X.

Vor dem Krieg war Irmela zu klein gewesen, um auf Reisen mitgenommen zu werden, und später hatte ihr Vater sie wegen der umherziehenden Söldner und vermehrten Räuberbanden zu Hause gelassen. Deshalb war es eine völlig neue Erfahrung für sie, in eine Kutsche zu steigen, die sie in einen ganz anderen Teil des Reiches bringen sollte. Sie konnte sich kaum vorstellen, was unterwegs und an ihrem Ziel auf sie warten mochte, aber das ängstigte sie nicht. Wichtig war nur, dass sie für eine Weile Helenes Fuchtel entrann, und sie fühlte sich so erleichtert, dass sie zu weinen begann.

Helene missverstand die Tränen und versetzte ihr einen Stoß, der sie auf das Sitzpolster plumpsen ließ. »Heul nicht! So schlimm wird es schon nicht werden. Ab jetzt wird Frau von Kerling sich um dich kümmern.« Dabei nickte sie einer mageren, unscheinbaren Frau knapp über dreißig zu, die nun ebenfalls in die Kutsche stieg.

Es handelte sich um die Witwe eines Majors der kaiserlichen Truppen, die seit Wochen eine Möglichkeit gesucht hatte, zu Wallenstein zu gelangen. Sie hoffte, den Generalissimus zur Aussetzung einer kleinen Rente bewegen zu können, denn sie lebte trotz ihrer adeligen Abkunft wie ein gewöhnlicher Bettler von der Mildtätigkeit der noch Wohlhabenden und der Speisung durch die Klosterschwestern. Aus diesem Grund hatte sie mit beiden Händen zugegriffen, als Steglinger ihr angetragen hatte, Irmela als Anstandsdame nach Böhmen zu begleiten. Seitdem hatte sie ein paar interessante Gespräche mit Helene geführt und dabei Auskünfte über ihren Schützling und seinen Reichtum erhalten, die sie mit Neid und einem gewissen Abscheu erfüllten. Da sie während der Reise auf Irmelas Wohlwollen angewiesen war, verbarg sie diese Gefühle hinter einer Maske der Zuvorkommenheit.

»Keine Sorge, Frau von Hochberg! Ich gebe auf die Kleine acht«, antwortete sie daher und berührte Irmelas Arm. »Gewiss wird es eine schöne Reise werden. Wir werden Pilsen sehen und vielleicht sogar Prag.« Einige Augenblicke schwelgte sie in der Erinnerung an jene Orte, die sie mit ihrem Mann zusammen aufgesucht hatte, haderte dann aber sofort wieder mit ihrem Schicksal, das sie so stiefmütterlich behandelte.

Irmela spürte den falschen Unterton in der Stimme der ihr aufgezwungenen Gesellschafterin und bedauerte es, nicht nur in Fannys Gesellschaft reisen zu können. Daher antwortete sie nicht, sondern starrte ins Leere. Fanny stieg als Letzte in die Kutsche und setzte sich vorsichtig auf die gegenüberliegende Polsterbank. Als Magd musste sie gegen die Fahrtrichtung sitzen und auf das Land schauen, das hinter ihnen zurückblieb, und war auch den Bewegungen der Kutsche stärker ausgesetzt. Das störte sie jedoch nicht im Geringsten. Sie war glücklich, ihre Herrin begleiten zu dürfen, und heilfroh, Helene und deren Anhang nicht mehr bedienen zu müssen. Irmelas Stiefgroßmutter und die beiden jungen Frauen hatten sie herumgehetzt und mit Püffen und bösen Worten belohnt. Ab jetzt musste sie sich nur noch um Irmela kümmern und um Dionysia von Kerling, die sich keine eigene Zofe leisten konnte. Bei dem Gedanken schwor sie sich, alle Aufgaben, die sie als unter ihrer Würde als Kammerzofe einer Komtesse erachtete, an Abdur weiterzugeben, den Steglinger ihnen neben dem Kutscher, dessen Helfer und zwei bewaffneten Reitern mitgegeben hatte.

Als der Gehilfe des Kutschers an den Wagenschlag trat, um ihn zu schließen, nickte Helene zufrieden. Sie hatte vor aller Welt ihre Pflicht Irmela gegenüber erfüllt und konnte das Mädchen beruhigt abreisen lassen. Was danach kam, würde man nicht mehr ihr, sondern dem Schicksal anlasten. Natürlich hoffte sie, Irmela würde bis zu Wallenstein gelangen und dort Erfolg haben. Doch auch ohne die böhmischen Güter war das Vermögen der Hochbergs noch ausreichend, um ihr und Johanna ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Mit einem erleichterten Lächeln hob sie die Hand und gab dem Kutscher zu verstehen, er könne abfahren.

Der Mann, der trotz des warmen Tages in einen weiten Mantel gehüllt war, befahl seinem Helfer, die Bremsen zu lösen, und ließ die Peitsche über den Rücken der Pferde tanzen. Sofort setzte der Wagen sich in Bewegung und bog in die Gasse ein, die zu dem an der Ilz gelegenen Stadtteil führte. Abdur stand wie eine Statue hinten auf einem Brett am Wagenkasten, wie es sich für einen Diener gehörte, und die beiden Reiter, die Steglinger Irmela als Schutz mitgegeben hatte, folgten der Kutsche mit mürrischen Gesichtern. Zwar waren sie mit je zwei Pistolen und einem Degen bewaffnet, aber ihnen war bewusst, dass sie einer halbwegs entschlossenen Räuberbande nicht die Stirn würden bieten können.

Irmela streckte ihren Arm durch die Schlaufe an der Wagenwand, um bei den vielen Schlaglöchern nicht gegen ihre Begleiterin geworfen zu werden. Sie hatte keine Lust, in ein Gespräch mit Frau von Kerling verwickelt zu werden, und begann über die Situation nachzugrübeln, in der sie nun steckte. Sie fragte sich nicht zum ersten Mal, weshalb ihre Stiefgroßmutter ausgerechnet sie losgeschickt hatte, um mit Wallenstein zu verhandeln. Tat Helene es wirklich nur, weil sie, Irmela, die Erbin der Hochbergs war und ihr Wort deshalb mehr galt als das einer angeheirateten Verwandten?

Irmela rieb sich mit den Fingerspitzen über die Stirn und versuchte sich vorzustellen, wie Wallenstein sie empfangen würde. Als Generalissimus aller kaiserlichen Truppen hatte er gewiss eine Menge anderer Aufgaben zu erfüllen, als sich um ein junges Mädchen zu kümmern. Wahrscheinlich würde er nicht einmal die Zeit finden, ein paar Worte mit ihr zu wechseln, sondern sie gleich an einen seiner Sekretäre verweisen lassen.

Fanny gefiel es nicht, dass Irmela sich bereits zu Beginn der Reise in sich selbst zurückzog, und zupfte sie am Ärmel. »Ihr solltet nicht grübeln, sondern die Aussicht genießen!«

Irmela öffnete die Augen und sah, dass die Donaubrücke bereits hinter ihnen lag und sie durch eine hügelige Landschaft Richtung Norden fuhren. Ihre nächsten Ziele waren Hutthurm und Freyung, über die die Straße nach Böhmen führte.

Während Irmela die Bäume zählte, an denen die Kutsche vorbeifuhr, und bei dreihundert aufgab, forderte Dionysia von Kerling Fanny auf, ihr die Flasche aus getriebenem Silber zu reichen, die mit einem belebenden Wein aus der Wachau gefüllt war. Da sie sich selbst nur eine Zugehfrau leisten konnte, die ihr Kämmerchen sauber hielt, wollte sie sich auf dieser Reise rundherum bedienen lassen.

Die Feuerbraut
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