XI.
Xaver von Lexenthal blickte von dem Schreiben auf und gab sich dem angenehmen Gefühl nahenden Triumphes hin. Endlich hielt er eine Spur in den Händen. Lange hatte er vergeblich nach Irmela von Hochberg forschen lassen, und nun war diese Botschaft von einem Amtsbruder aus Wien gekommen, besagte Hexe habe in einem nahe gelegenen Kloster gebetet und sogar gebeichtet. Lexenthal schüttelte den Kopf über Irmelas Verwegenheit. Spuckte diese Teufelsbuhle mit Gebet und Beichte doch der Heiligen Kirche ins Gesicht! Gott sei Dank würde dies bald ein Ende haben.
Hastig griff er nach einem Blatt Papier und schrieb mit vor Erregung zitternden Fingern mehrere Zeilen, in denen er die Behörden in Wien aufforderte, die Gesuchte sofort festnehmen zu lassen. Doch als er seine Unterschrift und sein Siegel daruntersetzen wollte, zögerte er plötzlich, zerriss das Schreiben und warf die Fetzen in den kalten Kamin. Ohne weiter darauf zu achten, rief er nach seinem Sekretär.
Der junge Mann schien im Vorzimmer gewartet zu haben, denn er trat sofort ein. »Ihr wünscht, ehrwürdiger Vater?«
Lexenthal drehte sich zu ihm um und stach mit dem rechten Zeigefinger nach ihm, als wolle er ihn erdolchen. »Bereite alles für eine Abreise nach Wien vor. Es muss das schnellste Schiff sein oder die schnellste Kutsche, die mich in die Kaiserstadt bringt.«
»Ihr wollt nach Wien?«, fragte der Mönch erstaunt. Bisher hatte der Prior verlauten lassen, er wolle hier in Passau ausharren, bis die Schweden vertrieben seien und sie wieder in ihr eigenes Kloster zurückkehren konnten. Da es ihm jedoch nicht anstand, die Beweggründe seines Herrn zu hinterfragen, verneigte er sich und verließ das Zimmer, ohne auf eine Antwort zu warten.
Lexenthals Gedanken waren bereits weitergeeilt. Für einen kurzen Augenblick überlegte er, ob er Irmelas Stiefgroßmutter informieren sollte, schüttelte dann aber den Kopf. Frau Helene hatte den angeheirateten Namen einer von Hochberg vor ein paar Wochen aufgegeben, um sich Frau Steglinger nennen zu können. Wie es hieß, sei der Heereslieferant sehr verblüfft gewesen, als er nach einem ausgiebigen Trinkgelage als frischgebackener Ehemann aufgewacht war. Inzwischen aber hatte er sich mit seiner Situation angefreundet und streckte die Finger nach dem Hochberg-Vermögen aus.
Die Gier der Menschen nach Gold ließ Lexenthal erneut den Kopf schütteln, ebenso deren Dummheit. Helene Steglinger, verwitwete von Hochberg, müsste wissen, dass ihre Behauptung, Irmela sei während ihrer Reise umgekommen, ohne einen sichtbaren Beweis nicht das Geringste wert war. Bis zu ihrer Heirat war er bereit gewesen, ihrer Tochter Johanna als Dank für die Freundschaft zu seiner Nichte Ehrentraud und die herzliche Aufnahme in ihrem Haus einen Teil des Hochberg-Vermögens zu überlassen. Da Frau Helene sich aber nun reich verheiratet hatte, überlegte er sich, ob er nicht im Namen der Kirche die Hand auf das gesamte Erbe der Hexe legen sollte. Die Schweden und ihre protestantischen Handlanger im Reich hatten unzählige Kirchen und Klöster niedergebrannt, und nach dem Sieg würde jeder Gulden gebraucht werden, um die Stätten des allein seligmachenden Glaubens wieder im alten Glanz erstrahlen zu lassen. Das Hochberg-Vermögen mochte zwar nur ein Tropfen auf einem heißen Stein sein, doch wäre es immerhin ein Anfang. Unterdessen war der Sekretär zurückgekehrt und wartete demütig, bis der Blick seines Priors auf ihn fiel. In dem Augenblick neigte er den Kopf. »Es ist alles so geschehen, wie Ihr es befohlen habt, ehrwürdiger Vater. Ein schnelles Schiff wird noch heute Passau verlassen, um nach Wien zu fahren. Ich habe bereits Euren Leibdiener aufgefordert, Eure Reisekisten zu packen und die se an Bord bringen zu lassen.«
»Gut!« Lexenthal nickte zufrieden und trat an den Wandschrank, der über und über mit Schnitzereien versehen war, die Szenen aus der Heiligen Schrift zeigten. Sein Blick blieb auf dem Relief mit der Hexe von Endor hängen, und er packte deren Figur mit seinen knochigen Fingern, als wolle er sie aus dem Holz reißen.
»Anders als die Mutter wird mir diese Hochberg-Hexe nicht entkommen!« Lexenthal spürte, wie ihn die damals erlittene Niederlage auch nach mehr als zwei Jahrzehnten noch schmerzte. Hätten seine Bemühungen damals Erfolg gezeigt, wäre Irmela nicht geboren worden, und seine Nichte würde noch leben. Schuld daran waren auch Herzog Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg, der die Untersuchung gegen die Hofdame seiner Gemahlin niedergeschlagen hatte, und der damalige Bischof von Augsburg, der sich dem Einfluss des Herzogs nicht widersetzt, sondern diesem sogar geholfen hatte.
»Möge Gott Euch diese Tat verzeihen! Ich kann es nicht.« Lexenthal schlug die Hände vors Gesicht und kämpfte gegen die Tränen, die in ihm hochsteigen wollten. Er hatte Jahre gebraucht, um sich von jener Niederlage zu erholen und einen Platz einzunehmen, der seiner Abkunft angemessen war. Welch großen Aufschwung hätte seine Karriere nehmen können, wäre es ihm gelungen, Ehrentraud mit jenem Verwandten Seiner Heiligkeit in Rom zu vermählen! Doch die junge Hochberg-Hexe hatte sich als noch grausamer erwiesen als ihre Mutter.
Als Lexenthal sich seinem Sekretär zuwandte und ihn aufforderte, alle wichtigen Papiere, die den Fall Hochberg betrafen, einzupacken und mitzunehmen, wirkte sein Gesicht wie aus Granit gemeißelt. Diesmal würde er sich von niemand aufhalten lassen, schwor er sich, und sollte es der Kaiser selbst sein.