Vierunddreißig

Murray

Als Murray am Weihnachtsmorgen aufwachte, war Sarahs Betthälfte kalt. Ihn ergriff die vertraute Panik, während er das Haus nach ihr absuchte. Die Hintertür war unverschlossen, und Murray verfluchte sich, weil er den Schlüssel stecken gelassen hatte. Doch als er die Tür aufriss und in den Garten rannte, fand er Sarah ruhig auf der Bank sitzend vor.

Sie war barfuß, und der Morgentau auf der Bank hatte den Bademantel durchfeuchtet, den sie über ihrem Nachthemd trug. Ihre dünnen Arme waren um ihre an die Brust gezogenen Knie geschlungen, und sie umklammerte einen dampfenden Teebecher mit von Erde geschwärzten Händen.

Murray pfiff auf die feuchte Kälte und setzte sich neben Sarah auf die Bank. Der Garten war schmal mit einem ehedem gepflegten Gemüsegarten, einem Gewächshaus hinten und einem ordentlichen Rasenstück zwischen zwei auf Eisenbahnschwellen erhobenen Beeten. Näher am Haus, wo Sarah und er saßen, war eine quadratische, von Pflanztöpfen eingerahmte Terrasse. An den raren Tagen, an denen das britische Wetter nicht für genügend Regen sorgte, wässerte Murray die Töpfe. Allerdings kannte er sich aber mit dem Stutzen und Trimmen nicht aus, so dass nach und nach jede Blüte von ihrer Terrasse verschwunden war.

»Sieh mal.«

Murray folgte Sarahs Blick zu dem größten Topf, in dem ein Weidenrankgerüst stand. Irgendwas war an dem gewachsen, erinnerte Murray, mit blassrosa, papierdünnen Blüten, ehe es vertrocknet und eingegangen war, bis sich nur noch ein paar kahle Ästchen an den Weidenzylinder schmiegten. Die Äste lagen nun neben dem Topf, die Erde darin war aufgelockert und vom Unkraut befreit.

»So sieht es ordentlicher aus.«

»Ja, aber sieh mal.«

Murray sah hin. An einer Ecke des Obelisken-Geflechts, wo die Weide in die Erde stach, war ein winziger, hellgrüner Sprössling zu sehen. In Murray regte sich ein Hoffnungsschimmer, als Sarah ihre Hand in seine schob.

»Frohe Weihnachten.«

Zum Abendessen gab es Putenbrust mit allem Drum und Dran.

»Du setzt dich da hin«, sagte Sarah und schob Murray zum Sofa. »Ruh dich aus.«

Es war schwierig, sich zu entspannen, wenn er hörte, wie Sarah fluchte, weil mehrere Sachen auf einmal kochten oder weil sich irgendwas als »Scheiße, ist das heiß!« entpuppte. Nach einer Weile linste Murray in die Küche.

»Kann ich helfen?«

»Alles im Griff.«

Überall waren Töpfe, mehrere auf dem Fußboden und einer, der recht kippelig auf dem Fensterbrett stand.

»Wir sind aber immer noch zu zweit, oder?«

»Dann haben wir Reste für morgen.«

Und für die nächsten drei Wochen, dachte Murray.

»Oh, Mist! Ich habe die Brotsauce anbrennen lassen.«

»Brotsauce kann ich sowieso nicht leiden.« Murray band Sarah die Schürze auf und bugsierte sie sanft zu einem Stuhl.

»Setz dich hin. Entspann dich.«

Während er die Bratensauce rührte, fühlte er, dass Sarah ihn ansah. Er drehte sich um.

Sie nagte an einem Fitzel Nagelhaut. »Sei ehrlich. Ist es leichter, wenn ich in Highfield bin?«

Murray antwortete, ohne zu zögern: »Leichter? Ja. So schön? Nicht mal annähernd!«

Sarah dachte über seine Antwort nach. »Ich frage mich, ob er hinter ihrem Geld her ist.«

Es dauerte einen Moment, bis Murray ihr folgen konnte.

»Mark Hemmings?«

»Anna denkt, dass Mark ihren Eltern nie begegnet ist, aber wir wissen, dass Caroline einen Termin bei ihm hatte. Wir wissen auch, dass Caroline und Tom zusammen einen Riesenhaufen Geld wert waren.« Sarah goss sich einen kleinen Schluck Wein ein und stand auf, um Murray nachzuschenken. »Caroline geht zu Mark, als sie wegen des Todes ihres Mannes völlig verzweifelt ist. Sie erwähnt, dass sie irgendwas um eine Million Pfund wert ist. Mark bringt sie um und zieht bei ihrer Tochter ein. Peng.«

Murray war skeptisch. »Vielleicht ein klein wenig überzeugender als deine erste Theorie, dass Caroline wegen des Planungswiderspruchs gegen ihren Nachbarn umgebracht wurde.«

»Das habe ich auch noch nicht ganz ausgeschlossen. Aber ich halte das Geld für wahrscheinlicher.«

»Mark und Anna sind nicht verheiratet. Er würde nicht automatisch erben.«

»Noch nicht«, sagte Sarah finster. »Ich wette, er arbeitet daran. Und sind ihm erst Geld und Haus sicher …« Sie fuhr mit einem Finger über ihre Kehle, wozu sie einen sehr dramatischen Gurgellaut von sich gab.

Murray lachte über Sarahs makabre Darstellung, während er anfing, das Essen aufzutragen. Er bedeckte die verbrannten Kartoffelstücke mit Bratensauce, aber der Gedanke, dass Anna Johnson in Gefahr sein könnte, jagte ihm kalte Schauer über den Rücken. »Nach den Feiertagen frage ich direkt bei der IT-Abteilung nach, ob sie mal diese Nummer von Diane Brent-Taylors Notruf unter die Lupe nehmen können. Ich möchte wetten, dass derjenige, der den Anruf gemacht hat, auch den Stein in Anna Johnsons Scheibe geschmissen hat. Und derjenige weiß auch, wie Tom Johnson gestorben ist.« Er stellte einen mit Essen beladenen Teller vor Sarah auf den Tisch und setzte sich ihr gegenüber hin.

»Es muss jemand sein, der der Familie nahesteht, glaub mir«,

sagte Sarah und nahm ihr Besteck auf. »Ist es immer.«

Nicht zum ersten Mal dachte Murray, dass sie wahrscheinlich recht hatte.

Aber wer?