13

»NATÜRLICH WIRD ES Veränderungen geben«, sagte Prinz Tykkin ohne Einleitung.

Konowa stand in Habachtstellung unter der Markise des Prinzenzeltes und sagte nichts. Er war nach der Zeremonie zu einer Audienz bei dem Prinzen berufen worden. Das war vor über einer Stunde gewesen, und der Prinz ließ sich erst jetzt herab, ihn zu empfangen.

Konowa wartete. Ein schwacher Windstoß versuchte vergeblich, den riesigen Segeltuchbaldachin zu bewegen, der die Sonne abhielt. Die Markise sah aus wie das Hauptsegel eines Schiffes, und Konowa hoffte, dass der Prinz genug Verstand hatte, um eine solche Extravaganz nicht mit auf die Expedition zu nehmen.

»Ihr früheres Verhalten war entwürdigend, ein dunkler Fleck auf dem kollektiven Glanz der Imperialen Armee«, fuhr der Prinz fort und baute sich vor Konowa auf. »Jetzt, wo ich Sie persönlich sehe, frage ich mich, ob man Sie nicht besser im Wald hätte lassen sollen. Mir wurden Berichte zugetragen, dass Ihr Verhalten seit Ihrer Wiedereingliederung in die Armee nicht gerade vorbildlich gewesen ist, und das bekümmert mich. Ich akzeptiere nur die Besten, Major, die besten Soldaten, die besten Uniformen, den besten Drill und den besten Charakter bei meinen Untergebenen.«

Falls der Prinz auf eine Antwort wartete, konnte er lange warten. Konowa schwieg und starrte ins Nichts. Diesen Trick hatte er vor Jahren gelernt, wenn er sich vor seinen Männern aufgebaut hatte. Es verhinderte, dass man direkt auf etwas blickte, was normalerweise Ärger heraufbeschwor. Stattdessen konzentrierte er sich auf die verschiedenen Unbequemlichkeiten, die seine neue Uniform seinem Körper bereitete.

Sein Hals war bereits rot gescheuert und brannte von dem hohen Lederbesatz am Uniformkragen. Die Soldaten mussten dadurch ihre Köpfe hochhalten, so wirkten sie steif und stolz, wenn sie an einem Podest mit Würdenträgern vorbeimarschierten. Aber im Kampf war dies eine gefährliche Beeinträchtigung, denn dann kam es auf Bewegungsfreiheit an. Die Knöchelstiefel, die seine weichen Lederstiefel ersetzten, umschlossen seine Füße eng und hart, seine Hose scheuerte, und der Tschako auf seinem Kopf fühlte sich wie eine Kanonenkugel an. Seine linke Hüfte schmerzte von dem Säbel, den er jetzt um die Taille gegürtet hatte. Er war ein Geschenk von Jaal. Die einen Meter lange Klinge hatte eine weiß emaillierte Parierstange mit goldenen Inlays, die seinen Status als Offizier bekundeten. Zweifellos war er wertvoll, aber er hätte seine alte Muskete jederzeit vorgezogen. Er zwang sich, diese Unbequemlichkeiten nicht mehr zu spüren, und betete, dass sich der Prinz beeilen möge.

»Trotzdem glaube ich, dass Sie von, wenn auch geringem, Nutzen sein werden.« Die Stimme des Prinzen klang ein wenig nasal. »Aber Sie werden von nun an meinem Beispiel folgen, wie sich ein Offizier in der Armee Ihrer Majestät benehmen sollte.«

Der Geruch von Pomade wehte von dem lächerlich hohen Tschako des Prinzen in Konowas Nase und erinnerte ihn an den klebrigen, süßlichen Schleim des Waldes. Ein weiß gepuderter Zopf reichte bis zum Rücken des Prinzen und endete in einer diamantbesetzten Klammer. Wenn sie sich gegenüberstanden, reichten die Augen des Prinzen Konowa nur bis zum Kinn. Das war vielleicht der Grund, warum er so hohe Hüte trug. Seine blassgrünen Augen lagen immer im Schatten der hervorspringenden Stirn. Die breite Nase erhob sich über dünnen Lippen, aber trotz alldem war er nicht unattraktiv. Nach ein paar Wochen im Feld würde er zwanzig Pfund abgenommen haben und eher wie ein Krieger aussehen. Was ihm allerdings die Intelligenz vermitteln sollte, Männer zu befehligen, ahnte Konowa nicht.

Er warf einen kurzen Seitenblick auf den großen Klapptisch, der in dem Zelt aufgebaut war. Es entmutigte ihn, als er die Bücher darauf sah. Als er einige der Titel erkannte, wuchs seine Verzweiflung noch.

Grundlagenhandbuch für Offiziere zur Disziplinierung der Truppen im Feld; sei es Leichte Infanterie oder Reguläre. Vorschriften für alle Gelegenheiten, denen Sie vielleicht begegnen.

Legenden, Mythen und Fabeln der Völker von Großelfkyna und den Territorien des Masuasubkontinents.

Die Große und Außergewöhnliche Kollektion der Kaiserlichen Gesellschaft von Calahr der Exemplare von Tierwelt, Pflanzenwelt, Mineralienwelt und Wunderwirkerwelten mit prachtvollen Illustrationen und Anhängen, Band IV.

Perfekt, dachte Konowa, einfach perfekt. Er will ein Regiment anführen, während er mit einem Auge in ein Handbuch schielt und mit dem anderen nach schönen Blumen und schatzhütenden Drachen Ausschau hält.

»Ihre Majestät hält viel von Ihnen, wussten sie das?«, fragte der Prinz. Etwas in seinem Tonfall warnte Konowa.

Der Prinz trat dichter an ihn heran und blickte ihm prüfend ins Gesicht. »Sie hat Ihre Taten mit großem Interesse verfolgt. Mein galanter Dickschädel lauteten ihre genauen Worte.« Tykkin betrachtete forschend Konowas Gesicht.

Er ist eifersüchtig! Das wurde Konowa in diesem Moment klar. Der Sohn der Kaiserin musste sich anhören, wie seine Mutter einen anderen lobte – und zwar ausgerechnet ihn. Das musste den Prinzen besonders gewurmt haben. Und jetzt bin ich sein Stellvertreter. Das wird ja immer besser.

»Das war mir nicht bewusst«, antwortete Konowa. »Sir«, setzte er rasch hinzu.

»Es war Ihnen nicht bewusst?« Der Prinz schien Schwierigkeiten mit seiner Atmung zu haben. »Nein … Natürlich nicht, selbstverständlich.« Welchen inneren Kampf der Prinz auch ausgefochten hatte, er war vorläufig vorbei. »Auf jeden Fall sind Sie mein Untergebener, und ich erwarte vollkommenen und sofortigen Gehorsam bei jedem Befehl. Die Loyalität der Stählernen Elfen wird nicht noch einmal infrage gestellt.«

Während der letzten Worte hatte der Prinz sein Gesicht bis auf wenige Zentimeter vor das von Konowa geschoben. Als Letzterer sich immer noch nicht rührte, trat der Prinz zurück und kehrte ihm den Rücken zu. Ein Korken ploppte, und dann gurgelte es, als Wein in ein Glas gefüllt wurde. Konowa leckte sich unwillkürlich die Lippen und tadelte sich sofort dafür, dass er sich wie ein sabbernder Hund benahm. Der Prinz sollte verdammt sein!

»Ich bitte Euer Hoheit um Verzeihung«, sagte Konowa schließlich. Seine Stimme klang unter dem Baldachin wie ein Kanonenschuss. »Aber wir sollten diskutieren, wie das Regiment neu aufgestellt wird. Marschall Ruwl hat mich darüber informiert, dass gewisse Arrangements getroffen worden sind. Wann können wir die Elfen erwarten?«

Der Prinz legte den Kopf auf die Seite, als er Konowa ansah. »Er hat es Ihnen nicht erzählt, stimmt’s? Sieh an. Der Marschall mag sich vor Ihrer Wut fürchten, aber ich nicht. Die Elfen befinden sich in den südlichen Einöden, und genau dort werden sie auch bleiben. Ich habe Männer von meinem persönlichen Stab abkommandiert, um die notwendigen Soldaten und Vorräte aus den Regimentern hier im Lager zusammenzustellen. Das Regiment wird aus den besten Männern der Armee bestehen, die hier lagert.«

Konowa hatte das Gefühl, man hätte ihm in den Magen geschlagen. »Hier, Sir?« Die Creme der Imperialen Armee schwitzte ganz bestimmt nicht in der Sonne und dem Gestank dieses Lagers. »Aber ich dachte, man würde die Jungs … das Regiment zurückrufen. Wie soll man die Stählernen Elfen ohne sie neu bilden?«

Der Prinz drehte sich nicht um, aber Konowa konnte an seiner Stimme hören, dass er grinste. »Die Stählernen Elfen werden von nun an ein Regiment sein, das aus umgänglicheren Männern besteht.«

»Bei allem gebührenden Respekt, Euer Hoheit …«

»Die Sache ist erledigt!«, schrie der Prinz und wirbelte zu ihm herum. »Dieses Regiment ist mir unterstellt, und ich werde es so kommandieren, wie ich es für angemessen halte. Akzeptieren Sie das, Major!« Er stieß langsam den Atem aus und rang um Fassung. »Und damit ist die Angelegenheit abgeschlossen. Ein Toast«, sagte er und deutete auf ein gefülltes Bleikristallglas auf dem Tisch.

Konowa betrachtete den Wein, als wäre er vergiftet. Schließlich jedoch nahm er das Glas.

»Auf die glorreiche Zukunft der Leichten Infanterie der Hynta«, sagte der Prinz.

Konowa starrte ihn an, das Glas halb erhoben.

»Wollen Sie es wagen, mich so herauszufordern?« Die Augen des Prinzen waren nur noch Schlitze.

Dieser Narr weiß überhaupt nichts, dachte Konowa. »Nein, Sir, aber man bringt in diesem Regiment nie solche Sprüche aus. Wir suchen keinen Ruhm, im Gegenteil. Der angemessene Trinkspruch wird nur um Mitternacht geäußert, Sir, unter einem schwarzen Mond.« Konowa sah auf diesen dummen kleinen Mann herab, der eines Tages Imperator sein würde. Ein kurzer Schlag gegen den Hals würde so viele Probleme lösen, dachte er.

»Das wusste ich«, antwortete der Prinz und sah ihn misstrauisch an. »Aber wir begründen heute eine neue Tradition.«

»Ja, natürlich, Sir«, erwiderte Konowa. Er reagierte impulsiv, bevor sein Urteilsvermögen ihn daran hindern konnte, und leerte das Glas in einem Zug. »Auf die glorreiche Zukunft der Leichten Infanterie der Hynta. Lang leben die Stählernen Elfen … und Menschen. Mögen unsere Feinde vor uns zerfallen!«, schrie er und schleuderte das schwere Kristallglas zu Boden, wo es in Hunderte funkelnde Splitter zerbarst.

Der Prinz riss die Augen auf, und seine Kinnlade klappte schlaff herunter. Er schwieg lange. Konowa sah ihn so unschuldig an, wie er konnte. Auch nur der Hauch eines Grinsens würde ihn sehr wahrscheinlich an den Galgen bringen.

Schließlich leerte der Prinz sein Glas und folgte Konowas Beispiel, indem er es auf dem festen Lehmboden zerschmetterte.

»Sie werden mir später diesen traditionellen Toast erklären«, sagte der Prinz.

»Selbstverständlich, Hoheit«, erwiderte Konowa.

»Gehen Sie, und sammeln Sie meine Männer.«

»Jawohl, Sir, sofort!« Konowa nahm Haltung an, salutierte zackig vor dem Prinzen, bevor er sich umdrehte, aus dem Zelt schritt und geradewegs in ein neues Problem marschierte.

Elfen wie Stahl
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