XV.

Am nächsten Morgen verschwand Fabian sofort nach dem Frühstück mit der Erklärung, er wäre wieder zum Wachtdienst eingeteilt. Kiermeier sah ihm nach und schüttelte den Kopf.

»Irgendwie übertreibt er es. Eigentlich sollte Leutnitz die Wache übernehmen, doch Fabian hat sie ihm abgehandelt. Glaubt er sich auf diese Weise Wallensteins Dankbarkeit erwerben zu können?«

»Da stehen ganz andere Gründe an«, brummte Gibichen, ließ sich aber nicht weiter darüber aus, sondern gab dem Gespräch eine andere Richtung. Er nützte dabei die Tatsache aus, dass Irmela noch oben in ihrem Zimmer weilte und wie gewohnt mit Dionysia von Kerling frühstückte.

»Fabian sollte Irmela heiraten. Sie ist ein angenehmes Persönchen, verfügt über einen großen Besitz und einflussreiche Verwandte. Mit deren Hilfe würde Fabian rasch zum Hauptmann und weiter zum Major avancieren. Sogar der Rang eines Obristen läge im Bereich seiner Möglichkeiten. Könntet Ihr ihm vielleicht ins Gewissen reden? Das Mädchen liebt ihn, da bin ich sicher, und würde keine Schwierigkeiten machen. Ihr habt doch von ihren böhmischen Gütern gehört. Spräche Fabian mit dem Generalissimus, würde Wallenstein sie der jungen Dame mit einer entsprechenden Entschädigung zurückgeben.« Gibichen hoffte, Kiermeier, der eine Art Vaterstelle bei Fabian einnahm, könnte seinen Freund so von der verhängnisvollen Leidenschaft für Stephanie von Harlau abbringen und ihn auf den rechten Weg zurückführen.

Kiermeier ahnte nichts von den Verwicklungen, in denen sich sein junger Schützling zu verfangen drohte, hielt Gibichens Vorschlag jedoch für ausgezeichnet, auch wenn die Gefahr bestand, dass Fabian ihn mit der Protektion durch die Hochberg-Sippe bald im Rang übertreffen würde. Immerhin konnte der Ehemann des Mädchens auf das Wohlwollen des Herzogs Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg hoffen, auch wenn dieser derzeit ein Fürst ohne Land war. Am Hof von Wien wog das Wort des Wittelsbachers jedoch viel.

Für einige Augenblicke kämpfte der Major mit seinem Neid und stellte sich vor, was er erreichen könnte, wenn er einen wohlwollenden Gönner in entsprechender Stellung besäße. Als Major konnte er zwar mit Hoffnung auf Erfolg um die Tochter eines einfachen Edelmanns werben, doch eine Reichsfreiin Meinarda von Teglenburg lag noch immer über seinen Möglichkeiten. Dabei träumte er in den Nächten von ihr und hätte Irmela am liebsten gefragt, ob sie Neuigkeiten von ihr vernommen hätte. Doch um an Meinardas Tür klopfen zu können, musste er mindestens den Rang eines Obristen, besser noch den eines Generals einnehmen. Auf einen weiteren Aufstieg konnte er jedoch nur dann hoffen, wenn er dem Feldherrn bei einer der nächsten Schlachten durch eine besondere Heldentat oder einen rettenden Schachzug auffiel.

Er seufzte tief. »Ich wollte, Wallenstein wäre zurück, und wir könnten endlich wieder gegen die Schweden ziehen!«

»Das wünsche ich auch!« Gibichen grinste bei der Vorstellung. Die Anwesenheit des Feldherrn und seiner vielköpfigen Begleitung würde es diesem Narren Fabian unmöglich machen, sich weiterhin zu Stephanie von Harlau zu schleichen. Aber wenn er ihn vor Versuchungen dieser Art auch in Zukunft bewahren wollte, musste er ihn zur Heirat überreden. Trotz ihrer Schüchternheit schien Irmela ihm genau das Mädchen zu sein, das Fabian so auf Trab halten konnte, dass er an keine andere mehr dachte.

»Ihr redet also mit Fabian. Eine Ehe mit Irmela würde ihn zu einem reichen Mann mit großen Aussichten machen!«

»Das tue ich«, versprach Kiermeier und blickte auf, weil er einen Schatten an der Tür bemerkt zu haben glaubte. Als er wieder hinblickte, war dort nichts mehr zu sehen.

Dionysia von Kerling war auf dem Weg zur Küche gewesen, als sie durch die halb offenstehende Tür einige Gesprächsfetzen gehört hatte. Der Gedanke, der schneidige Leutnant von Birkenfels könne ein so farbloses Mädchen wie Irmela heiraten, lockte zunächst ein spöttisches Lächeln auf ihre Lippen. Dann aber dachte sie an den Reichtum der Komtesse und ihre eigene Armut. Sie hatte in den letzten Tagen einige der früheren Kameraden ihres verstorbenen Ehemanns aufgesucht und diese um Unterstützung gebeten. Doch die Herren hatten sich zumeist mit dem Hinweis auf ihre eigenen unzureichenden finanziellen Verhältnisse aus der Affäre gezogen oder Versprechungen gemacht, deren Wert eher zweifelhaft erschien.

Jetzt setzte sie ihre Hoffnungen auf Heimsburg, der unter ihrem Mann gedient hatte und früher mehrmals bei ihr zu Gast gewesen war. Sie hatte Kiermeier, Gibichen und Fabian nach diesem Offizier gefragt, war aber ausweichend beschieden worden. Die Abneigung der drei Männer gegen Heimsburg, die man beinahe schon Hass nennen konnte, war offenkundig, und sie war überzeugt, dass nicht ihr früherer Bekannter die Schuld daran trug. Am meisten hatte Kiermeier sich ihren Unmut zugezogen, denn ein gut aussehender Offizier im Rang eines Majors, der gewiss noch Aussichten auf höhere Ehren hatte, wäre der geeignete Ehemann für sie gewesen. Sie war bereits bis an die Grenzen der Schicklichkeit gegangen, um ihn für sich zu gewinnen, und hätte diese Grenze auch überschritten, wäre er an ihr interessiert gewesen. Doch der Mann hatte ihre Verführungsversuche in geradezu beleidigender Weise missachtet.

In Überlegungen verstrickt, wie sie ihrem Schicksal eine Wendung geben konnte, ging sie in die Küche hinunter und wies die älteste Haustochter an, ihr frisches Bier zum Frühstück hochzubringen. Dabei ärgerte sie sich über Fanny, die sich diesem Auftrag entzogen hatte, indem sie zusammen mit Abdur dem Kutscher und den anderen Männern ihres Gefolges das Essen brachte.

Als Dionysia von Kerling in ihre Kammer zurückkehrte und sah, dass Irmela ein Hemd von Fabian flickte, das an der Naht aufgegangen war, dachte sie an Frau Helene, der es gewiss nicht passen würde, wenn das Mädchen so bald heiratete. Sie glaubte, Menschen gut einschätzen zu können, und nahm an, Helene von Hochberg habe sich wohl kaum in das gemachte Nest gesetzt, um sich so schnell wieder hinauswerfen zu lassen. Zwar würde sie es dieser aufgeblasenen Frau, die ihren Informationen nach eine gewöhnliche Soldatenhure gewesen war, vergönnen, auf diese Weise an die Luft gesetzt zu werden, doch solange es ihr selbst nichts einbrachte, gedachte sie keinen Finger in dieser Angelegenheit zu rühren.

Die Tatsache, dass sie Gesellschafterin bei diesem spitzgesichtigen Fräulein spielen musste, hatte bisher keines ihrer Probleme gelöst. Anders, als sie gehofft hatte, besaß sie noch immer kein eigenes Geld und war nun in allen Dingen auf Irmela angewiesen. Helene von Hochberg hatte diesem kindischen Geschöpf die Reisekasse anvertraut und nicht ihr, wie es sich gehört hätte. Daher konnte sie nicht, wie sie gehofft hatte, bei der Verwaltung der Kasse den einen oder anderen Gulden in ihre eigene Tasche abzweigen.

Das Mädchen, das den Bierkrug hinter ihr nach oben trug, unterbrach Frau von Kerlings Überlegungen. Nachdem es das Gefäß abgestellt hatte, blieb es vor ihr stehen und deutete einen Knicks an. »Mein Bruder hat erfahren, wo der Offizier wohnt, nach dem Ihr gefragt habt, Gnädigste.«

Die Miene des Mädchens wie auch ihre langsam nach vorne wandernde Hand zeigten an, dass es eine Belohnung für sich und ihren Bruder erwartete.

Dionysia von Kerling achtete jedoch nicht auf diese Geste, sondern atmete tief durch. »Endlich! Wo ist der Junge? Ich will es sofort wissen.«

»Unten in der Küche. Er isst!« Die Haustochter zog einen Flunsch, denn die Frau hatte so getan, als wäre ihr diese Auskunft den einen oder anderen Groschen wert.

Dionysia von Kerling war so begierig darauf, Heimsburg aufzusuchen, das sie das Bier unbeachtet stehen ließ und nach unten eilte. Die Haustochter folgte ihr, während Irmela den beiden kopfschüttelnd nachblickte. Mit der Kerling bin ich wirklich geschlagen, dachte sie seufzend. Wieder einmal ärgerte sie sich über ihre Stiefgroßmutter, die ihr diese unangenehme Person aufgehalst hatte. Es hätte in Passau gewiss noch andere Frauen gegeben, die als Anstandsdame in Betracht gekommen wären.

Von unten hörte sie, wie Frau von Kerling die Haustochter aufforderte, ihr den Umhang und den Hut zu holen und sie dann zu begleiten. Das Mädchen kam kurz darauf in die Kammer, raffte beide Gegenstände an sich und verschwand nach einem kurzen, aber freundlichen Gruß wieder. Anders als Dionysia von Kerling, die ihren Rang über Gebühr herausstrich und bedient werden wollte, hatte Irmela sich als angenehmer Gast erwiesen. Ihr hätte das Mädchen diesen Dienst gerne erwiesen. Jetzt aber sah sie voraus, dass sie der Kerling durch die halbe Stadt folgen und in der Zeit bei der vielen Arbeit fehlen würde, die die Gäste ihnen machten, und überdies keinen Lohn erwarten durfte.

Irmela hatte die Gedanken der Haustochter erfühlen können, als hätte diese sie vor ihr ausgebreitet, und bedauerte sie. Wenn es um ihre Interessen ging, war Dionysia von Kerling nicht weniger penetrant als ihre Stiefgroßmutter. Dieser verlieh wenigstens noch die kurze Ehe mit dem alten Johann Antonius von Hochberg eine gewisse Befugnis, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen. Frau von Kerling aber hatte keinerlei Recht, sich hier aufzuführen, als sei sie die Herrin.

Mehr denn je bedauerte Irmela, dass sie Wallenstein nicht angetroffen hatte. Dann hätte sie ihm ihr Anliegen vortragen können und würde sich bereits auf dem Heimweg befinden. Der Gedanke an Helene, Johanna und Ehrentraud, die in dem Haus in den Waldbergen auf sie warteten, war nicht gerade verlockend, aber deren Gesellschaft war ihr doch lieber als die der Frau von Kerling. Im Augenblick jedoch konnte sie nichts weiter tun, als die bedrückende Situation zu ertragen. Dabei quälte sie nicht nur die Sorge, wie Herr von Wallenstein sie empfangen würde, sondern auch der Gedanke an Fabian. Als dieser sich mit Ehrentraud eingelassen hatte, war sie zwar verletzt gewesen, hatte diese Liebschaft aber nicht ernst genommen, da sie sich nicht vorstellen konnte, dass er die Narbige zum Weib nehmen würde. Die Frau, mit der er nun die Nächte verbrachte, erschien ihr jedoch als größere Gefahr.

Einmal war Irmela zusammen mit Fanny Fabian nachgeschlichen und hatte Stephanie für einen Augenblick sehen und ihre Stimme hören können. Die lebensfrohe Schönheit der jungen Wienerin hatte sie tief getroffen, denn jeder Vergleich mit dieser Frau musste zu ihren Ungunsten ausgehen. Bei dem Gedanken stieg Galle in ihren Mund empor, und sie hätte ihren Spiegel am liebsten gegen die Wand geschleudert. Zwar wusste sie selbst nicht, was sie an Fabian fand, doch sie versuchte vergeblich, ihn aus ihrem Kopf zu vertreiben.

Tief in ihr Grübeln verstrickt nahm Irmela Fannys Rückkehr zunächst nicht wahr. Das Gesicht der Zofe war ein wenig erhitzt, denn sie hatte sich beeilt, weil die vielen Soldaten ihr Angst machten und sie es nicht lange auf der Straße aushielt, obwohl Abdur sie begleitet hatte. Zwar trug der junge Mohr einen martialisch aussehenden Krummsäbel bei sich, doch sie glaubte nicht, dass er sich gegen das rauhe Kriegsvolk würde behaupten können.

Trotz dieser Angst achtete sie sorgsam auf ihre Umgebung. Sie sah den Bierkrug auf dem Tisch stehen und wusste, dass ihre junge Herrin diesen gewiss nicht bestellt hatte. Da Frau von Kerling, wie sie vernommen hatte, nicht im Haus war und so rasch nicht zurückkehren würde, schob sie Irmela den Krug hin.

»Trinkt, Fräulein! Wir dürfen das gute böhmische Bier doch nicht verderben lassen.«

Irmela nahm einen kleinen Schluck und reichte ihr den Krug. »Trink du den Rest. Ich habe genug.«

Das ließ Fanny sich nicht zweimal sagen. Sie setzte den Krug an und hörte erst auf, als dieser vollkommen leer war. Dann stieß sie hörbar auf und grinste. »Das tat gut! Ihr solltet ein wenig mehr davon trinken. Vielleicht wachst Ihr dann noch.«

Sie sagte es so treuherzig, dass Irmela lachen musste. »Größer werde ich wohl kaum mehr werden. Allerdings bin ich gewiss nicht die kleinste Frau auf Erden. Sowohl in Passau wie auch in dieser Stadt habe ich Leute gesehen, die sogar noch einen Kopf kleiner waren als ich. Zu Hause wirke ich nur deswegen wie ein Zwerg, weil Helene, Johanna und Ehrentraud recht groß gewachsen sind, und die Mägde ebenso.«

»Da habt Ihr recht, Fräulein Irmela. Aber vielleicht könntet Ihr euch einmal oben herum mit Bier einreiben. Da dürftet Ihr wirklich noch ein wenig wachsen, wenn ich mir das zu sagen erlauben darf.« Irmela kicherte, obwohl ihr eher zum Weinen zumute war. Verglichen mit Fanny, Johanna oder gar Helene war ihr Busen so winzig, dass er sich kaum unter dem Kleid abzeichnete. Zwar wünschte sie sich keine so ausladenden Brüste wie ihre Stiefgroßmutter, denn dafür hätte sie so groß sein müssen wie diese, doch ein wenig mehr hätte es sein dürfen. Ein Blick in den Spiegel verriet ihr jedoch, dass sie in ihren neuen Kleidern nicht mehr wie ein Kind aussah, und sie wünschte sich, Fabian würde sie wenigstens einmal richtig anschauen.

Die Feuerbraut
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