28

KONOWA RANG MIT sich, ob er den Soldaten folgen und sie auf die Anhöhe führen sollte. Er trat einen Schritt vor, doch dann spürte er etwas hinter sich und drehte sich um. Visyna kam durch den Regen auf ihn zu. Er blieb stehen, weil er seinen Blick nicht von ihr losreißen konnte, als sie sich bewegte. Eine Armlänge von ihm entfernt blieb sie stehen und erwiderte seinen Blick. Eine Weile sprach keiner von ihnen. Blitze zuckten aus gewaltigen Wolken, untermalt vom Donner, und Konowa versuchte, den Zorn wiederzufinden, den er nach dem Angriff des Faeraug gespürt hatte. Stattdessen merkte er, wie sehr er es vermisst hatte, sie in seiner Nähe zu haben.

»Hört zu, wegen neulich nachts«, begann er. »Ihr müsst verstehen, dass hier draußen meine Männer an erster Stelle stehen.«

Sie nickte. »Und Ihr müsst verstehen, dass hier draußen mein Land und mein Volk an erster Stelle stehen.«

»Vielleicht stehen wir beide ja dann an erster Stelle, wenn das hier draußen zu Ende ist«, sagte er und hoffte, dass der prasselnde Regen das Kieksen in seiner Stimme übertönte. »Ich habe es irgendwie genossen, als wir beide alleine waren.«

»Ich auch«, sagte sie und trat einen Schritt näher. »Vielleicht müssen wir gar nicht warten, bis es zu Ende ist. Rallie und ich haben viel geredet. Ich glaube, dass Ihr und ich mehr gemein haben, als ich dachte. Wir wollen beide dasselbe.« Sie streckte eine Hand aus, um ihn zu berühren, hielt jedoch inne. Ihre Finger verharrten unmittelbar vor seiner Brust. »Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um Euch und dieses Regiment zu beschützen. Bitte, legt das ab.«

Konowa ließ den Kopf hängen, aber der Regen, der in seinen Kragen prasselte, veranlasste ihn, ihn schnellstens wieder zu heben. »Ich wünschte wirklich …«

Das Geräusch einer Explosion drang an ihre Ohren. Dann begannen das Geschrei und das Gekreische.

»Zum Teufel.«

 

Alwyn sah etwas Gelbes, dann etwas Weißes und dann etwas Schwarzes. Ein beißender Wind fegte an ihm vorbei, dem Dreckklumpen folgten. Er wandte den Kopf von dem offenen Loch ab. Als er es wagte, wieder hinzusehen, quoll dunkler Rauch aus Dutzenden von Löchern der Anhöhe.

»Yimt?«, rief er. Niemand antwortete. Er wollte gerade noch einmal schreien, als schwarze Umrisse aus dem Rauch auftauchten.

»Fledermäuse!«

Der Schrei pflanzte sich durch das Regiment fort, während Hunderte und dann Tausende dieser Kreaturen von der Anhöhe in den Rauch und den Regen emporflogen. Sie bildeten eine rasch wachsende Wolke von flatternden Flügeln und schrillen Schreien, während sie die Anhöhe umkreisten.

Sie bewegten sich wie ein großer Fischschwarm, als sie aufgeregt hierhin und dorthin flatterten.

Dann stürzten sie sich zur Erde.

Alwyn hatte kaum Zeit, die Muskete umzudrehen und sie als Schläger zu benutzen, als die erste Fledermaus sich kreischend auf ihn stürzte. Ihre Augen traten milchig weiß aus ihrem Schädel, und an ihren kleinen Zähnen schimmerte Speichel.

Alwyn schlug zu und fegte zwei Fledermäuse aus der Luft. Ein weiteres Dutzend stürzte sich auf ihn. Sie kreischten, schossen um seinen Kopf, schlugen mit ihren Flügeln wie verrückt gegen seine Arme, während sie versuchten, sein Gesicht zu attackieren. Alles wurde zu einem Nebel aus schwarzen ledernen Flügeln, weißen Augen und gefährlich wirkenden Reißzähnen.

»Lasst mich runter, ihr Mistviecher!«

Alwyn schlug noch drei Fledermäuse zu Boden und drehte sich dann in die Richtung, aus der Yimts Stimme kam. Die Fledermäuse, Dutzende von ihnen, versuchten, den Zwerg wegzuschleppen.

Alwyn machte ein paar Schritte auf sie zu, wurde jedoch aufgehalten, als immer mehr Fledermäuse um seine Beine schwirrten. Der Gedanke, dass eine dieser Kreaturen unter seine Caerna fliegen könnte, verlieh seinen müde werdenden Armen neue Energie, und er schwang seine Muskete wie eine Sichel. Blut und ledrige Haut bedeckten sein Gesicht und seine Hände, was es ihm erschwerte, die Muskete festzuhalten.

Musketenschüsse knallten links von ihm, aber Alwyn konnte sich nicht vorstellen, dass sie viel Wirkung zeigen würden. Das Regiment hatte nicht genug Musketenkugeln, um alle Fledermäuse zu töten.

»Hinlegen!«

Das klang wie die Hexe, Mistress Tekoy. Alwyn warf sich auf den Boden und zog die Beine unter sich. Einen Moment später summte die Luft vor Energie, und zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit sah er nur Gelb, Weiß und dann Schwarz.

Im nächsten Moment wurde es unheimlich ruhig. Und dann begann es Fledermäuse zu regnen.

Alwyn rappelte sich auf, als die ersten Kreaturen zur Erde fielen und ihre Körper mit einem ekelhaften nassen Platschen auf dem Boden landeten.

Jir tauchte auf und sprang hoch in die Luft, um die Fledermäuse im Fall zu fangen, als wäre es ein Spiel. Etliche Soldaten taten es ihm nach, nur versuchten sie, die fallenden Fledermäuse mit ihren Bajonetten aufzuspießen. Alwyn schüttelte den Kopf und wandte sich zu Yimt um, der sich gerade bemühte, eine Fledermaus aus seinem Bart zu ziehen. Mit einem scharfen Knacken brach Yimt dem Tier das Genick und hielt es an einem Flügel hoch.

»Was machen wir jetzt?«, erkundigte sich Alwyn.

Yimt warf einen Blick auf die Fledermaus in seiner Hand und sah dann Alwyn an. »Abendessen.«

 

Visyna wusste, dass sie keine andere Wahl gehabt hatte, als die Fledermäuse zu töten, genauso wie die Hundespinnen, aber es bereitete ihr trotzdem Übelkeit. Es war pervertierte Natur. Die Fledermäuse waren von weit mehr als von Hunger getrieben worden. Sie ging zu dem kleinen Gehölz, während die Soldaten wie kleine Jungen herumliefen. Aber es kümmerte sie nicht weiter, dass sie sich wie Kinder benahmen. Was sie bekümmerte, war Konowa. Er weigerte sich einfach, die Gefahr zu begreifen, die es mit sich brachte, ein Stück vom Berg der Schattenherrscherin bei sich zu tragen. Und das, während er gleichzeitig versuchte, sich ihren Sorgen mehr zu öffnen.

Das Leben vibrierte durch dieses Land; es war eine sauberere, unversehrtere Energie als die auf der von Schlingpflanzen überwucherten Ebene, aber es war offensichtlich, dass Elfkyna krank war. Nichts fühlte sich so an, wie es sollte, und es wurde immer schlimmer. Plötzlich kam ihr der Wunsch nach Konowas Zuneigung vollkommen närrisch vor. Er war Soldat eines Imperiums, das ihr Volk und ihr Land unterjocht hatte. Sie tadelte sich; sie würde sich nicht einer Leidenschaft hingeben, wenn die Welt, die sie kannte, am Rand des Untergangs stand.

Sie marschierte etwas schneller zum Rand des Wäldchens, blieb dort stehen und sah sich um. Soldaten lungerten um mehrere Feuer herum, und selbst Rallie war beschäftigt; diese hatte an Visynas Stelle die Einladung des Prinzen zum Essen angenommen. Sie trat zwischen den Bäumen hindurch auf einen dünnen Grasstreifen, der um den Rand eines kleinen Teichs lief; das Wasser war so schwarz wie der Himmel über ihr. Dort setzte sie sich hin und begann zu suchen.

Diesmal war es einfacher. Ihre Finger zeichneten Fäden von Licht in die Schatten vor sich, silberne Stränge, die sich durch das Netz des natürlichen Lebens ausbreiteten, riefen. Die Oberfläche des Beckens kräuselte sich als Antwort auf ihre Bemühungen, Lichtreflexe zuckten wie Dolche durch das Gehölz, drangen jedoch nicht über die Baumgrenze hinaus. Die Zwischenräume zwischen den Bäumen waren von Schatten erfüllt, sodass jeder, der das Gehölz von außen betrachtet hätte, nur Dunkelheit darin gesehen hätte.

»Er ist eine Bedrohung!«

Das Gehölz verstärkte die Stimme, sodass diese in ihrem Körper vibrierte. Sie erschauerte und wandte den Blick von dem strahlend hellen, leeren Licht ab, als sie aufstand.

»Konowa meint es gut, aber er weiß nicht, was das Richtige ist.« Die Worte sprudelten ihr über die Lippen, als würde dies die Schuld lindern, die sie plötzlich verspürte.

Das Licht brach sich in der Dunkelheit, und die Erde unter ihren Füßen bewegte sich. Es fühlte sich an, als würde sich der Boden unter ihr auflösen.

»Er muss aufgehalten werden!«

In der Stimme schwang eine Anspannung mit, die Visyna niemals zuvor gehört hatte. Sie wollte dem Stern von der Macht erzählen, die Konowa nun besaß, aber aus irgendeinem Grund brachte sie die Worte nicht über ihre Lippen. »Er ist eigensinnig und ein Narr, aber sein Verlangen ist es, die Stählernen Elfen zu beschützen. Dieses Verlangen kann ich verstehen.«

»Was du auf der Ebene bewiesen hast.«

Das klang fast wie ein Tadel. »Ich respektiere alles Leben, aber meine Loyalität gehört meinem Land, meinem Volk und unserer rechtmäßigen Abstammung. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, dafür zu sorgen, dass du den Elfkynan zurückgegeben wirst, aber ich sehe keinen Grund, weshalb andere sterben sollten, um dieses Ziel zu erreichen, wenn es nicht nötig ist.«

»Dein Mangel an Vision ist bestürzend. Sie wird ihn ihrem Willen unterwerfen, und ich bin noch nicht stark genug, um das zu verhindern. Aus diesem Grunde wurdest du auserwählt.« Der Stern machte eine lange Pause, bevor er weitersprach. »Vielleicht ist eine Frau zu schwach für diese Aufgabe.«

Visyna war entsetzt über diesen Gedanken. »Ich werde nicht versagen. Wenn die Zeit kommt, werde ich tun, was notwendig ist.«

»Diese Zeit ist näher, als du glaubst. Ein anderer wird dich bei dieser Aufgabe unterstützen.«

Bevor Visyna protestieren konnte, verschwand das Bildnis des Sterns in einem grellen Strahlen, das in sich selbst zusammenfiel und ihr jede Sehkraft aus den Augen zu saugen schien. Sie streckte Halt suchend eine Hand aus, fand jedoch keinen Baum. Sie blinzelte mehrmals und sah eine schwache Lichtquelle. Sie machte einen Schritt darauf zu. Ihr Fuß landete platschend im Wasser, und sie wäre in den Teich gefallen, hätte nicht jemand sie am Arm gepackt und zurückgezogen. Ihr Schrei wurde von einer Hand erstickt, die sich auf ihren Mund legte, bevor sie dann sanft herabsank. Visyna rieb sich die Augen, öffnete sie und sah das Gehölz und das Licht der Lagerfeuer. Dann konnte sie auch endlich den Besitzer der Hand ansehen, die immer noch auf ihrem Arm lag.

»Soldat Kritton zu Euren Diensten, Mylady«, sagte der Elf.

Elfen wie Stahl
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