Vierzehn
Anna
Das Kaninchen liegt auf der obersten Stufe, sein Bauch mit einem langen, sauberen Schnitt aufgeschlitzt. Gelatineartige Fleischmasse und Eingeweide quellen heraus. Die gläsernen Augen über dem klaffenden Maul mit den scharfen weißen Zähnen blicken zur Straße.
Ich öffne den Mund, um zu schreien, doch es ist keine Luft in meiner Lunge; stattdessen trete ich einen Schritt zurück und halte mich an dem Garderobenständer neben der Tür fest. Es ziept in meiner Brust. Der Drang, mein Baby zu nähren, ist eine instinktive Gefahrenreaktion.
Endlich kann ich atmen.
»Mark!« Das Wort explodiert förmlich aus meiner Kehle. »Mark! Mark!«, schreie ich immer weiter, unfähig, meinen Blick von dem blutigen Ding an meiner Haustür abzuwenden. Raureif bedeckt das Kaninchenfell und verleiht dem Blut einen silbrigen Glanz, was das Ganze nur noch makabrer macht, wie eine gruselige Weihnachtsdekoration. »Mark!«
Halb gehend, halb laufend kommt er die Treppe hinunter, stößt sich den Zeh an der untersten Stufe an und flucht laut.
»Was zum … mein Gott …« Er hat nur ein Handtuch umgewickelt und fröstelt unweigerlich an der offenen Haustür, als er auf die Stufe sieht. Wassertropfen hängen in seinem spärlichen Brusthaar.
»Wer macht denn so etwas Schreckliches?« Ich weine jetzt, wie man es nach einem Schock tut, sobald man erkennt, dass man sicher ist.
Mark sieht mich verwirrt an. »Wer? Was meinst du wohl? Ein Fuchs, nehme ich an. Wie gut, dass es so kalt ist, sonst würde es eklig stinken.«
»Du glaubst, das war ein Tier?«
»Gegenüber ist ein ganzer Park, und der sucht sich unseren Hauseingang aus. Ich ziehe mich an, dann schaffe ich das weg.«
Etwas stört mich. Ich versuche herauszubekommen, was es ist, aber irgendwie entgleitet es mir. »Warum hat der Fuchs es nicht gefressen? Sieh dir all das Fleisch an, und«, ich muss schlucken, weil mir schlecht wird, »die Gedärme. Warum sollte er es töten und nicht fressen?«
»Das tun sie doch, oder nicht? Stadtfüchse fressen unseren Abfall. Sie töten zum Spaß. Wenn sie in einen Hühnerstall kommen, bringen sie sämtliche Hühner um, fressen aber kein einziges von ihnen.«
Ich weiß, dass er recht hat. Vor Jahren beschloss mein Vater, Gänse zu halten, in einem Pferch hinten im Garten. Ich dürfte nicht älter als fünf oder sechs gewesen sein, doch ich erinnere mich, wie ich meine Gummistiefel anzog, um die Eier zu holen und Körner im matschigen Gras auszustreuen. Obwohl das Schicksal der Tiere an Weihnachten besiegelt wäre, hatte meine Mutter allen Namen gegeben und rief sie einzeln herbei, um sie abends zusammenzutreiben. Ihr Liebling – und folglich auch meiner – war ein sehr lebhafter Vogel mit grauen Federspitzen, den sie Piper taufte. Während die anderen fauchten und mit den Flügeln schlugen, kam man ihnen zu nahe, ließ Piper sich von meiner Mutter aus der Hand füttern. Dass die Gans so zahm war, wurde ihr zum Verhängnis. Der Fuchs – der so dreist war, dass er nicht einmal wartete, bis es dunkel wurde – ließ sich von Pipers übellaunigen Geschwistern verscheuchen, biss jedoch der armen Piper den Hals durch. Den kopflosen Körper ließ er liegen, so dass meine Mutter und ich ihn an dem Abend fanden.
»Verfluchte Viecher«, sagt Mark. »Da wird einem klar, warum die Leute für Fuchsjagd sind, nicht?«
Nein, mir nicht. Ich habe noch nie einen Fuchs auf dem Land gesehen, aber reichlich in der Stadt, wo sie rotzfrech mitten auf der Straße entlangschnüren. Sie sind so wunderschön, dass ich mir nicht vorstellen kann, ihren Jagdinstinkt mit blankem Terror zu bestrafen.
Als ich das verstümmelte Kaninchen ansehe, geht mir plötzlich auf, was mich stört. Ich spreche langsam, weil sich der Gedanke erst jetzt richtig formt.
»Da ist zu viel Blut.«
Unter dem leblosen Tier ist eine große Pfütze und noch mehr Blut auf den drei Stufen hinunter zur Einfahrt. Mark wirkt verhalten amüsiert.
»Ich erinnere mich, dass wir im Bio-Unterricht Frösche seziert haben, aber Kaninchen hatten wir nie. Wie viel Blut dürfte da denn sein?«
Sein Sarkasmus ärgert mich. Warum will er nicht sehen, was ich sehe?
Ich versuche, ruhig zu bleiben. »Nehmen wir an, dass das ein Fuchs war. Und nehmen wir an, dass in einem winzigen Wildkaninchen genug Blut ist, um solch eine Schweinerei anzurichten. Hat der Fuchs sich die Pfoten auf den anderen Stufen abgewischt?«
Mark lacht, doch ich meine es ernst.
»Hat er seinen Schwanz benutzt, um das Blut zu verschmieren?«
Denn so sieht es aus; als hätte jemand einen Pinsel genommen, ihn in das Kaninchen getunkt und unsere Stufen mit unregelmäßigen Blutstreifen bemalt. Auf einmal wird mir klar, dass es wie ein Tatort aussieht.
Mark wird ernst. Er legt einen starken Arm um mich und macht mit der freien Hand die Tür zu. Dann wendet er sich mir zu. »Sag schon. Sag mir, wer das war.«
»Ich weiß nicht, wer es war. Aber sie haben es getan, weil ich bei der Polizei war. Sie haben es gemacht, weil sie etwas über Mums Tod wissen und mich davon abhalten wollen, es herauszufinden.« Meine Theorie laut auszusprechen macht sie nicht weniger abstrus.
Mark sieht mich ruhig an, wobei ich eine Spur von Sorge bemerke. »Schatz, das ergibt überhaupt keinen Sinn.«
»Hältst du dies hier für normal? Gestern eine anonyme Karte, heute das?«
»Okay, überlegen wir mal. Angenommen, die Karte war nicht von jemandem, der sauer auf deine Eltern war …«
»War sie nicht.«
»Was wollen die damit erreichen, dass sie den Selbstmord deiner Mutter hinterfragen?« Er wartet meine Antwort nicht ab. »Und was wollen sie damit erreichen, dass sie dir mit toten Tieren vor der Tür Angst machen?«
Ich verstehe, was er meint. Es scheint unlogisch. Warum mich zur Polizei treiben, um mich hinterher genau deshalb zu warnen?
Mein Schweigen nimmt Mark als Nachgeben.
»Es war ein Fuchs, Schatz.« Er tritt einen Schritt vor und küsst mich auf die Stirn. »Ehrlich. Wie wäre es, wenn ich Ella ein bisschen nehme und du dir ein schönes Bad gönnst? Vor elf habe ich keine Klienten.«
Ich lasse mich von Mark nach oben führen, wo er das Wasser aufdreht und etwas von dem lachhaft teuren Badesalz hineingibt, das er mir zu Ellas Geburt gekauft hat und ich noch nie Zeit hatte auszuprobieren. Ich lege mich in den Schaum und denke an Füchse, Kaninchen und Blut. Bin ich paranoid?
Im Geiste sehe ich die anonyme Karte, stelle mir die Hand des Absenders vor, die sie in den Umschlag steckt und anschließend in den Briefkasten. Hat dieselbe Person mit chirurgischer Präzision ein Kaninchen aufgeschlitzt? Das Blut auf meinen Stufen verschmiert?
Mein Puls will nicht langsamer werden. Er trommelt einen Stakkato-Rhythmus in meinen Schläfen, und ich sinke tiefer ins Badewasser, bis stattdessen das Gluckern und Summen meine Ohren füllt. Jemand will mir Angst machen.
Ich frage mich, ob die beiden Vorfälle wirklich in keinem Zusammenhang stehen. Die anonyme Karte hatte ich als Aufforderung verstanden, aktiv zu werden, eine Anweisung, den Tod meiner Mutter genauer zu untersuchen. Doch was, wenn es keine Anweisung war, sondern eine Warnung?
Von wegen.
Eine Warnung, dass Mums Tod nicht so glasklar war, wie er schien; dass jemand da draußen meiner Familie etwas antun wollte. Immer noch will.
Ich schließe meine Augen und sehe Blut. So viel Blut. Meine Erinnerung täuscht mich bereits. Wie groß war das Kaninchen? War dort wirklich so viel Blut?
Fotos.
Der Gedanke kommt aus dem Nichts, und ich setze mich so schnell auf, dass Wasser aus der Wanne schwappt. Ich werde Fotos machen. Die kann ich Murray Mackenzie auf die Polizeiwache bringen und sehen, ob er denkt, dass es ein Fuchs gewesen sein könnte.
Eine winzige Stimme fragt, wen ich überzeugen will, Mark oder die Polizei. Ich verdränge sie, ziehe den Stöpsel und steige aus der Wanne. Beim Abtrocknen bin ich so fahrig, dass meine Sachen hinterher an meiner klammen Haut kleben.
Ich suche mein Handy und laufe nach unten. Doch Mark hat das tote Kaninchen schon weggeräumt und die Stufen mit Bleiche abgewaschen. Als ich die Haustür öffne, ist dort nichts mehr. Als wäre es nie geschehen.