50

»IST DAS … ?«, begann Vulhber. Seine Stimme klang erstickt.

»Zurück ins Karree! «, schrie Konowa. Er zog den Säbel und deutete zur Festung hinauf. »Lorian, die Leute sollen sich bewegen! Und zwar im Laufschritt!«

Lorian hob seine Hellebarde und gab den Befehl von Zwindarras Rücken aus weiter.

Konowa trottete vorwärts und sah sich suchend um. Rakkes brüllten außer sich vor Wut beim Anblick der Geister, schienen aber im Moment nicht bereit zu sein, sie anzugreifen.

Das Regiment wurde schneller, als die Männer die Gefahr spürten. Immer noch flogen Holzstücke der Sarka Har durch die Luft, und drei weitere Stählerne Elfen fielen, aber die schützenden Mauern der Festung waren quälend nah, und die ersten Jubelschreie stiegen von den Schlachtreihen auf. Die Rakkes wandten ihre Aufmerksamkeit den Elfkynan zu, aber obwohl der Kreis schwankte, gelang es den vier Schamanen, den Schutzzauber aufrechtzuerhalten. Konowa wusste, dass es nicht auf Dauer so sein würde, weil er spürte, wie die Kraft der Schamanen unter dem ungeheuren Druck schwächer wurde, wie die Wärme des Zaubers erkaltete und verblasste.

Konowa schwenkte seinen Säbel und trieb das Regiment an. Als er die kühle Luft in seinem Haar fühlte, erinnerte er sich daran, dass er seinen Tschako verloren hatte.

In dem Moment spürte Konowa sie.

Dafür hätte er gar nicht das eiskalte Gefühl auf seiner Brust gebraucht. Es fühlte sich an wie ein Stück Metall, das sich einem zwischen Auge und Lid schob. Die Rakkes verstummten und rangen angestrengt nach Luft. Selbst die schabenden Geräusche der Bara Jogg hatten aufgehört, als ihre schuppigen Körper regungslos dalagen.

Schatten glitten aus den Bäumen heraus. Sie hielten lange gezackte Klingen in den Händen.

Konowa hörte ihre schrecklichen Schreie in seinem Kopf. Sie alle hörten es. Die Geister des 35. Regiments jammerten vor Entsetzen, als sie von den Sarka Har überwältigt wurden. Dennoch rückten sie vor. Sie waren unfreiwillig zu Sklaven ihres Willens geworden, Soldaten in einer Schlacht, in der sie nicht mehr um ihr Leben fochten, sondern um ihre Seelen.

»Feuer!«

Die Musketensalve mischte sich in die Schreie. Etliche Geister wurden getroffen, und einige verwandelten sich in lodernde Fackeln aus schwarzen Flammen. Die meisten jedoch marschierten weiter und zeigten keinerlei Wirkung. Die ersten erreichten die vorderste Reihe des Karrees, und ihre Klingen durchdrangen die Mauer von Bajonetten und die Haut der Soldaten.

Männer schrien, als das Frostfeuer sie verbrannte. Andere hackten und stachen wütend mit ihren Bajonetten auf die Geister ein, aber genauso gut hätten sie Wasser durchbohren können. Die Seiten des Karrees brachen ein, und die ganze Formation löste sich auf, als die Soldaten vor den gnadenlosen Schattenkriegern zurückwichen. Die Geister der Stählernen Elfen ersetzten nun die Reihen der Gefallenen im Karree.

Jetzt kämpfte Geist gegen Geist.

Eine Granate der Haubitze schoss in den Himmel. Ihre Bahn wurde von einem funkenstiebenden Schweif markiert. Sie schien von einem Wind erfasst zu werden, obwohl Konowa keinen Wind bemerkte. Die Granate schwenkte weiter nach rechts ab und landete nicht zwischen den Geistern, sondern mitten zwischen den Bäumen. Als sie explodierte, strahlte sie ein brillantes weißes Licht aus, anders als die Geschosse davor. Etliche Rakkes wurden bei der Explosion zerfetzt, und in den Ring der Sarka Har wurde eine große Bresche gerissen.

In dem Moment nahm Konowa noch etwas anderes wahr, eine reine, absolute Boshaftigkeit, die sogar die der Sarka Har übertraf. Weitere Gestalten tauchten aus den Bäumen auf, und obwohl sie sich wie Schatten bewegten, schienen ihre Körper substanziell zu sein, wenn auch vollkommen verkrüppelt. Der Boden unter Konowa schwankte. Vielleicht schwindelte ihm auch nur. Er konnte es nicht mehr unterscheiden.

Flammen von einer Fackel loderten kurz auf. Sie beleuchteten das Gebiet unmittelbar vor ihm. Ein Elf stand da, dessen schwarze Ohrspitze wie ein dunkles Leuchtfeuer in der Nacht glühte. Das Wesen hielt einen gespannten Langbogen in den Händen und strahlte Gier, Wut und Qualen aus, extreme Emotionen, die allesamt von etwas Bitterem, Rachsüchtigem getrieben wurden. Man hatte sie auf den Ebenen ausgesetzt, dem Tod überlassen, noch Säuglinge, die von ihrem Stamm aufgegeben wurden. Sie hätten sterben sollen, gerissen von einem hungrigen Wolf, von Aasgeiern oder einem jagenden Drachen. Stattdessen hatte sie sie gefunden und sie als ihre Kinder angenommen. So hatte sie die Dyskara geschaffen, die Gezeichneten.

Die strahlenden schwarzen Augen funkelten, als sie sich suchend umsahen. Konowa wusste, dass die Elfen ihn suchten. Er wollte sich ihr nicht beugen, also musste er sterben.

Bögen knarrten, als Sehnen gespannt wurden. Schwarze Pfeile zielten direkt auf sein Herz. Lorian gab dem Regiment den Befehl zu feuern. Der Elf zischte.

Pulver entzündete sich.

Eine Bogensehne sang.

Musketenkugeln und Pfeile zischten über die freie Fläche aneinander vorbei. Konowa wartete auf den Aufprall, fragte sich, wie der Tod sich anfühlen würde. Plötzlich hüllte Wärme ihn ein, und er erkannte sie als Ausfluss elfkynischer Magie.

Sie versuchten, ihn zu beschützen.

Er kämpfte immer noch mit seiner Überraschung, als die Pfeile trafen.

 

»Wir müssen dort hinein!«, brüllte Yimt, der seine Armbrust so fest umklammerte, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Sie standen am Rand des Waldes und blickten über die freie Fläche auf die unnatürlich schwarze Wand, die sie von Luuguth Jor trennte. Musketen knallten, untermalt von Schreien und Geheul, aber die schwarzen Bäume blockierten ihre Sicht bis auf die Umrisse der Festung auf dem Hügel.

Alwyn spielte nervös mit dem Riemen seiner Muskete. Seine Begeisterung, in den Kampf einzugreifen, war nicht so groß. Gewiss, er würde gehen, denn es spielte keine Rolle, wie viel Angst er hatte – und er hatte eine Menge Angst! –, aber er hatte es nicht besonders eilig. Überraschenderweise schien Mistress Rote Eule auch nicht übermäßig scharf darauf zu sein, das Schlachtfeld zu erreichen.

»Geduld, Meister Zwerg«, sagte Chayii und strich sich sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Die Sarka Har haben eine Mauer errichtet, die nicht so leicht zu durchbrechen ist. Sie bereiten einen neuen Forst für sie vor. Der Boden wird kalt, wenn sie ihre Wurzeln tief in die Erde graben. Wir sollten einen Moment nachdenken, bevor wir etwas unternehmen.«

Yimt hob eine Braue und stampfte wütend zu der Elfe hinüber. »Und ich glaube, die Zeit fürs Nachdenken ist vorbei. Das da drüben ist unser Regiment, und wir werden dort hingehen. Wenn ihr Elfen nicht mitkommen wollt, von mir aus, aber das wird uns nicht aufhalten.«

Teeter und Scolly nickten, während Inkermon ausdruckslos vor sich hin starrte, sein zerfetztes Buch immer noch in der Hand. Alwyn hörte, wie viele Bogensehnen um sie herum gespannt wurden. Mistress Rote Eule betrachtete den Zwerg einen Moment böse, doch dann lächelte sie.

»Ich habe nicht die Absicht, dich aufzuhalten.« Chayii schüttelte leicht den Kopf. Die Sehnen wurden entspannt, aber die Pfeile blieben aufgelegt. »Nachdem ich mich mit den anderen beraten habe, ist mir klar geworden, dass wir denselben Feind bekämpfen, und Verbündete gegen ihren Willen sind eine willkommene Überraschung. Trotzdem kann ein bisschen Klugheit nicht schaden. Wie zum Beispiel sollen wir hindurchkommen?«

»Wir können uns den Weg frei schlagen …« Yimt verstummte, da seine Hand nur Luft fühlte, als er nach seinem Drukar griff. Er knurrte, nickte dann aber. »Also gut, was haben Sie vor?«

Als Antwort hob Chayii die Hand mit der Handfläche nach oben. Das fliegende Eichhörnchen tauchte plötzlich aus der Nacht auf und landete sanft darauf. Es drehte die Ohren bei jedem Musketenschuss. Sie sprach mit dem Eichhörnchen, und ihre Stimme klang dabei genau wie sein Keckern. Das Tier zuckte einmal mit der Nase, sprang dann auf ihre Schulter und wartete.

»Wie es scheint, Meister Zwerg, muss ich dich um einen Gefallen bitten«, sagte Chayii. »Kannst du tatsächlich so gut mit deiner Waffe umgehen, wie du behauptest?«

Yimt sah sie argwöhnisch an. »Sie meinen den Kleinen Stecher hier? Sie haben doch gesehen, was ich im Wald mit dieser Bestie gemacht habe.«

Chayii nickte. »Es war ein guter Schuss aus kurzer Entfernung, aber ich rede von einer weit größeren Distanz, und zwar über die Sarka Har hinweg.«

Yimt schaute an ihr vorbei in Richtung Schlachtfeld. »Ich nehme an, ich könnte von hier aus über sie hinwegschießen, wenn ich einen dieser schwarzen Pfeile benutzen würde. Aber ich kann nicht sehen, was ich auf der anderen Seite der Bäume anvisieren soll.«

»Du kannst beim nächsten Flammenball zielen«, erwiderte sie und ahmte mit einer eleganten Handbewegung den Flug einer Haubitzenkugel nach.

Yimt schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Das wäre wie der Versuch, einen Ork in ein Nadelöhr einzufädeln. Sie sind die Waldbewohner. Ich würde mein Geld darauf verwetten, dass einer von ihren Leuten so etwas tun könnte.«

Chayii schüttelte den Kopf. »Einige könnten es, doch es wäre trotzdem ein sehr schwieriger Schuss. Aber wir müssen den Flug eines dieser Flammenbälle umleiten, damit er zwischen den Sarka Har landet. Dann hätten wir unseren Durchgang.«

»Das ist eine raffinierte Idee, Mistress Rote Eule, aber sie wird nicht funktionieren«, erwiderte Yimt. »Ein Pfeil hat unmöglich die Macht, eine Haubitzenkugel vom Kurs abzubringen. Und selbst wenn, kann niemand sagen, wo sie landen würde. Wir könnten mehr Schaden anrichten als Gutes tun.«

»Du wirst keinen Pfeil abschießen«, erwiderte sie.

Alwyn sah von Mistress Rote Eule zu Yimts Armbrust, dann wieder zu Mistress Rote Eule, auf deren Hand das Eichhörnchen kauerte, das mit großen Augen zum Himmel hinaufblickte.

Oh.

»Mistress Rote Eule, mir gefällt, wie Sie denken.« Yimt hatte es ebenfalls begriffen. »Ist der kleine Kerl irgendein magisches Familienmitglied?«

»Genau genommen ist er mein Ehemann«, antwortete Chayii und ignorierte die erstaunten Blicke, die ihr diese Bemerkung einbrachten. »Er neigt manchmal dazu, sich zu vergessen, und das erweist sich diesmal zu unserem Vorteil.«

Alwyn beobachtete Yimt scharf. Der Zwerg kratzte seinen Bart, während er darüber nachdachte. Schließlich zuckte er mit den Schultern. »Wie Sie meinen.«

Plötzlich tauchte Tyul auf. Seine Blättertarnung raschelte, als er neben Yimt stehen blieb. Er sagte nichts, sondern starrte den Zwerg nur an. Sein tätowiertes Gesicht war vollkommen undurchdringlich. Chayii sagte etwas auf Elfisch zu ihm, aber Tyul gab durch keine Geste zu verstehen, dass er ihr zuhörte, sondern hielt den Blick starr auf Yimt gerichtet.

»Vielleicht möchte er es lieber machen?«, meinte Yimt und versuchte, den Elfen anzulächeln. Er gab jedoch auf, als er keine Reaktion hervorrief. »Ich meine, nichts für ungut, aber ich habe noch nie zuvor jemandes Ehemann … also auf diese Art und Weise irgendwohin geschossen.«

Chayii lächelte. »In diesem Fall ist deine Waffe besser für die Aufgabe geeignet. Er würde sie niemals anrühren, obwohl wir sie dringend brauchen.«

»Also gut, aber vergessen Sie es nicht«, erwiderte Yimt, der offenbar nicht genau wusste, ob sie das wirklich wollte. »Ich mache das nur, weil Sie mich darum gebeten haben.«

Yimt stellte den Schaft der Armbrust auf den Boden und spannte ihn. Dabei knurrte er vor Anstrengung. Dann hob er ihn hoch und sah Alwyn an.

»Sei so nett, Ally«, sagte er und deutete auf eine Stelle einen Meter entfernt.

Alwyn ging gehorsam dorthin und bückte sich, damit Yimt die Armbrust auf seinen Rücken stützen konnte. Die Haltung war schmerzhaft, und Alwyn hoffte, dass er nicht allzu lange so ausharren musste.

»Ich bin bereit«, erklärte Yimt und warf einen prüfenden Blick über Kimme und Korn der Armbrust. Das Eichhörnchen zirpte einmal, sprang von Chayiis Hand und landete auf Alwyns Tschako. Es beschnupperte ihn, hüpfte dann schnell auf seinen Rücken und auf die Armbrust, an dessen Teilen es ebenfalls roch. Offenbar zufriedengestellt hockte sich das Eichhörnchen schließlich an das hintere Ende der Waffe und umklammerte mit allen vier Pfoten die schwere Sehne. Den Kopf hatte es zwischen die Schultern gezogen.

Alwyn sah einen Busch neben sich auftauchen, doch dann wurde ihm klar, dass Tyul wieder neben Yimt getreten war.

»Nicht wackeln, Ally. Du willst doch sicher nicht, dass ich diesen armen Nager – ich meine Elf – in die Bäume schieße statt über sie hinweg.«

Tyul bewegte sich raschelnd, und Alwyn zwang sich dazu, vollkommen ruhig stehen zu bleiben. Er atmete ruhig und langsam und hoffte, dass die Haubitze endlich feuern möge. Als wären seine Gebete erhört worden, dröhnte ein vertrauter Knall über die Bäume, und einen Augenblick später flog eine Granate in den Himmel und zog einen Funkenschweif hinter sich her.

»Gute Landung«, sagte Yimt und drückte ab. Die Sehne surrte und schleuderte das Eichhörnchen in die Luft.

Alwyn spürte die Vibration des Schusses in seinem ganzen Rückgrat. Er blickte hoch, aber er konnte das Eichhörnchen nicht sehen. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Haubitzengranate, die immer höher in die Luft stieg.

Das wird nie funktionieren.

»Deine Macht als Seher braucht mehr Übung, Alwyn vom Imperium«, meinte Chayii ironisch.

Alwyn zuckte zusammen und sah wieder auf die Haubitzengranate. Sie hatte ihren Scheitelpunkt erreicht und senkte sich jetzt zur Erde. Trieb sie etwa ab? Alwyn blinzelte. Ja, der Schweif aus Funken senkte sich ganz eindeutig in einem anderen Winkel als bei seinem Aufstieg. Es klang wie Donner und sah aus wie ein Kugelblitz, als sie auf der Erde landete. Als Alwyns Augen sich wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bemerkte er das klaffende Loch in der schwarzen Masse, die Luuguth Jor umgab.

»Glauben Sie, dass es dem kleinen Eichhörnchen gut geht?«, erkundigte sich Scolly, der neben Tyul getreten war. Der Elf antwortete nicht, sondern drehte sich stattdessen um und verschwand in Richtung der Bresche, bevor die Nacht ihn verschluckte.

»Ladet eure Musketen und pflanzt die Bajonette auf«, befahl Yimt. Er spannte bereits seine Armbrust neu. »Gehen wir selbst hin und finden es heraus.«

Elfen wie Stahl
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