36

KONOWA SCHWANKTE IN seinem Sattel, als ihn etwas, das er nicht sehen konnte, wie ein Schlag traf. Er fuhr mit der Hand zu seiner Brust und umfasste den Lederbeutel.

»Es ist etwas passiert.«

Der Prinz drehte sich etwas zur Seite und trieb sein Pferd um eine große Schlammpfütze herum, was ziemlich sinnlos war, denn der Schlamm war überall. Der Fluss war zwar wieder abgeschwollen, aber das Ufer war eine Schlammwüste, und es regnete immer noch, wenngleich nicht mehr so heftig wie zuvor. »So kann man die offene Rebellion im nördlichen Elfkyna sicherlich beschreiben, aber das ist nicht unbedingt eine Neuigkeit, da Rallies Herausgeber ihr die Nachricht bereits vor Stunden geschickt hat, habe ich recht?«

»Natürlich, Sir, selbstverständlich. Ich habe nur gerade über alles nachgedacht«, erwiderte Konowa, während er sich insgeheim für sein närrisches Verhalten verfluchte. Trotz des warmen Regens überlief es ihn kalt. Er warf einen Blick über die Schulter auf das Regiment hinter ihnen und schüttelte den Kopf. »Wir müssen so rasch wie möglich nach Luuguth Jor gelangen, aber dieser Schlamm hält uns auf.«

»Dann beheben Sie das«, antwortete der Prinz.

»Es beheben, Sir? Ich habe keine Pflastersteine mitgebracht.«

Der Prinz runzelte die Stirn, stellte sich in seine Steigbügel und zog ein glänzendes Messingteleskop aus einem Lederetui, das an seinen Sattel geschnallt war. Die königlichen Initialen waren mit kunstvollen Intarsien aus Onyx, Elfenbein und winzigen Rubinen in die Röhre eingearbeitet. Der Prinz zog das Fernrohr zu seiner vollen Länge auseinander und hielt es an ein Auge wie ein Kapitän auf dem Meer. Vielleicht verlieh ihm der Fluss neben ihnen ja das Gefühl von Großartigkeit.

»Die Hexe hat die Nacht zum Tage gemacht … Sicherlich kann sie auch etwas gegen diesen Schlamm tun. Und sagen Sie ihr, dass sie sich beeilen soll. Wir verlieren wertvolle Zeit.« Er setzte sich wieder in den Sattel, von dem das Wasser in einem feinen Sprühnebel aufspritzte.

Konowa wollte erwidern, dass Visyna dem niemals zustimmen würde, auch wenn sie es gewollt hätte, weil es nahezu unmöglich schien, aber er schwieg. Sie hatte tatsächlich die Nacht zum Tage gemacht, und sein Vater hatte einmal einen Wasserfall lange genug aufgehalten, sodass ein Elf der Langen Wacht einen herausgerissenen Schössling retten konnte, bevor er über den Rand stürzte.

»Heute noch, Major!«, fuhr der Prinz ihn an. »Nichts ist wichtiger, als den Stern zu sichern.«

»Und zu verhindern, dass er der Schattenherrscherin in die Hände fällt, und die Rebellion niederzuschlagen«, setzte Konowa hinzu.

Der Prinz machte eine ungeduldige Handbewegung, als verscheuche er eine lästige Fliege. »Sicher, gewiss. Ohne den Stern jedoch wird die Rebellion zum Erliegen kommen, und die Schattenherrscherin wird ihre Chance verpasst haben.« Er schlug sich auf den Schenkel und richtete sich wieder im Sattel auf. »Und ich werde dabei auch noch Elfkyna gerettet haben. Das ist einfach perfekt. Major, wir müssen uns möglichst beeilen.«

»Jawohl, Sir«, antwortete Konowa, legte die Hacken an Zwindarras Flanke und trottete an der Kolonne vorbei, um nach Visyna zu suchen.

Diesmal rief ihn niemand an, als er an den Männern vorbeiritt. Es wäre einfach gewesen zu glauben, der Regen und die Erschöpfung wären der Grund, dass die Männer die Köpfe gesenkt hielten. Aber er wusste, dass die Nachricht von der Rebellion sich wie ein Lauffeuer unter ihnen verbreitet hatte. Der Vorwand, dass sie einer Garnison zu Hilfe kämen, die eine winzige Festung mitten im Nichts besetzte, mochte selbst der Dümmste unter ihnen nicht glauben. Und da sie jetzt wussten, dass sie es mit einer ausgewachsenen Rebellion zu tun bekamen, war ihnen auch klar, dass die Aussicht, jemals Heim und Herd wiederzusehen, gleich null war. Entsprechend war ihre Moral am Boden. Ob es dem Prinzen gefiel oder nicht, man würde den Soldaten die Wahrheit sagen müssen, jedenfalls größtenteils.

Konowa erblickte zunächst Jir, der neben Rallies Planwagen herlief. Der Bengar war von Kopf bis Fuß mit Schlamm bedeckt, doch das schien ihm nicht das Geringste auszumachen, ebenso wenig wie die zahllosen Büsche und Pflanzen, die unmarkiert blieben, als er achtlos an ihnen vorbeilief. Der Grund für seine Ignoranz schlief im Regen auf dem Planwagen.

Wobbly schien eine höchst gefährliche Position einzunehmen, denn er neigte sich vor, als würde er jeden Moment die Balance verlieren, richtete sich jedoch beim nächsten Schwanken des Planwagens wieder auf. Jir verfolgte jede Bewegung und hoffte zweifellos auf ein einfaches Mittagessen. Konowa hoffte, dass der Pelikan nüchtern einen besseren Gleichgewichtssinn hatte. Er hatte die unbeholfene Landung des Vogels beobachtet und sofort Mitleid mit ihm empfunden. Er wusste, wie es sich anfühlte, ein Elch unter Rehen zu sein.

Er pfiff, und Jir drehte einen Moment den Kopf in seine Richtung, widmete seine Aufmerksamkeit dann aber wieder dem Pelikan. Mach du nur, dachte Konowa und zügelte Zwindarra, als er sich dem Planwagen näherte. Visyna saß neben Rallie auf dem Bock. Die beiden Frauen waren wieder in ein Gespräch vertieft. Konowa zügelte seinen Wallach und ließ ihn neben ihnen im Schritt gehen. Er hatte absichtlich Rallies Seite des Wagens gewählt. Das Pferd schien diesmal nicht im Geringsten von den Brindos irritiert zu sein. Es schob sogar den Kopf vor und schnupperte an dem Brindo neben ihm, das zur Antwort mit den Ohren wackelte.

»Und was führt Sie zu uns, Major?«, fragte Rallie. Sie lächelte ihn an, und er erwiderte das Lächeln. Visyna hatte sich in einen grünen Umhang gehüllt und die Kapuze aufgesetzt, und sie machte sich nicht einmal die Mühe, ihn anzusehen.

Frauen.

»Angesichts der Nachrichten, die Sie jüngst erhalten haben, ist der Prinz der Meinung, wir müssen so schnell wie möglich nach Luuguth Jor gelangen. Dieses Mal bin ich vollkommen einer Meinung mit ihm.« Er wartete, aber Visyna blickte weiterhin starr geradeaus. »Der Prinz lässt fragen … äh, ich weiß, das klingt albern, aber er lässt fragen, ob Mistress Tekoy vielleicht ihre Kräfte nutzen würde, um dem Regiment zu helfen, schneller voranzukommen.«

Endlich sah Visyna ihn an und zog die Kapuze herunter. Er hatte erwartet, dass sie ärgerlich reagierte, und wurde von dem nachdenklichen Ausdruck auf ihrer Miene überrascht.

»Woran hat er denn gedacht?«

Konowa sah Rallie an, die ihn mit einem wissenden Lächeln musterte. »Seine Hoheit lässt fragen, ob es möglich wäre, den Boden zu trocknen, sodass wir unser Tempo beschleunigen könnten. Ihr wisst schon, ihn ein bisschen fester zu machen, damit der Schlamm nicht so tief ist.«

»Einverstanden«, erwiderte Visyna.

Konowa hatte sich bereits eine Taktik zurechtgelegt und war nach ihrer Antwort einen Moment sprachlos. Sie hatte eine unheimliche Fähigkeit, ihn ständig zu überraschen. Er wusste nicht genau, warum, aber er fand das noch attraktiver als ihr Aussehen, obwohl das schon hinreißend war. »Wie bitte?«

»Ich sagte, ich mache es«, antwortete sie, verschränkte gelassen die Arme vor der Brust und starrte ihn an. »Ausnahmsweise sind wir uns diesmal alle einig. Je schneller wir Luuguth Jor erreichen, umso besser. Allerdings«, sie lächelte ihn an, »brauche ich diesmal Hilfe.«

»Kein Problem.« Konowa lächelte strahlend. Warum können wir beide nicht die ganze Zeit so gut miteinander auskommen?, dachte er und ignorierte die Vielzahl von Gründen, die ihm sofort in den Sinn kamen. »Sagt mir, was Ihr braucht, und Ihr bekommt es.«

»Euch.«

»Moment mal, eine Sekunde … «

»Wollt Ihr so schnell wie möglich nach Luuguth Jor oder nicht?«, fragte Visyna und machte Anstalten, die Kapuze des Umhangs wieder aufzusetzen.

»Schon gut, schon gut. Ich helfe Euch, aber ich mache nichts … Sonderbares.«

»Das ist kein Jahrmarktstrick. Rallie, halten Sie bitte an.«

Konowa zügelte Zwindarra, der die Gelegenheit nutzte, das Brindo etwas ausführlicher zu beschnuppern.

Während sich das Brindo und das Pferd miteinander bekannt machten, sprang Visyna vom Wagen in den Schlamm. Die Soldaten des letzten Zugs marschierten an ihnen vorüber. Die Männer betrachteten sie neugierig, aber keiner sagte ein Wort. Es war, als hätte sich ein Leichentuch über das gesamte Regiment gelegt; jeder schien Angst zu haben, laut zu reden. Wenige Augenblicke später waren sie wieder allein, während sich die Soldaten durch den Schlamm mühten.

»Was genau soll ich tun?«, erkundigte sich Konowa bei dem Versuch, hilfreich zu sein.

Visyna atmete ein paar Mal durch und schloss die Augen. »Nehmt mich in die Arme.«

Konowas Herzschlag beschleunigte sich. »In die Arme nehmen?«

»Umarmt mich.«

»Ich soll Euch umarmen?«

»Sie waren wohl sehr lange im Wald, hab ich recht?«, erkundigte sich Rallie. Ihr Lächeln wirkte so schneidend wie eine frisch geschärfte Klinge.

Visyna stampfte mit dem Fuß auf. »Wir verlieren Zeit. Steigt endlich von Eurem hohen Ross herunter, kommt her und nehmt mich in die Arme.«

Konowa zog seine Füße aus den Steigbügeln, sprang von Zwindarra herunter und warf Rallie die Zügel zu, die sie an den Planwagen band. Dann ging er zu Visyna, während er darauf wartete, dass sie ihn auslachte.

»Stellt Euch hinter mich und schlingt Eure Arme um meinen Bauch. Und lasst mich auf keinen Fall los.«

Konowa blieb unmittelbar vor ihr stehen. »Hört zu, ich weiß, dass wir beide nicht …«

Visyna packte seine Hand und zog ihn hinter sich. »Im Moment brauche ich Eure Kraft. Was der Prinz will, erfordert ein größeres Geflecht, als ich allein es weben kann. Also, haltet mich fest und lasst nicht los.«

Konowa sah Rallie an, die die Situation eindeutig genoss. Dann zuckte er mit den Schultern und tat, was sie von ihm verlangte. Er schlang seine Arme um sie. Ihr Haar tanzte direkt vor seinem Mund. Mit jedem Ausatmen stieß er auch die Verlockung aus, daran zu riechen, die den eigentlichen Grund, aus dem er sie in seinen Armen hielt, zu überdecken drohte.

»Nein, nicht so. Ich kann es noch fühlen. Ihr müsst es ablegen«, sagte Visyna und befreite sich aus seinem Griff. »Ich kann das nicht, solange dieses Ding mich berührt.«

»Hört zu, wenn das alles irgendein kompliziertes Spiel ist, damit ich die Eichel ablege, dann vergesst es einfach«, erwiderte er und griff unwillkürlich nach dem Lederbeutel.

Visyna hob die Hände. »Ich gebe Euch mein Wort, dass Ihr es wiederbekommt, wenn wir fertig sind. Gebt es Rallie, wenn Ihr wollt, aber Ihr müsst es ablegen, sonst funktioniert es nicht.«

Konowa sah Rallie an. »Das ist kein Scherz. Ich habe geschworen, dieses Regiment zu beschützen, und das werde ich auch.«

Rallie sah an Konowa vorbei auf das Regiment, das sich langsam von ihnen entfernte. »Dann sollten Sie sich allmählich entscheiden, denn die Zeit läuft.«

Er griff in seine Jacke, holte den Lederbeutel heraus und warf ihn Rallie zu, bevor er seine Meinung ändern konnte. Sie fing den Beutel geschickt auf und legte ihn auf die Bank neben sich. Konowa holte tief Luft und lauschte in sich hinein, ob er einen Unterschied spürte. Er war sich nicht sicher, ob er sich erleichtert fühlte oder nicht.

»Also«, sagte Visyna und zog seine Arme wieder um sich. »Haltet mich fest und lasst nicht los. Ihr werdet … gewisse Dinge spüren, aber seid nicht beunruhigt.«

Sie hob ihre Hände vor ihr Gesicht und begann sofort, Muster in der Luft vor sich zu zeichnen.

Es war faszinierend. Ihre Finger bewegten sich mit einer geschmeidigen Eleganz wie Schwäne, die gemeinsam ihre Hälse in einem perfekten Rhythmus wiegten. Die Luft um sie herum schien sich zu verändern; vielleicht war es auch ein Geräusch. Die Haare auf seinen Armen und in seinem Nacken schienen zu vibrieren, und Konowa hörte plötzlich die Natürliche Welt.

Er schloss die Augen und ließ langsam und zögernd seine Sinne nach außen fließen.

Es war eine Offenbarung, wie er sie noch nie zuvor erlebt hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben nahm er Ordnung im Chaos wahr. Alles, alles Leben, machte plötzlich Sinn. Jedes lebende Ding hatte eine bestimmte Stimme, und jedes bildete einen Teil eines unendlichen Netzes von Fäden, jedes war einzigartig und dennoch vollkommen mit jedem anderen verbunden.

»Meine Güte!«

Konowa öffnete die Augen, als er Rallies überraschten Ausruf hörte. Hauchzarte Fäden aus Licht tanzten vor Visyna, während sie mit ihren Fingern noch feinere Muster aus schimmernden Fäden wob. Die Luft um sie herum schimmerte ebenfalls, und Konowa erkannte darin das, was er am Rand des Waldes gesehen hatte, als Lorian sie gefunden hatte. Selbst wenn sie hundert Jahre Zeit hätten, würden die besten Maler der Welt nicht einmal annähernd die Schönheit dessen wiedergeben können, was er jetzt hier sah, was er fühlte. Das Leben schien ein Fluss zu sein, der durch sie hindurchströmte, durch ihn, neu und gleichzeitig sehr alt.

Viel zu bald ließ Visyna die Hände sinken. Das Licht verblasste und mit ihm das Gefühl einer Ordnung und eines Sinnes in der Welt, die ihn umgab.

Schließlich ließ sie die Hände an den Seiten herunterhängen und stand keuchend in seinen Armen da. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er mit ihr im Gleichklang atmete.

»Ihr könnt mich jetzt loslassen.« Ihre Stimme war ein kaum vernehmliches Flüstern.

Er wollte nicht. Er wollte dieses Gefühl noch einmal empfinden. »Ich …«

Ein Hornsignal ertönte, und Konowa ließ Visyna zögernd los. Sie kletterte zurück auf den Wagen, als erneut das Chaos um Konowa die Herrschaft übernahm und er seinen Verstand vor der Welt verschloss. Rallie warf ihm seinen Lederbeutel zu, den er auffing und wieder unter seiner Uniformjacke verstaute. Die letzten Reste der Natürlichen Ordnung schienen zu verbrennen, als die Eichel wieder an seiner Brust ruhte.

»Wir werden jetzt etwas schneller vorankommen.« Visyna klang immer noch ein wenig atemlos.

»Und zweifellos ist unser Weg von jetzt an weit gefährlicher, fürchte ich«, meinte Rallie, stieg vom Kutschbock herunter und ging zur Rückseite des Planwagens.

Konowa wechselte einen kurzen Blick mit Visyna, dann streckte er die Hand aus, um ihr vom Wagen herunterzuhelfen. Sie ignorierte seine Hand, stieg allein vom Bock und ging dann mit ihm zusammen nach hinten, um zu sehen, was Rallie vorhatte.

»Halten Sie das fest, sind Sie so gut?«, bat Rallie Konowa, als dieser um die Ecke bog. Er nahm den Rand der Segeltuchklappe und hielt sie auf Rallies Anweisung hin hoch. Visyna wurde gebeten, die andere Seite hochzuhalten. Dann sprang Rallie in den Wagen und kroch zwischen den Reihen der Holzkäfige entlang. Jir kam ebenfalls heran und sah neugierig ins Innere. Ein Klicken ertönte, als ein Schloss geöffnet wurde, und dann ein Rumpeln, das den ganzen Wagen erschütterte.

Jir schoss davon wie der Blitz. Dann hörte man, wie Zügel durch einen Ring glitten und dann das Poltern von Hufen. Das sagte Konowa, dass Zwindarra ebenfalls geflüchtet war. Einen Moment später kroch Rallie rückwärts aus dem Wagen und klopfte sich ab. »Schön fest ziehen; Dandy ist fertig.«

Konowa sah Visyna an, die ratlos mit den Schultern zuckte. Sie zogen, und die Segeltuchplane glitt nach vorne, zum äußersten Missfallen des Pelikans. Er schlug mit den Flügeln und kreischte, als er mit der Plane nach vorne gezogen wurde. Rallie hob den Saum ihres Umhangs an und zog eine große Metallflasche aus der Halterung an ihrem Oberschenkel. Als das Segeltuch schließlich vollkommen von dem Planwagen herunterglitt, flatterte Wobbly herunter, hockte sich auf das hintere Trittbrett des Wagens und sperrte den Schnabel weit auf. Rallie zog den Stöpsel aus der Flasche und leerte ihren Inhalt in Wobblys Schnabel.

Sobald die Flasche leer war, packte Rallie den Pelikan, flüsterte ihm etwas zu und warf ihn dann unbeholfen in die Luft.

»Rallie!«, rief Visyna und schlug vor Überraschung die Hand vor den Mund.

Konowa erwartete, dass der Vogel wieder zu Boden plumpsen würde, doch mit fast quälender Langsamkeit schlug Wobbly mit den Flügeln und flog tatsächlich. Zunächst schien er ein wenig verwirrt zu sein, weil er einen vollkommenen Kreis um den Wagen flog, dann jedoch nahm er Kurs nach Westen.

»Wollen Sie uns vielleicht verraten, was das alles soll?«, erkundigte sich Konowa, während er den Pelikan beobachtete, der nun Richtung Osten flog, dann ein Stück nach Norden, bevor er kehrtmachte und nach Süden flatterte. Wohin auch immer er fliegen würde, er nahm jedenfalls die Strecke mit den meisten Sehenswürdigkeiten.

Rallie kam nicht dazu zu antworten, denn ein durchdringendes Kreischen gellte aus dem Wagen. Ein gewaltiger, von feinen aschgrauen Federn bedeckter Schädel mit einem mächtigen Schnabel kam zum Vorschein. Der Schnabel war bis auf eine winzige silberne Spitze vollkommen schwarz, fast einen halben Meter lang und gebogen wie ein Drukar. Das Wesen drehte den Kopf zu ihnen und starrte sie mit strahlend bernsteinfarbenen Augen an. Sie zeigten nicht das geringste Mitgefühl. Ein eiskaltes Gefühl der Warnung durchströmte Konowa, verschwand jedoch, als der Vogel den ganzen Körper aus dem Wagen hob. Dann schoss er hoch in den Himmel, ein grauschwarzer Streifen, der von zwei silberfarbenen sehnigen Beinen hinaufkatapultiert wurde. Der Planwagen erzitterte, und der Luftzug vom Aufstieg des Vogels peitschte ihnen Staub und Stroh ins Gesicht. Als der Vogel etwa sieben Meter hoch war, breitete er seine Schwingen aus, die mindestens so breit waren, wie er lang war. Er schlug einmal, zweimal mit den Flügeln und stieg mehr als fünfzig Meter hoch, während er Kurs auf Wobbly nahm. Der Pelikan seinerseits quakte und schlug aus Leibeskräften mit den Flügeln, wobei er eine Spur aus weißen Federn hinter sich herzog. Er flog überraschend schnell nach Westen.

»Er wird es niemals schaffen!«, sagte Visyna. Sie war bereits dabei, ein Muster vor sich zu weben.

»Haben Sie ein wenig Vertrauen, Liebes«, antwortete Rallie, trat zu ihr und legte den Ärmel ihres Umhangs über Visynas Hände. Eine merkwürdige Vibration erfasste Visyna; es fühlte sich an, als gäbe es nicht mehr genug Luft zum Atmen. Das Gefühl dauerte jedoch nur einen Moment an, dann zog Rallie ihren Umhang von Visynas Händen zurück und tätschelte ihren Arm. »Dandy würde Wobbly niemals etwas tun; ich will den alten Halunken nur ein bisschen im Auge behalten und ihm gelegentlich etwas Feuer unter seine Schwanzfedern machen. Außerdem haben die beiden schon früher zusammengearbeitet. Sie wissen genau, was sie tun.«

»Würden Sie uns einweihen?«, fragte Konowa, während er beobachtete, wie Visyna immer noch verblüfft auf ihre Hände starrte.

Rallie bedeutete ihm, das Segeltuch wieder über den Wagen zu ziehen. »Sie erinnern sich an Ihren Traum über Martimis?«, erkundigte sie sich, während sie eine Ecke des Segeltuchs Visyna reichte, die sich immer noch nicht von ihrer Verblüffung erholt hatte. »Das war kein Traum, jedenfalls nicht ganz. Jemand hat meine Botschaften abgefangen, und ich habe so eine Ahnung, wer das war.«

»Und was werden die beiden dagegen unternehmen?«

Rallie zog eine Zigarre aus ihrem Umhang, schlug einen Feuerstein an einem Bolzenkopf an und sog die Funken so gekonnt in das Ende der Zigarre, dass Konowa mehr als nur natürliche Geschicklichkeit dahinter vermutete. Sie zog tief an der Zigarre und lächelte, während sie eine dicke blaue Rauchwolke ausstieß.

»Sie werden ein bisschen Licht in das Dunkel bringen«, antwortete sie, lachte fröhlich und weigerte sich, mehr zu erklären.

Elfen wie Stahl
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