XVII.

Gibichen und Paul war es gelungen, Harlaus Spur bis an die Donau zu verfolgen, doch ihre Absicht, Fabian unterwegs zu befreien, hatten sie angesichts der gut bewaffneten Eskorte aufgeben müssen. Von einer Hügelkuppe aus sahen sie hilflos zu, wie Harlau mit seinem Gefangenen, Heimsburg und einem weiteren Mann über die Donau setzte und hinter den Mauern der Burg verschwand. Auch an dieser Stelle war es ihnen unmöglich gewesen, einen Befreiungsversuch zu unternehmen, denn die Eskorte verharrte in Sichtweite des Ufers, bis das Boot am gegenüberliegenden Ufer anlegte. Fabian aus dem Wehrbau herauszuholen schien ebenso aussichtslos. Die Burg war zwar klein, lag aber an einer gut zu verteidigenden Stelle, und um sie zu stürmen, hätte es mindestens einer Hundertschaft Soldaten und einiger Belagerungsgeschütze bedurft.

Ludwig von Gibichen verfügte jedoch nur über einen einzigen Begleiter und wusste nicht einmal, wie er über die Donau kommen konnte. Wenn er den Fährmann rief, würde Harlau höchstwahrscheinlich erfahren, dass ihm jemand gefolgt war. Daher entschloss er sich, in Richtung Melk zu reiten und den Strom mit der nächsten Fähre zu überqueren. Als sie endlich übergesetzt worden waren, dunkelte es bereits, und er sah sich gezwungen, für Paul und sich ein Obdach im Dörfchen Schönbühel zu suchen. Am nächsten Tag ließ er den Burschen in der Herberge zurück, ritt in Richtung Harlau und betrachtete die Burg von allen Seiten. Das Ergebnis war ernüchternd. Es schien keinen Weg zu geben, die Mauern des Nachts zu überwinden oder sich auf andere Art einzuschleichen. So wandte er sich dem Dorf unterhalb der Burg zu, das ebenfalls zu Graf Harlaus Besitzungen zählte, und versuchte vorsichtig, die Leute auszuhorchen. Er erfuhr, dass der alte Kastellan mit den ihm unterstellten Bediensteten vor kurzer Zeit auf einen anderen Besitz ihres Herrn geschickt worden war und die Burg nun von Männern bewohnt wurde, die die Bauern nicht kannten.

Da weiteres Nachfragen Verdacht erregt hätte, verließ Gibichen den Ort und kehrte zu seinem Quartier zurück. Unschlüssig, was er unternehmen konnte, um Fabian zu helfen, mietete er sich für die nächsten Tage in Schönbühel ein und hoffte, das Schicksal würde eine günstige Wendung nehmen und ihm einen Weg aufzeigen, wie er seinen Freund befreien konnte.

Die Wirtsleute waren so gut wie nie in die Verlegenheit gekommen, bessere Herrschaften unter ihrem Dach zu begrüßen. Daher konnte man die Unterkunft und die Verpflegung nur als schlicht bezeichnen, und Gibichen bereute von Tag zu Tag mehr, sich auf dieses Abenteuer eingelassen zu haben. Reisende, die auf einen Krug Wein einkehrten, berichteten nämlich, die Generäle Gallas und Piccolomini sammelten das kaiserliche Heer, um gegen den Feind loszuschlagen. Ein paarmal fragte Gibichen sich, ob er nicht Fabian vergessen und zu seinem Regiment zurückkehren sollte. Es juckte ihm in den Fingern, dabei zu sein, wenn der Schlag gegen die Schweden geführt werden würde, die Bayern allmählich in eine Wüste verwandelten. Doch jedes Mal sah er Irmela vor sich, die tief um Fabian trauerte, und blieb.

Nach einigen ereignislosen Tagen war er jedoch nahe daran aufzugeben. Er stand am Fenster der kleinen Kammer, die er mit Paul teilte, trommelte mit den Fingern auf seinen Oberschenkel und starrte auf die Straße hinaus, während der Diener mit stoischer Miene seine Hose flickte, die während des Rittes gelitten hatte.

Mit einem Mal hob Paul den Kopf. »Und was machen wir jetzt, Herr Hauptmann? Birkenfels ist so sicher verwahrt, dass wir beide nicht an ihn herankommen werden. Wenn er überhaupt noch lebt«, setzte er düster hinzu.

Gibichen, der eben noch hatte sagen wollen, es sei sinnlos, weiter hierzubleiben und auf ein Wunder zu warten, fühlte sich durch diese Worte herausgefordert. »Birkenfels lebt. Harlau hätte sich nicht die Mühe gemacht, ihn so weit zu transportieren, wenn er ihn auf rasche Weise hätte töten wollen. Und was die Burg betriff, da wird uns schon etwas einfallen.«

»Das will ich hoffen! Ich habe nicht vergessen, dass Harlaus Mordbuben meinen Major erschlagen haben!«

Der Bursche hörte sich so an, als lechze er danach, Kiermeiers Tod an Harlau rächen zu können. Nun musste Gibichen ein Lächeln unterdrücken, denn die Aussichten, Harlau umzubringen, waren ebenso gering wie die, in dessen Burg einzudringen und Fabian herauszuholen. Der Graf wurde stets von einem halben Dutzend Bewaffneter begleitet, und daher schied auch die Möglichkeit aus, ihn zu entführen, um den Freund freizupressen.

»Uns muss doch etwas einfallen!« Gibichen schlug sich mit der Faust in die offene Hand. Wenn er sich nicht für den Rest seines Lebens als Versager fühlen wollte, musste er Fabian befreien. Er war sicher, dass der Graf seinen Freund ausgeklügelten Foltern unterwerfen würde, denn er hätte keinen solchen Aufwand betrieben, wenn er seinen Gefangenen nur um einen Kopf kürzer machen lassen wollte.

»Verdammt! Warum bin ich nur so hilflos?«, begehrte er auf.

»Wenn der Herrgott es will, werden wir den Leutnant befreien. Wenn er net will, müssen wir es hinnehmen.« Während Paul Gibichen zu beruhigen versuchte, rollte eine Kutsche heran und hielt vor der Herberge an.

Gibichen warf einen Blick nach draußen und prallte im selben Augenblick zurück. »Das ist Harlau!«

Paul stand auf und packte den Pallasch seines Herrn, den er in Eger an sich genommen hatte, und wollte nach unten stürmen, um auf den Grafen loszugehen.

Gibichen hielt ihn fest. »Lass das! Der Mann ist zu gut bewacht. Selbst wenn es uns gelänge, ihn zu töten, würde das Fabian nichts helfen, denn Harlaus Leute brächten ihn sofort um.«

Einen Augenblick sah es aus, als wolle Paul sich losreißen, dann aber ließ er sich auf seinen Strohsack fallen. »Bei allen Höllenteufeln, Ihr habt recht! Dabei wünsche ich mir nichts sehnlicher, als den Kerl in Stücke zu hacken. Schwört mir, es selbst zu tun, wenn es mir nicht gelingen sollte!«

»Diesen Eid leiste ich gerne! Kiermeier war mein Freund, und Harlau hat ihn erschlagen lassen wie einen räudigen Hund.« Gibichen wollte noch mehr sagen, doch da wurde der Schlag der Kutsche geöffnet, und ein schlanker Arm nahm einen Becher Wein entgegen, den Harlau persönlich der Insassin reichte.

Gibichen beschattete die Augen und duckte sich, um mehr von der Person erkennen zu können. Doch das war eigentlich nicht nötig. In diesem Wagen konnte niemand anderes sitzen als Stephanie von Harlau. Nun begriff er, was der Graf plante, und er musste die Kiefer zusammenpressen, um nicht wild zu fluchen. Harlau reichte es nicht, Fabian zu bestrafen. Er wollte auch seine Gemahlin leiden sehen und schreckte dabei vor keiner Schlechtigkeit zurück.

Mit einer müden Bewegung drehte Gibichen sich zu Paul um, der ihn verwundert anblickte. »Er bringt nun seine Frau auf die Burg! Jetzt haben wir keine Wahl mehr. Wir müssen versuchen, Fabian und Stephanie zu befreien, auch wenn wir dabei umkommen sollten.«

»Solange ich den Grafen mit in die Hölle nehmen kann, ist es mir recht.« Paul strich zärtlich über Kiermeiers Klinge. Dann trat er neben Gibichen, schob diesen ein wenig zur Seite und blickte ins Freie.

Die Karosse der Gräfin nahm eben wieder Fahrt auf. Harlau und seine Begleiter folgten dem Gefährt und verschwanden zwischen den Hütten des Dorfes. Als die Reisegesellschaft außer Sicht war, sah Paul Gibichen auffordernd an.

»Wir müssen es anders anfangen, Herr Hauptmann. In Kürze beginnt die Feldarbeit, und das müssen wir ausnützen. Viele junge Männer haben sich dem Heer angeschlossen, und noch mehr sind im letzten Jahr an der Pest gestorben. Daher sind Hände, die zupacken können, sehr begehrt. Wenn Ihr nichts dagegen habt, werde ich mir das Gewand eines Bauernknechts besorgen und in dem Harlauer Dorf um Arbeit nachsuchen. Wer weiß, vielleicht komme ich dabei bis in die Burg und kann dort mehr erfahren.«

Von neuer Energie erfüllt, straffte Gibichen die Schultern. »Das ist ein guter Gedanke! Ich werde mit dir kommen. Vier Augen sehen mehr als zwei.«

»Das geht nicht! Mein Vater war Bauer, und ich habe bis zu meinem sechzehnten Jahr auf seinem Hof gearbeitet. Daher wird mir jeder glauben, dass ich ein Knecht bin, der Arbeit sucht. Euch aber sieht man den edlen Herrn auch in Bauerntracht noch auf hundert Schritt an.«

Diesem Einwand konnte Gibichen sich nicht verschließen. »Du hast recht, Paul. Wir dürfen keinen Verdacht erregen, Harlau würde die beiden eher eigenhändig umbringen, als ihre Befreiung zu riskieren.«

»Dazu wird es nicht kommen, Herr Hauptmann. Lasst uns ein paar Dörfer weiter reiten, bevor ich mir einen Bauerkittel und Holzschuhe besorge. Schönbühel liegt mir zu nahe an Harlau, und ich möchte nicht, dass mein Kleiderwechsel jemand auffällt, der es dorthin weitererzählen kann.« Paul stand auf und begann das wenige zu packen, das sie an Gepäck bei sich hatten. Dabei musterte er Gibichen mit einem kritischen Blick.

»Ihr solltet Euch ebenfalls neu ausrüsten, Herr Hauptmann. So seht Ihr, mit Verlaub gesagt, wie ein Räuber aus.«

Gibichen begriff in diesem Augenblick, dass Paul auf seine Art ähnlich bestimmend sein konnte wie sein früherer Bursche, der in Böhmen zurückgeblieben war, ging aber achselzuckend darüber hinweg. Mit einem weniger energischen Helfer würde er seinem Freund und der Gräfin nicht helfen können, und ihm war klar, dass ihnen nicht viel Zeit blieb.

Die Feuerbraut
cover.html
titel.html
part1.html
chapter1.html
chapter2.html
chapter3.html
chapter4.html
chapter5.html
chapter6.html
chapter7.html
chapter8.html
chapter9.html
chapter10.html
chapter11.html
chapter12.html
chapter13.html
chapter14.html
chapter15.html
chapter16.html
chapter17.html
part2.html
chapter18.html
chapter19.html
chapter20.html
chapter21.html
chapter22.html
chapter23.html
chapter24.html
chapter25.html
chapter26.html
chapter27.html
chapter28.html
chapter29.html
chapter30.html
chapter31.html
chapter32.html
chapter33.html
chapter34.html
chapter35.html
chapter36.html
part3.html
chapter37.html
chapter38.html
chapter39.html
chapter40.html
chapter41.html
chapter42.html
chapter43.html
chapter44.html
chapter45.html
chapter46.html
chapter47.html
chapter48.html
chapter49.html
chapter50.html
chapter51.html
chapter52.html
chapter53.html
chapter54.html
chapter55.html
chapter56.html
part4.html
chapter57.html
chapter58.html
chapter59.html
chapter60.html
chapter61.html
chapter62.html
chapter63.html
chapter64.html
chapter65.html
chapter66.html
chapter67.html
chapter68.html
chapter69.html
chapter70.html
chapter71.html
chapter72.html
part5.html
chapter73.html
chapter74.html
chapter75.html
chapter76.html
chapter77.html
chapter78.html
chapter79.html
chapter80.html
chapter81.html
chapter82.html
chapter83.html
chapter84.html
chapter85.html
chapter86.html
chapter87.html
chapter88.html
chapter89.html
chapter90.html
chapter91.html
chapter92.html
part6.html
chapter93.html
chapter94.html
chapter95.html
chapter96.html
chapter97.html
chapter98.html
chapter99.html
chapter100.html
chapter101.html
chapter102.html
chapter103.html
chapter104.html
chapter105.html
part7.html
chapter106.html
chapter107.html
chapter108.html
chapter109.html
chapter110.html
chapter111.html
chapter112.html
chapter113.html
chapter114.html
chapter115.html
chapter116.html
chapter117.html
chapter118.html
chapter119.html
chapter120.html
chapter121.html
chapter122.html
chapter123.html
chapter124.html
chapter125.html
chapter126.html
chapter127.html
chapter128.html
chapter129.html
back1.html
back2.html
back3.html
back4.html
author.html
copyright.html