III.
Die Ankunft der Ärzte brachte Abwechslung in das eintönige Leben auf dem abgelegenen Gut. Helene von Hochberg hatte den beiden Männern die besten Kammern zuweisen lassen und empfing sie im ansehnlichsten Raum des Hauses. Portius und sein Rivale Lohner verneigten sich vor ihr und ihrer Tochter, als ständen sie der Herzogin von Pfalz-Neuburg gegenüber, während sie Meinarda von Teglenburg, die auf einem Stuhl neben dem Fenster saß und stickte, nur mit einer knappen Verbeugung bedachten. Die Herren hatten bereits erfahren, dass es sich bei ihr um einen Gast handelte, und hielten Helene für die Hausherrin. Diese hatte sich in ein fließendes Gewand mit Puffärmeln und einem spitzenverzierten Stehkragen gehüllt und thronte auf einem mit dicken Polstern belegten Lehnstuhl. Von dort hieß sie die Herren mit Nonchalance willkommen.
Während Portius einen längeren Vortrag über die Erfolge anstimmte, die er mit seiner Heilkunst erreicht haben wollte, rieb sein Konkurrent sich nachdenklich über die Nase und starrte Helene durchdringend an. Plötzlich hob er die Hand und unterbrach Portius’ Suada.
»Bei Gott, Helene! Bist du es wirklich? Ich habe dich zuletzt im Heer des Prinzen von Homburg gesehen. Was hat dich in diese Gegend verschlagen, und wie bist du in den Besitz dieses Hauses gelangt? Da muss einer deiner letzten Gönner großzügiger gewesen sein als die vor ihm.«
Helene maß ihn mit einem Basiliskenblick. »Ihr müsst Euch täuschen. Ich bin Frau von Hochberg, und dieses Gut ist nur ein unbedeutendes Besitztum meiner Familie.« Ohne Lohner eines weiteren Blickes zu würdigen, forderte sie Portius auf, mehr über seine Heilerfolge zu berichten. »Unsere liebe Ehrentraud wird gewiss sehr froh sein, wenn sie sich in Eure fürsorgliche Hand begeben kann.«
»Pah! Was der Kerl macht, ist doch nur Scharlatanerie«, bellte Lohner dazwischen.
»Lasst Euren hochverehrten Kollegen ausreden. Ihr erhaltet später die Gelegenheit, Euch Eurer Kunst zu rühmen.« Helenes Stimme klang scharf, doch Irmela, die leise eingetreten war und neben Meinarda Platz genommen hatte, glaubte eine Angst darin schwingen zu hören, die für diese in sich selbst verliebte Frau ganz ungewöhnlich war. Anscheinend kannte Lohner sie aus Zeiten, an die sie nicht erinnert werden wollte. Irmela durchforstete ihr Gedächtnis nach allem, was sie über die zweite Frau ihres Großvaters erfahren hatte, doch sie fand nicht viel. Im Haus ihrer Eltern war Helenes Name niemals gefallen, und hätte sie nicht den Klatsch der Mägde vernommen, wäre ihr die Existenz dieser Person verborgen geblieben. Ihr Vater hatte immer so getan, als wäre Johannas Mutter kurz nach deren Geburt gestorben, und als sie ihn einmal auf Helene angesprochen hatte, war er zornig geworden. Nun bedauerte Irmela, nicht mehr über ihre Stiefgroßmutter zu wissen. Lohners Bemerkung und Helenes Antwort wiesen darauf hin, dass diese Frau eine sehr unstandesgemäße Vergangenheit hatte.
Unterdessen hatte Portius den Vorteil genützt, den ihm Helenes Ärger über seinen Rivalen verschafft hatte, und sich und seine Heilkunst in das hellste Licht gesetzt. Er kannte die weibliche Psyche gut genug, um an seinen Erfolg zu glauben. Lohner war trotz seines Doktortitels ein Feldchirurg geblieben und würde der Verletzten vorschlagen, die schlimmsten Narben operativ entfernen zu lassen. Da dies mit Schmerzen verbunden war, würde die junge Dame wohl kaum mehr als einen Versuch wagen und sich dann vertrauensvoll in seine Hände geben. Mit zufriedener Stimme zählte Portius die Zaubermittel auf, die seinen Ausführungen zufolge jede Narbe spurlos verschwinden lassen würden. Und er wusste sich Helenes Wohlwollen auch noch auf andere Weise zu sichern.
»Meine Mittel wirken nicht nur gegen Wundnarben, sondern verhindern auch Falten und die Anzeichen des Alters, die das Antlitz einer schönen Frau bedrohen könnten.«
Wie er es erwartet hatte, biss Helene sofort an. Nach außen gab sie sich jünger, als sie war, und wenn man von ihren Behauptungen ausging, hätte sie Johanna im zarten Alter von zehn Jahren gebären müssen. Irmela kicherte, als ihr dies auffiel, und zog sich damit einen strafenden Blick von Doktor Portius zu, der sich in seinen Ausführungen gestört fühlte.
Lohner langweilte das Geschwätz seines Kollegen, und er klopfte schließlich mit der Spitze seines Schuhs auf den Boden. »Ich würde gern die Patientin sehen, zu der mich der ehrwürdige Herr Prior geschickt hat.«
Helene nickte. »Da die Herren unserer lieben Ehrentraud zuliebe gekommen sind, sollten sie sich so bald wie möglich um sie kümmern. Johanna, melde uns bei ihr an!«
Ihre Tochter erhob sich, knickste geziert vor den Ärzten und verließ das Zimmer. Kurz darauf kehrte sie zurück und meldete, dass Ehrentraud bereit sei, die beiden Herren zu empfangen.
Während Frau von Teglenburg sitzen blieb und weiter an den Hemdchen für ihren Sohn stickte, folgte Irmela der Gruppe und betrat hinter Helene das Zimmer. Es interessierte sie zu erfahren, wie die Ärzte Ehrentrauds Narben beseitigen wollten. Vielleicht konnten sie auch der armen Fanny helfen. Die Magd würde sich gewiss freuen, wenn einer der Ärzte sie von dem hässlichen Wulst auf ihrer Wange erlöste.