IX.

In den nächsten beiden Tagen kam Irmela kaum zum Nachdenken. Da Helene das Mädchen nicht in Lumpen zu Wallenstein schicken konnte, opferte sie einen Teil der Summe, die sie für Johannas Garderobe und ihre eigene hatte ausgeben wollen, und ließ ihre Stiefenkelin standesgemäß einkleiden. Dabei gab sie sich alle Mühe, Irmela als wohlhabend, ja sogar reich erscheinen zu lassen. Sollten Räuber auf sie aufmerksam werden und das Mädchen töten, würden sich etliche Probleme, die Helene auf der Seele lagen, wie von selbst lösen. Da Johanna Irmelas nächste Verwandte war, würde diese zumindest die restlichen Besitztümer erhalten und könnte Xaver von Lexenthal eine lange Nase drehen. Der Prior würde sich eine neue Hexe suchen müssen, die er auf den Scheiterhaufen bringen konnte, um an ihr Geld zu kommen.

Bei diesem Gedanken erinnerte Helene sich an das Versprechen, das sie Ehrentraud gegeben hatte, und vermochte ein Kichern nicht zu unterdrücken. Wenn seine Nichte sich mit Hexern und Hexen abgab, die ihr ein glattes Gesicht zurückbringen sollten, würde auch dies den Prior kompromittieren.

Nun aber galt es zunächst einmal, Irmela so rasch wie möglich auf die Reise zu schicken. Daher nahm Helene weder Rücksicht auf ihre Tochter, die enttäuscht war, auf weitere Kleider warten zu müssen, noch auf Irmela, und sie ließ die Näherinnen arbeiten, bis ihnen vor Müdigkeit die Nadeln aus den Händen fielen. Als Erstes aber hatte Helene Fanny zu Steglinger gesandt, um ihm mitzuteilen, sie würde sein Angebot annehmen.

Der Heereslieferant nahm diese Nachricht so erfreut zur Kenntnis, dass er die Antwort nicht Fanny mitgab, sondern persönlich im Gasthaus erschien und bat, von Helene empfangen zu werden. Diese ließ ihn in den Salon führen und begrüßte ihn überschwänglich. »Mein lieber Herr Steglinger, Ihr wisst gar nicht, wie dankbar ich Euch bin. In dieser Zeit zu reisen ist gefährlich, und nur ein Mann wie Ihr weiß den Risiken zu begegnen.«

»Ich bin nun einmal kein heuriger Hase, sondern jemand, der weiß, worauf es ankommt«, lobte Steglinger sich selbst und sprach dann das aus, was ihn am meisten bewegte.

»Ich würde Euch aber empfehlen, ohne Eure Tochter zu reisen. In einem Heerlager lauern Gefahren auf ein junges, tugendhaftes Frauenzimmer, über die ich nicht sprechen will.«

Helene lächelte zustimmend, denn sie wusste selbst, wie es dort zuging. Unterdessen sprach Steglinger fast ohne Pause weiter. »Es dürfte der jungen Dame ohne Euch gewiss langweilig werden. Daher bitte ich Euch, mir während Eurer Abwesenheit zu erlauben, sie zu besuchen.« Da er Helene die Reise zu Wallenstein ermöglichte, konnte die Witwe ihm diese Gunst nicht versagen.

Helene neigte mit spöttisch funkelnden Augen den Kopf. »Wir werden Euch gerne hier in Passau empfangen, Herr Steglinger, und auch später in unserem Haus in den Waldbergen.«

Verwirrt starrte er sie an. »Wir? Aber wer reist denn dann zu Wallenstein?«

»Irmela! Als Erbin ihres Vaters vermag sie ihre Ansprüche am besten zu vertreten, da der Generalissimus mir als angeheirateter Verwandten das Recht absprechen würde, für meine Enkelin zu verhandeln.«

Helene spielte ihre Trümpfe so meisterhaft aus, dass Steglinger nicht dagegenhalten konnte. Auf den Gedanken, Irmela sei in einem Feldlager ähnlich gefährdet wie Johanna, kam er erst gar nicht, denn in seinen Augen war sie ein unansehnliches Kind. Stattdessen begriff er, wie geschickt es von Helene war, das Mädchen zu Wallenstein zu schicken. Auch der oberste Feldherr des Reiches konnte es sich nicht erlauben, eine unschuldige Waise um das ihr zustehende Erbe zu bringen, zumal Irmelas Vater stets als treuer Anhänger des Kaisers gegolten hatte.

Seine Pläne wurden durch diese Entwicklung jedoch empfindlich gestört, hatte er doch gehofft, Johanna während der Abwesenheit ihrer Mutter mit seinem Reichtum blenden und für sich gewinnen zu können. Nun blieb Helene wie ein Engel mit dem Flammenschwert zwischen ihnen stehen. Für einen Augenblick erwog er, sein Angebot zurückzuziehen und damit Druck auf die Witwe auszuüben, aber der Gedanke, sie würde sich dann wohl an die fürstbischöfliche Verwaltung wenden und diese um Hilfe bitten, ließ ihn von der Idee wieder Abstand nehmen. Er betrachtete Helene, die trotz einer gewissen Fülle immer noch attraktiv aussah und dies auch ausnützte, und sagte sich, dass er die Tochter eben über die Mutter gewinnen musste. Allerdings durfte er Helene nicht glauben lassen, seine Werbung gelte ihr.

»Ihr sagt nichts! Gefällt Euch meine Entscheidung nicht?« Helene hatte gelernt, dass es meist besser war, selbst die Initiative zu ergreifen, als auf die Reaktion anderer zu warten.

Steglinger zuckte zusammen und rang sich eine Entschuldigung ab. »Verzeiht, aber ich habe ein wenig nachgedacht und bin zu der Überzeugung gekommen, dass Ihr mit großem Geschick vorgeht. Den Tränen eines Kindes, dessen Vater auf grausame Weise von den Schweden ermordet worden ist, vermag auch ein Wallenstein nicht zu widerstehen. Euer Verstand, Frau Helene, ist wirklich bewundernswert.«

»So, findet Ihr?« Helene lächelte geschmeichelt. Da sie in militärischen Dingen Erfahrung hatte und auch viele ranghohe Offiziere persönlich kannte, vermochte sie Steglinger noch einige Ratschläge zu geben, auf welche Weise er sein Vermögen mehren könnte. Als der Heereslieferant nach einer für einen Morgenbesuch sehr langen Zeit von ihr schied, bedauerte er es beinahe, dass Helene nicht zehn Jahre jünger war, denn dann hätte er sie mit Freuden geheiratet. Er benötigte jedoch eine Frau, die ihm noch Kinder gebären konnte, und nicht die Mutter einer bereits erwachsenen Tochter.

Die Feuerbraut
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