XVII.

Irmela starrte Frau von Kerling entgeistert an. »Ich soll Euch auf eine Reise begleiten? Das geht nicht! Wallenstein kann jeden Augenblick zurückkehren, und ich will ihn nicht aus eigener Schuld verpassen.«

Ihre Begleiterin rang die Hände und kniete theatralisch vor ihr nieder. »Meine Liebe, ich bitte Euch! Es handelt sich doch nur um einen einzigen Tag. Morgen Mittag sind wir bereits wieder hier. Ich muss diesen Offizier sprechen! Er hat mir schriftlich zugesichert, er würde mich unterstützen, doch er befindet sich nur noch bis morgen in dieser Gegend. Wenn ich ihn bis dahin nicht aufsuchen kann, war meine Fahrt hierher umsonst.«

Dionysia von Kerling vermochte wundervoll zu jammern. Insgeheim verfluchte sie Irmela wegen ihres Starrsinns. Die Nachricht, dass Wallenstein auf dem Rückweg sein sollte, hatte ihren Plan beschleunigt. Wenn es Heimsburg nicht vorher gelang, Irmelas habhaft zu werden, würde ihr Plan womöglich scheitern. Die Offizierswitwe dachte mit einem gewissen Vergnügen daran, dass Irmelas Geld ihr diesen Streich erst ermöglichte. Ihr war zugute gekommen, dass Irmela aus Angst, eine bedeutende Summe zu verlieren oder bestohlen zu werden, ihr Reisegeld in ihrem Zimmer versteckt hielt und stets nur einige Münzen für den täglichen Gebrauch bei sich trug. Daher war es ihr am Vortag gelungen, einen Griff in die Reisekasse zu tun. Viel hatte sie jedoch nicht herauszunehmen gewagt, weil es sonst aufgefallen wäre. Nun hoffte sie, dass die Summe Heimsburgs Auslagen decken würde.

Da sie keine Antwort erhielt, fasste Dionysia von Kerling in einer schier verzweifelten Geste nach Irmelas Arm. »Es bedeutet so viel für mich, müsst Ihr wissen! Doch ich kann diesen Herrn nicht ohne Anstandsdame aufsuchen. Mein Ruf und meine Hoffnungen auf eine zweite Heirat wären ruiniert.«

Irmela kniff die Lippen zusammen. Am liebsten hätte sie der Kerling gesagt, sie solle sich dorthin scheren, wo der Pfeffer wächst. Aber sie erinnerte sich, dass die Frau den Auftrag, sie zu begleiten, nur angenommen hatte, weil sie ihre eigenen Belange regeln wollte. Wenn sie die Witwe jetzt im Stich ließ, würde sie sich in den nächsten Wochen deren Klagen anhören müssen und sich dabei herzlich schlecht fühlen.

»Also gut! Ruft Abdur, damit er dem Kutscher und unseren Leibwachen sagen kann, dass sie anspannen und vorfahren sollen.«

»Das ist nicht notwendig«, rief die Witwe eilig. »Der Oberst, zu dem wir kommen sollen, hat uns seinen Wagen geschickt. Er wartet bereits auf uns.«

Irmela gefiel es gar nicht, dass Frau von Kerling so über sie bestimmte, aber da sie sich entschlossen hatte, ihr diesen Gefallen zu erweisen, widersprach sie nicht, sondern nahm ihren Umhang und warf ihn sich über. »Bringen wir es hinter uns. Fanny und Abdur sollen uns begleiten.«

Irmela konnte ihren Unmut nicht ganz verbergen, doch Dionysia von Kerling schien es nicht zu bemerken, sondern schien in Dankbarkeit zu zerfließen, weil ihre junge Reisegefährtin nachgegeben hatte und ihr die Fahrt ermöglichte. Dabei versuchte sie, sich ihre wahre Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Es hatte lange gedauert, die Komtesse zum Mitkommen zu bewegen, der Wagen, den Heimsburg gemietet hatte, wartete seit Stunden hinter der nächsten Straßenecke. Jetzt mussten sie das Gefährt erreichen, bevor Birkenfels, Kiermeier oder Gibichen Verdacht schöpfen konnten. Auf dem Weg nach unten winkte sie Frau Štranzl, die aus der Küche herausschaute, lächelnd zu. Dieser hatte sie vorher schon wortreich erklärt, warum sie mit Irmela wegfahren musste, aber ein anderes Ziel und damit eine ganz andere Richtung genannt. Vor den Ohren ihrer Töchter und einiger Mägde hatte sie die gute Frau gebeten, den Herren Offizieren auszurichten, dass sie sich nicht zu sorgen brauchten.

»Morgen Mittag sind wir wieder zurück«, rief sie der Böhmin so freundlich zu, wie diese es noch nicht erlebt hatte.

Irmela hatte unterdessen Fanny entdeckt und winkte sie zu sich. »Ich soll Frau von Kerling zu ihrem Bekannten begleiten. Du und Abdur kommt mit.«

Die Zofe blies empört die Backen auf. »Es fällt Euch aber früh ein, dass Ihr verreisen wollt. Ich habe überhaupt nichts vorbereitet, und Abdur ist nicht da. Hauptmann Gibichen hat ihn zum Schuster geschickt, um seine neuen Stiefel abzuholen.«

»Herr von Gibichen maßt sich viel an! Er kann doch nicht über meine Domestiken verfügen, als wären es seine eigenen.«

Irmela wunderte sich über sich selbst, weil sie eine solche Wut auf Fabians Freund empfand. Dabei tat Gibichen alles, um ihr das Leben in dieser Enge zu erleichtern. Er hatte sogar an seinen dienstfreien Nachmittagen mit ihr Schach gespielt, um ihr die Langeweile zu vertreiben, und auch dafür gesorgt, dass ihre Kutsche und ihre Begleiter gut untergebracht waren. Da durfte sie sich nicht beschweren, wenn er Abdur um einen Gefallen bat, zumal sein eigener Bursche ein älterer Mann war, der ihm von seinem Vater mehr als Aufpasser denn als Bediensteter mitgegeben worden war.

»Wir werden warten, bis Abdur zurückkommt«, erklärte sie und wollte wieder nach oben steigen.

Dionysia von Kerling rang die Hände. »Das dauert zu lange! Wir würden zu spät ankommen, und ich könnte erst morgen mit dem Oberst reden. Dann müssten wir noch eine zweite Nacht in seinem Quartier verbringen. Er wird uns gewiss einen Diener zur Verfügung stellen, und für unsere eigenen Bedürfnisse haben wir Fanny!«

Da Irmela nicht länger als nötig ausbleiben wollte, stimmte sie zu und gab Fanny einen Wink mitzukommen. Die Zofe raffte ihr Schultertuch an sich und warf es sich im Hinausgehen über.

Dio nysia von Kerling folgte den beiden und scheuchte sie in die Richtung, in der der Wagen wartete.

Der Kutscher, ein älterer Mann mit verbitterter Miene, musste früher Soldat gewesen sein, denn über sein Gesicht lief eine lange Narbe, die Irmela unwillkürlich an Ehrentraud erinnerte. Bei dem Anblick schämte sie sich plötzlich aller schlechten Gedanken über die junge Frau, denn es musste schrecklich sein, so auszusehen. Der Gehilfe des Kutschers, in dem Dionysia von Kerling den gut verkleideten Heimsburg erkannte, trat auf Irmela zu und half ihr in den Wagen. Dabei betrachtete er sie verstohlen und sagte sich, dass er es schlechter hätte treffen können. Zwar reichte Irmela ihm nicht einmal bis zum Kinn, doch gerade ihre geringe Größe gab ihm das Gefühl, leichtes Spiel mit ihr zu haben.

Dionysia von Kerling folgte Irmela in den Wagen, dann zog Fanny sich ohne Hilfe in den Kasten, während Heimsburg sich bereits wieder auf den Kutschenbock schwang. Auch wenn der Offizier sich in den Mantel eines Fuhrknechts gehüllt und einen alten Filzhut tief in die Stirn gezogen hatte, wollte er nicht riskieren, von irgendjemand erkannt zu werden.

Während Heimsburg seinen Pallasch in die eine Hand nahm und mit der anderen nervös über die Kolben der beiden Pistolen strich, die aus den Taschen seines langschößigen Rockes ragten, schloss sein Bursche den Schlag und sprang hinten auf. Im selben Augenblick schwang der Kutscher die Peitsche und trieb das Gespann an.

»Endlich sind wir unterwegs!« Dionysia von Kerling ließ sich aufatmend in den Sitz fallen.

Irmela schnupperte und machte eine angeekelte Geste. »Wir hätten unseren eigenen Wagen nehmen sollen. In diesem Gefährt riecht es so modrig wie in einer Gruft.«

Dionysia von Kerling spitzte spöttisch die Lippen, denn sie selbst roch nichts. Allerdings hatte Irmela sich bereits auf der Herfahrt hie und da recht eigenartig benommen und über Lärm, Gerüche und manchmal auch über ihr zu aggressive Leute geklagt. Die Stiefgroßmutter des Mädchens hatte ihr unter vier Augen mitgeteilt, dass Irmela nicht recht bei Sinnen sei, und der Gedanke an Helene von Hochberg verlieh Dionysia von Kerling das Gefühl, edel an Irmela zu handeln, wenn sie für deren rasche Verheiratung sorgte. Auf diese Weise würde das Mädchen den Fängen dieses Weibsdrachens entkommen und als Heimsburgs Frau ein eigenes Haus führen können.

Die Feuerbraut
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