14
KONOWA LIEF STUR geradeaus, bereit, dem Ersten, der ihm in die Quere kam, die Keule über den Schädel zu ziehen. Bedauerlicherweise war das erste Lebewesen ein Pferd, und Konowas Wut schlug in eine drückende Last um. Dieser Narr von einem Prinzen würde sie alle umbringen.
»Du scheinst zurzeit recht reizbar zu sein«, sagte Jurwan Blattflüsterer. Der Magus grinste über das ganze Gesicht und erschreckte Konowa, als er hinter dem Pferd hervortrat.
Konowa schüttelte den Kopf. Offenbar hatten zu viele Musketensalven sein Gehör geschädigt.
»Und du weißt nicht, wann du mich besser in Ruhe lassen solltest«, antwortete Konowa und ging an seinem Vater vorbei.
Jurwan streckte eine Hand aus und strich mit den Fingerspitzen über Konowas Arm. Die Berührung war so leicht wie ein Blatt, das an einem vorbeischwebte, aber Konowa blieb stehen, als wäre er gegen eine Wand gelaufen. Diese verdammten Magier.
»Deiner Gesichtsfarbe und deinem Tonfall nach zu urteilen hast du gerade den Prinzen kennengelernt.« Jurwan lachte leise, zog seine Hand zurück und tätschelte den Hals des Pferdes. Mit der anderen Hand zog er ein Stück Keelafrucht aus seiner Kleidung hervor, das er dem Tier anbot. Der rote Saft tropfte zwischen Jurwans Fingern hindurch, als das Pferd daran knabberte, und Konowa drehte sich fast der Magen um.
»Er ist ein arrogantes kleines Muttersöhnchen, das sich mehr darum kümmert, violett geflügelte Motten zu finden und seiner Mama zu gefallen, als ein Regiment zu führen.« Konowa trat gegen ein Büschel Unkraut. »Regiment! Das wird nicht annähernd das sein, was es vorher gewesen ist. Und wann wolltest du mir sagen, dass in den Reihen der Stählernen Elfen kein einziger Elf sein wird?«
Jurwan schüttelte langsam den Kopf und schnalzte mit der Zunge. Er trat neben Konowa, bückte sich und richtete das Unkraut sanft wieder auf. Für einen alten Elf bewegte er sich immer noch sehr geschmeidig, eine Fähigkeit, die zu erlangen Konowa schon lange aufgegeben hatte.
»Die Vergangenheit ist vergangen, mein Sohn, das heißt, sie sollte es sein. Für den Moment musst du die Gegenwart annehmen, damit du mit einem klaren Kopf und freiem Herzen in die Zukunft marschieren kannst, während du gleichzeitig wachsam nach dem Ausschau halten musst, was vor dir gegangen ist, denn es könnte zurückkehren.«
Konowa starrte auf seinen Vater herunter. »Ist dieses mystische Gequatsche der Rat, den du Ruwl gegeben hast? Falls du überhaupt dafür Zeit gefunden hast, während du Grashalme sortiert und verletzte Mäuse behandelt hast?«
Jurwan richtete sich auf und lächelte. »Nein, ich sage das nur, um dich zu ärgern und weil es wahr ist. Ruwl habe ich geraten, sich an seine Umgebung anzupassen, offen und geschmeidig zu bleiben, nicht hart und stur, wie einige es sind. Ah, und natürlich habe ich ihn gebeten, mehr Tremkabeerentee von zu Hause hierher zu bringen. Ich finde den Tee, den sie hier anbauen, sehr bitter. Da fällt mir etwas ein«, er packte Konowa am Arm und führte ihn um das Pferd herum. »Ich bin gerade dabei, das Abendessen zuzubereiten und brauche zwei kräftige Hände, die mir dabei helfen.«
»Ich bin wirklich nicht in der Stimmung für geröstete Würmer und Grassuppe, Vater«, erwiderte Konowa, ließ sich aber dennoch mitzerren.
»Wir haben die falsche Jahreszeit für Würmer«, erwiderte Jurwan zerstreut und warf einen kurzen Blick auf den Boden. »Die Erde ist noch zu trocken; sie wartet darauf, dass die Himmelsschwester weint.«
Konowa blickte zum Himmel hoch und seufzte. »Regen, man nennt es Regen. Hör mal, ist dein Zelt weit entfernt? Ich habe noch einiges zu tun, bevor das Regiment zu seinem verrückten Abenteuer aufbricht.«
»Und eines davon ist, mit deinem Vater zu essen. Falls das nicht zu viel verlangt ist.« Jurwan drückte Konowas Arm. »Ah, da sind wir schon!«
»Wo denn?«, erkundigte sich Konowa. Jurwan hatte ihn an den Rand des Lagers geführt, wo sich eine alte Weide über einen Fluss beugte. Dichtes Laub hing an ihren Zweigen, die sich bis zum Boden neigten.
»Muh ko ji«, intonierte Jurwan, und die Zweige teilten sich. Einen Moment überlief Konowa ein Kribbeln, und er hörte – jedenfalls glaubte er das – eine sehr alte, sehr weise Stimme, die seinem Vater antwortete. Er öffnete alle seine Sinne und lauschte, hörte jedoch nichts.
»Komm, wir sind gerade rechtzeitig eingetroffen!«, rief Jurwan von jenseits des Vorhangs aus Zweigen.
Konowa zuckte mit den Schultern und trat durch die herabhängenden Äste. Sie schlossen sich mit einem leisen Rascheln hinter ihm, und er fand sich in einem gemütlichen und überraschend kühlen Wohnraum wieder, der von außen nicht zu sehen war.
Eine große Schüssel schwebte über einem kleinen Feuer auf dem Boden. Sie war vollkommen glatt geschliffen. Konowa musste unwillkürlich lächeln. Sein Vater beherrschte die Elemente des Lebens – auch wenn der alte Elf das niemals selbst so ausdrücken würde –, nutzte seine großen Fähigkeiten jedoch, um mit einem hölzernen Topf zu kochen. Die Flammen züngelten darum herum, doch die Schüssel schimmerte weiterhin in einem wunderschönen seidigen Braun, und ihre Oberfläche war vollkommen unbeschädigt. Das Wasser darin begann gerade zu sprudeln. Kleine Luftblasen stiegen an die Oberfläche und ließen winzige Dampfschwaden frei.
»Ein Feuer innerhalb eines Baumes, Vater?« Konowa ging in dem kleinen Raum umher und staunte, wie kühl es hier war. Er öffnete den Kinnriemen seines Tschakos, nahm ihn ab und fuhr mit der Hand durch sein schweißnasses Haar.
»Balance ist das Geheimnis, mein Sohn. Das Gleichgewicht in allen Dingen.« Jurwan saß mit gekreuzten Beinen auf dem Gras vor dem Feuer und lud Konowa mit einer Geste ein, es ihm gleichzutun. »Es ist nur totes Holz, und ich habe dafür gesorgt, dass die Flammen es nicht verzehren.«
»Der Schwarze Stachel wäre nicht sonderlich beeindruckt.« Konowa bedauerte seine Worte, noch während er sie aussprach. Jurwans Bundsbruder, eine der mächtigsten Wolfseichen, die jemals im Tiefen Forst gestanden hatten, war vor vielen Jahren getötet worden. Konowa wusste, dass der alte Elf immer noch über diesen Verlust trauerte.
Jurwan schüttelte den Kopf. »Ganz und gar nicht. Mein Ryk Faur, mein Bundsbruder war, wie die meisten Wolfseichen, weit pragmatischer, als die Elfen der Langen Wacht vermuteten. Feuer ist, wie alle Elemente, notwendig und manchmal sogar wünschenswert. Sollte ein Elf das Wasser scheuen, weil er ertrinken könnte, und so verdursten? Mein Bundsbruder würde mir keine warme Mahlzeit missgönnen, möge seine Asche denen, die folgen, Leben bringen.«
»Du klingst jedenfalls vernünftiger als die Frau, die ich vor Kurzem kennengelernt habe«, sagte Konowa. Sein Herz schlug bei dem Gedanken an sie unwillkürlich schneller, aber er wusste nicht, ob aus Leidenschaft oder Frustration.
Jurwan hob in gespielter Überraschung die Augenbrauen. »Du machst ihr also den Hof? Vielleicht kann sie ja ein wenig Verstand in deinen Dickschädel prügeln.«
Konowa tat den Gedanken mit einer Handbewegung ab. »Sie ist eine Elfkyna und außerdem auch noch eine Art Zauberin. Unsere Ansichten von der Welt stehen nicht gerade im Einklang.«
»Eine Zauberin.« Jurwan klang irgendwie verträumt. »Ich hoffe, dass meine Enkel nach ihr kommen.«
»Immer mit der Ruhe, Vater. Sie hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, mich zu besuchen, seit wir im Lager angekommen sind.« Konowa ging um das Feuer herum. »Nicht, dass es wichtig gewesen wäre.«
Jurwan schüttelte langsam den Kopf und seufzte leise. »Sei dir nicht zu sicher, dass du weißt, was richtig ist und was nicht. Aus Regentropfen wird ein Ozean. Und wenn sich das Verhältnis zwischen Männern und Frauen nicht vollkommen verändert hat, seit ich in deinem Alter war, denke ich, dass sie vielleicht darauf wartet, dass du sie besuchst.«
»Ich hatte ziemlich viel zu tun, seit man mich in diesen Wahnsinn hineingezerrt hat«, erwiderte er, blieb stehen und setzte sich auf einen Baumstamm.
»Das Gras wäre eine bessere Wahl, mein Sohn«, sagte Jurwan.
Typisch. Die Lektionen über das Leben ließen nie lange auf sich warten. »Du darfst Holz verbrennen, aber ich darf mich nicht daraufsetzen?« Konowa warf seinen Tschako neben sich auf den Boden. »Oder bin ich nur mit der Natur verbunden, wenn ich mit dem Hintern flach auf der Erde sitze?«
Jurwan faltete ein Bündel auf. »Sei nicht albern. Aber du möchtest vielleicht deine Sitzwahl überdenken, weil sie voller Ameisen ist; und zwar von der Sorte, die beißt.«
Der Baumstamm segelte durch die Zweige, als Konowa aufsprang und auf seinen Hosenboden schlug.
Jurwan schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf. »Du warst ein ganzes Jahr allein im Wald. Ein Wunder, dass du ihn nicht niedergebrannt hast.«
Konowa sah seinen Vater böse an, aber der alte Elf war vollkommen damit beschäftigt, Gemüse für den Kochtopf vorzubereiten. Konowa seufzte, ging auf die andere Seite des Feuers und setzte sich auf den Boden, nachdem er ihn sorgfältig untersucht hatte.
Jurwan reichte ihm ein dünnes hölzernes Messer und eine Kartoffel. Konowa wog die Waffe in der Hand und nickte anerkennend. Dann wirbelte er sie um zwei Finger, immer schneller. Sie fühlte sich warm und gut in seiner Hand an, und die Schneide wirkte so scharf, dass sie es mit jeder im Feuer geschmiedeten Klinge aufnehmen konnte.
»Die Kartoffel wird dir nichts tun«, meinte Jurwan und sah Konowa belustigt an.
Dieser hörte auf, mit dem Messer zu spielen, und fing an, die Kartoffel in Scheiben zu schneiden, die er dann sanft in das Wasser gleiten ließ.
»Du hast noch nicht erzählt, was du von alldem hältst«, sagte er.
»Es gibt nur eine Welt«, antwortete Jurwan, während er Konowa zwei Karotten und einen kleinen Beutel mit einem scharf duftenden Gewürz reichte. »Wir alle, vom kleinsten Insekt bis zum größten Berg, müssen darin leben, und zwar in Harmonie miteinander.«
»Du hast deine Berufung verfehlt, Vater. Du hättest Höfling werden sollen. Denn du beherrschst die Kunst, zu reden und gleichzeitig nichts zu sagen.« Konowa seufzte dramatisch, während er die Karotten mit kurzen, schnellen Bewegungen schnitt. Als er fertig war, kippte er den Beutel mit den Gewürzen in den Topf, die dem Wasser eine appetitliche braune Farbe verliehen und einen verlockenden Duft verströmten.
Jurwan achtete nicht auf Konowa, sondern reichte ihm eine rote Kelsawurzel und einige hellgrüne Sprossen Reimoni. »Rühr um und halt alles in Bewegung«, befahl Jurwan. Er hockte sich hin und blickte zu den hängenden Zweigen hoch, die sich plötzlich teilten und einen Sonnenstrahl durchließen, der vor ihm auf den Boden fiel. »Das Imperium denkt wie ein Drachenbulle. Übe genug Zwang aus, dann kannst du deinen Willen durchsetzen. Beiße zu, und beiße hart, dann kannst du alles töten. Daran glaubt das Imperium, also sucht es alles, was es nicht versteht, aber dennoch fürchtet, und kontrolliert es, wenn es das gefunden hat, oder aber es tötet es.«
»Ja, aber der Drachenbulle kann über einen gefrorenen See gehen, wenn er seine Schwingen benutzt, und zwischen den Spalten fischen, ohne hineinzufallen.« Konowa richtete sich ein bisschen auf. Es freute ihn, einen der Sprüche des alten Elfs zur Abwechslung einmal gegen ihn verwenden zu können.
»Unter dem Eis schwimmen nicht nur Fische, mein Sohn, aber der Drache sieht nur seine eigene Reflexion.«
»Gibt es in naher Zukunft noch eine Moral zu dieser Geschichte?«
Jurwan sah seinen Sohn an, hob die Brauen und bedeutete ihm, sich wieder um den Topf zu kümmern. »Nur junge Bullen suchen ihre Gegner auf. Die älteren und weiseren liegen da und warten auf sie.«
Konowa dachte darüber nach, während er mit dem Messer umrührte. Ein Stück Kartoffel stieg an die Oberfläche. Ihre goldbraune Färbung war ein deutliches Zeichen dafür, dass die Suppe fast fertig war.
»Wenn ich es nicht besser wüsste, Vater, würde ich sagen, du versuchst mich zu warnen.« Konowa beobachtete die Kartoffel, die erneut an die Oberfläche stieg. Er pickte sie mit der Messerspitze auf und hob sie an den Mund.
»Geduld!«, tadelte Jurwan ihn und schlug Konowas Hand nach unten. Die Kartoffel flog wieder in den Topf zurück. »Wenn du deinen Geist ebenso weit öffnen würdest wie deinen Mund, könntest du davon profitieren.«
Konowa rieb sich die Hand und sah seinen Vater an. »Ich habe mein Leben lang Warnungen beherzigt«, meinte er und deutete auf sein verstümmeltes Ohr.
Jurwan sah ihn an, und einen Moment hatte Konowa nicht den weisen Magus vor Augen, sondern einen sehr besorgten Vater.
»Dein Schicksal liegt in deiner Hand«, antwortete Jurwan schließlich.
Ich wüsste nicht, wann das einmal wahr gewesen wäre, dachte Konowa. »Ich kenne unsere Geschichte, Vater. Irgendwie, in der Welt vor jener, hat mich ihre Hand berührt, wie sie so viele andere berührte, und ich wurde gezeichnet. Ein Elf, der für das Reich der Schattenherrscherin bestimmt ist. Tokma ka aeri.«
Jurwans Stimme wurde lauter, und er war wieder ganz Magus. »Nichts, was in Feuer geschmiedet wurde, lautet das Mantra der Langen Wacht, aber es ist nicht der einzige Weg. Glaube nicht, dass du alles weißt, was du zu wissen glaubst.«
Konowas Kopf schmerzte zu sehr, als dass er darüber hätte nachdenken können. »Die Stählernen Elfen sind die Verfluchten, Vater, und wir haben unser Bestes getan, alle vom Gegenteil zu überzeugen. Wir haben uns dem Imperium angeschlossen, um gegen unser Schicksal anzukämpfen, für eine bessere Zukunft, und was haben wir dafür bekommen?«
»Soll das deine Entschuldigung für alles sein, was du dir in diesen letzten Jahren angetan hast? Selbstmitleid?«
Konowa hämmerte mit der Faust in das Gras neben sich. »Ich habe es mir nicht ausgesucht, mit einer schwarzen Ohrenspitze geboren zu werden! Ich habe mich auch nicht selbst vor das Kriegsgericht gestellt! Ich habe mich nicht in den Wald verbannt, und ich habe mich ganz bestimmt nicht freiwillig gemeldet, um ein Ausgestoßener zu werden!«, schrie er.
»Und doch hast du das Leben so gelebt, wie du es getan hast«, erwiderte Jurwan und bedeutete Konowa, weiter umzurühren.
Rätsel und Tests, immer eine neue Herausforderung. Während Konowa heranwuchs, war sein Vater wie ein Schatten in der Dämmerung gewesen, hatte durch Fragen gelehrt, mit Schweigen geführt, hatte nie getadelt und niemals gelobt. Seine Mutter dagegen …
»Würde keinen von uns in diesem Moment sonderlich schätzen«, bemerkte Jurwan.
»Verdammt, Vater!«, schrie Konowa. Die Haare in seinem Nacken sträubten sich. »Ich hasse es, wenn du das machst!«
Jurwan starrte seinen Sohn mit gespielter Überraschung an. »Mein lieber Junge, du bist so berechenbar wie die Nacht nach dem Sonnenuntergang. Es ist keine große Tat, dem Fluss des Lebens um dich herum zu lauschen und seinem natürlichen Lauf zu folgen.« Er hob die Hand und wackelte mit liebevollem Spott mit den Fingern. »Ich kann sehen, dass du dir die Geschichten von der Langen Wacht ein wenig mehr zu Herzen genommen hast, als ich es erwartet hatte. Ich muss mir die Schuld daran geben, zugelassen zu haben, dass deine Mutter sie dich lehrte, aber sie war fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass du uns als Ryk Fauri Gesellschaft leisten und dein Geburtsmal ad absurdum führen würdest.«
»Und du?« Konowa fragte sich, wo all das hinführen sollte. »Du hältst dich an die alte Art. Diese Unterkunft, der Kochtopf, die Häute, die du trägst, selbst die Art, wie du sprichst. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass du bedauerst, mich in die Arme des Imperiums getrieben zu haben.«
Konowa hatte es als Seitenhieb gemeint und war auf Jurwans Antwort überhaupt nicht vorbereitet.
»Vielleicht. Wenn du bei dem Stamm geblieben wärst, wären wir nicht in diesem Land, und du würdest nicht zu dieser Expedition zu dem Oststern aufbrechen.«
Die beiden verstummten und starrten ins Feuer.
»Vater«, meinte Konowa schließlich. »Glaubst du wirklich, dass es stimmt? Dass eine rote Sternschnuppe aus dem Osten hier gelandet ist? Und jetzt unter irgendwelchen Misthaufen in Luuguth Jor liegt? Und dass der Vizekönig auferstanden ist?«
Jurwans Antwort erschütterte Konowa bis ins Mark. »Die Rakkes sind real genug, und ich habe Dinge gesehen, die mich glauben machen, dass auch der Rest stimmt. Und auch wenn du es mir nicht erzählt hast, weiß ich, dass du kürzlich von ihr geträumt hast.«
»Woher weißt du das?«
Statt zu antworten, blickte Jurwan zu den Zweigen über seinem Kopf hinauf und flüsterte etwas. Einen Moment später flatterte ein einzelnes Weidenblatt herunter und landete in Jurwans ausgestreckter Hand. Konowa sah staunend zu, wie das Blatt aufrecht auf der Handfläche seines Vaters stand und sich dann langsam drehte. Jurwan betrachtete das Blatt einige Sekunden lang und schloss dann die Augen. Ein Windstoß fuhr raschelnd durch die Zweige über ihren Köpfen, und plötzlich fielen Dutzende von Blättern herunter. Aber viele von ihnen stammten von anderen Bäumen. Konowa schob die Wand aus Weidenzweigen zur Seite und blickte hinaus. Die Banner knatterten in einem kräftigen Wind, und die Wolken flogen förmlich über den Himmel.
»Das Rakke kannte deinen Namen«, sagte Jurwan.
Konowa drehte sich zu seinem Vater herum, der jetzt von einem Haufen Blätter umringt war.
»Jetzt nicht mehr.«
Jurwan nickte. »Sie streckt ihre Arme aus, sehr weit, und ruft jene, die ihr dienen wollen. Sie ist eine schwarze, kalte Flamme in der Nacht, unsichtbar für die meisten, aber nicht für alle.«
Konowa rührte so fest, dass etwas von der Suppe ins Feuer spritzte. »Ich soll der Schattenherrscherin dienen? Eher würde ich sie töten, wie ich schon ihren Lakaien getötet habe.«
»Es ist zwar kein Vergleich mit der Herausforderung vom letzten Jahr«, meinte Jurwan und blinzelte seinem Sohn zu, »aber ich zweifle nicht daran, dass du dich der Schattenherrscherin mit jeder Faser deines Wesens widersetzen würdest.«
Konowa war nicht in der Stimmung, sich beschwichtigen zu lassen. Wieso konnte sein Vater nicht den einzigen Weg erkennen, der ihnen offenstand? »Die Stählernen Elfen sollten zurückgerufen werden, und dann sollte die gesamte Imperiale Armee gegen ihren Berg marschieren. Was erreichen wir damit, wenn wir den Vizekönig noch einmal töten? Wir sollten uns um sie kümmern!«
Jurwan schüttelte den Kopf. »Sie ist jetzt stark, viel stärker, als sie jemals gewesen ist. Ihre Bäume haben sich tief in den Berg gegraben und nähren sich von einer Macht, die sie niemals hätten schmecken sollen. Ein direkter Angriff würde mit einer Katastrophe enden. Nein, du musst nach Luuguth Jor gehen, und zwar rasch.«
»Mit dem Prinzen als Kommandeur?«, erkundigte sich Konowa. Als er an den Mann dachte, packte er den Griff des Messers unwillkürlich fester, bis seine Knöchel weiß hervortraten. »Was weiß Seine Hoheit vom Kampf?«
»Bedenke, dass er der Sohn der Kaiserin ist, der zukünftige König und Kaiser des Imperiums.« Jurwan beugte sich vor und tippte Konowa auf die Hand. Dessen Griff um das Messer entspannte sich. »Dir bietet sich eine Möglichkeit, den zukünftigen Imperator zu formen. Stell dir vor, was es bedeuten würde, wenn du ihn überzeugen könntest, dass das Land der Hynta-Elfen am besten uns überlassen bliebe.«
Konowa sah seinen Vater aufrichtig überrascht an. »Die Vergangenheit ist vorbei, Vater. Die einzige Hoffnung der Hynta besteht darin, die Zukunft zu akzeptieren. Du weißt, dass ich die Idee der Kaiserin, falls es wirklich ihre Idee ist, für eine vollkommene Farce halte. Aber das Imperium verschwindet nicht einfach, und mit jedem Jahr, das ins Land geht, wird es stärker. Die Lange Wacht wird irgendwann herzlich wenig zu bewachen haben, wenn sie das nicht akzeptiert.«
»Die Lange Wacht hat den Aufstieg und Fall mehr als eines Imperiums erlebt. Sei nicht so sehr davon überzeugt, dass sie es nicht auch ertragen könnte, Zeuge des Untergangs dieses Imperiums zu werden.«
»Dann hilf mir, Vater, hilf mir, sie zu vernichten. Überzeuge Ruwl, die Stählernen Elfen zurückzurufen, bevor es zu spät ist.«
Jurwan schüttelte den Kopf. »Je mehr ich darüber nachdenke, desto glücklicher bin ich, dass sie so weit weg sind. Sie würde versuchen, sie ebenfalls auf ihre Seite zu ziehen. Nein, es ist besser, wenn sie einstweilen bleiben, wo sie sind.«
»Was soll ich dann tun?«, erkundigte sich Konowa.
Jurwan gab vor, ihn nicht gehört zu haben. »Ich habe eine Nachricht von deiner Mutter bekommen. Die Lange Wacht ist sehr besorgt.«
Konowa seufzte. »Die Lange Wacht ist immer besorgt; das ist ihre Natur. Sie kämpfen für eine Vergangenheit, die lange vorbei ist. Ich dagegen mache mir eher Sorgen über das Hier und Jetzt.«
»Es ist das Hier und Jetzt, das zur Vergangenheit wird, die sie besorgt macht«, antwortete Jurwan. »Viele haben gesagt, wir sollten alles verbrennen und ihr ein Ende machen.«
Konowa beugte sich vor. »Alles verbrennen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Elfen der Langen Wacht einen Wald niederbrennen würden, nicht einmal ihren Forst.«
»Wahrscheinlich nicht. Ihr Mitgefühl für alles Lebende ist eine schwere Bürde. Ich fürchte, wir werden über kurz oder lang eine bittere Ernte deswegen einfahren.« Er zögerte einen Moment, streckte dann die Hand aus und gab Konowa einen kleinen Beutel.
»Noch mehr Gewürze? Wenn ich mit meiner Suppe keine Rakkes umbringen soll, brauche ich keine mehr.«
Der Beutel fühlte sich schwer und kalt an. Konowa öffnete den Lederriemen und warf einen Blick hinein.
Das Innere war schwarz. Ohne innezuhalten, streckte er einen Finger hinein, um herauszufinden, um welchen Trick es sich handelte. Er berührte etwas Eiskaltes und Hartes.
»Wow … !« Mehr konnte er nicht sagen, bevor ein schmerzhafter Stich durch seinen Finger zuckte wie von einem dünnen Stilett aus Eis. Er zog den Finger heraus und steckte ihn in den Mund. Im selben Moment fuhr ein Blitz durch seinen Körper. Er keuchte und zitterte und beobachtete verblüfft, wie Jurwan sich herüberbeugte, ihm den Beutel aus der Hand nahm, den Riemen zuschnürte und ihn auf den Boden legte.
»Das ist eine Eichel von ihrem Ryk Faur, der silbernen Wolfseiche, die sie nicht sterben lassen wollte.« Jurwans Miene war undurchdringlich. »Du hast all die Jahre eine große Bürde mit dir herumgetragen, mein Sohn. Du hast das Mal des Andersseins mit Stärke und Stolz getragen, was unserem Volk sehr gut gedient hat, obwohl alle so tun, als würden sie es nicht sehen. Du hast keinen Bund mit einer Wolfseiche geschlossen und bist nicht in die Reihen der Langen Wacht eingetreten, und dennoch haben du und die anderen Elfen, die so sind wie du, die Hynta und ihre Wälder beschützt zu einem hohen Preis. Die Stählernen Elfen sind wiederauferstanden, und ich glaube, dass sie sich diesmal mehr als nur die Verachtung ihres Volks verdienen werden.«
»Aber das hier ist …«
Jurwan hob die Hand. »Das ist eine Hilfe, und zwar zu einem Zeitpunkt, wie ich glaube, an dem du sie am dringendsten benötigst. Bis dahin lass es auf sich beruhen. Und jetzt«, Jurwan lächelte wieder, »rühre die Suppe um, mein Sohn. Abenteuern, wie unvernünftig sie auch sein mögen, tritt man am besten mit einem vollen Magen entgegen. Und du wirst deine Kräfte brauchen, wenn ich in absehbarer Zeit Enkelkinder haben will.«
Konowa gehorchte, aber er war nicht mehr hungrig. Er starrte auf den Lederbeutel auf dem Boden. Ihm dämmerten allmählich die vollen Konsequenzen dessen, was ihm bevorstand, und er wusste, dass seine Erfolgschancen verschwindend gering waren.
»Aber dennoch existieren sie«, sagte Jurwan, nahm seinem Sohn das Messer aus der Hand und rührte die Suppe selbst um. »Hoffen wir, dass das genügt.«