8

DIE KAVALLERIESCHWADRON MACHTE kehrt. Konowa und Visyna ritten an der Spitze ihrer Formation. Konowa drehte den Kopf ein wenig, um mit Visyna zu sprechen.

»Mir war, als hätte vorhin die Luft geschimmert.« Er drehte den Kopf noch ein Stück mehr zu ihr. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, da war Magie …« Weiter kam er nicht, denn in dem Moment sprang das Pferd plötzlich zur Seite. Sein linker Fuß rutschte aus dem Steigbügel, er drohte aus dem Sattel zu rutschen. Da spürte er ihre Hände an seiner Taille. Sie zog ihn zurück.

»Ihr solltet mehr aufs Reiten achten«, erwiderte sie. Sie ließ ihre Hände an seiner Taille, auch als er seinen Fuß wieder im Steigbügel hatte. Konowa hielt es für das Beste, lieber den Mund zu halten.

Dann bemerkte er eine Bewegung auf der rechten Seite und erhaschte einen Blick auf schwarzrotes Fell. Er lächelte. Jir konnte ihnen in sicherer Entfernung folgen; er war sowohl schnell als auch ausdauernd genug, falls er nicht versuchte, zu viele Bäume unterwegs zu markieren. Konowa beobachtete immer noch den Wald, als der Sergeant sein Pferd vor Konowas Reittier lenkte und ihn zwang, stehen zu bleiben.

»Es ist … ein bisschen gefährlich hier draußen, Sir, Mylady. Vielleicht möchten Sie lieber am Ende der Kolonne reiten? Es würde mich beruhigen, wenn ein Offizier von Ihrem Kaliber die Nachhut bilden würde, Sir.« Er sah Visyna an, tippte an seinen Helm und lächelte.

»Halten Sie das wirklich für notwendig?« Konowa war von dieser Bitte verblüfft. Doch Visyna drückte ganz schwach seine Taille; es war genug, um seine Stimmung zu heben. »Gute Idee«, sagte Konowa, bevor der Sergeant seine Meinung ändern konnte.

In seiner gehobenen Stimmung war er fast bereit zu glauben, er hätte die Kavallerie all diese Jahre lang falsch eingeschätzt, einschließlich dieses letzten Versuchs, ihn zu töten. Er überlegte gerade, dass er dem Herzog sagen würde, wie beeindruckt er von seinen Leuten war, als er hörte, wie einer der Reiter sich mit einem anderen unterhielt.

»Verdammter Mist, ich habe schon befürchtet, der Sergeant würde diesen Kerl niemals aus dem Wind nehmen.«

»Sie da!«, sagte Konowa laut und erschreckte damit den Mann, der gerade geredet hatte.

»Jawohl, Sir!« Der Reiter zügelte sein Pferd und ritt neben ihm.

»Ich war eine Weile fern der zivilisierten Welt. Vielleicht sind Sie so nett, mich darüber zu unterrichten, was sich in den beiden letzten Jahren im Imperium so getan hat.«

Der Mann riss die Augen auf, noch während seine Nase zuckte. Doch bevor er antworten konnte, flüsterte Visyna in Konowas Ohr: »Sergeant Lorian hat ein ziemlich großes Pferd. Ich kann sehr gut mit ihm reiten, wenn Euch das lieber ist.«

»Andererseits kann mich gewiss auch Mistress Tekoy unterrichten. Sie können wegtreten.« Konowa merkte, dass es doch nicht so schwierig war, Befehle zu geben. Der Soldat salutierte, galoppierte hastig an die Spitze der Kolonne und ließ Konowa und Visyna allein.

»Ihr versteht es wirklich, mit Menschen umzugehen, hab ich recht?«, fragte sie.

Konowa versuchte, sich im Sattel umzudrehen, gab jedoch auf, als ein schmerzhafter Stich durch seine Brust zuckte. »Es hat schon in jungen Jahren angefangen. Wenn man mit einer schwarzen Spitze geboren wurde«, er deutete auf sein versehrtes Ohr, »glaubten die Leute, dass ihr Fluch tief im Blut verankert wäre. Für die Elfen von Hynta, vor allem die der Langen Wacht, gibt es kaum etwas Schlimmeres. Noch vor gar nicht langer Zeit haben sie derart gezeichnete Babys auf dem Plateau hinter dem Wald ausgesetzt, wo sie starben. Nein, ich komme nicht gut mit anderen klar, was vielleicht daran liegt, dass die meisten immer nur meinen Tod wollten. So etwas führt dazu, dass man ein wenig … asozial wird.«

»Aber warum markiert sie Babys? Warum sollte die Schattenherrscherin so etwas tun?«

Konowa zuckte mit den Schultern. »Das weiß nur sie allein, und sie verrät es nicht. Ich weiß nur, dass dies das Los ist, das mir und den anderen Stählernen Elfen beschieden war, und wir haben unsere Karten so gut ausgespielt, wie wir es vermochten.«

»Mir wurde ein anderes Los beschieden«, antwortete Visyna, schob ihre Hände unter sein Hirschlederhemd und legte sie auf seine Rippen. »Vielleicht kann ich Eure Sicht auf die Dinge ein wenig verändern.«

Konowa hob eine Braue, sagte aber nichts. Sie fing an, seinen Brustkorb abzutasten; sehr behutsam, aber es tat trotzdem weh.

»Vorsichtig, Frau, es ist schon schmerzhaft genug.«

Sie zog ihre Hände zurück und wühlte in einem kleinen Tuchbeutel herum, den sie über der Brust trug. »Euer Name, Heehr Ul-Osveen, klingt calahrisch.«

»Es ist einer der vornehmsten im ganzen Calahrischen Imperium«, erwiderte Konowa. Er rutschte im Sattel hin und her, während er versuchte, sich dem Rhythmus des Pferdes besser anzupassen. »Leutnant Osveen hat mit nur zehn Männern eine Streitmacht von tausend Orks in der Schlacht von Yacat Gorge aufgehalten, während der Grenzkämpfe vor einem Jahrhundert.«

»Gibt es eine Epoche in der Geschichte des Imperiums, die nicht von Grenzstreitigkeiten gezeichnet war?«, fragte Visyna.

Konowa ging auf den Seitenhieb nicht ein. »Die Orks hätten die Schlucht umgehen und den kleinen Außenposten überrennen können, den der Leutnant und seine Männer bewachten. Aber diese haarigen Mistkerle waren gezwungen zu kämpfen, sodass Osveen und seine Männer sie abschlachteten.«

»Sie waren gezwungen?« Visyna beugte sich vor und lehnte ihr Kinn an seine rechte Schulter.

»Osveen war Dramatiker gewesen, bevor er in die Armee eingetreten war. Er war vor allem wegen der amüsanten Gedichte in seinen Stücken berühmt. Aber Ihr seid ja die Tochter des großen Almak Tekoy. Vielleicht sind Eure Ohren ein wenig zu zart für so etwas.«

Konowa hätte schwören können, dass er spürte, wie ihre Wangen glühten.

»Meine Ohren sind in einem weit besseren Zustand als die Euren«, gab sie zurück.

»Ihr verletzt mich, Madam.«

Visyna wühlte weiter in ihrem Beutel. »Also rezitiert schon dieses Gedicht.«

Konowa setzte sich erneut bequemer in den Sattel und überlegte. »Mal sehen …«

Eine Hexe hatte einen nutzlosen Galan,
der hatte einen viel zu kleinen Hahn.
Also machte sie sich flugs daran,
erfand kurz einen neuen Bann,
und machte aus ihm einen Molch, keinen Mann.«

Visyna hielt inne. »Und das soll Orks zwingen zu kämpfen?«

Konowa schüttelte den Kopf. »Nein. Osveen hat sich ein paar andere Gedichte und Beleidigungen ausgedacht, die die Orks schließlich zum Kampf verleitet haben.«

»Molche haben keinerlei magischen Eigenschaften, wisst Ihr«, fuhr Visyna fort. »Ich verstehe nicht, was eine Hexe überhaupt mit einem wollte.«

»Es ist nur ein … Es soll komisch sein«, erklärte Konowa.

»Aber es ist nicht komisch, richtig? Ah, jetzt verstehe ich«, Visyna tätschelte seinen Arm. »Ihr habt seinen Namen erwählt, weil er nicht sonderlich komisch war, genau wie Ihr, stimmt’s?«

Konowa versuchte, sich zu erinnern, warum er es gehasst hatte, allein im Wald zu sein, und es fiel ihm ziemlich schwer, sich der Gründe dafür zu entsinnen.

»Ich habe ihn erwählt, weil Osveen ein Krieger war, der es nur mit wenig mehr als seinem Schwert und seinem Verstand mit einer ungeheuren Übermacht aufgenommen hat. Außerdem musste ich es tun. Elfen, die ihren Stamm verlassen und von der Langen Wacht abgewie… sich entscheiden, nicht in die Lange Wacht einzutreten, müssen ihren Pulchta zurücklassen, ihren Traumnamen.«

»Eigentlich ist das Gedicht überhaupt nicht komisch.« Sie ignorierte seine Erklärung vollkommen. »Hebt Eure Arme noch mal«, sagte sie dann. Ein scharfer Geruch stieg ihm in die Nase, scharf und nach Moschus duftend.

»Was macht Ihr dahinten eigentlich?«, fragte Konowa, gehorchte aber trotzdem. Einen Moment später legte sich etwas Nasses und Kaltes auf seine Brust. Er öffnete die Augen und sah durch den weiten Halsausschnitt seines Hemdes, wie Visyna Blätter auf seine gebrochene Rippe legte, die von einer braunen Paste gehalten wurden.

»Nicht so fest«, murmelte er, aber es fühlte sich überraschend gut an. »Ihr könnt sehr gut mit Euren Händen umgehen.« Er schloss die Augen, als der Schmerz abzuebben begann.

»Nicht nur mit den Händen«, erwiderte sie und drückte die Blätter fester auf seine Haut. Der feuchte Brei darauf wurde heiß, und er begann zu schwitzen. Sein Atem verlangsamte sich, und er wäre fast vom Pferd gefallen.

»Was zum … ?« Mehr konnte er nicht sagen, als sie ihn auch schon hochzog, als wöge er nicht mehr als ein Kleinkind. Die Luft schimmerte, als ihm alles vor den Augen verschwamm und jeder Muskel in seinem Körper sich zu verflüssigen schien. Einen Moment später stand Konowa auf der Geburtswiese der Wolfseichen, was bedeutete, dass er träumte, was ihn wiederum ungeheuer aufregte. Ich weiß bereits, wie das abläuft, sagte er sich. Es frustrierte ihn, dass sein Verstand ihn hinterging und ihn zwang, die erste große Demütigung seines Lebens erneut zu durchleben. Er versuchte, die Szene etwas zu beschleunigen, damit er etwas anderes träumen konnte, aber er hatte keinerlei Einfluss darauf.

Also akzeptierte er das Unausweichliche, ging in die Mitte der Geburtswiese und streifte dabei die jungen Schösslinge, die sich dem Himmel entgegenstreckten. Die Sonne stand hoch am Himmel, aber mit jedem Schritt, den er tat, wurde die Luft merklich kälter, und das Gras unter seinen Füßen begann zu knistern. Seltsam, dachte er. Soweit er sich erinnerte, war es damals recht warm auf der Wiese gewesen. Jetzt jedoch hatte der Frost alles überzogen. Die meisten Schösslinge waren zwar bereits so groß, dass die Kälte ihnen nicht mehr schaden konnte, aber eine winzige Wolfseiche begann, sich zu beugen. Ihr schlanker Stamm bog sich zur Erde, während ihre Blätter sich schwärzten.

Er ging zu dem kleinen Schössling und blieb wie angewurzelt davor stehen. Sie war silbern. Nur einmal in vielen Jahrzehnten wurde eine silberne Wolfseiche geboren. Noch während er sich daran erinnerte, dass es damals bei seinem Besuch auf der Geburtswiese keine silberne Eiche gegeben hatte, betrat eine andere Elfe die Wiese und ging zu dem silbernen Schössling. Sie war jung und wunderschön, und in ihren Augen zeigten sich Liebe und Sorge um diesen jungen Baum. In dem Moment erklang eine Stimme in seinem Kopf, eine ängstliche, schwache Stimme, die ihn um Hilfe bat. Es war der Schössling; er starb.

Konowa schwankte, als ihn die Macht in dieser kleinen, so zerbrechlichen Stimme beinahe überwältigte. Sie sehnte sich nach dem Leben, nach der Chance, ihre Wurzeln tief in die Erde zu graben und ihre Zweige hoch in den Himmel zu strecken. Noch niemals hatte er ein solches Bedürfnis, ein solches Verlangen nach Leben verspürt.

Noch mehr Elfen schlenderten über die Wiese, und es war klar, dass das Flehen der jungen silbernen Wolfseiche nur bei der Elfe vor Konowa auf Gehör stoßen würde.

»Pwik tola misk jin – es leben nur die Stärksten«, sagten die Elfen der Langen Wacht, drehten sich um und verließen die Wiese.

Tränen der Trauer und Wut traten der jungen Elfe in die Augen, während sie den anderen Elfen nachblickte. Konowa konnte ihre Wut und ihre Trauer verstehen.

»Wir müssen sie retten«, sagte er, als gäbe es eine Möglichkeit. »Wir müssen sie retten.«

Die Szenerie um ihn herum änderte sich plötzlich, und jetzt stand er auf dem Gipfel eines schwarzen, kahlen Berges. Der Wind zerrte an seiner Kleidung. Er fröstelte in der Kälte, und jeder Atemzug brannte schmerzhaft in seinen Lungen. Der kleine Schössling war jetzt eine voll ausgewachsene Wolfseiche, aber sie war verdreht und missgestaltet; ihre Wurzeln gruben sich tief in den felsigen Boden, während sie mit ihren Zweigen den Himmel zu schlagen schien. Dicker, schwarzer Eiter sickerte aus ihrem Stamm, befleckte die einst silberne Rinde, und die Stimme, die einst ums Überleben gefleht hatte, tobte jetzt mit einer wahnsinnigen, alles verzehrenden Wut.

Die Elfe von der Wiese war ebenfalls da. Sie trat zwischen die peitschenden Zweige, die sich für sie teilten. Sie legte eine Hand auf den Stamm, ohne auf den Eiter zu achten, der über ihre Haut rann. Ihre Berührung setzte ihn in Brand wie ein Feuer aus schwarzem Frost. Sie war nicht mehr jung und wunderschön; das Alter und noch etwas anderes hatten tiefe Falten in ihr Gesicht gegraben. Ihre Augen jedoch waren immer noch mit Sorge und Liebe erfüllt, aber auch mit einer Intensität, die Konowa bis auf die Knochen erschauern ließ, als er in sie blickte.

»Und jetzt werde ich auch dich retten!«, sagte die Schattenherrscherin, streckte ihre brennende eiskalte Hand aus und berührte die Spitze seines linken Ohres.

In seinem Albtraum ging Konowa in Flammen auf.

Elfen wie Stahl
cover.html
e9783641129088_cov01.html
e9783641129088_toc01.html
e9783641129088_ded01.html
e9783641129088_c01.html
e9783641129088_c02.html
e9783641129088_c03.html
e9783641129088_c04.html
e9783641129088_c05.html
e9783641129088_c06.html
e9783641129088_c07.html
e9783641129088_c08.html
e9783641129088_c09.html
e9783641129088_c10.html
e9783641129088_c11.html
e9783641129088_c12.html
e9783641129088_c13.html
e9783641129088_c14.html
e9783641129088_c15.html
e9783641129088_c16.html
e9783641129088_c17.html
e9783641129088_c18.html
e9783641129088_c19.html
e9783641129088_c20.html
e9783641129088_c21.html
e9783641129088_c22.html
e9783641129088_c23.html
e9783641129088_c24.html
e9783641129088_c25.html
e9783641129088_c26.html
e9783641129088_c27.html
e9783641129088_c28.html
e9783641129088_c29.html
e9783641129088_c30.html
e9783641129088_c31.html
e9783641129088_c32.html
e9783641129088_c33.html
e9783641129088_c34.html
e9783641129088_c35.html
e9783641129088_c36.html
e9783641129088_c37.html
e9783641129088_c38.html
e9783641129088_c39.html
e9783641129088_c40.html
e9783641129088_c41.html
e9783641129088_c42.html
e9783641129088_c43.html
e9783641129088_c44.html
e9783641129088_c45.html
e9783641129088_c46.html
e9783641129088_c47.html
e9783641129088_c48.html
e9783641129088_c49.html
e9783641129088_c50.html
e9783641129088_c51.html
e9783641129088_c52.html
e9783641129088_c53.html
e9783641129088_c54.html
e9783641129088_c55.html
e9783641129088_c56.html
e9783641129088_ack01.html
e9783641129088_cop01.html