XI.

Ehrentraud von Lexenthal hatte Mühe, ihren Magen unter Kontrolle zu halten, so stank es in der kleinen, verräucherten Stube, in die Helene sie hatte rufen lassen. Vor ihr stand die Schwarze Hexe wie eine monströse Krähe und beschmierte ihr das Gesicht mit einer braunen, stinkenden Salbe. Die Augen der alten Frau waren dabei unnatürlich geweitet, und ihre Stimme klang so dumpf, als spräche sie aus dem Grab heraus.

»Asmodi, Azathot, Azrael, segnet uns und verleiht uns die Kraft, unser Werk zu vollbringen. Lasst das narbige Fleisch dieser jungen Frau verschwinden und gebt ihr ihre einstige Schönheit zurück!«

»Asmodi, Azathot, Azrael, wir bitten euch, steht uns bei«, riefen Marthe und Santini wie aus einem Mund. Auch sie streckten nun ihre Hände aus und verstrichen übelriechendes Fett auf den Wangen der jungen Frau.

Ehrentraud wurde schwindelig, und sie hatte Mühe, sich nicht zu übergeben, doch man hatte ihr eingeschärft, dass sie die Zeremonie nicht unterbrechen dürfe, weil der Zauber sonst nicht wirken würde. Ihr Blick wanderte über die Hexen hinweg und blieb auf Helene und Johanna haften, die sich bis an die Wand zurückgezogen hatten und das Geschehen beobachteten. Sie hoffte auf eine aufmunternde Geste, doch die beiden blickten sie nicht an und verzogen auch keine Miene. Ehrentraud fragte sich, ob die Schwarze ihnen geboten hatte, ganz still zu sein und sich nicht zu rühren, oder ob der Schrecken über das gotteslästerliche Ritual sie hatte erstarren hatte.

Innerlich betete sie verzweifelt, das Tun der Hexen und des Magiers möge sie nicht die ewige Seligkeit kosten. Aber die Kunst der drei war der letzte Strohhalm, nach dem sie noch greifen konnte, denn all ihre Gebete an die Heilige Jungfrau, das Jesuskind und die vielen Heiligen hatten ihr nicht geholfen. Nach einer Weile aber hoffte sie nur noch, dass es bald vorbei sein möge und sie den beiden schrecklichen Weibern und dem Hexer entkommen konnte.

Die Schwarze, die keinen Namen zu haben schien, murmelte eine weitere Beschwörung und fuhr Ehrentraud mit einem Wieselschwanz durchs Gesicht. »Die Narben sollen vergehen, die alte Schönheit wieder bestehen!«

Sie klatschte die Hand auf die Wange mit dem stark verfärbten Wulst und grub dann ihre Fingernägel mit aller Kraft in das Narbengewebe, als wolle sie es herausreißen.

Ehrentraud schrie vor Schmerz auf, erhielt einen neuen Schlag mit der flachen Hand, und dann fuhr ihr die Schwarze mit der anderen Hand unter das am Hals offenstehende Hemd, das man ihr für die Zeremonie angezogen hatte, und fasste ihre linke Brust mit einem harten Griff.

»Ich spüre Asmodis Nähe, Azathots Anwesenheit und die Macht Azraels. Es wird uns gelingen!« Die Stimme der Hexe überschlug sich, und sie verdrehte die Augen, dass nur noch das Weiße zu sehen war.

»Die hohen Herren sind unzufrieden. Das Weib muss ihre anderen Narben zeigen. Nur so kann die Macht der drei auf sie wirken!« Santini trat einen Schritt vor, packte Ehrentrauds Hemd und riss es mit einem heftigen Ruck auf. Die junge Frau wollte seine Hände zurückstoßen, doch da hielt Marthe ihr einen Pokal an die Lippen. Ein scharfes Gebräu ergoss sich in ihren Mund, und sie schluckte unwillkürlich. Sofort wurde ihre Zunge taub, und ihr Gaumen schien in Flammen zu stehen.

»Trink!«, herrschte die Schwarze sie an.

Ehrentraud spürte, wie ihr Wille erlahmte, und schluckte den Inhalt des Pokals hinunter, während die Welt sich in einem wirren Tanz zu drehen begann.

»Ich kann mich nicht mehr auf den Beinen halten!«, flüsterte sie, doch bevor sie fallen konnte, trat Santini hinter sie, packte sie unter den Achseln und hielt sie fest.

Marthe füllte unterdessen den Pokal erneut und reichte ihn ihrer Mutter. Diese trank hastig und stieß dabei laut auf. Ein Schwall übelriechender Luft schlug Ehrentraud entgegen, und dann veränderte die Hexe sich. Sie wuchs rasend schnell, bekam Augen, die ihr ganzes Gesicht zu bedecken schienen, und schließlich einen riesigen, weit klaffenden Schlund, der sie zu verschlingen drohte.

Während Ehrentrauds Geist in Scherben zersprang und davonwirbelte, blieb ein winziger Teil von ihr zurück und verfolgte panikerfüllt, was mit ihr geschah. Die Schwarze stieß Worte aus, die Ehrentraud nicht verstand, und ihre Krallen zerfetzten ihr Gesicht. Sie fühlte es warm über ihre Wangen laufen und wusste, dass es ihr eigenes Blut war. Allerdings verspürte sie keinen Schmerz, sondern nur ein dumpfes Pochen, das von ihrem Hinterkopf auszugehen schien. Dann begannen ihre Augen trübe zu werden. Sie konnte noch ein Messer über sich erkennen, über das die Schwarze mit dem Wieselschwanz wischte, verspürte einen Druck gegen die verletzte Wange und ein Knirschen, das ihr durch Mark und Bein fuhr. Dann erlosch auch der Rest ihres Bewusstseins wie eine Kerze im Wind.

Die Feuerbraut
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