XX.
Nachdem der Wille der Schwarzen Hexe erst einmal gebrochen war, vermochte Lexenthal die ganze Wahrheit aus ihr herauszuholen. Sie schwor zwar immer wieder, nur das Beste gewollt zu haben und von ihren Dämonen verraten worden zu sein, doch das änderte nichts an ihrem Schicksal. Ihr Kumpan Santini erwies sich als etwas hartnäckiger, doch am Ende vermochte auch er der Folter nicht mehr zu widerstehen, und so gestand er neben Ehrentrauds Tod auch den Raub des Kindes und den darauffolgenden Ritualmord in allen Einzelheiten.
Ebenso wie die Schwarze Hexe versuchte Santini alle Schuld auf Helene abzuwälzen. Johanna, die nicht im Geringsten daran dachte, ihre Mutter zu schonen, und Steglinger bestätigten die Aussagen der beiden, denn sie hofften, mit halbwegs heiler Haut aus der Sache herauszukommen. Der Passauer Richter, der mit Lexenthal zusammen die Verhöre leitete, nützte diesen Glauben geschickt aus und wob ein enges Gespinst aus Anklagen und Beweisen um die Gruppe, in dem sich sogar eine winzige Fruchtfliege verfangen hätte.
Zu ihrer Erleichterung musste Irmela nicht mehr an den Verhören teilnehmen. Auch Gibichen hielt sich zurück, während es Fabian immer wieder in den Kerker zog. Eines Abends, als Helene nach allen Regeln der Kunst geschunden worden war und ihr Schreien in den Gängen widerhallte, wandte Lexenthal sich an ihn. »Würdet Ihr mir einen Gefallen erweisen, Birkenfels?«
Fabian deutete eine Verbeugung an. »Wenn es in meiner Macht steht, gerne.«
»Es steht in Eurer Macht. Nur weiß ich nicht, ob Ihr dazu bereit sein werdet.« Der Prior packte ihn am Ärmel, als wolle er ihn nicht entkommen lassen, und führte ihn aus dem Kerker. Auf dem Vorplatz wartete eine mit einem Wappen geschmückte Kutsche auf sie. Gespannt, wohin der Prior ihn bringen würde, stieg Fabian ein und sah sich Herrn von Stainach gegenüber, jenem ihm noch gut bekannten Höfling aus dem Gefolge des Herzogs von Pfalz-Neuburg. Dieser begrüßte ihn, den Prior und dessen Sekretär mit einer knappen Geste.
Während der Fahrt fiel kein einziges Wort. Sie überquerten die Donau und folgten zunächst der Straße nach Grubweg, bogen dann aber zu einem Kirchlein ab, das hoch über der rasch fließenden Ilz stand. Fabian wunderte sich über ihr Ziel und sah sich in dem Gotteshaus überrascht um, denn es war festlich geschmückt. Ein Priester im vollen Ornat und einige Mönche des Dominikanerordens empfingen sie mit düsteren, bedrückten Mienen, die nicht zu der von Wachskerzen erhellten Kapelle passen wollten, und verbeugten sich respektvoll vor Lexenthal.
Der Prior atmete tief durch und blickte Fabian durchdringend an. »Ich bitte Euch, mir zu verzeihen, doch die Angst um das Seelenheil meiner Nichte zerreißt mir schier das Herz. Wenn sie so befleckt mit teuflischen Dingen, wie sie jetzt ist, vor den himmlischen Richter treten muss, wird ihr niemals die Gnade der Auferstehung und des ewigen Lebens zuteil werden. Seid Ihr bereit, Eure Hand auszustrecken und meine Nichte vor dem Verderben, das sie zu verschlingen droht, zu erretten?«
Fabian sah ihn verwundert an, nickte aber. »Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um Ehrentrauds Seele zu retten.«
Auf dem Gesicht des Priors erschien ein dankbares Lächeln. »Ich danke Euch von ganzem Herzen, Birkenfels. Ihr seid ein Mann von Ehre. Aus Ehrentrauds Tagebuch wissen wir, wie sehr sie Euch geliebt hat, und sie schenkte Euch ihren Leib, so wie es vor Gott dem Herrn nur einem Eheweib mit ihrem angetrauten Mann erlaubt ist. Aus diesem Grund …« Lexenthal brach ab und wischte sich ein paar Tränen aus den Augen, bevor er weitersprach.
»Aus diesem Grund wünsche ich, dass Ihr Euch mit meiner Nichte postum vermählt, auf dass sie in allen Ehren als Ehefrau vor unseren Herrn Jesus Christus treten und auf Gnade hoffen kann.«
»Ich soll eine Tote heiraten?«, brach es aus Fabian heraus.
Der Prior nickte. »Tut es um Ehrentrauds Erlösung willen! Ihr werdet von dem Augenblick, an dem die Trauung vorbei ist, als Witwer gelten, mit der Verpflichtung, ein Jahr Trauer um Eure tote Gemahlin zu tragen. Ich weiß, Ihr seid mit Komtesse Hochberg verlobt und wollt sie gewiss bald heimführen. Doch sie wird als Allererste Verständnis dafür aufbringen, dieses Jahr auf Euch warten zu müssen. Trotz allem, was man ihr angetan hat, war sie Ehrentraud freundlich gesinnt und hätte deren beste Freundin werden können, wären da nicht die Hexe Helene und ihre teuflische Tochter gewesen.«
Ganz so einfach, wie der Prior tat, lagen die Verhältnisse nicht. Ehrentraud hatte auch von sich aus alles getan, um Irmela zu kränken und zu demütigen, doch Fabian wollte an diesem Ort nicht an längst vergessene Dinge rühren. Mit einem tiefen Atemzug machte er sich Mut und trat an den Altar neben Herrn von Stainach, der als Trauzeuge fungieren sollte.
Lexenthal gab dem Priester einen Wink. Dieser ging sichtlich nervös ans Werk und zelebrierte die Eheschließung. Noch nie hatte er eine tote Frau einem lebenden Mann angetraut, und er zweifelte ein wenig, ob diese Zeremonie den Segen der heiligen Kirche finden würde. Er tröstete sich jedoch damit, dass der Prior wissen musste, was er tat. Trotz seiner Unsicherheit sprach er die Gebete mit großer Inbrunst und rührte damit die Herzen der Anwesenden. Lexenthal weinte ungehemmt, und Fabian begriff, dass er von diesem Tag an besser von Ehrentraud denken würde.
An der Stelle, an der die Braut ihre Einwilligung zu dieser Heirat bekunden sollte, sah der Priester den Prior unsicher an. Lexenthal bedeutete ihm jedoch weiterzumachen. »Meine Nichte hat schriftlich bekundet, die Gemahlin Herrn von Birkenfels’ werden zu wollen. Dies mag hier und vor Gott gelten.«
Als der Ringtausch erfolgen sollte, überreichte Lexenthal ihm zwei Ringe von ansehnlichem Wert. »Streift den größeren über zum Zeichen, dass Ihr von diesem Augenblick an Euch als Gemahl meiner Nichte seht. Den anderen Ring legt auf ihr Grab. Ich habe alles vorbereitet, damit er an ihre Seite gelegt werden kann.«
Die Worte des Priors stellten die einzige Abweichung zu einer normalen Trauzeremonie dar. Als der Priester Fabian schließlich gesegnet hatte und er die Kirche wieder verlassen konnte, schüttelte er sich innerlich, denn es war, als fühle er die Kälte des Todes von dem Ring ausgehen, der für Ehrentraud bestimmt war. In die goldene Fassung war ein dunkelblauer Stein eingelassen, der Trauer auszustrahlen schien, und er stellte ihn sich an Ehrentrauds Hand vor.
»Er hätte ihr gefallen«, sagte er leise.
Lexenthal begriff, was sein Schwiegerneffe damit meinte, und schlug das Kreuz. »Gott gebe ihr die ewige Ruhe!«
»Und die Erlösung und die Auferstehung am Jüngsten Tag«, setzte Fabian leise hinzu.