39

»WIR SIND DEM Untergang geweiht, wir sind verloren.« Inkermon saß unter einem Baum und schaukelte unablässig vor und zurück. Yimt warf ihm einen kurzen Blick zu, schnaubte und wandte sich dann von ihm ab.

»So viel zu seinem Schöpfer«, murmelte der Zwerg, setzte sich auf den Boden und fuhr zerstreut mit den Fingern durch den Schmutz.

Teeter und Scolly schliefen beide. Ihr Schnarchen schien den Elf, der sie bewachte, ungeheuer zu interessieren. Für ein Wesen, das vollkommen lautlos durch einen Haufen spröder Herbstblätter gehen konnte, mussten die Soldaten wie eine Herde Muraphanten klingen.

»Glaubst du, dass Mistress Rote Eule recht hat?«, erkundigte sich Alwyn. Der Mond zog langsam seine Bahn am Himmel, aber der Morgen war noch ein paar Stunden entfernt. Die Wärme des Waldes war zurückgekehrt, aber es war nicht mehr so stickig wie zuvor. Alwyn versuchte vergeblich, über alles Mögliche nachzudenken, nur nicht über das, was er auf der Lichtung gesehen hatte. Selbst der Schmerz in der Brust war nicht stark genug, um ihn abzulenken.

»Was meinst du? Dass wir verzaubert sind und dergleichen? Ich weiß nicht genau, wie ich es dir klarmachen soll, Ally, aber wir sind keine Elfen. Dieses Magiezeug funktioniert nur bei ihnen.«

»Und was ist mit diesem Eid, den wir auf der Ebene der Schlingpflanzen abgelegt haben? Ich habe nichts gesagt, aber ich habe gefühlt, wie dabei etwas geschehen ist. Und ich habe außerdem einen von … von ihnen gesehen.«

»Einen von wem?«

»Einen von ihren Elfen … Er war schrecklich. Er hatte schwarze Ohrspitzen, weißt du, wie einer von den Gezeichneten, ähnlich wie Major Kritton.«

Yimt faltete seine Finger. »Rakkes tauchen in verschiedenen Gestalten und Größen auf, Ally. Bist du sicher, dass du nicht Kritton, sondern eine dieser Bestien gesehen hast? Die Leute sehen in der Schlacht alle möglichen Dinge, weil sie so aufgeregt sind.«

Alwyn schüttelte den Kopf. »Diese Pfeile hat kein Rakke abgeschossen. Und du hast selbst gesehen, was mit Alik und Buuko passiert ist. Sie sind gestorben, aber sie sind nicht tot, nicht richtig jedenfalls, genau wie Meri.«

Yimt seufzte und strich sich durch den Bart. »Ich will dir nicht zu nahe treten, aber du bist ein ziemlich sensibler Kerl, Ally. Du nimmst dir die Dinge etwas mehr zu Herzen als wir anderen. Und du bist der Einzige, der glaubt, Meri oder diesen schwarzen Elf gesehen zu haben. Soweit ich das sagen kann, sind Alik und Buuko woanders begraben worden, und diese ganze Geschichte auf der Lichtung war nur eine Art Schauspiel.«

Alwin spürte, wie er errötete. »Willst du damit sagen, dass ich lüge?«

Yimt hob die Bandage aus Blättern und Moos auf seinem Kopf an und kratzte seine nackte Kopfhaut darunter. »Habe ich das gesagt? Ich habe nur gesagt, dass du Dinge siehst, die die anderen nicht sehen. Vielleicht stimmt es, was die Elfen sagen, oder aber sie spielen Spiele mit uns. Nur weil sie sich wegen der Schattenherrscherin und alldem so aufregen, müssen wir das noch lange nicht tun.«

»Und was ist mit Meri und den anderen?«

Yimt hörte einen Moment auf zu kratzen. »Ich will nicht behaupten, dass es keine Geister gäbe. Ich weiß nur nicht, ob ich ihnen auch den Rest abkaufe, das ist alles. Vielleicht hast du ihn wirklich gesehen oder seinen Geist. Verwahrt er immer noch diese Schnupftabakdose in seiner Augenhöhle? Wenn ja, würde ich sagen, dass er es wahrscheinlich gewesen ist. Ich bezweifle ernsthaft, dass viele Geister herumlaufen, die eine Schnupftabakdose in ihrem Schädel stecken haben. Das war übrigens gutes Zeug. Ich hatte ihn eigentlich fragen wollen, woher er das hat.«

Alwyn starrte Yimt an, der seinen Blick erwiderte, eine Hand noch halb unter seiner Bandage verborgen.

»Wieso nimmst du das nicht ernst, Yimt? Sie hat gesagt, wir wären verdammt, eine Ewigkeit in diesem Regiment zu dienen. Eine Ewigkeit!«

Yimt verdrehte die Augen, zog die Hand zurück und drückte die Bandage wieder herunter. Dann sah er sich um und brach einen kleinen Zweig von einem nahe gelegenen Busch. Mit dem abgebrochenen Ende rieb er an seinen Zähnen, was ein hohes, quietschendes Geräusch erzeugte.

»Ob ich das ernst nehme oder nicht, macht keinen Unterschied, oder? Wenn es wahr ist, sehe ich nicht, was es nützt, wenn wir uns darüber aufregen, und wenn es nicht wahr ist, dann hätten wir uns erst gar nicht darüber aufregen müssen.«

Der Elf, der sie bewachte, hob die Brauen, als Yimt mit dem Zweig zwischen seinen Backenzähnen herumstocherte. Alwyn stieß Yimt mit dem Ellbogen an und deutete auf den Elf.

»Was?«, erkundigte sich Yimt. Er warf einen Blick auf den Elf, zog den Zweig aus dem Mund und winkte ihm damit zu. »Ich habe nur das Silber ein bisschen poliert«, meinte er fröhlich und setzte seine Zahnpflege fort.

»Bäume«, flüsterte Alwyn. »Sie mögen Bäume wirklich sehr, sehr gern.«

Yimt zog den Zweig aus dem Mund und betrachtete ihn genauer. »Was denn, das hier? Das ist nur ein kleiner Zweig, nichts Schlimmes. Und außerdem ist das da kein Baum, sondern eher ein großer Busch, wenn du mich fragst.«

»Und wenn sie das als ein Baby betrachten?«

Yimt unterbrach seine Mundpflege erneut und dachte darüber nach, während er auf dem Ende des Zweigs herumkaute. Der Elf schien seinen Bogen ziemlich fest zu umklammern.

Schließlich zog Yimt den Zweig aus dem Mund und rammte ihn in die Erde. »Wachse groß und stolz, du Unkraut des Waldes«, sagte er und warf dem Zweig eine Kusshand zu.

»Ein äußerst interessanter Segenswunsch«, sagte Chayii, während sie von einem Baum sprang und neben ihnen landete. »Mir war nicht bewusst, dass Zwergen etwas an den Bäumen der Welt liegt.«

Yimt nickte. »Oh, Mistress Rote Eule, und wie sehr uns etwas daran liegt. Wenn Sie mir erlauben würden, meine Armbrust zu nehmen, die da drüben liegt, würde ich Ihnen zeigen, wie schön ich das Holz poliert habe.« Er wollte aufstehen, aber der Elf, der sie bewachte, hob unmerklich seinen Bogen. Yimt ließ sich wieder zu Boden sinken.

Alwyn zuckte zusammen. Wenn Yimt so weitermachte, würde er sie noch direkt in den ewigen Schatten reden.

»Es ist eine höchst merkwürdige Waffe und sehr gut gepflegt, doch die Mischung aus Eisen und Holz hat ihren Geist getötet. Dieser Verlust stimmt mich traurig, so wie auch der Verlust all der Brüder und Schwestern, die gestorben sind, damit die anderen Waffen gefertigt werden konnten, die ihr tragt.«

»Ich hätte ihren Geist getötet? Ganz im Gegenteil!« Yimt warf sich in die Brust und zeigte ganz offen seinen Stolz auf seine Armbrust. »Der Kleine Stecher hier schießt noch genauso genau wie an dem Tag, an dem meine Großmutter sie gekauft hat, und das ist schon mehr als fünfzig Jahre her. Sicher, sie schafft nicht mehr dieselbe Distanz wie früher, aber was will man nach fünfzig Jahren auch erwarten?«

Chayii nahm ihren Bogen von ihrem Rücken. Alwyn hatte erneut das deutliche Gefühl, dass im selben Moment noch jemand oder etwas ihnen Gesellschaft leistete.

»Das wurde mir von meinem Ryk Faur geschenkt, Er Der Den Himmel Berührt, und zwar vor über einhundert Jahren.«

Sie krümmte den Bogen mit den Händen. Als sie ihn losließ, schnellte er zurück wie ein junger Schössling.

Yimt nickte anerkennend. »Als ein Bewunderer von Formen darf ich wohl sagen, dass Ihr beide ganz ausgezeichnet in Form seid.«

Sie werden uns in kleine Stücke schneiden, dachte Alwyn, doch bevor er sich für Yimt entschuldigen konnte, lachte Chayii, hockte sich vor sie und stieß sanft die Spitze ihres Bogens in die Erde neben den Zweig, den Yimt gerade dort eingepflanzt hatte. Alwyn bemerkte, dass der Bogen nicht mit einer Sehne bespannt war, und fragte sich, welche Art Sehnen die Elfen wohl benutzten.

»Das werde ich dir zeigen«, erwiderte Chayii und legte ihre Hände auf die Erde neben den Bogen und den Zweig.

Diesmal zuckte Alwyn nicht einmal zusammen, als die Elfe seine unausgesprochene Frage beantwortete.

»Was zeigen Sie uns?«

Alwyn brachte ihn zum Schweigen und deutete auf den Zweig in der Erde. Er begann zu zittern, und dann sprossen winzige grüne Triebe heraus. Sie wanden sich einen Moment in der Luft wie eine vielköpfige Schlange und wuchsen dann empor, umschlangen sich, während sie den Bogen hinaufglitten. Als sie die Spitze erreicht hatten, entrollten sie sich, sodass sie von oben bis zum Ende herabhingen, an dem sich weitere Triebe gebildet hatten. Langsam und sanft begannen sie, sich zu spannen, wickelten sich umeinander, bis sie eine unglaublich feine Sehne bildeten. Sie glänzten silbergrün und spannten sich, bis sich die Enden des Bogens krümmten. Chayii zog ein kleines, hölzernes Messer heraus, teilte die neuen Triebe von dem Zweig, zog den Bogen aus der Erde und reichte ihn Yimt, damit er ihn betrachtete.

»Er ist so warm wie frisches Brot«, sagte er und strich mit der Hand leicht über den Bogen. Dann zog er die Sehne mit zwei Fingern zurück und knurrte überrascht. »Unglaublich! Wenn ich es nicht mit meinen eigenen Augen gesehen hätte, würde ich es nicht glauben. Versuch es selbst, Ally.«

Alwyn sah Chayii an, die zustimmend nickte. Er nahm den Bogen von Yimt und fühlte sofort die Wärme des Holzes. Er spürte noch etwas, oder vielleicht hörte er es auch. Was es auch war, es gefiel ihm. Er krümmte die Finger um die Sehne und zog, das heißt, er versuchte sie zu spannen. Aber der Schmerz in seiner Brust war zu stark.

»Die Zugspannung dieses Bogens würde den Kleinen Stecher beschämen«, meinte Yimt und schüttelte den Kopf. »Das ist wirklich eine sehr schöne Magie.«

Alwyn gab Chayii ihren Bogen zurück.

»Was du Magie nennst, nennen wir eins sein mit der Natürlichen Ordnung. Um das Leben zu verstehen, das dich umgibt, musst du ein Teil davon sein, und es muss ein Teil von dir sein.«

Yimt nickte unverbindlich. »Und Sie verstehen das wirklich verdammt gut. Also, ich möchte nicht unhöflich sein, nachdem Sie uns so sehr geholfen haben, vor allen Dingen, weil Sie Ally hier neben mir von der Schwelle des Todes gerettet haben. Aber ich frage mich, ob wir vielleicht unsere Sachen einsammeln und uns auf den Weg machen können? Wir haben eine Aufgabe zu erledigen, und Major Osveen wird mir die Haut abziehen, wenn ich mich verspäte.«

Bei der Erwähnung dieses Namens wirkte Chayii nachdenklich. Alwyn ging ein Licht auf.

»Der Major ist ein Elf. Sie kennen ihn nicht zufällig, Madam?«

Die Elfe lächelte so traurig, dass Alwyn seine Frage bereute.

»Ich kannte ihn einmal. Es ist schon lange her, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe.«

Yimt schlug mit der flachen Hand auf den Boden. »Er ist ein wilder Kerl, keine Frage, aber ein verdammt feiner Offizier, und ich weiß, wovon ich rede. Ich habe eine Menge erlebt. Man könnte glauben, dass seine Hexe ihn zähmen würde, aber sie scheint nur das Gegenteil zu bewirken. Die beiden kämpfen wie zwei Klingenrückendrachen, die man in einen Sack gesteckt hat.«

Chayiis Lächeln erlosch. »Hexe? Was für eine Hexe?«

Alwyn versuchte, Yimts Aufmerksamkeit zu erregen, aber der Zwerg hatte sich in Fahrt geredet.

»Eine Hexe, eine Elfkyna, genau genommen. Miss Visyna Tekoy. Ein hübsches kleines Ding. Und sie hat ziemlich viel Macht. Vor einer Woche hat sie eine tolle Lichtschau veranstaltet. Wenn man ihr einen Bogen, Pfeile und diese schicken Kleider geben würde, die Sie tragen, könnte man sie kaum von einer Elfe unterscheiden.«

»Die Elfkynan sind keine Elfen.« Das Eis in Chayiis Stimme war für Alwyn unüberhörbar, doch Yimt schien es nicht zu bemerken. »Elfen«, fuhr Chayii fort, »würden einen Wald wie diesen niemals so vernachlässigen. Das Land wird sonderbar, und eine Krankheit verseucht es …«

Während Mistress Rote Eule sprach, musste Alwyn unwillkürlich daran denken, dass sie sehr wie Mistress Tekoy klang, aber er behielt das für sich.

»… haben die Verantwortung dafür vergessen. Diese Wälder sind Kinder in dieser Welt, und man sollte sie nicht allein um ihr Überleben kämpfen lassen.«

»Kinder? Viele Bäume hier müssen doch schon Hunderte von Jahren alt sein«, erwiderte Alwyn und sah sich ehrfürchtig um.

»In den tiefsten Stellen unseres Heimes gibt es Wolfseichen, die bereits dort waren, als das Licht des ersten Morgens über der Mukta ull aufging«, antwortete Chayii ehrfurchtsvoll.

»Oh.«

Chayii wandte sich wieder an Yimt. »Du sagtest, sie kämpfen?«

Yimt lachte und nickte. »Der Major und Mistress Tekoy? Ja, und zwar immer, wenn sie sich sehen. Es war wie damals, als ich meiner süßen Amag den Hof gemacht habe. Wir haben uns auch wegen allem Möglichen in die Haare gekriegt.«

Alwyn sah den Zwerg überrascht an. Yimt war verheiratet? Er hatte nie zuvor eine süße Amag erwähnt.

»Verführt sie ihn, gegen sein besseres Wissen zu handeln?«, erkundigte sich Chayii.

»Nicht direkt. Es ist mehr so, dass sie beide eine Vorstellung davon haben, wie der richtige Weg aussieht, etwas zu tun, und sie sind sich niemals einig. Es geht dabei immer um das Imperium und die Natur. Das ist böse, dies altmodisch, es ist ehrlich gesagt ein bisschen langweilig. Ich nehme an, sie will, dass er sich elfischer verhält, Sie wissen schon, so wie Sie und Ihre Leute, während er lieber seine Muskete polieren möchte. Er mag ja ein Elf sein und so weiter, aber wenn sie ihm einen Bogen und Pfeile in die Hand geben, wird er sie vermutlich benutzen, um ein Feuer damit zu machen, im Unterschied zu ihr.«

Yimt würde sie alle umbringen. Alwyn beobachtete Chayii und suchte nach dem ersten Anzeichen von Ärger, aber sie saß einfach nur da. Dann hob sie die Hand und wischte sich eine Träne aus dem Auge.

»Er ist ein guter Offizier«, platzte Alwyn heraus. Es überraschte ihn, sich das sagen zu hören, aber es stimmte. Der Major stieg, so oft es ging, von seinem Pferd, um zwischen seinen Leuten zu marschieren und sich zu überzeugen, dass alles in Ordnung war und auch, ob man sich genug um sie kümmerte. Den Prinzen sahen sie kaum, und die Sergeanten viel zu viel, aber der Major schien ganz genau zu wissen, wann er auftauchen musste und wann nicht. Wenn Alwyn jetzt zurückblickte, beschwor das Auspeitschen von Korporal Kritton nicht mehr dieselben düsteren Gefühle wie zuvor. Wenn er diesen Elf noch einmal zu Gesicht bekam, würde er ihm die restlichen Hiebe mit Vergnügen verabreichen.

»Ally sagt die Wahrheit – der Major ist einer der besseren Offiziere. Und außerdem«, Yimt hustete höflich und sah zu seiner Armbrust, die auf dem Felsen in der Lichtung lag, »erwartet er uns in Luuguth Jor. Wir waren dorthin unterwegs, als die Rakkes uns angegriffen haben, aber ich nehme an, Sie wissen, was hier vorgeht. Wenn Sie sich die Mühe machen wollen, uns zu begleiten, könnten Sie ihn selbst sehen und die Hexe auch. Vielleicht können Sie die beiden ja zur Vernunft bringen. Sie könnten ein nettes Paar sein, wenn sie ein bisschen mehr übereinstimmen würden.«

»Vielleicht haben sie ja unterschiedliche Meinungen, was den Oststern angeht«, bemerkte Chayii.

Alwyn vermied Yimts Blick. Der Zwerg blinzelte ein paarmal und seufzte schließlich.

»Eigentlich sollte das ein Geheimnis sein, aber wenn es schon heraus ist, macht es wohl nicht viel Sinn, das zu leugnen.«

Die Elfe erhob sich in einer flüssigen Bewegung vom Boden. »Wir werden euch begleiten, Yimt von der Warmen Brise. Bereite deine Männer auf den Abmarsch vor. Wir brechen sofort auf.« Mit diesen Worten ging Chayii in den Wald und verschwand vor ihren Augen. Vögel zwitscherten, und die Bäume um sie herum raschelten als Antwort mit ihren Blättern.

»Du hast die Lady gehört, packen wir’s an«, sagte Yimt, sprang auf und half Alwyn auf die Füße. »Inkermon, mach dich nützlich und hilf Teeter und Scolly hoch! Und du bist erst dem Untergang geweiht, wenn ich dir sage, dass du dem Untergang geweiht bist!«

Inkermon hörte auf zu murmeln und gehorchte. Teeter und Scolly wurden rasch geweckt, und kurz darauf waren die Überlebenden von Halbzug drei bewaffnet und abmarschbereit. Alwyn musste seine Muskete um seine rechte Schulter schlingen. Seine Brust schmerzte trotz all der Zauber oder Tränke, mit welchen die Elfen ihn geheilt hatten, und er bezweifelte ernstlich, dass er es den ganzen Weg bis nach Luuguth Jor schaffen würde.

»Trink das!« Irkila tauchte neben ihm auf und reichte ihm einen Trinkkürbis. »Das wird deine Füße für die bevorstehende Reise leichter machen.«

»Was ist das?«

»Rok har. Baumblut.«

Alwyn wich zurück. »Ich trinke kein Blut, ganz gleich, von wem es stammt.«

Irkila spitzte die Lippen und rief einen anderen Elf in der Nähe zu sich. Nach einem kurzen Wortwechsel drehte sie sich zu Alwyn herum. Sie lächelte. »Ich verwende eure Sprache nicht so präzise, wie es sein sollte. Ich glaube, ihr nennt das hier ›Saft‹.«

Alwyn atmete erleichtert aus und streckte die Hand aus, um den Kürbis entgegenzunehmen. Andere Elfen reichten den restlichen Soldaten von Halbzug drei ebenfalls solche Kürbisse, also konnte es nicht so schlimm sein. Alwyn zog den Borkenstöpsel aus der Spitze des Kürbisses und trank einen Schluck. Der Saft war kühl und frisch und schmeckte wundervoll süß und scharf zugleich, auch wenn Alwyn glaubte, dass es mehr als nur Baumsaft war. Doch im Gegensatz zu dem Drachenschweiß, den Yimt bevorzugte, fühlte er sich nach diesem Trank sofort besser, ohne dass die Flüssigkeit versucht hätte, ihm ein Loch in den Magen zu brennen. Er wollte den Kürbis Irkila zurückgeben, doch sie schüttelte den Kopf.

»Behalte ihn und trink davon, wenn du es brauchst. Wir werden nicht rasten, bis wir unser Ziel erreicht haben.«

»Danke«, erwiderte Alwyn. Dann ging er zu den anderen Soldaten hinüber.

»Ich fühle mich zwanzig Jahre jünger!«, meinte Yimt und fuhr sich mit dem Ärmel über den Bart, nachdem er noch einen Schluck aus seinem Kürbis genommen hatte. »Misch das jetzt noch mit einem Schluck zwölf Jahre altem Salabranntwein, und du hast das perfekte Elixier, das gegen jedes Wehwehchen hilft. Vermutlich könnte man es auch ganz schön teuer verkaufen.«

Inkermon hielt seinen Kürbis in der Hand, ohne einen Schluck zu trinken.

»Wenn sie dich hätten vergiften wollen, hätten sie es schon längst gemacht«, meinte Yimt und deutete mit dem Daumen auf die Elfen. »Trink!«

Inkermon schüttelte den Kopf und hielt Yimt den Kürbis hin. »Keine geistigen Dinge außer der Gnade des Schöpfers sollen in meinen Körper gelangen.«

Alwyn erwartete, dass Yimt Inkermon einfach zu Boden schlagen würde. Stattdessen jedoch nahm der Zwerg ihm einfach den Kürbis ab und lächelte. »Du solltest mit uns Schritt halten, sonst dürften dir schon bald außer seiner Gnade auch ein Haufen Pfeile im Hintern stecken. Teeter, Scolly, ihr bewacht die rechte Flanke, Ally und ich die linke. Der Heilige hier kann den Himmel im Auge behalten und auf ein Zeichen göttlicher Intervention warten. Die Rakkes treiben sich immer noch da draußen herum, ebenso wie Kritton … und etliche andere Kreaturen.« Er nickte Alwyn zu. »Wahrscheinlich werden die Elfen sie lange vor uns sehen, aber haltet trotzdem die Augen auf.«

Irkila tauchte wieder auf und bedeutete ihnen mit einem Winken, ihr zu folgen. Alwyn setzte seinen Tschako auf und drehte sich noch einmal um, um sich davon zu überzeugen, dass sie nichts zurückgelassen hatten. Der Felsen auf der Lichtung war leer. Zufrieden machte er Anstalten, Irkila zu folgen, als ihm die schwarzen Pfeile einfielen. Doch bevor er die Elfe fragen konnte, sah er, dass sie aus Yimts Provianttasche herausragten.

Er packte Yimts Arm und bückte sich, um ihm ins Ohr zu flüstern. »Sie werden die Pfeile sehen«, meinte er.

Yimt hatte gerade ein Stück Crute in seinen Mund stopfen wollen und hielt jetzt inne. »Wer, glaubst du, hat sie mir gegeben? Ally, ich weiß, wie ich mich unter Elfen zu benehmen habe.«

»Sie haben sie dir gegeben? Warum?«

»Mistress Rote Eule war der Meinung, dass man niemals eine Waffe auf einem Schlachtfeld zurücklassen sollte.«

»Das hat sie gesagt?«, erkundigte sich Alwyn skeptisch.

Yimt zuckte mit den Schultern. »Mehr oder weniger. Sie hat auch noch irgendetwas über Schwarze Magie, Pervertierung von Natur und dergleichen erzählt, aber unter dem Strich läuft es auf das Gleiche hinaus: Lass keine Waffen zurück, die dein Feind finden und gegen dich einsetzen könnte.«

Auf diese Logik hatte Alwyn nichts zu erwidern, aber er vermutete, dass Chayii noch erheblich mehr gesagt hatte.

Er sah nach vorn und bemerkte, dass die Elfen die Lichtung bereits überquert hatten und im Wald verschwanden. Irkila bedeutete ihnen, sich zu beeilen. Alwyn ging schneller und wunderte sich, wie gut er sich fühlte. Für jemanden, der gerade erst von einem Pfeil getroffen worden war, vermutlich auch noch von einem verwünschten, hielt er sich sehr gut. Diese Elfen von der Langen Wacht könnten den Feldschern von der Armee zweifellos noch einiges beibringen, obwohl er sich nicht vorstellen konnte, dass ein Menschenarzt Blätter und Moos benutzen würde.

»Außerdem«, fuhr Yimt fort, der lostrottete, während er mit einer Hand die Bandage unter seinem Tschako zurechtrückte, »glaube ich, dass sie mich ganz nett findet. Hast du gehört, dass sie mich Warme Brise genannt hat?«

Alwyn nickte und sagte nichts; insgeheim jedoch fragte er sich, ob es sich lohnte, Yimt zu erklären, wie Chayii damit nur höflich umschrieben hatte, dass er viel heiße Luft von sich gab.

Elfen wie Stahl
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