Sechsundfünfzig

Es war ein Unfall. Das musst du verstehen. Ich wollte nicht, dass es so kommt.

Ich habe dich nicht gehasst. Ich habe dich zwar nicht geliebt, aber auch nicht gehasst, und ich glaube nicht, dass du mich gehasst hast. Ich denke, wir waren jung, und ich war schwanger, und wir taten, was unsere Eltern von uns erwarteten. Und dann saßen wir miteinander fest, wie eine Menge anderer Leute auch.

Es dauerte eine Weile, ehe ich es verstand.

Während unserer ganzen Ehe habe ich entweder getrunken, mich vom Trinken erholt oder ans Trinken gedacht. Und so war ich selten richtig betrunken, aber auch so gut wie nie richtig nüchtern. Immer weiter, so viele Jahre, dass niemand, der mich nie nüchtern gesehen hatte, jemals den Unterschied erkannte.

Ich warf dir vor, mir meine Freiheit beschnitten zu haben, weil ich nicht begriff, dass es keine Freiheit gewesen war, was ich in London gehabt hatte. Irgendwo war es genau solch ein Käfig gewesen wie die Ehe: ein unendlicher Kreislauf von arbeiten, trinken, durch die Clubs ziehen, nach One-Night-Stands suchen, mich in den frühen Morgenstunden wegschleichen.

Ich dachte, du hättest mich angekettet. Mir wurde nie klar, dass du mich eigentlich gerettet hast.

Ich sträubte mich dagegen, und ich bekämpfte es – und dich fünfundzwanzig Jahre lang.

An dem Abend, als du starbst, hatte ich eine halbe Flasche Wein und drei Gin Tonic intus. Weil Anna unterwegs war, musste ich nichts verstecken – dir machte ich schon lange nichts mehr vor.

Nicht, dass ich jemals zugegeben hätte, ein Problem zu haben. Es heißt, das ist der erste Schritt. Ich hatte ihn nicht getan – damals nicht. Erst hinterher.

»Meinst du nicht, du hast genug?« Du hast auch einen Drink gehabt. Sonst hättest du das nie gewagt. Wir waren in der Küche, wo Rita in ihrem Körbchen lag. Ohne Anna fühlte sich das Haus leer an, und ich wusste, dass ich deshalb mehr trank. Nicht nur weil ich konnte, sondern weil die Atmosphäre seltsam war. Unausgewogen. So wie während ihrer Zeit an der Uni. Da hatte ich einen Vorgeschmack auf das Leben bekommen, wenn sie ganz auszog, und es gefiel mir nicht. Unsere Ehe drehte sich ganz um unsere Tochter; wer waren wir ohne sie? Der Gedanke beunruhigte mich.

»Eigentlich will ich noch einen.« Wollte ich gar nicht. Trotzdem schüttete ich den restlichen Wein in ein Glas, das nur zu einem Viertel befüllt werden sollte. Ich hielt die Flasche am Hals kopfüber in die Höhe. Provozierte dich. »Prost.« Ein Rotweintropfen rann meinen Ärmel hinab.

Du sahst mich an, als würdest du mich zum ersten Mal sehen. Schütteltest den Kopf, als hätte ich dir eine Frage gestellt.

»Ich kann das nicht mehr, Caroline.«

Ich glaube nicht, dass du es geplant hast. Es war nur etwas, das du so dahinsagtest. Aber ich fragte dich, was du meinst, und das brachte dich ins Grübeln. Ich erkannte den Moment, in dem du die Entscheidung trafst. Das entschlossene Nicken, deine verkniffenen Lippen. Ja, dachtest du, das ist es, was ich will. Was ich mir wünsche.

»Ich möchte nicht mehr mit dir verheiratet sein.«

Wie gesagt: Mein Auslöser ist Alkohol.

Als ich dich zum ersten Mal schlug, war ich betrunken, als ich dich zum letzten Mal schlug, war ich es auch. Das ist keine Entschuldigung – nur ein Grund. Machte es für dich einen Unterschied, dass ich mich hinterher entschuldigte? Wusstest du, dass ich ernst meinte, was ich sagte, dass ich mir immer schwor, es würde nie wieder vorkommen? Manchmal kam die Reue spät; manchmal kam sie gleich, wenn mich das plötzliche Entladen der aufgestauten Wut so ernüchterte, als hätte ich meinen Rausch ausgeschlafen.

Als die Polizei auftauchte, hast du mit mir gelogen. Hier gibt es nichts zu sehen. Nach den Notrufen sagten wir, es wäre ein Versehen gewesen. Das Kind, das mit dem Telefon gespielt hatte.

Du hörtest auf zu sagen, dass du mir verzeihst. Du hörtest überhaupt auf, etwas zu sagen; gabst einfach vor, es wäre nichts passiert. Als ich Annas Briefbeschwerer an die Wand warf und er zerbrochen zu Boden fiel, hast du die Teile aufgehoben und sie wieder zusammengeklebt. Und du hast Anna glauben lassen, dass du dafür verantwortlich warst.

»Sie liebt dich«, sagtest du. »Ich ertrage den Gedanken nicht, dass sie die Wahrheit weiß.«

Das hätte mich aufhalten müssen. Tat es nicht.

Hätte ich an dem letzten Abend nicht so viel getrunken, wäre ich vielleicht traurig geworden anstatt zornig. Ich hätte vielleicht sogar genickt und gedacht: Du hast recht – es funktioniert nicht. Ich hätte vielleicht erkannt, dass keiner von uns glücklich war, dass es vielleicht an der Zeit war, dieser Ehe ein Ende zu machen.

Doch all das tat ich nicht.

Noch ehe du den Satz zu Ende sprechen konntest, bewegte sich mein Arm. Fest. Schnell. Unüberlegt. Die Flasche knallte gegen deinen Kopf.

Ich stand in der Küche, den Flaschenhals noch in der Hand und ein grünes Scherbenmeer zu meinen Füßen. Und du. Du lagst auf der Seite. Eine glänzende Blutlache unter deinem Kopf, weil du auf die Granitarbeitsplatte aufgeschlagen warst, ehe du auf dem Fliesenboden gelandet bist.

Tot.