VIII.
Der Besuch, den Irmelas Vermögensverwalter ihr abgestattet hatten, hatte Helene den Ernst der Lage vor Augen geführt. Da die Männer gewöhnt waren, vor höherstehenden Personen den Rücken zu beugen, hatte sie ihrem Bericht entnehmen können, dass ihr Protest bei Wallenstein, der als mächtigster Mann im Reich nach dem Kaiser galt, eher schwächlich ausgefallen war. Im Geist verwünschte Helene diese Beamtenseelen ebenso heftig wie den gierigen Feldherrn. Sie durfte die Liegenschaften nicht aufgeben, denn im Gegensatz zu den meisten anderen im ganzen Reich verstreuten Besitztümern, die Ottheinrich und dessen Frau der Tochter vererbt hatten, befanden sie sich im besten Zustand und warfen reichlichen Ertrag ab. Mehr denn je fühlte Helene, wie ihre Vergangenheit auf ihr lastete und ihr die Hände band. Kurz erwog sie, Steglinger zu bitten, sich bei Wallenstein für sie einzusetzen, doch damit hätte sie sich völlig in die Hände dieses Mannes begeben und alle Pläne bezüglich Johannas aufgeben müssen. Dazu aber war sie noch weniger bereit, als auf die böhmischen Güter zu verzichten.
Für eine Weile überlegte sie, Johanna mit dieser Aufgabe zu betrauen, doch als sie an die Gefahren dachte, die ihrer Tochter unterwegs und inmitten der Soldaten drohen mochten, schüttelte sie energisch den Kopf. In dem Augenblick blieb sie so abrupt stehen, als wäre sie gegen eine Wand gelaufen. Nun hatte sie die Lösung, die sie gleich mehrerer Probleme entheben würde!
Mit frischer Tatkraft beseelt kehrte sie in ihren Salon zurück. Dort spielten Johanna und Ehrentraud Karten, während Irmela auf einem Stuhl am Fenster saß und mit selbstvergessener Miene den zerrissenen Saum eines ihrer Kleider flickte, so als hätte der Besuch der Beamten nicht ihren Angelegenheiten gegolten. Bei dem Anblick des Mädchens begriff Helene, dass für die Durchführung ihrer Pläne einige Vorbereitungen nötig waren, und rief die Magd zu sich.
»Fanny, du wirst die Näherinnen holen. Ihre Hände müssen sich so flink wie möglich rühren, denn wir brauchen dringend mehrere Kleider.«
Während die Magd wie ein Blitz verschwand, leuchteten Johannas Augen freudig auf. »Haben wir eine neue Einladung erhalten?«
»Nein, die Kleider sind für Irmela. Sie wird sich spätestens übermorgen auf eine weite Reise zum Hauptquartier des Generalissimus begeben. Herr Steglinger bereitet die Fahrt vor und wird auch die Begleitmannschaft stellen. Irmela, du wirst Fanny als Zofe mitnehmen. Sollten Ehrentraud, Johanna und ich länger in Passau bleiben, werde ich meine eigene Leibmagd holen lassen. Bis dorthin werden wir uns mit den Dienstboten hier in der Herberge begnügen müssen.«
Während Irmela verwundert aufschaute, konnte Johanna ihre Enttäuschung nicht verbergen. Die aufregenden jungen Männer, die in ihren Augen als Bewerber um ihre Hand in Frage kamen, dienten im Heer oder bei Wallensteins Stab. »Warum fahren wir nicht gemeinsam nach Böhmen zu Herrn von Wallenstein?«
Helene konnte ihr nicht sagen, dass die meisten Offiziere annehmen würden, sie käme ins Hauptquartier, um ihre Tochter ins Geschäft einzuführen. Daher reagierte sie noch schroffer, als Johanna es von ihr gewohnt war.
»Du bleibst bei mir, verstanden! Irmela wird nicht allein fahren. Herr Steglinger kennt gewiss eine Dame, die sich freuen wird, sie begleiten zu dürfen. Damit ist der Schicklichkeit Genüge getan. Außerdem wird Wallenstein es nicht wagen, eine arme Waise, deren Vater von den Schweden umgebracht wurde, um das ihr zustehende Erbe zu bringen.« Um zu verhindern, dass Johanna weiter über das Thema sprach, warf Helene einen kurzen Blick in Ehrentrauds Karten, zog eine heraus und stach damit Johannas Trumpf.
»Damit hast du das Spiel gewonnen«, erklärte sie Ehrentraud und wandte sich Irmela zu.
Sie hatte ihre Stiefenkelin lange nicht mehr so genau betrachtet und stellte nun fest, dass das Mädchen sich innerhalb der letzten Monate zu einer jungen Frau entwickelt hatte. Ihr Gesicht wirkte immer noch klein, und ihr spitzes Kinn verlieh ihr nach wie vor etwas Mausartiges. Sorgfältig frisiert und dezent geschminkt aber würde sie durchaus apart aussehen. Auch hatte die Figur nichts Kindliches mehr. Dieser Eindruck wurde nur durch die unvorteilhafte Kleidung hervorgerufen. Zwar würde Irmela niemals eine Schönheit wie Johanna werden, aber zumindest einen akzeptablen Anblick bieten. Helene dachte an die Möglichkeiten, die diesem Mädchen offenstanden, und hätte am liebsten laut geflucht. Sie bezwang sich jedoch und blickte Irmela an wie eine Magd, der man alles dreimal erklären muss.
»Du wirst den Herzog von Friedland aufsuchen und um eine Audienz bitten. Sobald du vor ihm stehst, wirst du die Güter zurückfordern, die er sich zu Unrecht angeeignet hat. Auf deine Vermögensverwalter ist kein Verlass, denn die zittern bereits, wenn sie seinen Namen hören. Ich würde selbst reisen, aber ich kenne den Generalissimus gut genug, um zu wissen, dass ich ihn nicht zwingen kann, deiner berechtigten Forderung zu willfahren.«
Helene erstickte innerlich beinahe vor Wut, weil sie offen zugeben musste, dass Irmela einen höheren Rang und mehr Ansehen besaß als sie selbst. Aber ohne diesen Hinweis würde sie das Mädchen wohl nicht dazu bewegen können, die gefährliche Reise anzutreten. Als Tochter des Grafen Ottheinrich von Hochberg besaß Irmela als Einzige von ihnen das Recht, auf einem Gespräch mit Wallenstein zu bestehen.