auf. »Ich kenne Euch doch. Ihr könnt nicht einmal einen räudigen Hund von Eurer Schwelle jagen, geschweige denn einen Menschen, der so aussieht wie die Kerling. Der vergönne ich die Meilen, die sie laufen musste, und auch die wunden Füße. Ich würde Euch aber raten, sie nicht aus den Augen zu lassen. Für eine Handvoll Gulden verkauft die Euch auch an den nächsten Freier.«

»Das werden wir beide wohl zu verhindern wissen.« Irmela zwinkerte Fanny zu und eilte nach unten, denn aus der Küche stieg der Duft frischer Apfelküchlein zu ihr empor.

Die Feuerbraut
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