XI.

Kaum war der Hauptmann gegangen, begann Johanna zu hetzen und kritisierte mit gedämpfter Stimme den Pfalzgrafen und Neuburger Herzog, der ihnen Schutz versprochen hätte und sie nun unterwegs abladen wolle wie überflüssige Gepäckstücke. In einem einsamen Gutshof, so behauptete sie, würden sie ganz gewiss den Schweden zum Opfer fallen.

Meinarda versuchte eine Weile, ihr boshaftes Gerede zu ignorieren, aber dann ging es ihr zu weit. »Ich halte es für eine gute Entscheidung, nach Passau zu ziehen. Von da aus ist es nicht weit nach Böhmen, über das Herr von Wallenstein als Vertreter des Kaisers herrscht. Er wird uns gewiss den Schutz angedeihen lassen, den wir benötigen.«

Sie wollte noch mehr sagen, doch im Eingangsbereich klangen wieder Stimmen auf; und kurz darauf hob ein Mann in der aufwendig gestalteten Tracht eines Dominikanerpriors den Vorhang. Ihm folgte Rudolf Steglinger mit einer Miene, die zwischen Trotz und grimmiger Zufriedenheit schwankte. Er sah seine Frau nicht einmal an, sondern hielt sich hinter dem Prior, als benötige er ihn als Schutzschild.

»Jetzt sagt schon Euer Sprüchlein auf!«, forderte er den Dominikaner auf.

Sein Drängen schien den Prior zu verärgern, denn er warf Steglinger einen tadelnden Blick zu, setzte dann aber eine hochmütige Miene auf und musterte Walburga wie eine Raupe, die es gewagt hatte, sich auf seine Kutte zu setzen.

»Euer Ehemann ist nach der Morgenmesse zu mir und den Oberhäuptern der heiligen Kirche in dieser Stadt gekommen, um sein Gewissen zu erleichtern. Es ist ihm nach dem, was gestern mit Euch geschehen ist, nicht mehr möglich, in ehelicher Gemeinschaft mit Euch zu leben. Daher hat er die heilige Kirche gebeten, Eure Ehe aufzulösen, damit er in Zukunft mit einer anderen Frau als Mann und Weib zusammenleben kann. Es ist sein Wunsch, dass Ihr Euch in ein Kloster begebt und dort für Euer Seelenheil betet.«

Er trug die für sich schon harten Worte so schonungslos vor, als sei Walburga eine Sünderin, die sich vorsätzlich gegen ihren Mann und die heilige Kirche vergangen habe, und keine Frau, die einer entfesselten Soldateska zum Opfer gefallen war. Während Meinarda von Teglenburg entsetzt die Hände rang, stieß Walburga Steglinger hörbar die Luft aus.

»Rudolf, ich habe dich schon damals, als unsere Väter mich zur Heirat mit dir zwangen, für eine Ratte gehalten. Nun aber übertriffst du dich selbst. Glaube jedoch nicht, dass dein Tun dir etwas einbringt. Wenn du auf einer Trennung bestehst, fallen meine Mitgift und mein Erbteil an mich zurück.«

Rudolf Steglinger wurde blass. »Alles, was du mitgebracht hast, ist mein! Das wird auch das Gericht so sehen. Du besitzt nicht mehr als das, was du am Leibe trägst. Gehst du freiwillig in ein Kloster, werde ich dich mit der entsprechenden Mitgift ausstatten. Sonst kannst du wegen mir in der Gosse zugrunde gehen.«

Mit diesen Worten drehte er sich um und stiefelte so hastig davon, als hätte er Angst vor der Antwort seiner Frau.

Dem Prior war es offensichtlich unangenehm, Walburga Steglinger allein gegenüberstehen zu müssen. Er brummelte etwas, drehte ihr den Rücken zu und blickte Meinarda von Teglenburg an. »Ich habe gehört, meine Nichte sei ebenfalls mit Euch gekommen. Ich würde sie gerne sehen.«

Ehrentraud hatte dem Dominikaner bislang den Rücken zugekehrt. Jetzt setzte sie sich auf und verdeckte dabei ihr Gesicht mit dem Schultertuch, mit dem sie sich gegen den Durchzug gewappnet hatte. »Hier bin ich, Oheim!«

»Ich freue mich, dich lebend anzutreffen, meine Liebe, und hoffe, du befindest dich wohl!« Aus Xaver von Lexenthal sprach eine gewisse Erleichterung, die Tochter seines verstorbenen Bruders vor sich zu sehen. Zwar hatte dieser ihm neben seinen Schulden die Verantwortung für das unmündige Kind hinterlassen, doch zu seiner Freude war aus seiner Nichte eine anerkannte Schönheit geworden, die so manchen Mann von Stand über die fehlende Mitgift hinwegsehen lassen würde. Lexenthal hatte bereits die Kontakte für eine entsprechende Heirat geknüpft und wartete nur noch auf die letzte Zusage des auserkorenen Bräutigams und auch auf die des natürlichen Vaters jenes jungen Herrn, eines angesehenen Kardinals der Kurie in Rom.

Auf den Anblick, den Ehrentraud nun bot, war er jedoch nicht vorbereitet. Er hatte nur gehört, einer kleinen Gruppe von Flüchtlingen sei es gelungen, den Schweden ungeschoren zu entkommen, und dies auch auf seine Nichte bezogen. Nun verschlug es ihm für einige Augenblicke die Sprache.

»Mein Gott, wie konnte das geschehen?«, brachte er dann mühsam hervor.

»Es waren die Schweden, diese üblen Hunde«, erklärte Johanna, die sich diesmal nicht aus dem Gespräch ausschließen lassen wollte.

Lexenthal schlug das Kreuz und wandte sich an Meinarda. »Ich wünsche mit meiner Nichte allein zu sein!«

Obwohl seine Höflichkeit zu wünschen übrig ließ, erhoben sich die Damen und verließen zusammen mit Moni den abgetrennten Bereich. Nur Johanna blieb und hielt Ehrentrauds Hand fest, als wolle sie die Verstümmelte vor dem gestrengen Herrn schützen. Als Lexenthal jedoch eine Bewegung machte, wie um ein lästiges Insekt zu verscheuchen, stand auch sie auf und ging hinaus.

Lexenthal ließ sich von einem Bediensteten eine Laterne reichen, um seine Nichte bei hellerem Licht betrachten zu können, und schüttelte sich. »Das ist ja entsetzlich! Wie konnte Gott nur so grausam sein? Dabei war ich gerade dabei, eine vorteilhafte Ehe mit einem jungen und sehr reichen römischen Adeligen für dich zu arrangieren. So aber wird er dich nicht nehmen – und auch sonst niemand.«

In seinen Worten schwang neben dem Mitleid mit seiner Verwandten auch die Enttäuschung mit, dass die für ihn und für sie so vorteilhaften Heiratspläne nun gescheitert waren.

Ehrentraud riss das Oberteil ihres Kleides auf und entfernte das Leinentuch, mit dem die Nonnen ihren Busen bedeckt hatten. »Mein Gesicht ist noch nicht alles! Seht, was diese Hunde mir noch angetan haben!«

Beim Anblick der aufgeschlitzten Brüste färbte Lexenthals Gesicht sich grünlich. »Bedecke das wieder!«, schrie er auf. Es klang wie ein Hilferuf.

Während Ehrentraud mit müden Bewegungen gehorchte, griff er sich an den Kopf, als ginge das, was er gesehen hatte, über seinen Verstand. »Wie konnte das geschehen? Es hieß doch, Ihr wärt durch die Gnade des Herrn gerettet worden.«

Noch während er es sagte, erinnerte er sich an das, was Steglingers Frau zugestoßen war, und begriff, dass er seine Hoffnungen für Wirklichkeit gehalten hatte.

Ehrentraud lachte bitter. »Einige von uns konnten den Mördern entkommen! Mich aber hat die kleine Hexe aus lauter Bosheit dem Feind zum Fraß vorgeworfen!«

Der Prior richtete sich steif auf. »Welche Hexe?«

»Irmela von Hochberg! Dieses kleine Miststück hat alle anderen Frauen mit ihren Hexenkräften dazu gebracht, ihr zu folgen, während ihr Blick mich auf die Stelle gebannt hat, an der ich stand. Ich habe mich nicht rühren können, bis die Schweden über mir waren.« Ehrentraud verbannte die Tatsache aus dem Gedächtnis, dass andere Frauen gleich ihr vergewaltigt und einige gar umgebracht oder mitgeschleppt worden waren.

Unter Tränen fasste sie die Hände ihres Onkels. »Ihr müsst mir helfen, Oheim! So kann ich nicht weiterleben. Ich galt als die schönste Jungfrau im Land! Nun werden sich alle Kavaliere von mir abwenden und mir sogar diese Spitzmaus von einer Hochberg vorziehen.«

Lexenthal fasste seine Nichte mit hartem Griff bei der Schulter. »Was hattest du mit einem Mitglied dieser verfluchten Sippe zu schaffen?«

»Sie war bei dem Flüchtlingszug und hat die Gelegenheit ausgenutzt, mich den Schweden auszuliefern, weil sie mich wegen meiner Schönheit beneidet hat!«

Wohl jeder andere hätte Ehrentrauds Worte als Ausdruck eines kleinlichen, fiebernden Gemüts angesehen. Der Prior erinnerte sich jedoch nur allzu gut an seinen persönlichen Konflikt mit dieser Familie, der ihn für Jahre am Aufstieg in der Hierarchie des Ordens behindert hatte und sich immer noch nachteilig für ihn auswirkte. Daher nahm er die Beschuldigung für bare Münze.

»Schon wieder gereicht die Tat einer Hochberg unserer Familie zum Schaden! Verflucht soll sie sein, und die andere mit ihr.«

In seinen Gedanken stieg die Erinnerung an jene Zeit wieder auf, in der er das Gewand eines einfachen Mönchs getragen hatte. Damals war er Gerüchten nachgegangen, die sich um Irmhilde von Hochberg rankten, und hatte Beweise in die Hand bekommen, mit denen er sie als Hexe anklagen konnte. Doch als er die Frau verhaften lassen wollte, griff der Pfalzgraf persönlich ein, und sein eigener Abt verbot ihm, die Sache weiter zu verfolgen. Natürlich hatte er sich dagegen gewehrt und die Anklage mit weiteren Beweisen unterfüttert, daraufhin aber wurde er für mehr als ein halbes Jahrzehnt in ein fernes Kloster seines Ordens verbannt. Die Angelegenheit hätte ihn die Karriere gekostet, wenn er nicht Freunde außerhalb der Jungen Pfalz gehabt hätte. Mit deren Hilfe war er es ihm schließlich gelungen, zum Prior eines nachrangigen Klosters aufzusteigen. Manchmal stellte er sich vor, was er hätte erreichen können, wenn es ihm damals gelungen wäre, die Hochberg-Hexe der kirchlichen und irdischen Gerechtigkeit zu übereignen, und diese Überlegungen fachten seine Wut über die damalige Niederlage stets aufs Neue an.

Als er nun von Ehrentraud erfuhr, dass die Tochter jener Frau sie verhext habe, war ihm sofort klar, dass Irmhilde von Hochberg ihre Kräfte auf Irmela übertragen hatte, um noch aus dem Grab heraus Leid verbreiten zu können. Voller Zorn stampfte er mit dem Fuß auf. »Nun weiß ich, warum dieses Schandweib dich verdorben hat. Es geschah aus finsterster Rachsucht! Damals wäre es mir beinahe gelungen, die alte Hexe zu Fall zu bringen, und wenn es einen Gott im Himmel gibt, wird er mir beistehen, ihre Tochter zu überführen.«

Sein Gesicht verzerrte sich zu einer hasserfüllten Grimasse. Zuerst schrak Ehrentraud vor ihm zurück, denn sie hatte ihn noch nie so außer sich gesehen. Dann begriff sie, dass er für sie an Irmela Rache üben konnte, die ihre Ehre als Jungfrau und ihre glatte Haut hatte retten können, und stellte sich vor, wie dieses widerwärtige kleine Biest nach den Verhören durch den Hexenrichter aussehen würde.

Währenddessen waren Meinarda, Walburga und Irmela auf den Innenhof der Residenz hinausgetreten, in dem die Knechte und Mägde immer noch fleißig Möbel und Kisten aus den Gebäuden schleppten. Irmela, die bei ihrem letzten Besuch in der Residenz noch kein Interesse für die Pracht der Gebäude und ihres Mobiliars gehabt hatte, ließ ihren Blick nun über die Köpfe der umhereilenden Menschen schweifen und betrachtete die lebendig wirkenden Malereien, die die Wände des Hauptflügels schmückten und Szenen aus der Bibel darstellten.

Meinarda interessierte sich an diesem Tag nicht für Kunstwerke, sondern hielt Walburgas Rechte fest und tätschelte deren Unterarm. »Bei allen Heiligen! Heute zweifle ich beinahe noch mehr als gestern an Gottes Gerechtigkeit. Wie kann ein Mann nur so schlecht sein wie der Eure, meine Liebe? Und noch weniger verstehe ich, dass dieser Mönch ihn dabei unterstützt.«

»Mein Mann nutzt nur die ihm günstig erscheinende Gelegenheit, mich loszuwerden, damit er eine neue, für ihn vorteilhafte Ehe eingehen kann. Unsere ist kinderlos geblieben, und er will ein anderes Weib heiraten, das ihm den erhofften Erben gebären kann und überdies wieder eine gute Mitgift in die Ehe bringt.«

Walburga klang so mutlos, dass Meinarda sie erschrocken ansah. »Ihr werdet doch deswegen nicht in ein Kloster eintreten?«

»Es wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben. Wie mein Mann treffend sagte, habe ich kein Geld. Selbst wenn ich mich gegen die Auflösung der Ehe sträube oder wenigstens meinen Anteil an den Besitztümern fordere, würde es lange dauern, bis ein Urteil gefällt wird. Wovon soll ich in dieser Zeit leben?«

»Von dem, was an meinem Tisch gegessen wird! Bei Gott, auch wenn ich meine Güter an die Schweden verloren habe, so nage ich doch nicht am Hungertuch und kann es mir leisten, Euch beizustehen. Nein, meine Liebe, Ihr werdet die Zeit und die Möglichkeit von mir erhalten, die Fehde mit Eurem treulosen Gatten durchzufechten.« Meinardas Gesicht hatte einen kämpferischen Ausdruck angenommen, der so gar nicht zu ihr zu passen schien.

Ihre Begleiterin atmete wie erlöst auf, widerstrebte es ihr doch von ganzem Herzen, sich dem Willen ihres Ehemanns zu beugen und auf den Besitz zu verzichten, den sie selbst in diese Ehe eingebracht hatte.

Die Feuerbraut
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