III.

Fabian wusste später nicht mehr, wie er seinen restlichen Dienst hinter sich gebracht hatte. Seine Gedanken drehten sich in einem fort um Stephanie, die nun im Obergeschoss des Hauses bei ihrem Ehemann weilte und diesem in allem zu Diensten sein musste. Eifersucht, Schmerz und Wut fochten einen wilden Kampf in ihm aus, und nur mit letzter Kraft gelang es ihm, sich so weit zu beherrschen, dass er nicht mit gezogenem Pallasch nach oben stürmte und dem Grafen Harlau das Lebenslicht ausblies.

Zu seinem Glück wimmelte es nach den stillen Tagen während Wallensteins Abwesenheit nun im Hauptquartier vor geschäftigen Leuten, so dass ein einzelner Mann nicht auffiel. Ordonanzen stürmten in den Saal, in dem der Generalissimus arbeitete, nahmen Befehle entgegen und verschwanden sofort wieder.

Fabian, der das Treiben um ihn herum kaum wahrnahm, stand wie eine Statue neben der Tür, die Hand um den Griff seiner Waffe gekrampft und so bleich, als sei alles Blut aus ihm herausgeflossen. Ihm waren kaum mehr als zwei Wochen des Glücks mit Stephanie von Harlau vergönnt gewesen, doch die Stunden mit ihr würde er niemals vergessen. Beinahe wünschte er sich zu sterben, um nicht in den Trümmern seiner Träume weiterleben zu müssen. Nach den Erfahrungen mit Gerda und Ehrentraud hatte er jede willige Frau als Gegenstand zur Erfüllung seiner sexuellen Wünsche angesehen, aber Stephanie war viel mehr gewesen. Vor seinem inneren Auge sah er sie, wie sie mit zärtlich anmutenden Gesten den Weinbecher gefüllt und ihm gereicht hatte, und glaubte den Klang ihrer Stimme zu vernehmen, die so süß war wie die eines Engels. Aus und vorbei, schoss es ihm durch den Kopf; du wirst sie niemals wiedersehen, denn Graf Harlau nimmt sie mit.

Der Offizier, der Fabian ablösen wollte, musste ihn anstupsen, damit der Leutnant auf ihn aufmerksam wurde. »Auf geht’s, Birkenfels! Jetzt bin ich dran.«

Fabian schüttelte verwundert den Kopf. »Ist es schon so spät?« Ihm war, als hätte Harlau erst vor wenigen Minuten den Raum verlassen. Er atmete tief durch, klopfte seinem Kameraden auf die Schulter und verließ nach einem letzten Blick auf Wallenstein, der sich gerade in die Auflistung der in den letzten Wochen gelieferten Ausrüstungsgegenstände vertieft hatte, das Hauptquartier.

Auf der Straße traf er Gibichen, der sich sofort bei ihm unterhakte. »Komm, trinken wir einen Schluck!«

Sein Freund zog ihn in Richtung einer kleinen Schenke, in der sie häufig beim Bier zusammensaßen. Fabian war es egal, wohin Gibichen ihn führte, denn so elend wie an diesem Tag hatte er sich nicht einmal nach dem Tod seiner Eltern gefühlt.

Zielsicher lotste Gibichen ihn in die Schenke und an einen Ecktisch, an dem sie sich ungestört unterhalten konnten. Er wartete, bis der Schankbursche zwei schäumende Krüge vor sie gestellt hatte, und hob den seinen Fabian entgegen. »Komm, stoß mit mir an!«

Fabian tat es, ohne einen Trinkspruch auszubringen, und schüttete dann den Inhalt des Kruges in einem Zug hinunter. »Bäh, schmeckt das Zeug scheußlich«, murrte er und winkte dem Schankknecht, ihm das Gefäß noch einmal zu füllen.

»So wie du eben getrunken hast, hätte man meinen können, du wärst ein Kamel, das nach einer langen Reise aus der Wüste kommt. Doch wenn es dir hilft, dann tu dir keinen Zwang an.« Gibichen legte seinen Arm um Fabians Schulter und zog ihn so herum, dass dieser ihm in die Augen schauen musste.

»Ich habe gehört, Graf Harlau sei erschienen, und mir gedacht, es wäre besser, ich hole dich ab und passe ein wenig auf dich auf.«

»Was habe ich mit Harlau am Hut?«, fragte Fabian patzig.

»Mit ihm weniger, mehr dafür aber mit seiner Frau!«

Fabian zuckte zusammen. »Was … wie …?«

»Wie ich darauf gekommen bin? Nun, das ist ganz einfach. Als du letztens Nachtdienst hattest, wollte ich dir Gesellschaft leisten und mit dir reden, konnte dich allerdings nicht im Erdgeschoss finden. Stattdessen habe ich höchst verdächtige Geräusche aus dem Schlafzimmer der betreffenden Dame gehört. Weißt du, nicht nur Irmela hat gute Ohren! Als Kind habe ich die Erwachsenen mit Fragen nach Dingen verblüfft, die ich nicht hätte mitbekommen sollen, und sie haben es lange Zeit nicht mehr gewagt, sich in meiner Nähe über verfängliche Themen zu unterhalten.« Gibichen gluckste vor Vergnügen, als er sich an jene Zeiten erinnerte, wurde aber sofort wieder ernst und versetzte Fabian einen leichten Stoß.

»Es war Narretei von dir, eine Liebschaft mit dieser Dame anzufangen. Harlau lässt dir die Haut vom Leib schälen, wenn er dahinterkommt. Seine Frau hätte vorsichtiger sein müssen – und du erst recht.«

»Das verstehst du nicht«, antwortete Fabian leise.

»Und ob ich verstehe! Weißt du, ein Herr von Wallenstein könnte es sich leisten, mit der Dame intim zu werden, denn er ist der Generalissimus aller Truppen, Herzog und was noch alles dazu. Da müsste selbst ein Graf Harlau seinen Stolz hinunterschlucken. Aber er würde es nicht hinnehmen, sich von einem einfachen Leutnant Birkenfels Hörner aufsetzen zu lassen. Sei froh, dass er so bald erschienen ist. Was wäre gewesen, wenn du die Dame in der Zeit, in der sie von ihrem Mann getrennt war, geschwängert hättest? Den Skandal kannst du dir selbst ausmalen. Glaub mir, es ist das Beste für dich und diese Frau, wenn ihr euch nicht wiederseht. Lass es mit der kleinen Liebelei gut sein und vergiss sie.«

Fabian schüttelte verzweifelt den Kopf. »Das kann ich nicht!«

»Du musst, sonst ist es dein Verderben und das der Gräfin Harlau dazu. Oder willst du, dass ihr Mann sie als untreues Weib in ein Kloster einsperrt und sie sich den ganzen Tag kasteien muss, weil ihr Mann und die Äbtissin es als Strafe für ihre Sünden verlangen?«

Gibichens eindringliche Worte brachten Fabian dazu, sich den Tatsachen zu stellen. »Stephanie darf nichts geschehen!«

»Dann benimm dich entsprechend. Wenn du willst, gehen wir heute noch zu Gerdas Gönnern und kaufen uns bei ihnen ein. Dann hast du ein Weib zur Verfügung und brauchst nicht den Stunden mit der Harlau nachzutrauern.«

Fabian schüttelte den Kopf. Sein Freund würde nie begreifen, dass ihn mit Stephanie von Harlau mehr verband als der kurzfristige Rausch der Sinne. Doch gerade um ihretwillen musste er sich beherrschen, auch wenn sein Herz in Trümmern lag.

»Stephanie darf nichts geschehen!«, wiederholte er.

»Also hältst du dich in Zukunft an Gerda?«

Fabian schüttelte erneut den Kopf. »Mir ist nicht nach einer Hure zumute.«

»Sturer Bock! Wenn du jetzt das jammernde Elend spielst, machst du nur die Leute auf dich aufmerksam. Es wissen gewiss noch andere, dass du während Wallensteins Abwesenheit nicht nur dessen Garderobe bewacht hast. Ein Heimsburg würde seine Seele an den Teufel verkaufen, wenn er dir auf diese Weise eins auswischen könnte. Also nimm dich zusammen! Das Beste wäre es freilich, du würdest heiraten. Damit könntest du allen Spekulationen das Wasser abgraben.«

»Ich und heiraten? Wen denn?« Trotz seiner Trauer um Stephanie gelang es Fabian zu lachen.

»Nun, Irmela zu Beispiel.«

»Dieses unreife Kind!«, platzte Fabian heraus.

»Sie ist über achtzehn und wäre in friedlicheren Zeiten schon längst Ehefrau und wohl auch Mutter. Du könntest es nicht besser treffen. Das Mädchen ist in dich vernarrt, reich und überdies ein Mündel des Pfalz-Neuburger Herzogs, der dir seine Protektion nicht versagen würde. Du könntest rasch avancieren und in einem Jahr vielleicht sogar mich herumkommandieren.«

Fabian blickte Gibichen fragend an, als wolle er feststellen, ob sein Freund es ernst meinte, und entdeckte einen ungewohnten Ausdruck in dessen Augen, der Besorgnis und seltsamerweise ein wenig Trauer verriet. Auch schien sein Freund ihm entgegen seiner sonstigen Art überraschend ernst zu sein. Es beunruhigte Fabian, dass Gibichen ganz offensichtlich große Schwierigkeiten befürchtete, und er verfluchte sich, weil er seiner Leidenschaft für Stephanie keine Zügel angelegt und sie dadurch in Gefahr gebracht hatte. Aber er hätte die süßen Stunden mit ihr nicht um alles in der Welt missen wollen. Nun musste er alles tun, um sie zu schützen. Würde er in absehbarer Zeit heiraten, dürfte dies den Leuten Sand in die Augen streuen und Stephanies Ruf schützen.

Allerdings war Irmela das einzige Mädchen, bei dem er auf Erfolg hoffen konnte. Der Gedanke, sie zum Weib zu nehmen, wäre ihm wirklich nicht in den Sinn gekommen, doch wenn er es jetzt tat, mussten alle annehmen, sie wäre nach Böhmen gereist, um ihn wiederzusehen.

»Vielleicht tue ich es. Es ist wohl immer noch besser, als Harlau den Schädel zu spalten, um Stephanie von ihm zu befreien.«

»Wenn du das tust, endest du auf dem Richtblock und hast nichts davon«, gab Gibichen trocken zurück. »Außerdem bin ich sicher, dass Irmela dich die blonde Schönheit vergessen lassen wird. Sie ist das tapferste Mädchen, das ich je kennengelernt habe. Wenn ich daran denke, wie sie mit Heimsburg fertig geworden ist, als dieser sie entführen wollte.«

Fabian fuhr hoch. »Was sagst du? Heimsburg wollte Irmela entführen?«

»Nicht nur das! Er wollte sie zur Heirat zwingen, um an ihr Vermögen zu kommen. Aber sie hat ihm ein Schnippchen geschlagen.«

»Ich werde diesen Hund vor meine Klinge holen!« Fabians Stimme klirrte vor Wut, gleichzeitig empfand er Scham. Irmela hatte auf seinen Schutz vertraut und war in Gefahr geraten, weil es für ihn nur noch Stephanie von Harlau gegeben hatte.

»Derzeit dürfte Heimsburg nicht in der Lage sein, dir Genugtuung zu schaffen. Irmela hat ihm nämlich eine Kugel aufgebrannt, deren Wirkung ihm ebenso zu schaffen machen dürfte wie sein verletzter Stolz.« Gibichen berichtete nun von Irmelas Abenteuer, von dem Fabian nicht das Geringste mitbekommen hatte, und sang dabei ein Loblied auf das Mädchen, das ihn mehrmals den Kopf schütteln ließ. Für so beherzt, wie sein Freund es beschrieb, hätte er Irmela nicht gehalten. Als Kind war sie vor den Fröschen zurückgeschreckt, die er ihr hingehalten hatte, und auch sonst hatte er sie als eher ängstliches kleines Ding in Erinnerung. Selbst bei dem Überfall durch die Schweden war sie in Panik verfallen, statt mit klarem Verstand zu handeln.

»Dennoch ist es ihr gelungen, etliche Frauen und Kinder zu retten«, erinnerte er sich selbst.

»Was sagst du?«, fragte Gibichen, der Fabians Gedankensprung nicht folgen konnte.

»Ach, nichts!«, antwortete dieser mit einem säuerlichen Lächeln. Auch wenn Gibichens Rat ihm weise erschien, war Fabian nicht sicher, ob er ihn befolgen sollte. Im Vergleich zu Stephanie von Harlau war Irmela nur ein trübes Talglicht gegen den strahlenden Glanz der Sonne.

Die Feuerbraut
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