3

Lara wachte auf, weil Jack verzweifelt nach Luft schnappte. Bis zu diesem Moment hatte sie tief und fest geschlafen. Ihr Sohn lag neben ihr im Doppelbett und versuchte vergeblich, seine Lungen zu füllen. Dabei röchelte er wie ein Sterbender – ein Geräusch, das sogar noch lauter war als Marcus’ Schnarchen von der anderen Bettseite her.

Sie sprang auf und nahm Jack hoch, während sie gleichzeitig mit dem sonderbaren Drehschalter an der Nachttischlampe kämpfte. Dann lief sie mit Jack im Arm zur Tasche auf dem Boden und durchwühlte sie nach seinem Inhalator.

»Verdammt, was ist denn los?« Schwerfällig stemmte sich Marcus auf der quietschenden Matratze in die Höhe.

»Das muss am Staub liegen«, erwiderte Lara, während sie Jack fünf Sprühstöße Asthmaspray verabreichte. Marcus sah zu, während sie dem Kleinen den Rücken rieb, bis sich sein Atem wieder beruhigt hatte. Dann gab sie ihm eine Antihistamintablette und brachte ihn zurück ins Bett.

»Geht’s dir jetzt besser, Jacky?«, fragte sie, über ihn gebeugt.

»Ihm geht’s gut«, sagte Marcus. »Er braucht bloß Schlaf.«

Soll heißen, du brauchst Schlaf, dachte Lara, als sie sich wieder ins Bett legte. Für sie war der Rest der Nacht gelaufen. Sie wusste genau, dass sie kein Auge mehr zutun, sondern auf jede Veränderung in Jacks Atem lauschen würde.

Viel zu früh erhellte ein grelles Morgenlicht das Zimmer. Lara hielt es nicht länger im Bett aus. Sie horchte Jacks Brust ab, bevor sie sich aus der Umklammerung seiner klebrigen Gliedmaßen freimachte und ihn in einem verschwitzten Bettlaken-Knäuel neben Marcus liegen ließ. Sie sammelte ihre getragenen Kleider vom Boden auf, dann schlich sie auf Zehenspitzen die staubbedeckte Holztreppe hinunter ins Erdgeschoss, durch den Eingangsflur mit einem unsäglich verdreckten Teppichboden und weiter ins große Wohnzimmer, in das sie am Abend zuvor nur einen flüchtigen Blick geworfen hatten.

So, dachte sie, während sie sich umschaute. Dies würde also für einen Sommer lang ihr Zuhause sein. James hatte ihnen am Abend erklärt, dass das Haus unbewohnt gewesen sei, bis sein Besitzer es großzügigerweise der Theatertruppe gestiftet habe, damit die Gastschauspieler anstelle einer Gage wenigstens kostenlose Unterkunft erhielten. Er hatte mehrmals betont, wie dankbar die Waylands sein konnten, als familiärer Anhang eines einzelnen Schauspielers das Haus ganz für sich allein zu haben.

Was Lara sah, war meilenweit entfernt von den blitzenden amerikanischen Einrichtungen, die sie aus dem Fernsehen kannte. Die Möblierung war spartanisch und ließ nicht das geringste Anzeichen des üppigen Komforts erkennen, den sie erwartet hatte. Darüber hinaus war alles mit einer schmierigen Staubschicht überzogen.

Etwas zutiefst Britisches in ihr freute sich darüber.

Bei der Durchquerung des riesigen Wohnzimmers – für die sie dieselbe Anzahl Schritte benötigte wie daheim in Brighton für ihr ganzes Haus – stellte Lara fest, dass das, was sie zunächst für einen Teppich gehalten hatte, in Wirklichkeit ein mit persischen Mustern bemaltes Bodentuch war, wie man es für Bühnenbilder im Theater benutzte. Das »antike« Bücherregal an der krummen, holzvertäfelten Wand bestand in Wirklichkeit aus MDF-Platten, die irgendjemand auf alt getrimmt hatte. In den Ecken des Zimmers tummelte sich ein Sammelsurium aus Sofas und Sesseln, die stilistisch eine Bandbreite von Shakespeare bis Ibsen abdeckten. Dazu gesellte sich noch ein Tennessee-Williams-Beistelltischchen, das für einen Hauch zwanzigstes Jahrhundert sorgte. Und erinnerte der geschwungene Bambusstuhl nicht an Pinter? Lara musste schmunzeln. James und Betty hatten das Haus mit alten Stücken aus dem Fundus eingerichtet.

Drei große Fenster boten Blick auf ein leicht heruntergekommenes, aber idyllisches Panorama aus grünen Wiesen, hohen Laubbäumen und neoklassizistischen Häusern, von deren Fassaden die Farbe abblätterte. Es roch nach Feuchte und etwas anderem, fast wie Muskatnuss – süß, aber mit einer leichten Verwesungsnote. Lara versuchte, eins der Fenster zu öffnen, um frische Luft in den staubigen Mief zu lassen. Leider hatte irgendein Schwachkopf, vermutlich während der Wintermonate, die Rahmen so dick mit Farbe überpinselt, dass sie wie festgeklebt waren.

Lara ging geradeaus weiter durch einen bogenförmigen Durchgang in die geräumige, mit Linoleum ausgelegte Küche.

Dort fiel ihr als Erstes die blaue Vase mit den zwei Dutzend roten Rosen ins Auge. Ihr Duft verbreitete sich im stickigen Raum. Nette Geste, dachte Lara.

Sie lechzte nach einer Tasse Tee, konnte jedoch weder Wasserkocher noch Kessel entdecken. Die Schränke waren, abgesehen von Anzeichen für Insektenaktivität, leer. Der uralte klobige Kühlschrank, der brummend und vibrierend in der Ecke stand, enthielt ebenfalls nichts außer einem dünnen Überzug aus Schimmel. Lara versuchte, den Emailleherd mit seinen sechs Kochplatten anzuwerfen, aber er schien über keinen funktionierenden Gasanschluss zu verfügen.

Neben der Küche, an der hinteren Hausseite, schmorte ein verglaster Wintergarten in der Morgensonne. Auch hier schien es keine Möglichkeit zum Lüften zu geben. Fliegenkadaver lagen auf den versiegelten Fensterrahmen, deren einstmals weißes Holz mit einem klebrigen Staubfilm bedeckt war. Lara blickte auf den leeren, mit Schlaglöchern übersäten Parkplatz hinter dem Haus und versuchte durchzuatmen, aber ihre Lunge fühlte sich pelzig an.

Trotz der Hitze im Raum drang ihr eine Kälte tief in die Knochen. Was hatte sie bloß angerichtet, als sie darauf bestanden hatte, dass sie Marcus begleiteten – an diesen Ort? Hatte sie drei Kinder auf eine Reise quer um die Welt geschleppt, um in einem Haus wie diesem zu landen? Sie versuchte, sich an die Vorfreude zu erinnern, die sie empfunden hatten, als Marcus die E-Mail von James bekommen hatte, der ihn beschwor, er müsse die Rolle unbedingt annehmen. Sie selbst war es gewesen, die James’ Vorschlag, Marcus solle doch gleich die ganze Familie mitbringen, aufgegriffen hatte. Sie hatte das nötige Geld aufgetrieben, den billigsten Flug herausgesucht, ihr Haus für den Sommer zwischenvermietet und den Mietwagen reserviert. Sie hatte in ihrem Job als Graphikdesignerin bei der Stadtverwaltung Überstunden gemacht und die ihr aufgrund der Freizeitausgleichs-Regelung zustehenden Urlaubstage mit ihrem gesamten Jahresurlaub kombiniert, damit sie sechs Wochen am Stück bei vollem Gehalt freinehmen konnte. Das war eine Grundvoraussetzung gewesen, denn abgesehen von der Unterkunft, zahlte das Theater Marcus pro Woche lediglich einhundert Dollar Gage und fünf Mittagessen im örtlichen Diner.

Sie kehrte in die Küche zurück, öffnete die Hintertür und ließ Luft herein, die von dem Nebel, der hinter dem Parkplatz über dem Gras hing, reingewaschen worden war. Wieder stach ihr der moschusartige Gummihandschuhgeruch vom vergangenen Abend in die Nase, obwohl der feuchte Morgen ihn etwas abmilderte. Sie stieß die Fliegengittertür auf, überquerte die kleine Veranda und setzte sich vorn an den Rand. Sie ließ die nackten Beine über die Kante baumeln, und ihre Knöchel streiften das taufeuchte Gras. Eine sanfte Brise strich ihr übers Gesicht, und sie atmete tief ein. Ihr Blick fiel auf einen Schuppen etwa sieben Meter entfernt. An dessen ihr zugewandter Ecke hing von der Traufe ein durchsichtiger zylinderförmiger Behälter mit einer klaren Flüssigkeit darin, und um diesen Behälter herum schwirrten Tiere, die aussahen wie riesige Motten. Lara hasste Motten, doch am Ende siegte ihre Neugier. Sie sprang von der Veranda und trippelte über den heißen Asphalt, um sich die Sache aus der Nähe anzusehen.

»Kleine Vögel«, sagte sie entzückt. »Winzig kleine Vögelchen.«

Zwei Kolibris umschwirrten einen Futterspender, der etwas enthielt, was ihnen offenbar sehr schmeckte. Ihre Flügel waren ein irisierender Schimmer, und ihre langen Schnäbel schwebten reglos inmitten der Bewegung, während sie sich an der Flüssigkeit labten. Ganz still stand Lara da und sah ihnen zu, wie verzaubert von dem exotischen Anblick.

Das war es, weshalb sie hierhergekommen waren. Um Neues zu erleben und Raum für Veränderung zu schaffen. Marcus, so hoffte sie, würde endlich seinen wohlverdienten Erfolg feiern – es war das erste Mal seit der Schauspielschule, dass er eine titelgebende Hauptrolle bekommen hatte. Und dabei würde er einen Teil seiner Persönlichkeit wiederentdecken, der schon viel zu lange brachgelegen hatte. Genau dieser Teil war es, fürchtete sie, den sie früher einmal geliebt hatte.

Hoffentlich würde alles so laufen, wie er es sich vorstellte. Auf den ersten Blick sah das Theater nicht gerade wie das kulturelle Kraftzentrum aus, als das James es während der langen Skype-Gespräche mit Marcus in den Wochen vor ihrer Abreise beschrieben hatte. Andererseits hatte sie es gestern Abend ja nur kurz gesehen. Und vielleicht wurden die Dinge in Amerika einfach anders gehandhabt. Vielleicht maß man hierzulande denselben Dingen einen ganz unterschiedlichen Wert bei.

Nein, dachte sie. Es würde ein fantastischer Sommer werden. Die Leute würden aus New York City kommen, um Marcus zu sehen, und ein Agent aus Manhattan würde ihn unter Vertrag nehmen – Marcus behauptete immer, dass es für einen englischen Schauspieler in den Staaten viel leichter sei, Fuß zu fassen. Sie selbst würde die Stelle bei der Stadtverwaltung, die ihre Seele auffraß, kündigen und sich selbständig machen.

Und dann würden sie glücklicher sein, als sie es seit langer, langer Zeit gewesen waren.

Lara beobachtete die winzigen Vögel, die ganz mit ihrem Nektar beschäftigt waren, und gab sich der Vorfreude hin.

Das Zuschlagen der Fliegengittertür riss sie jäh zurück in die Wirklichkeit. Sie drehte sich um und sah Jack in seinem übergroßen Schlaf-T-Shirt, die kleinen Augen rot und verquollen.

»Meine Brust ist ganz zu, Mummy.«

»Ich weiß. Mein armer Schatz.« Sie ging zu ihm und nahm ihn in die Arme. Er fühlte sich heiß an, allerdings kam er ja gerade aus dem Bett.

»Hier, probier das mal aus«, sagte sie, richtete sich auf, streckte die Arme nach beiden Seiten aus und ließ sich den Körper von der Brise streicheln. Jack machte es ihr nach, und so standen sie eine Zeitlang nebeneinander und genossen den kühlen Lufthauch.

»Ich gebe dir noch eine Tablette, und dann sehen wir zu, dass wir was zu essen auftreiben«, sagte sie. Auf Zehenspitzen ging sie nach oben und schlich durchs Schlafzimmer, um Jacks Kleider, Tabletten und den Inhalator zusammenzusuchen, ohne dass Marcus wach wurde. Dann verließen die beiden leise das schlafende Haus, um sich auf die Suche nach einem Laden zu machen. Jack wollte unbedingt in seinem Buggy sitzen. Er war ganz schlapp von der Hitze und hatte die billige Baseballkappe aufgesetzt, die er zusammen mit einem Rucksack mit der Aufschrift »For Kidz« im Flugzeug geschenkt bekommen hatte.

Sie wandten sich nach rechts und holperten über den unebenen Gehweg, der sie vom Haus wegführte. Die Straße war lang und schnurgerade. Lara wusste noch von der Wegbeschreibung, dass sie Main Street hieß. Auf ihrer linken Seite befanden sich mehrere parallele Seitenstraßen mit Namen Third Street, Fourth Street und so weiter. An der Sixth Street angekommen, kurz vor einem großen, mit Gras bewachsenen Friedhof, stellte Lara fest, dass sie das Ende von Trout Island erreicht hatten, also bogen sie in die Sixth Street ein und liefen weiter, bis sie an eine Kreuzung gelangten, von der links eine kleinere Straße namens Back Street abging.

»Originelle Namensgebung«, sagte Lara zu Jack, der nickte, obwohl er nicht die geringste Ahnung hatte, wovon sie sprach.

Die Häuser waren fast ausnahmslos große, frei stehende Holzhäuser mit Rasen im Vorgarten. Jenseits der Grundstücke an der Back und Main Street ragten fast senkrecht mit Bäumen bestandene Hügel empor. So weit die typische Kleinstadt-Filmkulisse. Nur dass fast alle Häuser leer und seltsam vernachlässigt wirkten. Der Rasen war nicht sauber gemäht, und die Farbe auf den Holzschindeln sah alles andere als frisch aus. Alte Eiszapfen-Lichterketten hingen von den Veranden, Spielsachen lagen in den Vorgärten, und auf jedem zweiten Rasen hing eine ausgeblichene Flagge von einem verwitterten Fahnenmast.

Wo waren die Menschen?

Am Ende der Back Street bogen sie in die First Street ein. Sie kamen am Theater vorbei und fanden sich kurz darauf erneut in der Main Street wieder. Sie passierten ein paar Kirchen, eine geschlossene »kostenlose« Leihbücherei, eine verwaiste Feuerwache, ein verrammeltes Diner sowie eine Reihe verlassen daliegender Antiquitätenläden. Lara schöpfte Hoffnung, als sie zu einem Holzhaus kamen, dessen hell erleuchtetes Neonschild es als »Deli« auswies, doch als sie die Tür öffnen wollte, fand sie diese fest verschlossen. Sie waren schon fast wieder bei ihrem Haus angelangt und hatten noch nicht einen einzigen geöffneten Laden gesehen.

»Was essen wir denn bloß zum Frühstück, Jacky?«, fragte Lara. Jack zuckte mit den Schultern. Dann, gerade als sie schon aufgeben wollte, erspähte sie die Tankstelle schräg gegenüber von ihrem Haus.

Am hinteren Ende des Vorplatzes, auf dem kein Mensch zu sehen war, stand eine Art Schuppen. Als Lara und Jack den nach Benzin riechenden Asphalt überquerten, wurde ihr klar, dass das, was sie zunächst für eine vom Jetlag ausgelöste Halluzination gehalten hatte, real war: Aus den Lautsprechern, die neben jeder Zapfsäule angebracht waren, tönte Musik.

»Was fällt denen als Nächstes ein?«, wandte sie sich an Jack, als sie die Tür zum Schuppen aufstieß. Kaum hatte sie den nach Vanille duftenden Kaffee gerochen und einen Blick auf das Warensortiment im Laden geworfen, wusste sie, dass sie am Ziel waren.

»Wie geht’s, wie steht’s?«, kam eine näselnde Stimme von irgendwo hinter dem Kassentresen. Lara reckte den Hals und erspähte schließlich, inmitten des bunten Durcheinanders aus Donuts, Zigaretten, Kaffeemaschinen und Verkaufsaufstellern fast unsichtbar, eine übergewichtige Frau mittleren Alters mit mehreren Ringen in jedem Ohr und blonden Haaren, bei denen oben der schwarze Ansatz durchkam. In eine rote Uniform gequetscht, kaute sie mit offenem Mund Kaugummi und schaute in einen winzigen Handspiegel, während sie versuchte, sich verschmierte Wimperntusche unter dem Auge wegzuwischen.

»Äh, hallo«, grüßte Lara. »Haben Sie auch Milch und Cornflakes und so?«

»Hey, goldiger Akzent«, erwiderte die Frau. »Wo kommen Sie her?«

»England.«

»Nee, oder?«

»Wir sind wegen des Theaters hier.«

»Wegen was?«

»Wegen des Theaters. Die Trout Island Theatre Company.«

»Ach so. Okay.« Entweder sie verstand Lara nicht, oder aber sie wusste nicht, wovon die Rede war. »Milch ist hinten. Und Sachen fürs Frühstück finden Sie da drüben.« Mit einem dicken Finger zeigte sie auf den mittleren Gang.

Lara kaufte auch noch Putzmittel ein, um dem schimmligen Kühlschrank zu Leibe zu rücken, ein Tetrapak Orangensaft und eine Packung Kekse, die sie an Ort und Stelle aufriss, um Jack einen zu geben. Da sie keinen Tee finden konnte, nahm sie mit einem Becher brühheißem Kaffee vorlieb, der sich trotz Plastikdeckel nur unter Schwierigkeiten zum Haus zurücktransportieren ließ, weil sie gleichzeitig den Buggy schieben musste.

»Schon jemand auf?«, rief sie, sobald sie im Haus waren, erhielt aber keine Antwort. Lara beneidete Marcus und die Zwillinge um ihren Schlaf. Sie funktionierte noch immer ganz nach britischer Zeit; ihr Körper signalisierte ihr, dass es bereits nach Mittag sei, obwohl die Uhr im Laden noch nicht einmal neun Uhr angezeigt hatte.

Plötzlich zerriss das Schrillen des Telefons, das auf einem Arthur-Miller-Beistelltisch stand, die Stille. Lara lief hin, um abzunehmen, bevor alle vom Klingeln aufwachten.

»Hallo, Schatz.« Es war James, der sich nicht dafür entschuldigte, dass er zu so früher Stunde anrief. »Ich wollte mich nur nach meinem Star, seiner Gemahlin und ihren süßen kleinen Küken erkundigen. Geht es euch gut? Ist das Haus nicht ein Traum? Habt ihr alles, was ihr braucht?«

»Mehr oder weniger«, sagte Lara und wünschte, sie hätte den Mumm, James zu sagen, was sie wirklich von dem Haus hielt. Immerhin erwähnte sie die Fenster und den Gasanschluss, und James versprach, »subito« jemanden vorbeizuschicken, der sich um alles kümmerte. Außerdem erklärte er ihr, wie man in die nächstgelegene Stadt kam, wo es, so behauptete er, einen ganz ausgezeichneten unabhängigen Supermarkt mit Namen Green’s gebe.

»Und bevor ich’s vergesse, Liebes. Betty will für die Premierenparty morgen die Feuergrube einweihen. Ihr müsst unbedingt kommen. Das ist Pflicht. Wir haben nämlich eine kleine Überraschung für euch.«

»Wirklich?«

»Leider darf ich dir nichts verraten. Meine Lippen sind versiegelt.«

»Da bin ich aber gespannt.«

»Oh, das solltest du auch, meine Liebe, das solltest du auch. Also«, kam er zu ihrem ursprünglichen Thema zurück, »ansonsten habt ihr so weit alles?«

»Na ja, ich wollte dich noch fragen, ob du das mit dem Internetanschluss schon geregelt hast?«

Das war ihre einzige Forderung vor ihrer Ankunft gewesen. Sie hatte mehrere kleinere Projekte für die Stadtverwaltung, an denen sie arbeiten musste, und Olly und Bella wären ohne Facebook verloren. Ganz abgesehen davon, dass sie nicht wusste, wie sie und Jack ohne die C-Beebies über den Tag kommen sollten. Zu Hause besuchte er den Kindergarten für Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Den ganzen Tag zusammen zu sein würde für sie beide eine große Herausforderung werden.

»Ist der Router denn schon gekommen?«

»Der was?«

»Der Router. Du weißt schon, diese kleine Kiste.« Er sprach es »Rauter« aus.

»Glaube nicht.«

»Das sieht denen ähnlich. Sie haben mir versichert, er wäre bis zu eurer Ankunft installiert. Ich regle das«, versprach er in einem Tonfall, der klar zum Ausdruck brachte, dass er mit der Musicalpremiere am nächsten Abend schon genug zu tun hatte, ohne sich darüber hinaus auch noch um die Sorgen und Nöte irgendwelcher Schauspielergattinnen kümmern zu müssen.

»Ach, und danke für die Rosen«, sagte Lara, die nicht undankbar erscheinen wollte.

»Rosen?«

»Die Rosen in der Küche?«

»Oh! Nein, damit habe ich nichts zu tun, fürchte ich. Klingt eher nach Betty. Sie liebt Blumen«, entgegnete James.

Lara legte auf und sah auf die Uhr. Es war noch nicht mal zehn, trotzdem fühlte sie sich schon jetzt am Ende ihrer Kräfte. Sie fragte sich, wie sie den Tag überleben sollte.

»Komm, Mummy, wir fahren einkaufen!«

Vom Schokoladenkeks nicht nur verschmiert, sondern auch mit neuer Energie versorgt, war Jack aus seinem Buggy gesprungen und hatte sich Laras Handtasche geschnappt, die er ihr nun auffordernd entgegenstreckte. Er hatte mitbekommen, dass Lara am Telefon einen Supermarkt erwähnt hatte, und er gehörte zu jener äußerst seltenen Sorte Jungen, die eine Shoppingtour als aufregendes Abenteuer empfanden.

Lara lächelte ihn an. Sie fand es wundervoll, wie Kinder einem dabei helfen konnten, neuen Schwung zu finden, wenn alles zum Stillstand zu kommen drohte. Sie kritzelte den anderen eine kurze Nachricht auf einen Zettel und nahm den Wagenschlüssel, der immer noch dort lag, wo sie ihn am vergangenen Abend hingelegt hatte. Sie klappte den Buggy zusammen und sah in ihrem Geldbeutel nach, ob sie auch ihre Kreditkarte dabeihatte. Dann machten sie und Jack sich in ihrem riesigen Auto auf den Weg, immer der Beschreibung folgend, die James ihr gegeben hatte, über den Trout Mountain bis in den »nur« zwölf Meilen entfernt gelegenen nächstgrößeren Ort.

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